Großmutters Liebling
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Großmutters Liebling.
Wie liebst Du sie in ihres Stübchens Stille
Von Deines kleinen Kinderherzens Grund
Die alte Frau, mit keinem Zahn im Mund,
Mit ihren Falten und der großen Brille!
Sie ist nicht hübsch, doch wär‘ es für Dein Herz
Der erste große, namenlose Schmerz,
Wenn man die Gute plötzlich Dir begrübe.
Sie ist so mild, so freundlich und geduldig,
Und tröstet Dich, wenn schwer Dein Herz und bang,
Weil einer kleinen Missethat Du schuldig.
Jedwede Selbstsucht schwand aus ihrem Leben
Und dann ― sie hat so eine liebe Art,
Für ihren Liebling lächelnd hinzugeben.
Sie wird Dir oft, sie wird Dir bitter fehlen,
Wenn sie die treuen, müden Augen schloß ―
Der Blumenduft, der Dich bei ihr umfloß,
Und oft und oft, versenkt in weiches Sinnen,
Hörst klappern Du im Geist der Nadel Stahl,
Hörst Du, behaglich ruhend nach dem Mahl,
In einer Ecke ihre Katzen spinnen.
Wenn Du genug gejubelt und geweint
Und seltsam farblos Dir und still erscheint,
Was Dich umgiebt und zu Dir spricht auf Erden.
Dann mag auch Dir ein Kinderauge blitzen,
Und matt und tonlos Deines Mundes Laut,
Ein Enkelkind zu Deinen Füßen sitzen.
R.L.