Gustav Adolf (Die Gartenlaube 1894/48)
Gustav Adolf.
Dritthalb Jahrhunderte nahezu sind seit jenem traurigen Westfälischen Frieden dahingerollt, der Deutschland zu einem Schatten seiner selbst erniedrigte und unser Vaterland bis in dieses Jahrhundert hinein zum gegebenen Schauplatze aller großen kontinentalen Kämpfe machte. Nach schweren Prüfungen und nach mächtigen, das nationale Wesen im Innersten erschütternden Krisen ist unter dem Kanonendonner der großen Schlachten in Frankreich das neue Deutsche Reich in verjüngter, zeitgemäßer Form erstanden, und jene Zeiten des Dreißigjährigen Schreckenskrieges sind dadurch weit mehr, als noch vor einem Menschenalter der Fall war, in das von keiner Leidenschaft getrübte Licht der Geschichte gerückt.
In diesem Lichte aber erscheint der große Schwedenkönig Gustav Adolf, dessen dreihundertjähriges Geburtsjubiläum am 9. Dezember dieses Jahres in den protestantischen Ländern, vor allem in Schweden, festlich begangen wird und der während jenes Krieges kurz, aber so tief einschneidend in die deutschen Geschicke eingegriffen hat, weder, wie ihn der Haß der Gegner darstellte, als ein zweiter Attila, der, von brutaler Raub- und Eroberungsgier geleitet, in Deutschland einbrach, noch als ein Pastor im Soldatenkleide, der mit Heeresmacht über die Ostsee gekommen, nur um die evangelische Kirche vom Verderben zu retten und dann, vom Bewußtsein dieser guten That belohnt, wieder heimzukehren aus dem sonnigeren Süden in sein nordisches Reich. Gustav Adolfs Heldengestalt gewinnt durch eine sachliche Betrachtung nur an rein menschlichem Interesse, wie ihr denn auch keine andere jener Zeit würdig an die Seite gestellt werden kann. Sie rechtfertigt den Ruhm, den er auch in Deutschland seit dem jähen Heldentod, der ihn auf deutschem Boden ereilte, genießt. Erst nach seinem Hinscheiden nahm der Krieg jene gräßliche Gestalt an, welche die Erinnerung an ihn jeden Lichtblickes beraubt.
Das gußeiserne gotische Denkmal bei Lützen, errichtet über dem „Schwedenstein“, unweit dessen man einst den in der Schlacht Gefallenen fand, das Grabmal in der Riddarholmkirche zu Stockholm, etliche Denkmäler in Schweden und Deutschland, sowie das blutbefleckte Lederkoller, das der Schwedenkönig in der Todesschlacht von Lützen am 16. November 1632 trug und das im Arsenale zu Wien aufbewahrt wird, das sind freilich noch die einzigen äußeren Merkmale von Gustav Adolfs Heldengang, denn seine eigentlichen, auf Deutschland bezüglichen Pläne sind mit ihm selbst auf dem Lützener Schlachtfeld untergegangen. Er vermochte zwar, den zur Vernichtung des Protestantismus in Deutschlaud erhobenen Arm zu hemmen, aber eine neue Ordnung an Stelle der alten aufzurichten, blieb ihm versagt.
Gustav Adolf wurde 1594 am 9. Dezember alten Stils, nach unserer Zeitrechnung am 19. Dezember, als Sohn des Königs Karl IX. von Schweden von dessen zweiter Gemahlin, der holsteinischen Prinzessin Christina, im königlichen Schlosse zu Stockholm geboren. Wasa war der Name des Hauses, dem er entstammte; sein Großvater, Gustav I., hatte Schweden von der Thyrannei des Dänenkönigs Christian II. befreit und war von dem dankbaren Volke am 7. Juni 1523 zum Könige gewählt [813] worden. Die Zeit, in die Gustav Adolfs Geburt fiel, war in hohem Grad erregt. Alles drängte zu einer große Entscheidung zwischen dem alten und dem neuen System sowohl politischer als kirchlicher Art, und die Phantasie der Völker war von schauerlichen Bildern erfüllt. So auch in Schweden. Als Karl IX. vom Reichstag zum erwählten Könige der Schweden, Goten und Wenden erklärt wurde, soll es in Stockholm Blut geregnet haben. Die Geburt Gustav Adolfs selbst gab zu inhaltschweren Vorhersagungen Anlaß, welche auf Kampf, freilich auch auf Sieg hinwiesen. Auf ihn wurde eine Weissagung des Astronomen Tycho de Brahe gedeutet. Zehn Jahre vorher soll dieser einen in der „Kassiopeia“ neu entdeckten Stern ausgelegt haben als die Ankündigung eines großen nordischen Prinzen, der zum Retter der protestantischen Kirche erkoren sei.
