Gedanken über den hohen Werth der Musik

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Autor: E. T. A. Hoffmann
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Titel: Kreisleriana [Erster Theil] – 3. Gedanken über den hohen Werth der Musik
Untertitel:
aus: Fantasiestücke in Callot’s Manier, Erster Theil, S. 54–64
Herausgeber:
Auflage: Zweite, durchgesehene Auflage in zwei Theilen (= Ausgabe letzter Hand)
Entstehungsdatum: 1814–15, revidiert 1819
Erscheinungsdatum: 2. Auflage: 1819
Verlag: Kunz
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Erscheinungsort: Bamberg
Übersetzer:
Originaltitel: Erstdruck unter dem Titel: Des Kapellmeisters, Johannes Kreislers, Dissertatiuncula über den hohen Werth der Musik
Originalsubtitel:
Originalherkunft: Allgemeine musikalische Zeitung, 14.Jg, Nr.31, 29.07.1812, Sp. 503-509, anonym. Siehe Google
Quelle: pdf bei commons: Bd.1
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3. Gedanken über den hohen Werth der Musik.


Es ist nicht zu leugnen, daß in neuerer Zeit, dem Himmel sey’s gedankt! der Geschmack an der Musik sich immer mehr verbreitet, so daß es jetzt gewissermaßen zur guten Erziehung gehört, die Kinder auch Musik lehren zu lassen, weshalb man denn in jedem Hause, das nur irgend etwas bedeuten will, ein Klavier, wenigstens eine Guitarre findet. Nur wenige Verächter der gewiß schönen Kunst giebt es noch hie und da, und diesen eine tüchtige Lection zu geben, das ist jetzt mein Vorsatz und Beruf.

Der Zweck der Kunst überhaupt ist doch kein anderer, als, dem Menschen eine angenehme Unterhaltung zu verschaffen, und ihn so von den ernstern, oder vielmehr den einzigen ihm anständigen Geschäften, nämlich solchen, die ihm Brod und Ehre im Staat erwerben, auf eine angenehme Art zu zerstreuen, so daß er nachher mit gedoppelter Aufmerksamkeit und Anstrengung zu dem eigentlichen Zweck seines Daseyns zurückkehren, d. h. ein tüchtiges Kammrad in der Walkmühle des Staats seyn, und (ich bleibe in der Metapher) haspeln und sich trillen lassen kann. Nun ist aber keine Kunst zur Erreichung dieses Zwecks tauglicher, als die Musik. Das Lesen eines Romans oder Gedichts, sollte auch die Wahl so glücklich ausfallen, daß es durchaus nichts fantastisch Abgeschmacktes, wie mehrere der allerneuesten, enthält und also die Fantasie, die eigentlich der schlimmste und mit aller Macht zu ertödtende Theil unserer Erbsünde ist, nicht im mindesten anregt – dieses Lesen, meine ich, hat doch das Unangenehme, daß man gewissermaßen genöthigt wird, an das zu denken, was man liest: dieß ist aber offenbar dem Zweck der Zerstreuung entgegen. Dasselbe gilt von dem Vorlesen in der Art, daß, die Aufmerksamkeit ganz davon abwendend, man sehr leicht einschläft, oder in ernste Gedanken sich vertieft, die, nach der von jedem ordentlichen Geschäftsmanne zu beobachtenden Geistesdiät cyklisch eine Weile ruhen müssen. Das Beschauen eines Gemäldes kann nur sehr kurz dauern: denn das Interesse ist ja doch verloren, sobald man errathen hat, was es vorstellen soll. – Was nun aber die Musik betrifft, so können nur jene heillosen Verächter dieser edeln Kunst leugnen, daß eine gelungene Komposition, d. h. eine solche, die sich gehörig in Schranken hält, und ein angenehme Melodie nach der andern folgen läßt, ohne zu toben, oder sich in allerlei contrapunktischen Gängen und Auflösungen närrisch zu gebehrden, einen wunderbar bequemen Reiz verursacht, bei dem man des Denkens ganz überhoben ist, oder der doch keinen ernsten Gedanken aufkommen, sondern mehrere ganz leichte, angenehme – von denen man nicht einmal sich bewußt wird, was sie eigentlich enthalten, gar lustig wechseln läßt. Man kann aber weiter gehen und fragen: wem ist es verwehrt, auch während der Musik mit dem Nachbar ein Gespräch