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Heiße Tage

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Textdaten
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Autor: C–r.
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Titel: Heiße Tage
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 639–640, 642–643
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Heiße Tage.

Erinnerungen aus der Schlacht von Noisseville am 31. August 1870.

Klar und thaufrisch brach der 31. August 1870 an, strahlend hob der feurige Sonnenball sich über dem Horizont empor und tauchte Thal und Hügel in Purpurgluth. Lachend und leuchtend breiteten die grünen Fluren und Rebenhügel Lothringens sich vor unseren Blicken aus, als herrschte tiefer Frieden und als sollten die Glocken der umliegenden Ortschaften jeden Augenblick ein Feiertagsgeläute beginnen.

Vor uns auf dem östlichen Rande des Moselthales erhob sich in guter Kanonenschußweite neben dem altersgrauen Schlosse Grimmont trotzig das große Fort von Metz „St. Julien“ und weiterhin im Südwesten Bellecroix.

Eine feierliche Stille lagerte über der Landschaft, jene Stille, die Gegenden eigen zu sein pflegt, in denen große Kämpfe stattgefunden haben. Kein Vogel erhebt dort seinen Gesang, in den Ortschaften regt sich kein Laut, der auf gewerbliche oder landwirthschaftliche Thätigkeit schließen ließe, selbst das Hundegebell ist verstummt, die Viehherden sind verschwunden und der Haushahn kündigt nicht mehr den nahenden Morgen mit lautem Rufe an.

Der Kampf bei Colombey-Nouilly am 14. August hatte diese Gegend in Schweigen gehüllt; nur vorübergehend wurde dasselbe durch das Rasseln anrückender Artillerie oder den flüchtigen Hufschlag einzelner Kavalleriepatrouillen unterbrochen.

Auf den Bivouacplätzen umher herrschte bei uns mit dem ersten Sonnenstrahl emsige Thätigkeit. Geschäftig kochten die Mannschaften ihren Kaffee in offenen Kochgeschirren an den lustig qualmenden Kochlöchern; schmeckte der edle Trank dann auch etwas räucherig, was schadete das, es war eben „Mokka à la guerre“. Wasser- und Holzkommandos marschirten ab und kamen an, und die Fouriere bereiteten die Verteilung der Tagesrationen vor.

Bei unserem Bataillon herrschte eine besonders lebhafte Thätigkeit. Excellenz von Bentheim, unser Divisionskommandeur, wollte die an diesem Tage nicht auf Vorposten befindlichen Bataillone sehen; zu ihnen gehörten auch wir, und da hieß es denn blitz und blank erscheinen. Ein jeder wollte vor dem beliebten Kommandeur so viel wie nur möglich „glänzen“, deshalb diese Ameisenthätigkeit; es blitzte und funkelte denn auch an Gewehren, Helmen und Knöpfen etc. mit den Thautröpfchen im Grase um die Wette; endlich rückten wir zur Paradeaufstellung ab.

Auf die Minute galoppirte Excellenz mit seinem Stabe heran, die Ehrenbezeigungen wurden erwiesen und mit einiger Verwunderung sahen wir den General mit seinem Gefolge statt nach dem rechten Flügel der Aufstellung geradeswegs auf unsere Fahne zureiten. Diese, deren Schaft in dem heißen Kampfe am 14. August durch eine feindliche Kugel zerschmettert worden war, trug noch die erste kunstlose Bandage, ein paar fingerdicke Eisenstäbe mit einem Strick fest über die Bruchstelle geschnürt. Unmittelbar vor der Fahne hielt der General, und den Helm abnehmend, rief er mit weithin tönender Stimme: „Vor dieser Fahne nehme ich meinen Helm ab, brave Dreiundvierziger!“

Einen Augenblick hielt das ganze Gefolge entblößten Hauptes vor dem präsentirenden Bataillon, ein Augenblick höchster Anerkennung für dasselbe, dann nahm die Parade ihren Verlauf; nach derselben schwenkten die Bataillone zum großen Quarreé ein, der Feldgottesdienst begann.

