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Freygeisterey der Leidenschaft

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Textdaten
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Autor: Friedrich Schiller
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Titel: Freigeisterei der Leidenschaft.
Untertitel: Als Laura vermählt war im Jahr 1782.
aus: Thalia – Erster Band,
Heft 2 (1786), S. 59–63
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1786
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[59]

IV.

Freigeisterei der Leidenschaft[1].

Als Laura vermählt war im Jahr 1782.


Nein – länger länger werd ich diesen Kampf nicht kämpfen,
     den Riesenkampf der Pflicht.
Kannst du des Herzens Flammentrieb nicht dämpfen,
     so fodre, Tugend, dieses Opfer nicht.

5
Geschworen hab ichs, ja, ich habs geschworen,

     mich selbst zu bändigen.
Hier ist dein Kranz. Er sey auf ewig mir verloren,
     nimm ihn zurük, und laß mich sündigen.

[60]

Sieh, Göttin, mich zu deines Trones Stuffen,

10
     wo ich noch jüngst, ein frecher Beter, lag,

Mein übereilter Eid sey widerrufen,
     vernichtet sey der schrekliche Vertrag,

Den du im süßen Taumel einer warmen Stunde
     vom Träumenden erzwangst,

15
Mit meinem heißen Blut in unerlaubtem Bunde,

     betrügerisch aus meinem Busen rangst.

Wo sind die Feuer, die elektrisch mich durchwallten,
     und wo der starke kühne Talisman?
In jenem Wahnwiz will ich meinen Schwur dir halten,

20
     worinn ich unbesonnen ihn gethan.


Zerrissen sey, was du und ich bedungen haben,
     Sie liebt mich – deine Krone sey verscherzt.
Glükselig, wer in Wonnetrunkenheit begraben,
     so leicht wie ich, den tiefen Fall verschmerzt.

25
Sie sieht den Wurm an meiner Jugend Blume nagen,

     und meinen Lenz entflohn,
Bewundert still mein heldenmütiges Entsagen
     und großmuthsvoll beschließt sie meinen Lohn.

[61]

Mistraue, schöne Seele, dieser Engelgüte!

30
     Dein Mitleid waffnet zum Verbrecher mich,

Gibts in des Lebens unermeßlichem Gebiete,
     gibts einen andern schönern Lohn – als Dich?

Als das Verbrechen, das ich ewig fliehen wolte?
     Entsezliches Geschik!

35
Der einzge Lohn der meine Tugend krönen sollte,

     ist meiner Tugend lezter Augenblik.

Des wollustreichen Giftes voll – vergessen,
     vor wem ich zittern muß,
Wag ich es stumm, an meinen Busen sie zu pressen,

40
     auf ihren Lippen brennt mein erster Kuß,


Wie schnell auf sein allmächtig glüendes Berühren,
     wie schnell o Laura floß
Das dünne Siegel ab von übereilten Schwüren,
     sprang deiner Pflicht Tirannenkette los,

45
Jezt schlug sie laut die heißerflehte Schäferstunde,

     jezt dämmerte mein Glük –
Erhörung zitterte auf deinem brennenden Munde,
     Erhörung schwamm in deinem feuchten Blick,

[62]

Mir schauerte vor dem so nahen Glüke,

50
     und ich errang es nicht.

Vor deiner Gottheit taumelte mein Muth zurüke,
     ich Rasender! und ich errang es nicht!

Woher diß Zittern, diß unnennbare[WS 1] Entsezen,
     wenn mich dein liebevoller Arm umschlang? –

55
Weil dich ein Eid, den auch schon Wallungen verlezen,

     in fremde Fesseln zwang?

Weil ein Gebrauch, den die Geseze heilig prägen,
     des Zufalls schwere Missethat geweiht?
Nein – unerschroken troz’ ich einem Bund entgegen,

60
     den die erröthende Natur bereut.


O zittre nicht – du hast als Sünderin geschworen,
     ein Meineid ist der Reue fromme Pflicht.
Das Herz war mein, das du vor dem Altar verloren,
     Mit Menschenfreuden spielt der Himmel nicht.

65
Zum Kampf auf die Vernichtung sey er vorgeladen,

     an den der feierliche Spruch dich band.
Die Vorsicht kann den überflüßgen Geist entrathen,
     für den sie keine Seligkeit erfand.

[63]

Getrennt von Dir – warum bin ich geworden?

70
     Weil du bist, schuf mich Gott!

Er widerrufe, oder lerne Geister morden,
     und flüchte mich vor seines Wurmes Spott.

Sanftmütigster der fühlenden Dämonen,
     zum Wüterich verzerrt dich Menschenwahn?

75
Dich solten meine Quaalen nur belonen,

     und diesen Nero beten Geister an?

Dich hätten sie als den Allguten mir gepriesen,
     als Vater mir gemahlt?
So wucherst du mit deinen Paradiesen?

80
     Mit meinen Tränen machst du dich bezahlt?


Besticht man dich mit blutendem Entsagen?
     Durch eine Hölle nur
Kannst du zu deinem Himmel eine Brüke schlagen?
     Nur auf der Folter merkt dich die Natur?

85
O diesem Gott laßt unsre Tempel uns verschließen,

     kein Loblied feire ihn,
Und keine Freudenträne soll ihm weiter fließen,
     er hat auf immer seinen Lohn dahin!

P.
Anmerkungen:
  1. Ich habe um so weniger Anstand genommen, die zwey folgenden Gedichte, hier aufzunehmen, da ich von jedem Leser erwarten kann, er werde so billig seyn, eine Aufwallung der Leidenschaft nicht für ein philosophisches Sistem und die Verzweiflung eines erdichteten Liebhabers nicht für das Glaubensbekenntniß des Dichters anzusehen. Widrigenfalls möchte es übel um den dramatischen Dichter aussehen, dessen Intrigue selten ohne einen Bösewicht fortgeführt werden kann: und Milton und Klopstock müßten um so schlechtere Menschen seyn, je besser ihnen ihre Teufel glückten.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: unennbare