über allerlei Gegenstände der politischen und moralischen Welt anzuknüpfen, und so einen doppelten Zweck auf eine angenehme Weise zu erreichen? Im Gegentheil ist dieß gar sehr anzurathen, da die Musik, wie man in allen Konzerten und musikalischen Zirkeln zu bemerken Gelegenheit haben wird, das Sprechen ungemein erleichtert. In den Pausen ist Alles still, aber mit der Musik fängt der Strom der Rede an zu brausen und schwillt mit den Tönen, die hineinfallen, immer mehr und mehr an. Manches Frauenzimmer, deren Rede sonst, nach jenem Ausspruch: Ja, ja! und Nein, nein! ist, geräth während der Musik in das Uebrige, was nach demselben Ausspruch zwar vom Uebel seyn soll, hier aber offenbar vom Guten ist, da ihr deshalb manchmal ein Liebhaber oder gar ein Ehegemahl, von der Süßigkeit der ungewohnten Rede berauscht, ins Garn fällt. – Himmel, wie unabsehbar sind die Vortheile einer schönen Musik! – Euch, ihr heillosen Verächter der edlen Kunst, führe ich nun in den häuslichen Zirkel, wo der Vater, müde von den ernsten Geschäften des Tages, im Schlafrock und in Pantoffeln fröhlich und guten Muths zum Murki[1] seines ältesten Sohnes seine Pfeife raucht. Hat das ehrliche Röschen nicht bloß seinetwegen den Dessauer Marsch[2] und „blühe liebes Veilchen“[3] einstudirt, und trägt sie es nicht so schön vor, daß der Mutter die hellen Freudenthränen auf den Strumpf fallen, den sie eben stopft? Würde ihm nicht endlich das hoffnungsvolle, aber ängstliche Gequäke des jüngsten Sprößlings beschwerlich fallen, wenn nicht der Klang der lieben Kindermusik das Ganze im Ton und Takt hielte? – Ist dein Sinn aber ganz dieser häuslichen Idylle, dem Triumph der einfachen Natur, verschlossen, so folge mir in jenes Haus mit hellerleuchteten Spiegelfenstern. Du trittst in den Saal; die dampfende Thee-Maschine ist der Brennpunkt, um den sich die eleganten Herren und Damen bewegen. Spieltische werden gerückt, aber auch der Deckel des Fortepiano fliegt auf, und auch hier dient die Musik zur angenehmen Unterhaltung und Zerstreuung. Gut gewählt, hat sie durchaus nichts Störendes, denn selbst die Kartenspieler, obschon mit etwas Höherem, mit Gewinn und Verlust beschäftigt, dulden sie willig. – Was soll ich endlich von den großen, öffentlichen Konzerten sagen, die die herrlichste Gelegenheit geben, musikalisch begleitet, diesen oder jenen Freund zu sprechen; oder, ist man noch in den Jahren des Uebermuths, mit dieser oder jener Dame süße Worte zu wechseln – wozu ja sogar die Musik noch ein schickliches Thema geben kann. Diese Konzerte sind die wahren Zerstreuungsplätze für den Geschäftsmann, und dem Theater sehr vorzuziehen, da dieses zuweilen Vorstellungen giebt, die den Geist unerlaubter Weise auf etwas ganz Nichtiges und Unwahres fixiren, so daß man Gefahr läuft, in die Poesie hineinzugerathen, wovor sich denn doch jeder, dem seine bürgerliche Ehre am Herzen liegt, hüten muß! – Kurz, es ist, wie ich gleich Anfangs erwähnte, ein entscheidendes Zeichen, wie sehr man jetzt die wahre Tendenz der Musik erkennt, daß sie so fleißig und mit so vielem Ernst getrieben und gelehrt wird. Wie zweckmäßig ist es nicht, daß die Kinder, sollten sie auch nicht das mindeste Talent zur Kunst haben, worauf es ja auch eigentlich gar nicht ankommt, doch zur Musik angehalten werden, um so, wenn sie sonst noch nicht obligat in der Gesellschaft wirken dürfen, doch wenigstens das Ihrige zur Unterhaltung und Zerstreuung beitragen zu können! – Wohl ein glänzender Vorzug der Musik vor jeder andern Kunst ist es auch, daß sie in ihrer Reinheit (ohne Beimischung der Poesie) durchaus moralisch und daher in keinem Fall von schädlichem Einfluß auf die zarte Jugend ist. Jener Polizeidirektor attestirte keck dem Erfinder eines neuen Instruments, daß darin nichts gegen den