Handwerker von Stande

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Autor: Rudolf Kleinpaul
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Titel: Handwerker von Stande
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 696–699
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Handwerker von Stande.

Von Rudolf Kleinpaul.

In „Tausendundeine Nacht“ wird die Geschichte eines Königssohns erzählt, der, im Begriffe, als Gesandter seines Vaters mit kostbaren Geschenken zum Sultan von Indien zu gehen, unterwegs von Beduinen angefallen, seiner Leute und Kamele beraubt und beinahe totgeschlagen wird. Er kommt gerade noch mit dem Leben davon, aber sieht sich nun auf einmal in dem wildfremden Lande blutarm und verlassen wie ein Bettler. Er gelangt in eine Stadt und macht hier die Bekanntschaft eines Schneiders, dessen Teilnahme er erregt und der ihn in sein Haus nimmt. Nachdem drei Tage um sind, fragt unser Meister den Prinzen, ob er kein Handwerk erlernt habe, mit dem er sich ernähren könne. Der junge Mann antwortet, er habe schön schreiben, dichten, musizieren gelernt, er besitze Sprach- und Litteraturkenntnisse, er sei ziemlich unterrichtet. Alles das, meint der Schneider, wird hier zu Lande wenig gesucht; das sind brotlose Künste, mit denen man keinen Hund vom Ofen lockt. „So nimm eine Axt, geh’ in den Wald und werde ein Holzmacher; damit kannst Du Dir Deinen Lebensunterhalt verdienen.“

Das ist die Geschichte manches Knaben, der in einer goldenen Wiege gelegen hat; denn es wird keinem an der Wiege gesungen, was künftig aus ihm wird. Das Schicksal würfelt die Lose durcheinander und spielt mit den Menschen wie mit Damensteinen; es erniedrigt und erhöht. Ach, es kommt wohl vor, daß ein Prinz Packträger oder Pferdebahnkutscher werden muß, wie der Marquis von Ailesbury – daß ein Graf Thürsteher an dem Palaste ist, den seine Vorfahren erbauten – daß ein Papst wie Johann XXIII. als Stallknecht seine Rettung sucht und daß ein Pastor aus Köpenick am Brandenburger Thore in Berlin Zeitungen verkauft. Aller Art Menschen kommen herunter, sie gelangen dann gleichsam ins große Arbeitshaus der Welt, in dem die Armen alle sitzen, weil sie sich kümmerlich von ihrer Hände Arbeit nähren; sie müssen Holz hacken wie der arabische Königssohn.

Es verlohnt sich, einmal über seinen Fall und die Entscheidung des Schneiders nachzudenken. In Bezug auf die schöngeistigen Anlagen des Prinzen und seine litterarischen Neigungen würde das Urteil des wackeren Mannes unter unseren Verhältnissen kaum so vernichtend lauten. Dergleichen wird allerdings gesucht und unter Umständen auch bezahlt. Das ist nichts Seltenes, daß ein Prinz auf Grund seiner guten Erziehung und sorgfältigen Ausbildung als Lehrer oder Künstler sein Brot gefunden hat. Zwar dem unglücklichen deutschen Kaiser Heinrich IV. ist auch dieses nicht geglückt. Nach unendlich viel Demütigungen und bitteren Erfahrungen von seinem eigenen Sohne zur Abdankung gedrängt, seiner Insignien entkleidet, auf sich selbst angewiesen, in der äußersten Not kam er zum Bischof von Speier und bat um eine kleine Pfründe. Er sagte ihm, er könne singen, er hätte studiert, er könne die Stelle eines Lektors oder Subkantors versehen. Seine Familie hatte den Dom von Speier gegründet, er selbst ihn bereichert. Und als ihm der Bischof die Anstellung verweigerte, soll er sich umgewandt und vor Schmerz aufgeschrieen haben. Das war im Jahre 1105.

