Garlinde
Es irrt bei Dunkelheit und Regen
Ein Ritter durch die Wildniß hin,
Er muß auf unbekannten Wegen
Zu einem frommen Opfer ziehn.
Ein Sturm erhebt sich rasch mit Macht;
Da hört er eine Glocke schlagen,
Sie kündet schon die Mitternacht.
Und vor ihm ragen hoch die Zinnen
Und schnell, das Obdach zu gewinnen,
Spornt er aufs Neu’ das müde Roß.
Doch in der Burg ist tiefes Schweigen,
Wie um ein graues Hünengrab,
Uralte Rüstern sich herab.
Der Ritter geht, nicht ohne Schauer,
Hin durch des Hofes öden Raum,
An einem Ring an einer Mauer
Und plötzlich sieht er an den Fenstern
Ein Lichtlein wandern hin und her;
„Ha!“ – ruft er – „bin ich bei Gespenstern,
So schütze mich des Kreuzes Wehr!“
Steigt er die Wendeltrepp’ hinan
Und kommt in eines Ganges Mitte,
Ein Söller lehnet sich daran.
Zwölf weiße Marmorbilder stehen
Und dumpfe, kalte Lüfte wehen
Als kämen sie vom Schattenreich.
Er öffnet ein Gemach; am Tische,
Bei einer Lampe mattem Schein,
Sitzt eine Jungfrau zart und fein.
Der Schwermuth stille Trauer waltet
Auf ihrem holden Angesicht,
Sie hält die Hände fromm gefaltet,
Sie neigt sich freundlich vor dem Ritter,
Und scheint gerührt von seiner Noth;
Sie geht und holt aus einem Gitter
Zu seiner Labung Wein und Brot.
Sie gibt mit keinem Wort sich kund,
Sie sieht ihn an bei jeder Frage
Und legt den Finger auf den Mund.
Jetzt führt sie ihn, noch immer schweigend,
Und geht zurück, sich still verneigend;
Der Ritter schaut ihr staunend nach.
Dann wirft er sich aufs Lager nieder,
Ihm ist gar seltsamlich zu Muth;
Beschwichtigend sein wildes Blut.
Und als ihn nun das rege Leben
Des Forstes weckt im Morgenschein,
Sieht er mit Grauen sich umgeben
Die altersgrauen Warten liegen
Zerfallen da, in Schutt und Graus,
In des Gemäuers Ritzen fliegen
Die Weih’n und Sperber ein und aus.
Aus dem herauf der Moder weht,
Es hausen Molche drin und Unken
Und auf dem Stein des Grabes steht:
„Hier ruht Garlindens Leib; gesprochen
Das Wort, es hat ein Herz gebrochen,
Wie keins so treu auf Erden schlug.
„Die Todten wollen sie nicht dulden,
Darum sie auch nicht rasten mag:
Sie bis zum großen Sühnungstag.“