Hülfe für Farbenblinde

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Textdaten
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Autor: M.
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Titel: Hülfe für Farbenblinde
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 882
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[882] Hülfe für Farbenblinde. Die „Gartenlaube“ hat seit mehreren Jahren die Aufmerksamkeit ihrer Leser wiederholt auf eine Mangelhaftigkeit des menschlichen Auges hingelenkt, die nach ihrem ersten Beschreiber, dem englischen Chemiker Dalton Daltonismus, jetzt aber allgemeiner verständlich und bezeichnend Farbenblindheit genannt wird. Wie störend der Mangel der Fähigkeit, Farben richtig unterscheiden zu können, für die von ihm Betroffenen sein könne, wurde schlagend mit einem Hinweise auf Eisenbahnbeamte dargethan, deren Unfähigkeit, grüne, rothe oder blaue Farbensignale zu unterscheiden, das größte Unglück herbeiführen kann. Aber auch für viele andere Berufsclassen ist sie von der einschneidendsten Wichtigkeit, weshalb hier eine nochmalige Besprechung derselben gestattet werden möge.

Nr. 34 der „Gartenlaube“ brachte eine Schilderung der Farbenblindheit von einem Farbenblinden, welche sich durch Deutlichkeit und Genauigkeit, natürlich von seinem Standpunkte aus, auszeichnete. Eine solche hat ihre großen Schwierigkeiten, da sich eben ein Farbenblinder nicht leicht in die Auffassung anderer Menschen finden kann, und umgekehrt ein Farbensehender selten in die des Ersteren, vielmehr Jeder von Beiden der Beihülfe und der Angaben des Anderen bedarf. Obwohl ich nun nicht selbst zu den Farbenblinden gehöre, bin ich doch in der Lage, von der anderen Seite her jene Schilderung betätigen zu können, da zwei meiner Söhne, im Alter von dreizehn und siebenzehn Jahren, genau in derselben Weise farbenblind sind. Namentlich deutlich ausgeprägt ist diese Mangelhaftigkeit bei dem Aelteren. Er kann grün, braun und roth einerseits, blau, lila, violett und rosa andererseits nicht voneinander unterscheiden, sieht Erdbeeren und Johannisbeeren nur in blassen unbestimmten Farben und kann ihre Reife nur vermuthen. Besonders auffallend ist noch, daß für ihn die rothe Farbe, nur durch einen geringen Unterschied getrennt, beiden Farbenreihen, welche ich die braune und die grau-blaue nennen möchte, anzugehören scheint, sodaß z. B. eine dunkelrothe Rose, frisch aufgeblüht, erst der ersten, sobald sie aber nur fast unmerklich verschossen erscheint, der zweiten Reihe angehört. Derselbe Baum scheint ihm sonach zweierlei gänzlich verschiedene Rosen zu tragen. Für ihn ist daher wohl das intensivste Saftgrün des Laubes mit Hochroth oder Blutroth, oder das schönste Himmelblau mit Rosa identisch, er wird aber niemals Carminroth oder Purpur mit Ponceau oder Blutroth verwechseln. Schwarz und weiß sieht er, wie jeder Andere, auch über helles Gelb ist er nicht im Unklaren, im Uebrigen aber unterscheidet er nur hell oder dunkel, doch so, daß ihm ein lichtes Grün heller erscheint, als Dunkelroth, wenn auch im Allgemeinen Roth heller als Grün. –

Wenn ich nun auch der Meinung bin, daß eine genaue systematische Beobachtung Farbenblinder nicht unwichtig für die Entwickelung der Farbentheorie überhaupt sein würde, so liegt mir dies für jetzt doch fern. Der Grund, weshalb ich mich mit meinen Farbenblinden melde, ist vielmehr der, daß ich im Stande zu sein glaube, nicht ein Heilmittel, wohl aber ein Verfahren angeben zu können, mittelst dessen den Farbenblinden ein genaues Unterscheiden der Farben möglich wird.

Als ich vor einigen Monaten meinen ältesten Sohn, der seit längerer Zeit an einer Augenlider-Entzündung litt, auf einige Tage nach Breslau zu Herrn Professor Dr. Förster schickte, geschah es zugleich in der Hoffnung, daß dieser berühmte Augenarzt im Stande sein werde, auch in Betreff der Farbenblindheit uns zu rathen. Diese Hoffnung ist denn auch nicht unerfüllt geblieben, und ich halte es nunmehr für meine Pflicht, das von ihm vorgeschlagene Verfahren in weiteren Kreisen bekannt zu machen.

Dieses Verfahren besteht einfach darin, daß der Farbenblinde sich bunter Gläser zur Betrachtung der Gegenstände, deren Farben er unterscheiden will, bedient. Von welcher Farbe diese Gläser sein müssen, das hängt jedenfalls von der Art der Farbenblindheit ab; in dem mir vorliegenden Falle sind ein grünes und ein rothes Glas die geeignetsten, und es ist in der That auch für nicht Farbenblinde überraschend, welche Unterschiede sich bei abwechselnder Betrachtung verschiedener Farben durch solche Gläser ergeben. So erscheinen alle rothen Blüthen, durch rothes Glas gesehen, hell feuerfarben, dem Farbenblinden aber fast weiß, durch grünes Glas aber dunkelbraun respective violett oder lila, selbst blau, je nach der Intensität und der Nüance des Roth. Umgekehrt sieht jedes Grün, durch grünes Glas gesehen, intensiv grün aus, durch rothes Glas dunkelbraun.

Ob nicht vielleicht zu deutlicherer Unterscheidung der zweiten Farbenreihe (blau-rosa etc.), namentlich für solche, bei denen die Farbenblindheit in dieser Richtung besonders stark ausgeprägt ist, eine blaues Glas mit Vortheil zu verwenden wäre, will ich dahingestellt sein lassen, doch drängt sich mir die Vermuthung auf, daß Farbenblinde durch systematische Benutzung bunter Gläser wohl dahin gelangen können, manche feine Unterschiede wahrzunehmen, manche Beobachtungen zu machen, welche den nicht Farbenblinden vollständig entgehen. Jedenfalls aber wird es mit Hülfe dieses Verfahrens, natürlich erst nach längerer fleißiger Uebung, auch den Farbenblinden möglich sein, nicht die Farben zu sehen wohl aber ihrem wirklichen Werthe entsprechend zu unterscheiden, und wie wichtig dies für’s praktische Leben ist, braucht nicht erst nachgewiesen zu werden. Auch giebt es gewiß weit mehr Farbenblinde, als man gewöhnlich annimmt, und zwar weil Manche es selbst nicht wissen, Andere sich nicht gerne als solche entdecken, aus Furcht sich lächerlich zu machen, manche Andere aber wohl auch dem ihnen bekannten Mangel wenig Gewicht beilegen.

Sollte es mir einerseits gelungen sein, durch Angabe dieses an sich so einfachen Verfahrens Farbenblinden zu Hülfe zu kommen, unsrerseits aber Optiker und Augenärzte zu eingehenden Prüfungen und Beobachtungen dieses interessanten Feldes anzuregen, so würde ich mich freuen, den Zweck dieser Zeilen erreicht zu haben.

     L.M.