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Gesellschaft für Musikerziehung

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Textdaten
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Autor: Paul Bekker
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Titel: Gesellschaft für Musikerziehung
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aus: Pariser Tageblatt, Jg. 2. 1934, Nr. 146 (07.05.1934), S. 4
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1934
Verlag: Pariser Tageblatt
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Erscheinungsort: Paris
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Gesellschaft für Musikerziehung


Musik-Erziehungswesen: das wichtigste Arbeitsgebiet des demokratischen Deutschland. Hier sind die Leistungen der Intention, der Durchführung und den Ergebnissen nach einwandfrei positiv zu werten. Namentlich das Land Preussen ist mit einer Reihe systematisch aufgebauter, grundsätzlicher Neuerungen vorgegangen. Manches davon war schon früher angeregt, aber entweder in den Anfängen steckengeblieben, oder überhaupt nicht über den frommen Wunsch hinausgediehen. Die demokratische Regierung hat hier namentlich in den ersten Jahren mit einer Energie und Planmässigkeit durchgegriffen, die, wäre sie anderen Gebieten, etwa dem Theater, im gleichen Masse zuteil geworden, ihr einen erheblich günstigeren Gesamtabschluss ermöglicht hätten. Sie hat sich nicht einmal durch die ausserordentlich heftigen Widerstände reaktionärer Fachgenossenschaften einschüchtern lassen und ist, von verhältnismässig geringen Konzessionen abgesehen, ihren vorgesehenen Weg konsequent weitergegangen. Die allgemeine Geneigtheit der Zeit für pädagogische Fragen mag ihr das Festbleiben erleichtert haben.

Ausser der Umbildung der musikalischen Hochschulen von rein fachlichen Akademien zu volksmässig und zeitverbundenen Lehranstalten waren zwei Hauptpunkte als Ziel gesetzt[:] Bekämpfung des Pfuschertums im Lehrwesen, und Umwandlung des Schulmusikunterrichtes vom Lerndrill zur Erweckung der Musikalität.

Die nationalsozialistische Regierung hat auf diesem Gebiet das gleiche getan, wie auf allen anderen. Sie hat nicht etwa die Arbeit der Vorgänger abgebrochen und nun die ihrige dagegengesetzt. Dafür hätte sie eigener Ideen bedurft, und eben diese fehlen. Was tut sie? Sie stiehlt die früheren Ideen und fälscht sie für ihre Zwecke um. Sie nimmt also wohl den Gedanken der Prüfung auf, aber diese wird aus der Leistungs- zur Gesinnungsprüfung. Sie fördert die Musikgemeinschaft, aber zum Zwecke nicht der Musikalisierung, sondern der Politisierung der Jugend. Es ist immer wieder das Harpyen-Prinzip: nichts Neues schaffen, aber das Vorhandene verderben.

Von dieser Seite ist alle getane Arbeit verpfuscht und wird in das Gegenteil dessen umgewandelt, was sie eigentlich sein sollte. Die grundlegenden Ideen selbst sind indessen zu mächtig, und das pädagogische Verantwortlichkeitsbewusstsein ist in der heutigen Welt zu stark, als dass ein Scheitern an einer Stelle den Gedanken selbst zu Schaden bringen könnte. Preussen war eine Vorpostenstellung, aber andere Länder haben ähnlich gerichtete Bestrebungen. Namentlich bei den germanischen Völkern in Skandinavien, Dänemark, Holland, England, Nordamerika ist lebhafte Teilnahme für eine Umgestaltung der Musikpädagogik vorhanden. Frankreich und Italien verhalten sich noch passiv, während die Balkan- und die slawischen Nationen eine besondere Aktivität auf diesem Gebiet entfalten. Zweifellos hängt der Wille zur Erneuerung des musikalischen Erziehungswesens zusammen mit dem Gesamtkomplex der Fragen zur Neuformung des Menschen und wird musikalisch begleitet von der besonderen Pflege der Volksmusik und des Volksliedes.

Ein grosses und wichtiges Gebiet ist hier zu bearbeiten. Es reicht weit hinaus über die Angelegenheiten der Musiklehrer und des Schulunterrichtes. Welche Fülle von Musikeindrücken dringt heute von Aussen auf den jungen Menschen ein: hauptsächlich vom Radio her, durch Grammophon, durch Tonfilm, durch die Einbeziehung der Musik in Sport und Spiel. Die früheren und sehr vereinzelten Möglichkeiten des Musikhörens in Kirche und Konzert spielen demgegenüber heute kaum noch eine Rolle, auch die Pflege der Hausmusik wird trotz aller frommen Bemühungen keine entscheidende Bedeutung, der früheren vergleichbar, erlangen. Dagegen bilden sich immer wieder neue Gemeinschaften mit neuen Aufgabenstellungen. Hierzu gehören Schulorchester, Schulspiele, Schuloper. Auch hier ist der verfemten „neuen“ Musik mit besonderem Ruhm zu gedenken. Sie hat gerade in Deutschland dieses Gebiet mit Einsatz der besten Kräfte angebaut. Werke von Hindemith, Weill, Eisler sind zu nennen. Hindemiths vor etwa anderthalb Jahren erschienener „Plöner Musiktag“ – eine Art Kantate für Orchester in beliebiger Besetzung, Singstimmen und Chor – ist eine in ihrer Art klassische Zusammenfassung der auf Aktivierung des Dilettantismus gerichteten Bemühungen.

Damit ist zugleich ein weiteres Ziel angedeutet. Es ergibt sich aus der Frage[:] was soll uns heut eigentlich Musik, wozu ist sie da, welchen Lebenssinn erfüllt sie? Ist sie nur eine angenehme Zigarette für Mussestunden – oder ist sie darüber hinaus ein lebendiges Lebensgut? Hier zeigt sich eine Grundfrage der Daseinsgestaltung, ihre Beantwortung wird abhängen von der Art, wie wir Musik-Erziehung betreiben. Lernen wir an dem Missbrauch, der gegenwärtig in Deutschland mit Musik als Propagandamittel versucht wird, dass hier wichtige Möglichkeiten vorhanden sind, die nach Lösung und Betätigung im positiven Sinne drängen.

Zum Lernen gehört der Austausch von Erfahrungen. Auch für ihn war in Deutschland der Boden geschaffen durch die Veranstaltung von Reichsschulwochen, durch internationale Kongresse. Das alles ist kaputt, oder doch so verunreinigt, dass es nicht mehr zu gebrauchen ist. Nun kommt die Meldung, dass von Prag eine neue Initiative ausgeht[:] die Ankündigung der Zusammenfassung aller dieses Gebiet berührenden Bestrebungen in einer neuen „Gesellschaft für Musikerziehung“. Ihr Arbeitsplan verzeichnet Sammlung des Materials aus allen Kulturstaaten, Auskunft, Beratung, Kurse, Kongresse – also die Schaffung eines Mittelpunktes der musikpädagogischen Bewegung, für die Prag der Lage wie der musikalischen Tradition nach prädestiniert erscheint.

Damit ist ein Anfang gemacht zum Neu-Aufbau. Wir haben gegenwärtig zwei Aufgaben: das Schlechte immer wieder als schlecht erkennbar zu machen – das Gute dagegenzusetzen. Das erste ist nötig, das zweite ist nötiger, denn Ueberwindung kann immer nur erfolgen aus der Kraft des Stärkeren. Hier ist ein erster Schritt getan. Mögen die Musikinteressierten aller Länder ihn beachten.