Hände (Březina)/Vorwort
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Zur vorliegenden, nach allgemeiner Ansicht schwierigen Übertragung veranlaßte mich die Überzeugung, daß es unter den deutschen Lesern einige, dem Dichter geistig verwandte Menschen geben wird, die von gleichen Fragen bewegt werden und mit Entzücken vernehmen werden, wenn der Dichter das ausspricht, was sie als Menschen oder Künstler beschäftigt. Den wenigen, verstehenden Geistern dieser Art zuliebe, welche „dank der erreichten Hierarchie in der Welt geistiger Entwicklung imstande sind, von den höher gelegenen Zweigen des Baumes der Erkenntnis Früchte zu pflücken“ schafft der tschechiche Dichter Otokar Březina und diesen Wenigen unter den deutschen Lesern ist auch meine Arbeit gewidmet.
Verwandte Seelen werden herausfinden, daß sie der Odem eines Suchers und Pfadfinders auf dem Gebiete religiösen Strebens der Gegenwart anweht. Alle Wahrnehmungen, Erwägungen, Begründungen, welche gegen die trostlose mechanische Weltauffassung ins Treffen geführt werden können, wird der seelisch Verwandte hier in erlesener Bildersprache heraushören und in seiner Freude über die gefundenen Ideenschätze mir vielleicht verzeihen, daß meinen schwachen Kräften, nach der formellen Seite hin, nicht alles völlig gelungen ist.
[8] Ich habe die Arbeit aus den geschilderten Beweggründen angefaßt, weil sie kein Besserer unternommen hat. Die Übertragung geschah unter der gütigen, die Mehrzahl der Gedichte umfassenden Kontrolle des Dichters selbst, und wurde die Idee niemals einem schillernden Wohlklang aufgeopfert.
So ist die Hoffnung begründet, daß auch die Übertragung den Lesern eine Ahnung von der Pracht der Gedanken des Originals beibringen werde.
Im Vaterlande des Dichters ist die Gemeinde seiner Verehrer klein, aber ihm innig ergeben. Wohl versagen ihm die besten Geister der Nation nicht ihre Anerkennung und gewiegte Kritiker bezeichnen ihn als Phänomen ersten Ranges. Aber gelesen wird er von Wenigen und begriffen von den Allerwenigsten.
Es soll hier nicht auf eine Analyse seiner Weltanschauung[1] und auch nicht eine Darlegung der einzig dastehenden Art seines Schaffens und Dichtens eingegangen werden. Die Leser sollen unvoreingenommen an die Lektüre dieser Gedichtsammlung, der jüngsten, die der Dichter herausgegeben hat, schreiten. Wessen Seele des mystischen Hungers nicht bar ist, wer in der Verdrossenheit des Alltags sich durch die Darstellung einer heroischen, alles Leid und Wehe, Tod und Verderben überwindenden kosmischen Auffassung zu neuer Lebensbejahung aufraffen will, wer endlich die von der vielgestaltigen Weltentragödie abgelesene, förmlich in greifbarem Stoffe herausdestillierte Weltenschönheit fühlen und genießen, die Musik der Sphären vor seinem geistigen Gehör erklingen lassen will, der betrete das Heiligtum dieser Kunst und bilde sich selbst ein Urteil über die Ideenwelt dieses Dichters und Denkers. Denn nach dem übereinstimmenden Urteile der Kritiker liegt sie in diesem Buche in krystallener Reinheit vor.
Nur zur Orientierung sei etwas über die äußeren Lebensverhältnisse des Dichters erwähnt.
Otokar Březina ist das Pseudonym des im Jahre 1868 in Počatek, im Taborer Kreise, geborenen, jetzt als Bürgerschullehrer im mährischen Städtchen Jarmeritz wirkenden Václav Jebavý. Auf seine mystische Weltanschauung scheinen zwei Momente gewirkt zu haben. Erstens der in Südböhmen seit uralten Zeiten heimische religiöse Ernst, zweitens das mütterliche Erbe, wovon der Dichter in einem seiner schönsten Gedichte „Meine Mutter“ spricht:
[9]Durchs Leben schritt die Mutter, wie graue Büßerinnen,
Ihr Tag hatte nicht Blüten, des Lenzes Herrlichkeiten;
Die dürre Lebensfrucht, mit unerquickten Sinnen,
Die wie nach Asche schmeckt, pflückt sie vom Baum der Zeiten.
Und trieb der Tränen Schwall auf die entzund’nen Augen,
Sandte auf ihren Weg des Wüstenwindes Bangen
Und wölbt ihr ein Asyl aus seines Schuttes Wogen.