Aber ein König von Frankreich, der Bürgerkönig, hat es [698] durchgesetzt! Ludwig Philipp von Orleans war etwa so vorbereitet wie unser Märchenprinz, als er sich in mißlicher Lage, zwanzig Jahre alt, im Jahre 1793 nach der Schweiz begab. Nachdem sein Geld alle geworden war, legte er das höhere Schulexamen ab und ward unter dem Namen Chabaud Latour Lehrer der Geographie und Mathematik an der Erziehungsanstalt im Schlosse Reichenau bei Chur. Nach einer andern Angabe hat der junge Herzog von Chartres als Lehrer der französischen Sprache und Litteratur gewirkt. Die Thatsache steht fest; die Leitung der Anstalt lag in den Händen Zschokkes; das Schloß ist jetzt im Besitz der Familie von Planta. Ludwig Philipp konnte sich auf einen Vorgänger im klassischen Altertum berufen, der bereits in den Fünfzigen und bereits Maöhthdber von Syrakus gewesen, nicht so gut erzogen, aber auf seine alten Tage auch noch Schulmeister war: auf Dionysius den Jüngeren. Er wurde im Jahre 343 v. Chr. von Timoleon nach Korinth deportiert, wo er sein Leben durch Unterrichtgeben und Musikstunden gefristet haben soll.

Der Großfürst Wladimir würde wahrscheinlich eine Professur der Orientalischen Sprachen, der Erzherzog Josef eine Professur des Zigeuneridioms erhalten – der Landgraf von Hessen-Darmstadt, Ludwig IX., gab weiland in seiner Residenz Pirmasens den geschicktesten Trommelschläger ab, Friedrich der Große spielte bei den Konzerten in Sanssouci die Flöte – der Prinz Eugen von Schweden könnte sich sofort als Maler niederlassen. Er erzielt sogar sehr hohe Preise, von denen er nichts abläßt, weil er das Geld für die Armen zu bestimmen pflegt. Ob die unzähligen gekrönten Häupter und regierenden Häusern angehörigen Prinzen und Prinzessinnen, die in unserer Zeit als Schriftsteller aufgetreten sind, alle imstande sein würden, sich mit der Feder zu ernähren, will ich dahingestellt sein lassen, da das selbst für Berufsschriftsteller mitunter eine mißliche Sache ist. Gewiß ist, daß das Prachtwerk des Erzherzogs Ludwig Salvator von Toskana über die Balearen überall einen Verleger gefunden hätte; daß Madame Reyer, unter welchem Namen die Königin von Belgien, Marie Henriette, ihre Zeitschrift Jeune Fille leitet, die von ihr gezeichneten Artikel so gut liefert wie ein Berufsjournalist und für Kunst und Litteratur an der Prinzessin Clementine, die als Marthe d’Orey zeichnet, eine geschätzte Mitarbeiterin besitzt; daß ferner der König Milan von Serbien durchaus das Zeug hat, sich nötigenfalls als Graf von Takova im Dienste der Presse durchs Leben zu schlagen.

Der schönschreibende Prinz des arabischen Märchens brauchte also in Europa noch nicht gleich zu verzweifeln; anderseits ist es heutzutage, unter unseren Verhältnissen, durchaus nicht mehr so sicher, daß die mechanischen Arbeiten ihren Mann ernähren. Das Handwerk hat bekanntlich keinen goldenen Boden mehr, seitdem der Wettbewerb so sehr verschärft wurde.

Früher war das anders.

Es gab einst eine Zeit, in der ein Handwerk den Menschen vom Schicksal unabhängig machte und ihn gleichsam über das wetterwendische Glück erhob; eine Zeit, wo die gelernte Kunst ein Bauerngut aufwog, weil sie niemals entrissen werden konnte; wo das Sprichwort galt: eine gute Kunst und gelehrte Hand passieret frei durch alle Land. Daher denn fürstliche Familien die Prinzen gern ein Handwerk erlernen ließen, um ihnen etwas Sicheres fürs Leben mitzugeben. Im Mittelalter hätte man das für unanständig gehalten, und der erste Stephanus, der Gründer des berühmten Buchdruckergeschlechtes, wurde von seinen Eltern, provençalischen Edelleuten, enterbt, weil er sich der Buchdruckerkunst widmete; aber in der Revolutionszeit, die so viele reiche Leute zwang, ihr Vaterland zu verlassen, wurde diese pädagogische Maßregel beliebt. Rousseau, der seinen Emil zum Zimmermann bestimmte, erhob sich zum Fürsprecher dieser Idee, doch war sie eigentlich nicht neu. Bei Königskindern erscheint das Handwerk freilich nur wie eine Art Spielerei, die einen praktischen Nutzen selten haben dürfte. Die Absicht, sie dadurch gegen einen Schicksalswechsel zu sichern und zu wappnen, ist eine hübsche Illusion der Eltern, die kaum ernst genommen wird. Sie wurde auch nicht immer erstrebt. Der Prinz sollte aus anderen, erzieherischen Gründen ein Handwerk lernen. Durch diese Beschäftigung wurde ja die Hand des Kindes geübt, wurden die Sinne geschärft. Der einstige Thronerbe trat auch durch seine Thätigkeit dem Anschauungskreise der arbeitenden Klassen näher, für deren Wohl er später sorgen sollte, und er gewann Achtung vor jeder scheinbar unbedeutenden Handarbeit.