[640] Unter Hinweis auf den mörderischen Kampf und glänzenden Sieg am 14. sprach unser Divisionspfarrer ergreifende Worte und schloß mit einem Gebete für die braven Gefallenen, die ihre ferne Heimath, die Ihrigen nicht wiedersehen sollten, sowie um Trost und Ergebung in den Willen des Allmächtigen für die Hinterbliebenen und die an ihre Schmerzenslager gefesselten Verwundeten.

Es war eine tiefernste und ergreifende Feier, die auf einen jeden sichtlichen Eindruck machte. Waren doch so viele liebe Kameraden am 14. August im heiligen Kampfe für König und Vaterland aus unseren Reihen gerissen worden und hatten ihr Leben freudig verblutet, in der Gewißheit, einen entscheidenden Sieg mit errungen zu haben!

Wir rückten nach unserem Lagerplatze ab, doch nicht lange sollte unsere gehobene Stimmung, unsere Ruhe dauern; Bazaine erinnerte uns sehr bald an die rauhe Wirklichkeit und den Zweck unserer Anwesenheit vor den als uneinnehmbar gerühmten Werken der stolzen Festung.

Die zweite Division befand sich in leichtem Gefecht mit dem Gegner, auch wir gingen vor. Das Feuer verstummte jedoch bald und dichte Rauchwolken zeigten uns an, daß die Söhne des sonnigen Frankreich mit allem Ernst an das Mittagsessen dachten.

Trotzdem verblieben wir in der Gefechtsstellung.

Es war vier Uhr nachmittags geworden, eine Zeit, in der die Besatzung der Festung Metz und die Truppen Bazaines gern „anzufangen“ pflegten, und mit Spannung sahen wir dem Kommenden entgegen, als sich plötzlich das Fort St. Julien uns gegenüber in eine weiße Rauchwolke hüllte; sausend und zischend stob die erste Salve, wohl aus allen Geschützen des Forts, heran und fast gleichzeitig eröffnete die feindliche Infanterie ihr Feuer gegen unsere Division bei Noisseville, Servigny, Poix und Failly. Unter dem Schutze dieses Feuers setzten sich die feindlichen Kolonnen gegen unsere Stellung in Bewegung.

Ein furchtbarer Kampf entspann sich nun. Bazaine wollte mit seiner Uebermacht den Durchbruch nach Nordost erzwingen, um nach Sedan zu entkommen; wäre ihm dieser gelungen, weiß Gott, wie der Krieg geendet hätte. Unserer, der ersten Division war hauptsächlich die ehrenvolle Ausgabe geworden, diesem Vorhaben einen wirksamen Riegel vorzuschieben. Immer neue Massen stürmten gegen die von uns besetzten Ortschaften heran, doch unerschüttert hielten die schwachen Besatzungen ihre Stellungen. Salve ans Salve krachte den gegnerischen Kolonnen entgegen und ein sprühendes Schnellfeuer knatterte ohne Unterbrechung. Unsere Artillerie war mit etwa 10 Batterien zwischen Servigny und Poix aufgefahren und unterhielt ein wahres Schnellfeuer gegen die Angreifer. Truppen des vierten französischen Armeecorps rückten trotzdem unaufhaltsam gegen die genannten Orte heran, welche je von zwei Bataillonen des 1. und 41. Regiments besetzt waren. Doch vergebens waren alle Anstrengungen, der feindliche Angriff scheiterte gänzlich. Das mit tödlicher Sicherheit abgegebene Schnell- und Salvenfeuer der Königsberger Grenadiere und Musketiere ließ die Stürmenden keinen Boden gewinnen und richtete namenlose Verheerungen unter ihnen an. Jeder Erfolg war diesem mit maschinenartiger Sicherheit abgegebenen Feuer gegenüber unmöglich.

Zur Unterstützung der Dorfbesatzungen ließ General von Bentheim im entscheidenden Augenblicke das zweite Treffen, Ostpreußischcs Grenadierregiment Nr. 3 und 1. Jägerbataillon, vorgehen. Dieser wie aus dem Exercierplatze ausgeführte Stoß traf den Gegner unerwartet, seine schon ermattenden Truppen zogen sich unaufhaltsam zurück.