Schon als Kind zeigte Gustav Adolf ungewöhnliche Eigenschaften; seine Gutherzigkeit, seine militärischen Neigungen, seine Furchtlosigkeit traten früh hervor. In seinem zwölften Jahre sprach er außer seiner Muttersprache fertig Lateinisch, Deutsch, Holländisch, Französisch und Italienisch. Seine Vorliebe für die römischen Schriftsteller erhielt sich bis an sein Ende. Seine Erscheinung war immer gewinnend: hoher breitschultriger Wuchs, blondes Haar und blonder Bart, große blaue Augen.
Sein Vater hatte als erwählter Volkskönig unaufhörliche Kämpfe zu führen gegen seinen Neffen Sigismund von Polen, der dieser Königskrone zu lieb katholisch geworden war und gleichzeitig seine Ansprüche auf die Krone von Schweden aufrecht erhielt. Als Karl IX. 1611 starb, hinterließ er seinem jugendlichen Sohne nicht weniger als drei Kriege: den dänischen, den russischen und den polnischen. Alle drei führte Gustav Adolf ruhmreich durch, unter Ausdehnung der schwedische Oberherrschaft über die Ostseeländer von Esthland bis nahezu an Pommern. Sigismund war aber erst 1629 zu einem sechsjährigen Waffenstillstande zu bewegen, und die Kriegsgefahr erlosch endgütig erst mit dem 1632 erfolgenden Tode dieses Königs.
Gustav Adolf bestieg den Thron am 30. Oktober 1611 nicht auf Grund des bloßen Erbrechts, sondern erst, nachdem ein näher berechtigter Agnat, Herzog Johann, auf seine Ansprüche freiwillig verzichtet hatte, und nachdem er vom Reichstage förmlich gewählt war. Dies hatte dann später zur Folge, daß ihm nicht nur Kaiser Ferdinand I., sondern auch Ludwig XII. von Frankreich den nach damaliger Sitte nur altlegitimen Königen zukommenden Titel „Majestät“ verweigerte. Von letzterem erzwang sich Gustav Adolfs unerschütterliche Festigkeit die Zuerkennung des Titels.
Aber nicht bloß der Form nach war der jugendliche Monarch ein Volkskönig; sobald er volljährig geworden, machte er das demokratische Königtum seines Großvaters zur vollen Wahrheit. Hatte er in der allerersten Zeit dem Adel Zugeständnisse machen müssen, so suchte er doch, sobald es möglich war, seine Stütze im dritten Stande, den Bürgern und Bauern. Wohl erklärte er das Recht, Gesetze vorzuschlagen, für einen ausschließlichen Besitz des Königs, aber er richtete die Gesetze, die er dem Reichstage vorlegte, auch so ein, daß dieser sie um ihrer selbst willen gutheißen mußte. Den Adel brachte er durch eine neue Ritterhausordnung, die diesen in drei Klassen teilte und dem Könige die Macht der Versetzung aus einer in die andere gab, in eine größere Abhängigkeit von der Krone als je zuvor, und dieses Abhängigkeitsverhältnis wurde dadurch noch vertieft und befestigt, daß er 1625 zur Errichtung eines stehenden Heeres schritt, die zwar unter ihm nicht mehr ganz vollendet wurde, deren großartiger Plan aber bis in unsere Tage die Grundlage des schwedischen Heerwesens geblieben ist. Die zahlreichen Offiziersstellen bildeten eine Lockspeise für den Adel und stellten dessen Kräfte zugleich in den wirklichen Dienst des Vaterlandes.
