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Herbstfrischen (1908)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Dr. med. F. Walther
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Titel: Herbstfrischen
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Auflage:
Entstehungsdatum: 1908
Erscheinungsdatum: 13.09.1908
Verlag: Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
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Erscheinungsort: Hohenstein-Ernstthal
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Originalherkunft:
Quelle: SLUB Dresden und Commons
Kurzbeschreibung:
Dr. Adams: Herbstfrischen und ihre Bedeutung, in: Vom Fels zum Meer, 1887; Die Herbstfrische, in: Die Gartenlaube, 1887, Heft 36;
Johann Heinrich Voß: Der Herbstgang, 1794, UB Kiel
Eintrag in der GND: [1]
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[Nr. 214, S. 1]

Herbstfrischen.
Von Dr. med. F. Walther.
(Nachdruck verboten.)     

Der Schwarm der Ferienausflügler ist nunmehr wieder heimgekehrt. Der Sommer schwand. Jetzt läßt es sich wieder aushalten in den Straßen der Stadt, die in der Glut des Hochsommers eine schier unerträgliche Hitze entwickelten. Und doch – schöner ist es immerhin draußen.

Nur daß sich die Menschheit, der Macht der Gewohnheit folgend, im Herbste nicht hinaustraut in die Natur. Im Herbste reisen? Offenbarer Unsinn! Dazu ist doch der Sommer da! Trotzdem gilt der Herbst mit Recht bei vielen für die schönste Jahreszeit, und langsam beginnt sich auch die Ansicht Bahn zu brechen, daß Herbstreisen mancherlei Vorzüge vor Sommerreisen haben. Nicht nur den der Billigkeit!

Der Gedanke der Herbstfrischen ist nicht neu. Ich erinnere mich da an ein Schriftchen von Dr. Adams, das sich in eingehendster Weise mit der Reise im Herbst beschäftigt. Nach ihm bilden der Monat September und die erste Hälfte des Oktober die wahre Reisezeit. Das gleichmäßigere Wetter des Herbstes regt durch seine größere Kühle zu ausgedehnteren Fußwanderungen an und gewährleistet eine Erfrischung und Kräftigung des Körpers und des Geistes, eine Vorbeugung vor künftigem Krankwerden wie kein anderes Hilfsmittel. Die Fußwanderung droht beinahe der Vergessenheit anheimzufallen, wenn nicht alljährlich wenigstens eine Herbstreise dazu auffordert. Es ist so erfrischend, bei schöner Herbstbeleuchtung in die klare Ferne zu blicken und in der buntgefärbten Landschaft sich zu ergehen. Die Länge des Tages beträgt im September 13½–12 Stunden. Im Oktober hat der Tag noch 11½–10 Stunden; er verkürzt sich im November auf 9½–8½ Stunden. Mit Sonnenaufgang verlasse man das Zimmer und benutze den ganzen Vormittag zu einem Ausfluge, oder man dehne denselben bald auf den ganzen Tag aus, sorge aber, daß man vor Sonnenuntergang wieder zu Hause ist. Dann mahnt der Appetit zu frühem Abendbrote, und in dem tagsüber wohlgelüfteten Zimmer gibt man sich nach den Tagesstrapazen abends und in der Nacht einer erquickenden 10–12stündigen Ruhe hin. Neu gekräftigt begrüßt man am andern Tage die erfrischende Morgenluft und beginnt sein Tagewerk: „das Wandern“ von neuem.

Ganz wesentlich milder stellt sich das Klima im Herbst und Winter dort dar, wo ein durch hohe Bergzüge geschütztes Höhental zugleich nach einer Seite offen ist und zwar nach der tiefer liegenden Ebene zu. Dann streicht nämlich dauernd, wie der tagtägliche Beweis ergibt, die kühlere, schwerere und darum sich senkende Luft langsam und unmerklich nach dem tieferen Flachlande ab, und die Temperatur hält sich erwiesenermaßen in einem solchen Höhentale konstant um mehrere Grade höher.

Ein solches Klima ist naturgemäß für abgespannte und erholungsbedürftige Menschen hervorragend wertvoll und jedenfalls viel bekömmlicher, als die in der Hochsaison in den verschiedenen Bädern oft sehr erhebliche Hitze. Von diesem Gesichtspunkte aus haben sich auch bereits Beard, der für Nervenschwäche kurze Erholungsreisen auf das Land im Herbste mit ruhiger Lebensweise und Zurückhaltung von allen Geschäften empfiehlt, so wie Dr. von Krafft-Ebing mehrfach für die Herbstfrische ausgesprochen.

Ueberhaupt sind wir Aerzte uns seit langem darüber einig, daß die Herbstluft, namentlich in Höhentälern, außerordentlich günstig auf erholungsbedürftige Menschen einwirkt. Besonders gibt der Herbstaufenthalt bei Entwickelungschlorose mit vorübergehenden Amenorrhöen unter kräftiger Ernährung, Bädern, Bergsteigen, aktiver und passiver Gymnastik die besten Resultate. Die Herbstluft regt zu Leibesübungen an und empfiehlt sich auch schon deshalb allen Nervenleidenden, auf welche die größere Ruhe und Isolierung einen äußerst wohltuenden Einfluß haben muß.

Professor Reclam spricht sich ebenfalls für die Herbstreisen aus. „Die Reisemonate werden bestimmt teils durch die Mode, teils durch den äußeren Zwang. Die vornehme Welt tritt gewöhnlich schon im Mai ihre Wallfahrt nach Italien an. Die Neulinge sind meist sehr erstaunt, wenn sie in Neapel oder Genua den Frühling gelegentlich ebenso kühl und regnerisch finden, wie er bei uns ist, und dort mehr frieren, als sie bei uns gefroren haben würden. – Im Juni sind die menschlichen Zugvögel am seltensten; der Juni ist aber für das Gebiet des Deutschen Reiches bei gutem Wetter der eigentliche Wonnemonat. – Im Juli beginnt die Völkerwanderung. Er ist der Monat der Schulferien. Wer es irgend vermag, benutzt sie. Sommerfrischen und Bäder sind überfüllt. Wer für einen anderen Monat Zeit zum Reisen gewinnt, der wähle sich den Herbst.“

Diejenigen, denen also der Sommer keinen Urlaub brachte, oder deren Finanzen eine Badereise in der Saison nicht gestatteten, brauche deshalb nicht unglücklich zu sein. Sie mögen mit H. Voß hinaus wandern in die sterbende Welt und des Dichters Verse aus dem „Spaziergang im Herbst“ wohl erwägen:

O geh am sanften Scheidetage des Jahres zu guter Letzt hinaus
Und nenn ihn Sommertag und trage den letzten schwer gefundnen Strauß!
Bald steigt Gewölk und schwarz dahinter der Sturm und sein Genoß, der Winter,
Und hüllt in Flocken Feld und Haus.
Ein weiser Mann, ihr Lieben, haschet die Freuden im Vorüberfliehn!
Natur, wie schön in jedem Kleide, auch noch im Sterbekleid, bist du!