Unser Bataillon – das 1. des 43. Regiments – hatte gleich zu Anfang des Kampfes den Befehl erhalten, zur Deckung der Artillerie Aufstellung zu nehmen. Wer sich je in einer solchen Stellung befunden hat, weiß, welche Bedeutung sie für die Truppe und den einzelnen Mann hat. Während die Kameraden im lebhaften frischen Kampfe ihre Kräfte mit dem Gegner messen, im Bereiche des feindlichen Feuers unthätig dazustehen, erfordert keinen geringen Grad von Selbstbeherrschung und Nerven von Stahl, denn man hat Muße genug, Berechnungen darüber anzustellen, ob und wo die heransausende Granate in die Kolonne einschlagen und wer ihr zum blutigen Opfer fallen wird. Es gehört dazu hoher moralischer Muth und eine Mannszucht, wie sie, Gott sei Dank, der deutschen Armee eigen und in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Auch unsere Leute fühlten die Wucht der gefährlichen Lage, besonders die jungen Mannschaften, doch bald siegte der heitere Juqeudmuth, und die in jeder Truppe vorkommenden „Karnickel, die immer anfangen“ und denen der Humor nie fehlt, machten auch hier bald ihre Kraftscherze bei heransausenden Granaten wie „Kapp weg!“ oder „Karl, duck di, Steen kömmt“ etc. Endlich bei hereinbrechender Dunkelheit erhielten auch wir den Befehl zum Vorgehen und mit kräftigem Hurrah schwärmten unsere Schützenzüge dem abziehenden Gegner nach. Das Bataillon ging zwischen Servigny und Noisseville im Vallieresgrunde vor, während der dritte Schützenzug links davon, als Flankendeckung des Bataillons, gegen Noisseville avancirte.

Nur ein matter Dämmerschein herrschte noch, als wir uns durch ein großes Rebenfeld gegen Noisseville hin durchzuarbeiten suchten. Immer tiefer sank die Nacht herab, das Feld lag schwarz wie Tinte vor uns, wir machten Halt und stellten unser nur von einzelnen Rotten abgegebenes Feuer ganz ein. Vom Dorfe her blitzte noch dann und wann ein Gewehrschuß auf, und mit scharfem Pfiff beschrieb das Geschoß jedesmal einen hohen Bogen über uns fort. Ein Witzbold sprach sofort das geflügelte Wort aus: „Die Franzosen wollen Löcher in die Nacht schießen, damit es ein wenig Heller werde.“

Endlich stellten auch unsere Gegner das Feuer ein. Nur von Servigny, wo unser zweites und Füsilierbataillon in Gemeinschaft mit der ersten Brigade in Thätigkeit waren, knatterte unausgesetzt das Gewehrfeuer herüber, und von unserem Bataillon hörten wir aus dem Ballieresgrunde einige Salven heraufkrachen.

Vor uns herrschte eine unheimliche Ruhe, der Nachtwind rauschte und raunte, flüsterte und zischelte in dem Laube der Weinstöcke, schlief ein und begann im Augenblick wieder sein heimliches Flüstern. Ein leises Knarren der Rebstöcke an den Pfählen war wohl durch den Wind verursacht. Wir strengten unser Sehvermögen an, um etwas in dieser Dunkelheit zu erkennen, doch vergebens, nur unmerklich hob der Himmel sich von dem Rebengelände ab, uns schmerzten die Augen vor Anstrengung, sehen konnten wir aber trotzdem nichts. Und dennoch – waren unsere hochgradig angespannten Nerven nur daran schuld, oder war es Wirklichkeit – schien etwas in der Dunkelheit vorzugehen, das sich unseren Blicken entzog. Das Rauschen, Knarren und Flüstern in den Weinstöcken schien eigenthümlich zugenommen zu haben, während der Wind an Stärke abnahm. Wieder setzte der Wind etwas stärker ein, es knackte und rauschte vor uns, auch als der Lustzug aufhörte.