Der Hebung der Landwirtschaft, des Bergbaues, des Handels und Gewerbes widmete der König die größte Sorgfalt, schon um das Volk steuerkräftig zu machen und die notwendigen Mittel zur Führung der vielen kostspieligen Kriege zu gewinnen, und ebenso ließ er sich die allgemeine Rechtssicherheit angelegen sein. Streng [814] hielt er auf die Unabhängigkeit des Richterstandes, und als er einst mit einem Edelmann wegen eines Gutes prozessierte und selbst in der Gerichtssitzung erschien, duldete er nicht, daß sich die Richter vor ihm erhoben. Er wurde denn auch verurteilt.
Die umsichtige Pflege, die er den Schulen und namentlich der Universität Upsala zu teil werden ließ, zeugt von seinem lebhaften Interesse für Geisteskultur. Dementsprechend zeigte er auch in kirchlicher Hinsicht einen weiten, freien Geist. Als sich 1614 die deutschen Protestanten an ihn wandten, damit er in dem unfruchtbaren und gefährlichen Streite zwischen Lutheranern und Reformierten entscheide, wies er den Schiedsspruch in theologischen Spitzfindigkeiten, welche die ihnen erwiesene feierliche Behandlung gar nicht verdienten und welche von Konstantin bis Karl V. noch kein Herrscher beizulegen vermocht habe, ab; er seinerseits bitte Gott, daß dieser die Menschen durch Liebe vereinige, weil dies durch den an dunkeln Punkten zu reichen Glauben nicht geschehen könne. Und wie er in seinem Reiche die Zanksucht der Geistlichen dämpfte, so zeigte er, als er siegreich Deutschland durchzog, den Katholiken gegenüber einen freien Geist. In München und anderwärts besuchte er den katholischen Gottesdienst und ließ, wenn er auch allenthalben die geschlossenen oder beschlagnahmten protestantischen Kirchen wieder öffnete, jenen doch unangetastet.
Seine oberste Sorge bildete auch im Kriege das Wohl der breiten Volksschichten. So sorgte er auch in Deutschland durch die strengste, ins einzelnste gehende Quartierordnung, sogar in den Kapitulationen, die er mit gegnerischen Garmisonen abschloß, daß der Bürger und Bauer vor der Willkür der Soldateska geschützt blieb. Erst in den reicheren Gegenden Süddeutschlands, und als in Bayern und Vorderösterreich die Bauern sich gegen die ihnen als Teufel verschrienen Schweden zusammenrotteten und fürchterliche Greuel an einzelnen Soldaten verübten, erst da lockerte sich auch bei seinen Lebzeiten die schwedische Mannszucht vorübergehend ein wenig. Er selbst duldete jedoch nichts dergleichen. Vor Nürnberg übergab er einen Korporal, vor dessen Zelt er geraubte Kühe fand, mit eigener Hand dem Henker, indem er sagte: „Es ist besser, ich strafe dich, als daß Gott uns alle um deinetwillen strafe.“
Es konnte daher nicht ausbleiben, daß sich Gustav Adolf bald beim deutschen Volke, selbst bei einem großen Teil des katholischen, beliebt machte, wobei ihm seine witzige, oft auch derb populäre Rednergabe sehr zu statten kam. Auch an der hohen deutschen Aristokratie, wenn diese ihn mit ihrem Länderbettel gar zu sehr belästigte oder gar aufsässig wurde, übte er dieselbe, so im Nürnberger Lager, wo er ihnen zurief: „Vierzig Tonnen Goldes von dem meinigen habe ich für euch aufgewendet, von euch aber nicht so viel empfangen, daß ich mir auch nur ein Paar Hosen davon machen lassen könnte. Ja, ich würde lieber ohne Hosen reiten als mich von euch kleiden lassen!“ Er nahm überhaupt mehrfach Anlaß, dieser deutschen Aristokratie, die ihn in Frankfurt am Main und anderwärts geradeso bettelnd umdrängte wie 175 Jahre später den Kaiser Napoleon I., derbe Wahrheiten zu sagen, wenn er ihr auch andererseits zu schmeicheln und sie mit Versprechungen hinzuhalten wußte.