Der düsteren Jahre Bürde krümmte ihren Rücken,
Sie küßte ihren Tod, in seinen herben Tücken,
Sprach sie nur heißen Dank für’s Brod vom Lebenstische.
Auf feuchten Flies der Dome sank sie in brünst’gem Beten,
Im Duft von Grabeskerzen und bei der Orgel Klängen,
In ihrer Seele Kelch wollte sie eifrig drängen.
O Mutter mein, heute zu Licht gestaltet,
Du gold’ner Pfeil, zum Brennpunkt abgeschnellt,
Ewig flammender Geheimnisse! Dein Nam’ ist ausgeschaltet,
Die bleiche Todesblüte bin ich deines Blutes,
Die deiner Tränen Naß erschuf und knospen hieß;
Du hast mir eingeküßt des herben Lebensmutes
Ererbtes Erbschaftsstück, der Seele Bitternis.
Erhebst du dich vom Grab und nahst dich meiner Schwelle,
Der Rhytmus deines Hauchs in meinem Atem klingt
Und deine Klage schwingt in meiner Stimme Welle.
In meinen Adern quillt die Wärme deines Leibes,
Des Wunderbaren Schauer, der Zunder deines Glaubens,
Verzehrt nun meinen Geist in Flammen – dem Entzücken.
Und grau, wie einstens dir, die Tage mir verrinnen,
Mein Tag hat keine Blüten, des Lenzes Herrlichkeiten,
Umweht von deinem Hauch, pflück’ ich vom Baum der Zeiten.
Die Armut lehrte ihn bald über das Leid der Menschheit nachdenken und Melancholie ist der treue Begleiter seiner ersten dichterischen Schöpfungen.
Von nicht geringem Einfluße war der Umstand, daß er seine Erziehung in einer Realschule genoß. Er kam hiedurch in eine für seine Entwicklung höchst bedeutungsvolle intime Beziehung zu den Naturwissenschaften. Der kundige Leser wird den in diesen Wissenschaften wohl erfahrenen und aus ihren Errungenschaften sein Weltbild ableitenden Denker und Propheten leicht erkennen. Dazu kam aber ein planmäßiges Studium, das er nach absolvierter Realschule als Lehrer in verschiedenen Orten emsig betrieb: antike und moderne Sprachen, Philosophie aller Zeiten, nicht zum geringsten Teile der ihm so nahe stehenden indischen Weltweisheit, der mittelalterlichen Mystiker und Heiligen und Schopenhauers. Daneben ein tiefes Eindringen in die zeitgenössische Literatur aller Nationen. Wohl am nächsten steht im Maeterlinck, Emerson und Walt Whitman. Aber seine Eigenart besteht einerseits in seiner Sprache, die in höchst souveränen Bildern seine Gedanken zum Ausdrucke bringt und anderseits in seinem kühnen Versuche, eine den wissenschaftlichen Anforderungen völlig genügende, das metaphysische und das Glückseligkeitsbedürfnis des Menschen befriedigende religiöse Weltauffassung zu konstruieren.
Ohne philosophische Vorbildung wird man an die Lektüre seiner Werke kaum gehen können und ohne Geduld wird man zum Genusse ihrer Schönheit nicht gelangen. (Es ist verhältnismäßig wenig, was der Dichter geschrieben hat. 1895 erschien seine erste Gedichtsammlung „Geheimnisvolle Fernen“, 1896 „Morgendämmerung im Westen“, 1897 „Winde von den Polen“, 1899 „Baumeister des Domes“, 1901 „Hände“, 1903 seine Essays unter [11] dem Titel „Musik der Quellen“.) Wer aber diese oberwähnten beiden Vorbedingungen erfüllt, wird sich reich belohnt fühlen und das Urteil seiner Verehrer teilen, daß, wenn dieser Dichter einem größeren, weniger unter dem Chauvinismus fremder Nationen leidenden Volke angehören würde, längst in aller Munde wäre.
Ein Scherflein dazu beizutragen, daß „der Blütenstaub, von den Blumenbeeten seiner Kunst auf die benachbarten Beete der Brüder falle“, schien mir der gefahrvollen Mühe wert; man verzeihe es meiner Liebe zur tschechischen Kunst, wenn ich keine Bedenken trug, diese Arbeit auf mich zu nehmen, trotz der offenbaren Gefahr, daß ich mich mit dem Troste werde begnügen müssen: In magnis voluisse sat est.
Wien, im Mai 1908.
- ↑ Siehe hierüber Jahrgang I „Čechische Revue“, Heft 8 und die tschechische Literaturgeschichte von Jakubec und Arne Novak bei Amelang, Leipzig 1907.