Staat, die Religion und die guten Sitten enthalten sey; mit derselben Keckheit kann jeder Musikmeister dem Papa und der Mama in voraus versichern, die neue Sonate enthalte nicht einen unmoralischen Gedanken. Werden die Kinder älter, so versteht es sich von selbst, daß sie von der Ausübung der Kunst abstrahiren müssen, da für ernste Männer so etwas sich nicht wohl schicken will, und Damen darüber sehr leicht höhere Pflichten der Gesellschaft etc. versäumen können. Diese genießen dann das Vergnügen der Musik nur passiv, indem sie sich von Kindern oder Künstlern von Profession vorspielen lassen. – Aus der richtig angegebenen Tendenz der Kunst fließt auch von selbst, daß die Künstler, d. h. diejenigen Personen, welche (freilich thöricht genug!) ihr ganzes Leben einem, nur zur Erholung und Zerstreuung dienenden Geschäfte widmen, als ganz untergeordnete Subjekte zu betrachten und nur darum zu dulden sind, weil sie das miscere utili dulce in Ausübung bringen. Kein Mensch von gesundem Verstande und gereiften Einsichten wird den besten Künstler so hoch schätzen, als den wackern Kanzellisten, ja den Handwerksmann, der das Polster stopfte, worauf der Rath in der Schoßstube,[4] oder der Kaufmann im Comptoir sitzt, da hier das Nothwendige, dort nur das Angenehme beabsichtigt wird. Wenn man daher mit dem Künstler höflich und freundlich umgeht, so ist das nur eine Folge unserer Kultur und unserer Bonhommie, die uns ja auch mit Kindern, und andern Personen, die Spaß machen, schön thun und tändeln läßt. Manche von diesen unglücklichen Schwärmern sind zu spät aus ihrem Irrthum erwacht und darüber wirklich in einigen Wahnsinn verfallen, welches man aus ihren Aeußerungen über die Kunst sehr leicht abnehmen kann. Sie meinen nämlich, die Kunst ließe dem Menschen sein höheres Prinzip ahnen und führe ihn aus dem thörichten Thun und Treiben des gemeinen Lebens in den Isistempel, wo die Natur in heiligen, nie gehörten und doch verständlichen Lauten mit ihm spräche. Von der Musik hegen diese Wahnsinnigen nun vollends die wunderlichsten Meinungen; sie nennen sie die romantischste aller Künste, da ihr Vorwurf nur das Unendliche sey; die geheimnißvolle, in Tönen ausgesprochene Sanscritta[5] der Natur, die die Brust des Menschen mit unendlicher Sehnsucht erfülle, und nur in ihr verstehe er das hohe Lied der – Bäume, der Blumen, der Thiere, der Steine, der Gewässer! – Die ganz unnützen Spielereien des Contrapunkts, die den Zuhörer gar nicht aufheitern und so den eigentlichen Zweck der Musik ganz verfehlen, nennen sie schauerlich geheimnißvolle Combinationen, und sind im Stande, sie mit wunderlich verschlungenen Moosen, Kräutern und Blumen zu vergleichen. Das Talent, oder in der Sprache dieser Thoren, der Genius der Musik, glühe sagen sie, in der Brust des die Kunst übenden und hegenden Menschen, und verzehre ihn, wenn das gemeinere Prinzip den Funken künstlich überbauen oder ableiten wolle, mit unauslöschlichen Flammen. Diejenigen, welche denn doch, wie ich es erst ausgeführt habe, ganz richtig über die wahre Tendenz der Kunst, und der Musik insbesondere, urtheilen, nennen sie unwissende Frevler, die ewig von dem Heiligthum des höhern Seyns ausgeschlossen bleiben müßten, und beurkunden dadurch ihre Tollheit. Denn ich frage mit Recht: wer ist besser daran, der Staatsbeamte, der Kaufmann, der von seinem Gelde Lebende, der gut ißt und trinkt, gehörig spaziren fährt, und den alle Menschen mit Ehrfurcht grüßen, oder der Künstler, der sich ganz kümmerlich in seiner fantastischen Welt behelfen muß? Zwar behaupten jene Thoren, daß es eine ganz besondere Sache um die poetische Erhebung über das Gemeine sey, und manches Entbehren sich dann umwandle in Genuß: allein die Kaiser und Könige im Irrenhause mit der Strohkrone auf dem Haupt