Die bayrischen Prinzen Ludwig und Otto, die Söhne König Maximilians II. Joseph, die späteren Könige, hätten, überhaupt sehr einfach erzogen, dem arabischen Schneider, wenn er sie nach einem Handwerk gefragt hätte, wirklich dienen können. Der Kronprinz Ludwig, der frühe an der Baukunst Geschmack gefunden hatte, erlernte das Maurerhandwerk; sein Bruder Otto lernte drechseln. Wochenlang arbeitete der junge Ludwig alle Tage zwei Stunden mit den Maurern an einem neuen Wagenschuppen für das Lustschloß Nymphenburg. Nach Ablauf derselben kam er zu seiner königlichen Mutter und sagte, er hätte ausgelernt. Er könnte nun die Mauersteine so zierlich aufeinanderlegen wie irgend ein Gesell. „Könntest Du Dein Brot damit verdienen?“ fragte die Königin Maria. „Ich könnte mein Glück damit machen und das des Maurermeisters dazu,“ versetzte der Kronprinz lachend, denn er vermochte den Zweck dieser Beschäftigung nicht recht einzusehen. „Jeder Meister würde mich nämlich mit Vergnügen beschäftigen, um meines Namens willen. Da ist auch noch einer, der darauf wartet, daß die Welt auf dem Kopfe steht,“ meinte er, indem er auf den Prinzen Otto zeigte, der das Rad einer Drehbank mit seinem Füßchen trat. „Wenn die Prinzen drechseln, so mag der Zimmermann regieren.“ Ein „Zimmermann“ regierte ja einst das Zarenreich.

Die Drechselkunst hat unter den Fürsten immer besonders viele Liebhaber gefunden; Peter der Große verstand unter andern Handwerken auch dieses. Daß er, schon Zar, auf den Schiffswerften von Zaardam als einfacher Schiffszimmermann den Schiffbau lernte, daß er eigenhändig einen aus zwei Stücken zusammengesetzten Fockmast fertigte, daß er sich den Titel eines Schiffszimmermeisters oder eines holländischen Zimmerbaas erwarb, ist weltbekannt – er baute sich eine Bettstelle wie der König Odysseus und machte sogar Badewannen, die eigentlich Böttcherarbeit sind. Aber er arbeitete auch in den Schmieden und schmiedete während seines Aufenthaltes in Oesterreich 18 Pud Stangeneisen, womit er sich ein Paar Schuhe verdiente, die er mit Stolz trug. Der Tausendkünstler hatte sich auch auf die kleine Chirurgie geworfen: er besuchte in Leyden das Anatomische Theater und den berühmten Boerhaave, sezierte, schröpfte und ließ zur Ader, fühlte aber einen besonderen Beruf zum Zahnarzt. Die Zahnarzneikunde trieb er mit wahrer Leidenschaft: in Rußland zog er seinem ganzen Hofstaate und vielen anderen Unterthanen, wenn sie Zahnschmerzen hatten, sogar wenn sie keine hatten, die Zähne aus. „Geißfüße“ und Zahnzangen führte er beständig bei sich.

