Günstige Kritik
[276] Günstige Kritik. (Zu dem Bilde S. 273) Wie angenehm hatte
es doch die Künstlerin der „guten alten Zeit“! Ohne Furcht vor Konkurrenz
und öffentlicher Kritik, eine interessante Ausnahme ihres Geschlechtes,
saß sie vor der Staffelei und erregte, wie die junge Malerin
unseres Bildes, mit ihren harmlosen Kunstwerken einen ganz außerordentlichen
Enthusiasmus. Wirkte doch auch ihre ganze Art und Umgebung
zu dieser Stimmung mit; das als Atelier dienende freundliche
helle Mädchenstübchen mit dem Fenster voll Blumen über dem geöffneten
Spinett mit dem kleinen Bücherbrett seitlich davon, das ein
paar abgegriffene Lieblingsdichter trägt, die ganze echt weibliche Atmosphäre
des Raumes, in welchem die Künstlerin liebevoll die morgens
im Hausgarten gepflückten Blumen auf die Leinwand bringt. Da ist
es denn kein Wunder, wenn ihrem jungen Kritiker die kühle Objektivität
abhanden kommt. Stände ein alter mit ebenso entzückter Gebärde
hinter ihrem Sessel, so wäre es vielleicht hoffnungsvoller für
ihre künstlerische Zukunft. Aber wer weiß, ob diese nicht bald untergeht
in dem Frauenglück an der Seite des hübschen dunkeläugigen
Mannes, der gar nicht aussieht, als ob er sich ein besonderes Gewissen
daraus machen würde, seiner bewunderten Freundin einen solchen
Tausch vorzuschlagen! Bn.