Da durchzuckte den ganzen Schützenzug wie ein elektrischer Schlag die halblaute Warnung des Zugführers: „Achtung!“ Jeder glaubte in demselben Augenblicke eine eigenthümliche Bewegung in den Weinstöcken bemerkt zu haben, krampfhaft umspannte jede Faust das schußfertige Gewehr. Da knistert’s und raschelt’s in den Büschen und klingt wie verhaltenes Keuchen hervor, dann „kroch es heran, regt’ hundert Gelenke zugleich“. „Dreißig Schritte, Schnellfeuer!“ donnert das Kommando des Zugführers, und die letzten Silben werden schon vom Prasseln der Schüsse verschlungen.

Ein Wuthgeheul und Schmerzgeschrei mischt sich mit unserem salvenartigen Feuer, eine schwarze langgestreckte Masse erhebt sich im Feuerschein der Schüsse über die Weinstöcke, doch nur einen Augenblick, die Wirkung unseres Feuers ist zu furchtbar! Dann taucht die Masse wie eine verrinnende Woge in der Finsterniß unter, und das Geräusch brechender Weinstöcke zeigt uns den wilden Rückzug der Gegner an.

Leise rauschte der Nachtwind, und flüsternd schwangen und schwebten die Ranken der Weinstöcke über den Gefallenen.

Bald rief uns ein Hornsignal zum Bataillon, mit den, wir bis zur Höhe östlich von Servigny zurückgingen.




Es war eine für die Jahreszeit recht kalte Nacht, vom 31. August zum 1. September 1870, dichte Nebel stiegen auf und hüllten Himmel und Erde bald in eine Dunstmasse. Unser Bataillon brachte infolge der Nähe des Gegners, welcher Noisseville noch besetzt hielt, die Nacht unter dem Gewehr zu, jeden Augenblick bereit, den Kampf mit dem etwa hervorbrechenden Gegner aufzunehmen.

Feuer durften nicht angezündet werden, und wir froren um so mehr, als niemand mehr einen Schluck „Liebeskümmel“ in der [642] Feldflasche hatte. Geraucht durfte ebensowenig werden, um das Aufflammen der Zündhölzchen zu vermeiden. Ein etwas boshafter Musketier meinte freilich, das Verbot wäre ergangen, damit der Duft des edlen „Vorpostenkanasters“ den Franzosen unseren Standpunkt nicht verrathe.

Unter diesen Umständen erwarteten wir mit Ungeduld den Morgen. Endlich zeigte sich im Osten ein röthlicher Streifen am Horizonte, der Tag brach an, für viele von uns zum letzten Male. –

Kaum begann die Sonne den dichten Nebel etwas zu zerstreuen, als unser Regiment den Befehl erhielt, zum Angriff auf Noisseville vorzugehen und es zu nehmen. Unser Bataillon bildete das erste Treffen, als zweites folgte das Füsilier- und zweite Bataillon. Rechts von uns ging noch das erste Bataillon vom Regiment „Kronprinz“ 1. Ostpreußisches Nr. 1 und links das 4. und 44. Regiment, das letztere gegen die neben Noisseville an der Chaussee gelegene Brauerei vor. Schnell hatten die Bataillone Treffenabstand genommen und wir marschirten den Vallieresgrund hinab, um möglichst unbemerkt hervorzubrechen.

Als wir etwa in der Höhe von Noisseville angekommen waren, erfolgte das Signal: Schützen schwärmen! Im Laufschritt ging’s den südlichen Abhang der Schlucht empor; vor uns lag das uns vom vergangenen Abende wohlbekannte Rebenfeld, dahinter Noisseville.

Schon seit einiger Zeit hatte unsere Artillerie ein heftiges Feuer gegen das Dorf eröffnet, unausgesetzt sausten die Granaten durch die Luft über uns hinweg und schlugen krachend in die Gebäude, nur sehr schwach wurde dieses Feuer von feindlicher Seite erwidert.