Unser Charaktergemälde würde sehr unvollständig sein, wollten wir nicht auch der Ehe unseres Helden in Kürze gedenken. Die schöne Marie Eleonore von Brandenburg, mit der er sich 1620 vermählte, des Kurfürsten Johann Sigismund Tochter, die Schwester von dessen Nachfolger Georg Wilhelm, stand geistig weit unter ihrem großen Gemahl, aber sie ersetzte diesen Mangel durch eine grenzenlose Liebe und Hingebung. Das eheliche Verhältnis war von beiden Seiten innig und beglückend.
Das Urteil der Zeitgenossen und auch Späterer über Gustav Adolf hat natürlich, je nach der Parteistellung, verschieden gelautet. Eines aber ist von keiner Seite ernstlich in Zweifel gezogen worden: sein hohes, militärisches Genie. Hat doch keine geringere Autorität als Napoleon I. ihn den acht großen Feldherrn zugezählt, welche die Weltgeschichte aufzuweisen habe. Namentlich als Organisator und Taktiker war Gustav Adolf von größter Bedeutung. Schon früh legte er in der Muße, die ihm Waffenstillstände und Friedenspausen zwischen den einzelnen Kriegen gewährten, seine militärischen Grundsätze in schriftliche Aufzeichnungen nieder. Und er zögerte nicht, diese in seiner Armee auch zu verwirklichen, so entschiedenen Widerspruch manche seiner Gedanken auch von seiten sonst tüchtiger Generale erfuhren. Im Interesse der Beweglichkeit schaffte er z. B in seiner Armee den Harnisch fast gänzlich ab. Gleichzeitig traf er Maßnahmen, welche das Feuergewehr erleichterten und der wahren Natur des Feuergefechtes entsprachen. Namentlich aber begriff er als der Erste den Wert einer leicht bewegliche Artillerie für die Feldschlacht. Die ledernen Kanonen bewährten sich zwar nicht, um so besser die von einem deutschen 1624 in schwedische Dienste getretenen Geschützoberst erfundenen leichten eisernen Kanonen, die sich dann unter dem Namen „schwedische Stücke“ bis 1756 im französischen Heere erhielten. Diese leichten Geschütze verteilte Gustav Adolf an die einzelnen Bataillone und Reitergeschwader, während seine Gegner nur ganz wenige und unsinnig schwere Geschütze mit sich führten. Auch die Schlachtordnung machte Gustav Adolf beweglicher, indem er an Stelle der unbehilflichen vollen Vierecke und der tiefen Aufstellung der Reiterei diese und das Fußvolk in kleinere Scharen von weniger Gliedern teilte. Geschickt wußte er zudem noch Musketiere und Reiterei durcheinander zu mischen, und was er damit erreichte, das haben die großen Schlachten von Breitenfeld und am Lech gegen den bis dahin unbesiegten Tilly, sowie die Schlacht bei Lützen bewiesen; die zweitgenannte war von Gustav Adolfs Seite eine Artillerieschlacht, in der er die in einem Gehölz aufgestellte und von seinen Geschützen umfaßte feindliche Infanterie noch vor dem eigentlichen Zusammestoß zerschmetterte. Eine Reihe tüchtiger Führer, so die Generale Banér und Horn und Oberst Arnheim, die [815] Staatskunst seines Kanzlers Axel Oxenstierna unterstützten sein leitendes Genie. Die sicherste Grundlage seiner Ueberlegenheit aber war, daß er selbst sein Generalissimus und sein bester politischer Berater war.