Peter der Große läßt sich jedoch mit den Königskindern, die nach Art von Rousseaus Emil zur Arbeit angehalten werden, nicht recht wohl vergleichen. Er erzog sich gewissermaßen selbst, und zwar in der ihm zusagenden Weise; wenn er sich in der Folge verschiedene Künste und Fertigkeiten aneignete, so geschah das aus Instinkt: das Handwerk war für ihn eine Art Sport, ein nützlicher Zeitvertreib. Gar oft greifen Fürsten noch in reiferen Jahren aus reiner Passion zu einer mechanischen Arbeit, in der sie es weit bringen und mit der sie sich allerdings würden ernähren können, falls das überhaupt in Frage käme; diese Arbeit verhilft ihnen, wenn sie nicht auf die Jagd gehen, zu der notwendigen Bewegung und ersetzt ihnen das Turnen und das Fechten. Auch der verstorbene Zar Alexander III. hatte dergleichen Passionen: er fällte Bäume wie Gladstone, spaltete Holz wie unser Prinz in „Tausendundeine Nacht“, schor den Rasen seines Gartens, schaufelte Schnee: er half auch zuweilen, wie erzählt wird, den Handwerkern, die im Palaste beschäftigt waren, mit Vorliebe den Tischlern und den Tapezierern.

Stark ist die Liebe zum Handwerk von jeher bei den Bourbonen hervorgetreten. Sie haben an den Ambosen geschwitzt wie die Schmiede, Bücher gebunden und gedruckt. Das Einbinden, das Kleistern und das Pappen macht, wie das Drechseln, den höheren Ständen besonderes Vergnügen – auch der verstorbene Kaiser Friedrich III. soll gelernter Buchbinder, nebenbei gelernter Tischler gewesen sein. Ein von ihm verfertigter Stuhl wird in Schloß Babelsberg gezeigt. Man muß allerdings die Gönner der Buchbinderkunst von den Buchbinderdilettanten unterscheiden; viele vornehme Herren sind bloß durch die geschmackvollen Einbände, die sie herstellen ließen, berühmt geworden. Weder Heinrich III. von Valois, dessen Bücher an den Totenköpfen und ähnlichen Symbolen kenntlich sind, noch Jean Grolier, dessen braune Kalbslederbände mit der schönen Goldpressung auf Auktionen mit Tausenden [699] von Mark bezahlt werden, hat selbst gebunden. Heinrich IV. von Frankreich dagegen und die Geistlichkeit, in deren Händen die Herstellung von Büchern so lange gewesen ist, hat die Buchbinderei fort und fort und auch dann noch gepflegt, als dieselbe längst ein bürgerliches Gewerbe geworden war. Der Abbé du Seuil betrieb diese edle Kunst unter Ludwig XIV. als Liebhaber. Ludwig XV. dagegen war Setzer: er band keine Bücher, las keine Bücher, schrieb keine Bücher, druckte aber Bücher. Er verstand sich auch auf die Zubereitung von Ragouts und Saucen und setzte seinen Ehrgeiz darein, für den ersten Koch Frankreichs und, da die französische Kochkunst damals auf ihrer Höhe stand, für den ersten Koch der Welt zu gelten. Diesen Geschmack haben manche Fürsten mit ihm geteilt.

Sein Enkel, Ludwig XVI., war ebenfalls ein Setzer. Schon als Prinz hatte er in Versailles eine eigene Buchdruckerei, aus welcher im Jahre 1766 die „Maximes morales et politiques, tirées de Télémaque“, eine Auswahl von Sprüchen aus Fenelons „Telemach“, in einer Auflage von 25 Exemplaren hervorgingen. Er zählte damals 12 Jahre. Bei ihm trat der Handwerkergeist besonders deutlich hervor; er spielte nicht mit Szepter, Krone und Stern, er spielte mit Hammer und Feile, denn die Schlosserei ward später seine Lieblingsbeschäftigung. Und er hätte am Ende die Schlosserei wirklich brauchen können. Wer weiß, ob er nicht zum Handwerk gegriffen hätte, wenn die Flucht in der Juninacht des Jahres 1791 gelungen wäre. Dafür kam er im nächsten Jahre selbst hinter Schloß und Riegel, in den finstern Turm des Temple, den er mit aller seiner Geschicklichkeit nicht sprengen konnte.