sind auch glücklich! Der beste Beweis, daß alle jene Floskeln nichts in sich tragen, sondern nur den innern Vorwurf, nicht nach dem Soliden gestrebt zu haben, beschwichtigen sollen, ist dieser, daß beinahe kein Künstler es aus reiner, freier Wahl wurde, sondern sie entstanden und entstehen noch immer aus der ärmern Klasse. Von unbegüterten, obscuren Aeltern, oder wieder von Künstlern geboren, machte sie die Noth, die Gelegenheit, der Mangel an Aussicht auf ein Glück in den eigentlichen nützlichen Klassen, zu dem, was sie wurden. Dieß wird denn auch jenen Fantasten zum Trotz ewig so bleiben. Sollte nämlich eine begüterte Familie höheren Standes so unglücklich seyn, ein Kind zu haben, das ganz besonders zur Kunst organisirt wäre, oder das, nach dem lächerlichen Ausdruck jener Wahnwitzigen, den göttlichen Funken, der im Widerstande verzehrend um sich greift, in der Brust trüge; sollte es wirklich ins Fantasiren für Kunst und Künstlerleben gerathen: so wird ein guter Erzieher durch eine kluge Geistesdiät, z. B. durch das gänzliche Entziehen aller fantastischen, übertreibenden Kost (Poesien, und sogenannter starker Kompositionen, von Mozart, Beethoven u. s. w.) so wie durch die fleißig wiederholte Vorstellung der ganz subordinirten Tendenz jeder Kunst und des ganz untergeordneten Standes der Künstler ohne allen Rang, Titel und Reichthum, sehr leicht das verirrte junge Subject auf den rechten Weg bringen, so daß es am Ende eine rechte Verachtung gegen Kunst und Künstler spürt, die als wahres Remedium gegen jede Excentrizität nie weit genug getrieben werden kann. – Den armen Künstlern, die noch nicht in den oben beschriebenen Wahnwitz verfallen sind, glaube ich wirklich nicht übel zu rathen, wenn ich ihnen, um sich doch nur etwas aus ihrer zwecklosen Tendenz herauszureißen, vorschlage, noch nebenher irgend ein leichtes Handwerk zu erlernen: sie werden gewiß dann schon als nützliche Mitglieder des Staats etwas gelten. Mir hat ein Kenner gesagt, ich hätte eine geschickte Hand zum Pantoffelmachen, und ich bin nicht abgeneigt, mich als Prototypus in die Lehre bei dem hiesigen Pantoffelmachermeister Schnabler, der noch dazu mein Herr Pathe ist, zu begeben. – Das überlesend, was ich geschrieben, finde ich den Wahnwitz mancher Musiker sehr treffend geschildert, und mit einem heimlichen Grausen fühle ich mich mit ihnen verwandt. Der Satan raunt mir ins Ohr, daß ihnen manches so redlich Gemeinte wohl gar als heillose Ironie erscheinen könne; allein ich versichere nochmals: gegen euch, ihr Verächter der Musik, die ihr das erbauliche Singen und Spielen der Kinder unnützes Quinkeliren nennt, und die Musik als eine geheimnißvolle, erhabene Kunst nur ihrer würdig hören wollt, gegen euch waren meine Worte gerichtet, und mit ernster Waffe in der Hand habe ich euch bewiesen, daß die Musik eine herrliche, nützliche Erfindung des aufgeweckten Tubalkain[6] sey, welche die Menschen aufheitere, zerstreue, und daß sie so das häusliche Glück, die erhabenste Tendenz jedes kultivirten Menschen, auf eine angenehme, befriedigende Weise befördere.




Anmerkungen (Wikisource)

  1. Der Murkybass besteht aus geschüttelten Oktaven, ist kompositorisch und spieltechnisch anspruchslos, klingt aber belebt.
  2. Dessauer Marsch, ein langsamer Infanteriemarsch, schon um 1705 verbreitet.
  3. erste Zeile des Gedichts Der Knabe an ein Veilchen von Christian Adolf Overbeck (1755–1821), häufig vertont, am bekanntesten wurde das Lied von Johann Abraham Peter Schulz (1747–1800).
  4. Die Stube, in der der Schoss d. i. die Steuer gezahlt wird.
  5. bezieht sich auf Sanskrit, das im 18. Jahrhundert als Ur-Sprache des Arischen galt.
  6. Tubalkain war der Erfinder der Schmiedekunst, Hoffmann verwechselt ihn mit Jubal. (Vgl. i. Buch Mose Kap. 4.)