Graf Wilhelm von der Lippe

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Textdaten
Autor: Friedrich de la Motte Fouqué
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Titel: Graf Wilhelm von der Lippe
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aus: Deutscher Dichterwald. Von Justinus Kerner, Friedrich Baron de La Motte Fouqué, Ludwig Uhland und Andern.
S. 183–186
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Erscheinungsdatum: 1813
Verlag: J. F. Heerbrandt’sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Tübingen
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Quelle: Google und Scans auf Commons
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[183]

Graf Wilhelm von der Lippe.

Volkssage.

Im Norden unsres Lands, des lieben, alten,
Das sie vor langer Zeit Germania hießen,
Weil’s brüderlich zusammen hat gehalten,
Dem Ort nicht allzufern, wo sich ergießen

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Der Weser Fluten durch’s westphäl’sche Thor,

Um friedlich durch ein blühend Land zu fließen,
Steigt ehrenwerth ein alter Wald empor,
Groß, schattig, frisch, an Büschen reich und Bäumen,
Sie allesamt ein feierliches Chor,

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Und mitten drinn auf kaum behau’nen Räumen

Ein schönes Haus, doch nun beinah verfallen,
Bewohnt nur von vergang’ner Tage Träumen.
Weitdurch hört man die Tritte wiederhallen,
Die Thüren auf, am Boden Gräser schwankend,

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Und oben Einsturz drohend schon die Hallen,

Epheu sich kühn empor die Mauern rankend,
Des Gartens Pflanzen all’ ein wild Gestrippe,
Nicht mehr der einst genoss’nen Pflege dankend.
Graf Wilhelm wohnte hier, der von der Lippe,

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Nachdem er, Lenker krieggeübter Schaaren,

Vorbeigeschifft im Leben mancher Klippe.
Nicht konnt’ ihn Einsamkeit vor Leid bewahren,
(Wer scheitern soll, der scheitert noch im Hafen!)
Der süßen Gattin Tod mußt’ er erfahren.

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Drauf, nur bedacht geruhig einst zu schlafen
[184]

Als Leiche bei dem heißgeliebten Leib,
Sah man verwelken still den edlen Grafen.
Ein Grab zu bauen war sein Zeitvertreib,
Dort brannt’ unausgelöschter Lampenschimmer,

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Dort blühten Blumen, für sein holdes Weib.

Und bei der Sterne trüblichem Geflimmer,
Wo alle Welt des Schlafes Düft’ umwehn,
Fand ihn die Mitternacht am Denkmal immer.
Was dort ihm einst in Einsamkeit geschehn,

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Erzählen Jäger, und wie ich’s vernommen,

Laß ich vor Euch auch das Gebild erstehn.
In tiefem Dunkel fast dahin gekommen,
Wo all sein Lieben lag, auf ödem Wege,
War’s ihm, als sey’n zwei Lichter dort entglommen:

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Ein’s, still herstralend aus dem Buschgehege,

Das in der Gruft schon lang’ ihm wohlbekannte,
Das andr’ im weiten Kreis beständig rege.
Wie ward dir, tapfre Brust? Ob Schauer sandte
Dir wohl der Geisterwelt geheimer Rund,

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Der ewig fremd’ und ewig wohlbekannte?

Ob Schau’r, ob nicht. Mit eig’ner Kraft im Bund,
Gewiß, daß eigner Klarheit sie entstamme,
Tratst du heran zu ungewissem Fund.
Und plötzlich war dir nah die Wandelflamme,

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Nicht Flamme mehr, in menschlicher Erscheinung

Stand’s trüb’ gelehnt am alten Buchenstamme.
Laut rief der Graf: „Wer du? Was deine Meinung?
Mensch oder Geist, wer kömmt zu meinen Klagen?
Wer sucht mit mir im tiefen Schmerz Vereinung?“

55
Wie aus entfernter Waldkluft hergetragen

Auf Windesflügeln, klang’s in leisem Laute:

[185]

„Dir soll dein eignes Aug’ die Antwort sagen.“
Und langsam, fast als ob sie niederthaute,
Sank ab des Hauptes feuchte Nebelhülle,

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Daß frei der Graf in’s bleiche Antlitz schaute.

„Wie nun? Wie faßt dich nun des Grausens Fülle?“
Sprach ihn der Todte an. „Du, froh im Krieg,
Achtlos, ob rings Kanonendonner brülle!
Sonst labte dich mein Blick. O, wie der Sieg

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Nach manches Tages wetterschwangerm Dräuen

Begeisternd uns am Abend niederstieg!
Du Fürst, ich dein Gefährt’. Es mußt’ uns scheuen
Der Frank’ auf den westphälischen Gefilden,
Sich deutscher Muth an unserm Muth erneuen.

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Wie dann wir südlich zogen, nach den milden

Provinzen Portugall’s, und seiner wahrten,
Bemüht, sein Volk zu wackrer That zu bilden, –
Weh’ mir, daß wir zum Rückweg je uns schaarten!
Die Fahrt den andern Brüdern all’ erfreulich,

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War die unsel’ge mir vor allen Fahrten.

Sey Tod im Kriege schwer, im Meer abscheulich,
Doch gleicht er seinem Bruder nicht, dem grassen,
Den uns die eig’ne Brust gebiert untreulich.
Es kam dein süßes Weib dich zu umfassen,

80
Da klang’s im glüh’nden Herzen mir: Entbehrung!

Und nimmer konnt’ ich nun vom Grame lassen.
Verderben ward mir deines Glücks Gewährung,
Doch schwieg ich, wie’s der Gott in mir gebot,
Nur froh an eigner nahender Verzehrung.

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Es schwand der Augen Glut, der Wangen Roth,

Die süße Mörd’rin nah, mitleidig immer,
Und sein gejagtes Wild ergriff der Tod.

[186]

Wenn andre Geister nun mit Klaggewimmer
Des eignen Leibes Ruhestell’ umwanken,

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Lockt hieher mich der Lampe bleicher Schimmer.

Selbst abgezehrt zum trauernden Gedanken,
Wo sollt’ ich lieber seufzen, lieber flüstern,
Als wo hinab auch deine Freuden sanken!“
Da rauschten windbewegt die Buchen, Rüstern,

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Der Luftgestalt zerfloß ihr bleiches Scheinen,

Einsam, verlassen blieb der Graf im Düstern.
„So muß fortan ich – rief er – zwei beweinen,
Mehr hat des Grams mir ihre Gruft erworben,
Mehr Sehnsucht nach unendlichem Vereinen!“

100
Bald drauf ist fromm und selig er gestorben.


 de la Motte Fouqué.