Gebet der Sucht

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Richard Dehmel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Gebet der Sucht
Untertitel:
aus: Aber die Liebe
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Dr. E. Albert & Co. Separat-Conto
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans dieser Ausgabe auf Commons
S. 202-204
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]


[202]

Die Verwandlungen der Venus.

 „Zeugen, Geburt und Tod,
 Wann wird es stille!
 Wo glüht das Urgebot,
 Wo wacht der Wille?“
 Otto Julius Bierbaum.
 

 Gebet der Sucht.

Niemals sah ich die Nacht beglänzter,
diamantisch reizen die Fernen;
durch mein staubiges Kellerfenster
sticht der Schein der Gaslaternen,

5
schielt auf meine frierenden Hände,

und ich fühle meinen Hunger;
grau sind diese nackten Wände,
und sie flimmern. Und mein junger

irrender Wille kann sich nicht mehr täuschen

10
unsre Lüste wollen fruchtbar sein!

Mit den Schatten meiner keuschen
Kammer spielt ein schwüler Schein.

[203] An den hohen Häusern drüben glühen
aus der Finsternis die Fenster,

15
wo die Freudenmädchen blühen –

niemals sah ich die Nacht beglänzter!

Und die Sterne sind wie brennende Blicke,
Welten sehnen sich nach mir!
Ich verschmachte. Ich ersticke.

20
Ja: ich frevelte an Ihr!


Selbst in meiner kalten Zelle
fühlte ich das Leben toben,
der ich wagte, dieses schnelle
Herz zu dämpfen; aber oben

25
über meinem dunklen Thale,

Venus, seh ich angebrannt
Deine flammenden Fanale,
und den Blick hinaufgewandt

ruf’ich aus dem tiefen Turme

30
meiner Aengste zu dir hoch:

Göttin, wandle dich zum Wurme,
sei im Wurme Göttin noch!

Sausend schaukelt eine Not mein Herz
wie in erster süßer Knabenfrühe;

35
ich verschmachte! ich verglühe!

jeder Stern ist mir ein Schmerz, –

ihrer Strahlen ferne starre Ruten
martern, wenn du mich nicht kühlst,
wenn nicht Du mit deinem brünstigen Blute

40
meine brennenden Dürste stillst!


[204] Sieh, es lichtet sich ein neues Fenster,
zuckt ein steiler Kerzenstreifen –
niemals sah ich die Nacht beglänzter!
Ja: entzünde dich dem Reifen,

45
Ewige, lächle: Deine Kerzen bleiben,

alle andern sind verblichen!
Hinter jenen schwarzen Scheiben
schlafen alle Ordentlichen ...