Ohne zunächst einen Schuß abzugeben, suchten wir so schnell als möglich durch die Weinranken hindurch und näher an das Dorf heranzukommen. Auch von dort her fielen nur ganz vereinzelte Gewehrschüsse. Sollte man unsere Annäherung bei dem noch immer nicht gefallenen Nebel und zwischen den hohen Weinstöcken noch nicht bemerkt haben?

So schnell, als es uns möglich war, hatten wir uns nun dem Dorfe bis auf etwa vierhundert Schritte genähert, als ein wildes Gewehrfeuer gegen uns eröffnet wurde, dessen Schüsse meistens zu hoch gingen. Wir nahmen nun das Feuer ebenfalls auf; da unsere Gegner aber gedeckt standen und aus den Häusern heraus, hinter Barrikaden etc. hervorfeuerten, so wurde das Feuer unsererseits zunächst nur von einzelnen Schützengruppen unterhalten.

Obgleich bei unseren Leuten schon mehrere Verwundungen vorgekommen waren, trieb der Humor doch seine Blüthen.

„Du,“ ruft ein Musketier seinem Freunde zu, „heute ist Prüfungsschießen nach Kopfscheibe, man hübsch rausgeschossen!“

„Na ob,“ erwidert der Angerufene, „man ohne Sorge!“

Dabei feuerten beide so kaltblütig, als ständen sie tatsächlich auf dem Scheibenstande und nicht im heftigen Kugelregen einem erbitterten Gegner gegenüber.

Bis jetzt hatte die Artillerie der Forts geschwiegen. Nachdem der Nebel aber gänzlich gefallen war, nahm auch sie das Feuer auf. Ein dumpfer Donner erschüttert plötzlich die Luft, und vom Fort St. Julien saust es mächtig heran. „Granate!“ rufen die Führer der Schützenzüge, einen Augenblick danach erfolgt unter schneidendem Zischen ein dröhnender Schlag, so furchtbar, daß der Boden erbebt und zu schwanken scheint; vor uns in geringer Entfernung werden Erde und Steine hoch emporgeschleudert. Die nächsten Schützengruppen haben sich platt zu Boden geworfen, eine Sekunde athemloser Spannung vergeht, dann kracht’s, als ob der Erdball voneinander gerissen wäre, eine Garbe von Feuer, Pulverdampf und Erde schießt haushoch empor, und mit ohrzerreißendem Pfeifen fahren die Sprengstücke der Granate schwersten Kalibers auseinander. Diesesmal ging die Gefahr ohne blutige Opfer vorüber.

Inzwischen war unser Bataillon an die Schützenlinie herangerückt, nun hieß es wieder: Schützen avanciren! Vorwärts ging’s, sprungweise, sich niederwerfend und feuernd, eine dämonische anscheinend ordnungslose lange Kette. Rechts und links pfiffen und zischten die feindlichen Geschosse, immer öfter; je näher wir herankamen, ließ sich der dem Ohre des Soldaten bekannte knackende Ton der einschlagenden Geschosse hören, und lautlos oder mit einem unterdrückten Schmerzenslaut sanken die Getroffenen zusammen. Die Lage war sehr ernst geworden; noch einmal hielten wir vor dem Dorfe am Rande eines Wiesenstreifens und feuerten in knieender Stellung. Jedes Fenster, jede Schießscharte und die hier mündende Dorfstraße wurden unter ein vernichtendes Feuer genommen. Der kurze Doppelschlag der Tambours tönte hinter uns im zweiviertel Takt, wie eine Fluthwelle rückte das Bataillon mit zur Attake rechts genommenem Gewehr heran; der letzte Akt des blutigen Dramas begann!