Die Familie der Bourbonen scheint sich nachgerade in eine Familie von Handwerkern aufzulösen. Bekaantlich ist in den dreißiger Jahren ein Deutscher, Karl Wilhelm Naundorff, als der Sohn Ludwigs XVI. und der Königin Marie Antoinette und somit als der wahre echte Ludwig XVII. aufgetreten. Dieser Mann war Uhrmacher in Spandau, später in Brandenburg, zuletzt in Crossen, Vater einer zahlreichen Familie, unter aaderm einer Tochter, die mit Marie Antoinette wirkliche Aehnlichkeit besaß. Er hatte auch einen Sohn Ludwig Karl, der augenblicklich als „König Karl XI.“ in den Niederlanden, in der Nähe von Delft lebt. In Delft liegt sein Vater, der Uhrmacher, begraben. Er ist ein ältlicher korpulenter Herr mit weißem Haar und Schnurrbart, ein unverkennbares Bourbonengesicht. Er spricht von der Profession seines Vaters als von etwas Selbstverständlichem: sie kann die Ansprüche seiner Familie nur unterstützen und glaubhaft machen. Sein Vater war eben Uhrmacher, wie sein Großvater Schlosser war, und wie er selbst, er, Louis Charles de Bourbon, Herzog der Normandie, Holzschnitzer ist. Das Handwerk kennzeichnet die Könige von Frankreich und Navarra. Ehrt andere Könige nur die Würde, ehret sie der Hände Fleiß.

Nun, jede redliche Arbeit ehrt den Mann: das Wort den Redner, die Feder den Schriftsteller, der Besen den Straßenkehrer. Das ist der hohe Standpnnkt der mächtigen Republik der Vereinigken Staaten; das mag den Königssohn trösten, der nicht mehr bloß zum Spaße ein Handwerk treibt. Er mag an den Schwager Ludwigs XVI., an den menschenfreundlichen Kaiser Joseph denken, der aus Ueberzeugung das Schuhmacherhandwerk erlernte, die Gesellen um sich versammeln und ihnen die Abzeichen ihres Gewerkes in Silber überreichte, ein Ereignis, zu dessen Andenken noch gegenwärtig in Prag alle Ostern das Schusterfest, die sogenannte Fidlowatschka gefeiert wird. Fidlowatschka ist auf böhmisch der Name des Holzes, mit dem die Absätze, Ränder und Sohlen der Schuhe geglättet werden. Er denke an den Grafen Leo Nikolajewitsch Tolstoi, der so weit geht, die Handarbeit gleichsam für die Moral selbst zu erklären, der die Ausübung eines Handwerks wie eine Pflicht von jedem freien Manne fordert und der ebenfalls das Schusterhandwerk gewählt hat. Er arbeitet tagtäglich vier Stunden mit dem Knieriemen. Als er zu dieser Ueberzeugung gelangt war, ließ er einen Schuhmachermeister zu sich aufs Schloß kommen; derselbe mußte ihm zeigen, wie man eine Sohlennaht näht, mit der Ahle einen Stich durchs Leder macht und die mit Schweinsborsten verdrehten Spitzen eines Fadens durchsteckt. Alles Notwendige hatte er angeschafft. Zwei Wochen lang nahm der Graf in seinem Schlosse täglich von Mittags bis 5 Uhr nachmittags Unterricht bei dem Meister, ängstlich um dessen Zufriedenheit bemüht und begierig, Fortschritte zu machen. Und dabei ist der Graf schon alt, gegenwärtig bald ein Siebziger, sein Augenlicht schwach, seine Hand zitterig. Uebrigens arbeitet er nur für sich und seine Tochter, der er ein Paar Knöpfstiefel aus Glacéleder mit russischem Kalbslederbesatz und Kappe gemacht hat.

Ueber den Nutzen solcher Beschäftigung nicht für den Lebenserwerb sind die Ansichten verschieden. Sie hat aber zweifellos einen hohen erzieherischen Wert. Die gründliche Kenntnis eines Handwerks schärft unsere Sinne und macht uns zu Meistern über die größte Gehilfin des Menschen, die Hand. Darum lernen heute nicht nur Prinzen nebenbei ein Handwerk. Ueber die meisten Kulturländer hat sich der Handfertigkeitsunterricht verbreitet und in wohlgeleiteten Schulen werden Tausende und Abertausende von Knaben aller Stände mit den Anfangsgründen irgend eines Handwerks vertraut gemacht. Ob aus der Schar der Dilettanten einige Meister hervorgehen werden? Wer weiß es! Jedenfalls werden unter diesen Umständen in Zukunft „Handwerker von Stande“ nicht mehr so selten sein wie bisher.