Darf man ihm eines vorwerfen, so ist es der Umstand, daß er sich selbst viel zu sehr aussetzte. Er liebte es, in eigener Person kleine Gefechte, ja Rekognoszierungen zu führen, und geriet dadurch häufig in Gefahr. Er wurde oft verwundet, und bei Dirschau in Preußen 1627 so ernst, daß ihm von da an das Tragen eines Harnischs sehr beschwerlich fiel, wozu freilich auch seine zunehmende spätere Beleibtheit beitrug. Auch als ihm am Morgen des verhängnisvollen Lützener Tages ein solcher gebracht wurde, lehnte er ihn ab. Er war überzeugt, daß große Feldherren gegen den Schlachtentod gefeit seien, und berief sich dabei auf Alexander den Großen und Cäsar. Trotzdem bewegte ihn bei seinem Abschiede von Schweden und dann am Morgen des Lützener Tags die schwermütige Ahnung, daß er die Heimat nicht wiedersehen werde.
Den Eintritt Gustav Adolfs in den deutschen Krieg und seinen Siegesflug von der pommerschen Küste bis zum Rhein, zum Bodensee und über die Donau hinüber können wir hier nur streifen. Im Jahre 1629 hatte Wallenstein dem mit Schweden im Kriege befindlichen König Sigismund von Polen einen Heerhaufen nach Preußen zu Hilfe geschickt, der Gustav Adolf dort vorübergehend in die Klemme gebracht hatte. Der deutsche Kaiser Ferdinand, auf der Höhe seiner Erfolge, dachte damals wohl daran, das alte Ordensland Preußen unter des Reiches Hoheit zu bringen. Gustav Adolf quittierte dafür, indem er die Stralsunder gegen Wallenstein unterstützte, dessen Glück sich an den Wällen dieser Stadt wirklich brach. Aber nicht aus solchen Reibereien erklärt sich der schwedische Einmarsch in Deutschland.
Hätte Wallenstein damals eine Flotte gehabt, er hätte die Ostsee und deren Inseln dem Kaiser unterworfen und Schwedens Unabhängigkeit bedroht. Dieser Gefahr wollte Gustav Adolf zuvorkommen. Schon seit geraumer Zeit galt Schweden als die protestantische Vormacht, und wiederholt hatten die deutschen Protestanten den König um Beitritt zu ihrer Union angegangen, ohne daß er sich darauf eingelassen hätte. Jetzt aber lagen die Verhältnisse besonders günstig. Der Kaiser hatte sich selbst geschwächt, indem er sich in den mantuanischen Erbfolgekrieg eingelassen und sich dadurch den Papst verfeindet hatte, der nun seinerseits die Franzosen ermunterte, dem Schwedenkönig für dessen Kriegspläne Hilfsgelder zu gewähren. Außerdem hatte Ferdinand 1629 das Restitutionsedikt erlassen, wonach alle seit 1552 von den Protestanten eingezogenen geistlichen Stifter und Kirchengüter den Katholiken „restituiert“, zurückgegeben werden sollten. Dieses Edikt bedrohte die protestantischen Fürsten schwer und stimmte auch die bisher noch Schwankenden feindlich gegen den Kaiser. Und zu dem allen ließ sich dieser in seiner Bedrängnis auf dem Reichstag zu Regensburg 1630 überreden, seine beste Kraft, Wallenstein, zu entlassen. Mehr als alle diese günstigen Umstände aber war es der den König beseelende hohe Thatendrang, was ihn vorwärts trieb. Auf einem von vielen Seiten bedrohten Thron ohne die Weihe altehrwürdiger Legitimität sitzend, konnte er nur durch Thaten sein Ansehen und seine Herrschaft befestigen, und wo bot sich seiner ungeheuchelten Frömmigkeit hierzu bessere Gelegenheit als in Deutschland, wo seine Religionsgenossen am Rande des Abgrundes standen?