Wie ein bisher geschlossener Vorhang zogen die Schützen sich rechts und links auseinander, um dem anstürmenden Bataillon Platz zu machen, und schlossen sich ihm an. Ein donnerndes Hurrah, sich immer erneuernd, erschütterte die Luft und übertönte das Knattern der Schüsse, wie eine Lawine stürzte die Sturmkolonne gegen das Dorf an. Ein wüthendes Feuer krachte uns entgegen, aus Fenstern, Dach- und Kellerluken, aus Scharten und hinter Verhauen hervor. Sinnverwirrend war das Knattern der Schüsse, das Rasseln der Trommeln und die dröhnenden Hurrahs der Stürmenden. Aber die verzweifeltste Gegenwehr war hier vergebens; in kürzerer Zeit, als das Niederschreiben dieser Zeilen erfordert, waren die ersten Verhaue erreicht, eingerissen oder übersprungen, wobei unsere Leute, ebenso wie im nachfolgenden Kampfe, eine herkulische Kraft entwickelten.

Ein mörderischer Krampf Mann gegen Mann entbrannte nun in der Dorfstraße, die Bestürzung und der Schrecken war den Franzosen deutlich im Gesicht geschrieben, aber auch eine entsetzliche Wuth funkelte in ihren Augen. Ein Kampf auf Gewehrlänge, wo der Athem der Kämpfenden sich mischt, hat etwas Furchtbares. Durch den ersten Anprall wurden unsere Gegner zurück und zum Theil in die Häuser gedrängt, jedes Haus wurde zur Festung, die besonders genommen werden mußte. Das Knattern der Schüsse mischte sich mit dröhnenden Axtschlägen und Kolbenstößen, womit Thüren und Fenster eingeschlagen wurden, das Klirren springender Fenster mit dem Prasseln des an einigen Stellen aufschlagenden Feuers; Pulverdampf, Rauch und Staub verschlangen zeitweise die Kämpfenden. Ein nicht minder erbitterter Kampf tobte gleichzeitig in den mit hohen Mauern umgebenen Gärten des Dorfes, die förmliche Forts bildeten und erstürmt werden mußten. Mit dem Muthe der Verzweiflung wehrten sich die Franzosen. Durch den hartnäckigen Widerstand hinter Thüren und Mauern hatten sie unsere Leute aber erbittert, und jeder Widerstand war vergebens, endlich erlahmte derselbe; mit finsteren Blicken, aneinandergedrängt, ergaben sich diejenigen, welche noch kampffähig und nicht geflohen waren.

An eine Ordnung war bei einem solchen Kampfe bald nicht mehr zu denken; jeder Offizier oder Unteroffizier führte mit den um ihn befindlichen Mannschaften den Kampf auf eigene Faust. So war auch der dritte Schützenzug gleich im Anfange des Dorfgefechtes vom Bataillon abgesprengt worden und in eine Nebenstraße gekommen, die, wie es schien, hinter einer Reihe von Gebäuden herumführte und vollständig unbesetzt war. Im Laufschritt ging’s die Straße entlang, über eine aus Karren und Hausgeräth hergestellte, aber unbesetzte Straßensperre hinweg, um wieder auf den Kampfplatz zu kommen.

In kurzer Zeit hatten wir eine breite Hauptstraße erreicht, die nach Westen das Dorf verließ und nach Nouilly führte; wir befanden uns also ziemlich im Rücken der Dorfbesatzung. Es blieb kaum so viel Zeit, um uns zurechtzufinden, als wir schon bemerkt waren. Auf der Straße weiter hinab stand im Dorfe ein starker feindlicher Unterstützungstrupp; unser Erscheinen in seinem Rücken brachte bei demselben eine nicht geringe Verwirrung hervor, die sich wesentlich steigerte, als unsere ersten Schüsse krachten. Bald aber hatte, wie wir bemerkten, das Bemühen der Offiziere, Ordnung zu schaffen, Erfolg, und im Laufschritt mit gefälltem Gewehr stürmte die Kolonne heran. Wir feuerten, was die Läufe halten wollten, was konnten wir aber, ein schon am 14. August zusammengeschossener Zug, der auch heute wieder eine Anzahl Leute verloren hatte, hier machen! An ernsten Widerstand unsererseits war nicht gut zu denken. Wir zogen uns deshalb schnell bis zu dem erwähnten Verhau zurück und nahmen hinter demselben Deckung; die Gegner folgten, und es entspann sich ein kurzes Feuergefecht. Eben wollten wir, der Uebermacht weichend, weiter zurückgehen, als ein Hurrah in der Dorfstraße vor den Häusern erdröhnte, hinter denen wir uns befanden. Es mußte dort eine größere Abtheilung unseres Bataillons geschlossen vordringen. Hielten unsere Gegner nun noch Stand, dann mußten sie abgeschnitten [643] werden; dieses erkennend, zogen sie sich, so schnell sie gekommen waren, zurück, wir ungesäumt dahinter her, konnten sie aber nicht mehr erfassen.