Seine geheimen Gedanken flogen weit hinaus. Er verriet sie schon nach der Schlacht von Breitenfeld, als nach seinem Sieg über Tilly des Kaisers Erblande offen vor ihm lagen, er aber nach dem Rhein abschwenkte, um dort Eroberungen zu machen. Es lag nicht in seinem Interesse, sich mit der gänzlichen Niederwerfung des Kaisers allzusehr zu beeilen. Seine bisherigen deutschen Bundesgenossen hätten in diesem Falle nicht gesäumt, sich mit Ferdinand zu verbinden, um ihn, den „Befreier“, wieder los zu werden. Auch wollte er sich am Rhein vorsorglich den Franzosen in den Weg legen und die schönen Rheinlande samt anderen Gebieten zu einem Herzogtum Franken vereinigen, das den Kern seiner Hausmacht im Reiche bilden sollte; zweifellos gedachte er auch, laut eigener verbürgter Aeußerungen, sich selbst die Kaiserkrone auf sein Haupt zu setzen. Darum hatte Frankreich auch keinen entschiedeneren Feind in Deutschland als ihn; er nahm die Hilfsgelder der Franzosen an, die ihm der Vertrag von Bärwalde gewährte, aber er wollte ihnen allerhöchstens in Lothringen einige Erwerbungen gönnen. In Mainz erklärte er dem französischen Abgesandten, der das Elsaß forderte, das schon in grauer Vorzeit zu Frankreich gehört habe: „Ich bin nicht als Verräter, sondern als Beschützer des Reichs gekommen, darum kann ich nicht dulden, daß eine Stadt oder eine Landschaft davon abgerissen werde.“
Auf seine hochgehenden Absichten deutete auch die Beflissenheit hin, mit der er sich die Herzen der Reichsstädter, der Nürnberger, Augsburger, Straßburger, zu gewinnen suchte. Er entwickelte ihnen gegenüber alle seine volksbestrickenden Eigenschaften, wie er auch den niederen deutschen Adel an sich zu ziehen trachtete. Bei seinem Ziele angelangt, hätte er gewiß dort angeknüpft, wo im 16. Jahrhundert die Bewegung der Reichsritterschaft gegen die Landesfürsten mit Sickingens Fall stehen geblieben war. Eben darum aber hätte sein Sieg über den Kaiser wahrscheinlich nur den Ausgangspunkt neuer Kämpfe gebildet. Unser Reich wäre aus einem römischen zunächst ein pangermanisches [816] geworden, jedoch erst, nachdem Gustav Adolf die jedenfalls gegen ihn sich verbündenden Reichsfürsten besiegt gehabt hätte.
Es war der Träger weltumfassender Pläne, der an jenem 16. November 1632 dort in der Nähe von Leipzig, in der für die Schweden siegreichen Lützener Schlacht von den Pistolenschüssen kaiserlicher Kürassiere in den Staub gestreckt wurde. In der Morgenfrühe dieses Tages hatte Gustav Adolf noch an der Spitze seiner Offiziere und seines Heeres um den Sieg gebetet, ein Augenblick, der von je die Künstler und so auch den Maler unseres Bildes auf Seite 808 und 809 zur Darstellung gereizt hat; wenige Stunden später war der König, auf den Tod getroffen, im dichtesten Handgemenge gestürzt. Und mit ihm war auch sein Vorhaben, seine Tochter mit dem Sohne des Kurfürsten von Brandenburg, dem nachmaligen Großen Kurfürsten, zu vermählen, zu den Toten gebettet.
Die Geschichte hat andere Bahnen eingeschlagen als die von Gustav Adolf erträumten, aber was er war und gethan, hält sie in ruhmvoller Erinnerung. Als ein ritterlich schöner, selbst vieler Feinde Herzen mit unwiderstehlichem Zauber bestrickender Held lebt er im Gedächtnis der Nachwelt, ein echter Germane, wie er sich denn mit Vorliebe einen Goten nannte, jeder Zoll ein König, der aber darum selbst unter den Schrecken des Krieges nie aufhörte, ein natürlicher, in sich harmonischer Mensch zu sein.