In der Straße, welche in der Richtung auf Nouilly ausmündete, trafen wir mit Mannschaften unserer zweiten Kompagnie zusammen, vereint mit diesen ging’s nun den Abziehenden nach. Ohne zu halten, stürmten diese davon gegen den genannten Ort zu. Ihnen weiter zu folgen, war nicht räthlich, wir hätten uns sonst zwischen zwei Feuer gebracht, denn schon zogen Abtheilungen, welche aus den Gärten von Noisseville vertrieben waren, über das Feld, die wir nun unter Feuer nahmen.

Endlich waren aus Dorf und Gärten die Gegner hinausgeworfen, und wir glaubten, nun würde das Fort St. Julien sein Feuer gegen uns eröffnen, um uns zu verjagen. An maßgebender Stelle schien man etwas Aehnliches zu erwarten, denn wir räumten den Ort und zogen uns hinter denselben zurück. Das Fort aber schwieg, und der vollständige Rückzug des ganzen dritten französischen Armeecorps trat ein, wodurch auch die übrigen Corps veranlaßt wurden, den Rückzug gegen Metz anzutreten.

Wir besetzten das Dorf wieder und hatten nun Muße, die traurigen Folgen des Kampfes zu betrachten. Es sah in den Straßen und Häusern entsetzlich aus, unsere Verluste waren bedeutend, aber weit überwiegend war unter den Gefallenen die französische Uniform vertreten.

Zwei charakteristische Vorkommnisse mögen hier noch ihren Platz finden.

Während des Kampfes sah sich ein Unteroffizier plötzlich allein einer Anzahl Franzosen gegenüber. Kurz entschlossen rechnet er aus, daß es besser gethan sei, dem Vaterlande einen tüchtigen Vertheidiger durch geschickten, wenn auch nothgedrungen etwas beschleunigten Rückzug zu erhalten, als sich in einen ungleichen Kampf einzulassen, dessen Ausgang nicht zweifelhaft war. Dem Gedanken folgt die That; doch unerwartet sperrt eine Mauer seinen Weg, die Verfolger sind dicht hinter ihm her. Als guter Turner sucht er entschlossen mittelst Klimmzuges die Mauer zwischen sich und seine Verfolger zu bringen; schon athmet er auf, die Höhe der Mauer ist erreicht, da, hilf Himmel! fühlt er sich an einem Fuße festgehalten und herabgezerrt. Doch ein verzweifelter Ruck – und der Franzose steht mit einem erbeuteten preußischen Kommißstiefel verblüfft am Fuße der Mauer, während der bisherige Träger dieser Trophäe ihm von der anderen Seite der Mauer ein vergnügtes „bon voyage, cher camarade“ zuruft und schleunigst seine Kompagnie zu gewinnen sucht. –

Als nach dem Abzug der Franzosen ein alter Mann mit weißem Haar aus einem Keller auftauchte und unter Thränen sein in Brand geratenes Häuschen zu löschen versuchte, war er im Nu von einer Anzahl Musketiere umringt, die ihm die Löscharbeit abnahmen. In kurzer Zeit war jede Gefahr beseitigt und mit kräftigem Händedruck verabschiedeten sich die Löschmannschaften von dem Greise, seine französischen Dankworte mit einem gemüthlichen: „Schon gut, Alterchen, hat gar nichts zu sagen“ abwehrend.
C–r.