Hercules (Die Gartenlaube 1867/5)

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Autor: unbekannt
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Titel: Hercules
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 74–76
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Roß und Reiter nach dem Krieg
Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege Nr. 7
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Erinnerungen aus dem letzten deutschen Kriege.
Nr. 7. Hercules.

Der König von Hannover hatte während seines achttägigen Aufenthaltes in Langensalza sein Absteigequartier in dem höchst geschmackvoll eingerichteten Schießhause am Mühlhäuser Thore genommen. Zwischen diesem und der Stadtmauer befindet sich in geringer Vertiefung der ehemalige, jetzt ziemlich aufgefüllte Stadtgraben, während des Sommers und bei trockener Witterung von der Garnison als Reitbahn und Exercirplatz benutzt. An dieser sogenannten Reitbahn läuft in einer Höhe von etwa acht bis zehn Fuß ein Fuß- und ein Fahrweg. Der erstere ist als Promenade in seiner ganzen Länge an beiden Seiten mit Lindenbäumen bepflanzt.

Obwohl es im schönsten Sommermonat, im Juni, war, wo Alles grünt und blüht, so bot die lange Baumreihe dennoch einen gar traurigen Anblick. Die unteren Zweige der stattlichen Linden hingen blätterlos und zerknickt herab, der Luftzug schlug sie ächzend, wie klagende Arme, zusammen, die Stämme selbst hatten ihr gesundes Grüngrau verloren und ein schmutziges Braunroth angenommen. Wie geschah das? Es sei in Nachstehendem erklärt.

Die stolzen Sieger in der Schlacht bei Langensalza waren nach kurzer Spanne Zeit nur noch eine ungeordnete Schaar, welche mit Quersack, Mütze und Stock in die Heimath zurückkehrte. Die Capitulation des 29. Juni zwang sie, mit Ausnahme der Officiere, Pferde, Wehr und Waffen in den Händen ihrer Feinde zu lassen und ohne kriegerische Ehren abzuziehen. Viele der Heimkehrenden, darunter besonders die Familienväter, zeigten freudige Gesichter, andere gingen mit tiefbetrübter Seele von dannen. Dieses war besonders mit den meisten Cavaleristen der Fall. Ihr Unmuth war nicht ohne Grund und Entschuldigung.

Als ich an dem genannten Tage nach Langensalza kam, fand ich auf Straßen und Plätzen ein ungewöhnliches Menschengewühl. Ich brauchte nicht lange nach der Ursache zu forschen. Die hannöversche Cavalerie erschien von nah und fern, um ihre Pferde in die Hände der preußischen Commissäre abzuliefern. Vor dem Mühlhäuser Thore, in der Nähe des königlichen Hoflagers, geschah die Uebergabe und hier war das Gedränge von Mensch und Thier am stärksten. In langen, unübersehbaren Reihen, auf Promenade und Fahrweg, standen Roß und Reiter, aber wo war der kecke, übersprudelnde Lebensmuth des Letzteren geblieben und was hatte sein feuriges Roß so still und traurig gemacht? Matt und gleichgültig blickte es in das Gewühl oder nagte, wie unbewußt, an Blatt und Schale des Baumes, unter welchem es gegen den strömenden Gewitterregen nur einen schwachen Schutz fand. Mager, abgefallen und verkommen, im Schmutze starrend – also das sonst so schmucke, glänzende Thier.

Gleich in der ersten Reihe erblickte ich einen Schimmel, welcher mir sehr bekannt vorkam. Ich trat näher, richtig: Mann und Pferd gehörten am Tage vor der Schlacht zu meiner Einquartierung; das schöne Thier hatte schon damals meine Aufmerksamkeit erregt, in seiner jetzigen Abgetriebenheit und Lähmung erkannte ich es nur als Schimmel und an seinem Herrn wieder. Bei meiner Annäherung erinnerte sich der Hannoveraner auch meiner Person, streckte mir die Hand entgegen und rief: „Ah, sind Sie nicht mein freundlicher Wirth aus dem Dorfe –“

„N …,“ ergänzte ich, als ihm der Name unseres Ortes nicht gleich beifallen wollte.

„Richtig, N …,“ wiederholte er. „Ich erzählte Ihnen, daß mein Vater ebenfalls ein Bauer sei, ein Ostfriese, was Sie sehr interessirte. Lassen wir das jetzt, aber eine herzliche Bitte: hier ist ein Thaler; hätten Sie wohl die Güte, dafür in dem nächsten Bäckerladen ein Brod, vielleicht auch ein Glas Branntwein zu kaufen? Nicht wahr, du armer Hercules,“ wandte er sich an sein Roß, „hast gestern Abend die letzte Ration bekommen und seitdem nicht ein Körnchen Hafer gesehen. Wir armen Schelme haben keine Fourage mehr und die Preußen geben noch nichts her; so muß ich selbst mich deiner erbarmen. Dein Knappern an der Baumrinde sagt mir zur Genüge, wie es mit dir steht.“

Mit größter Bereitwilligkeit sprang ich nach dem Bäcker und brachte das Verlangte, auch holte ich noch aus dem nahen Gasthofe einen Eimer frischen Wassers. „Dank, tausend Dank,“ rief er, als ich mit dem kühlen Trunke ankam. „Sie sind ein braver Mann und haben auch ein Herz für die unvernünftige Creatur. Was doch das arme Thier so begierig frißt und dabei seine dankbaren Blicke auf uns richtet! O, es ist ein kluges Pferd und weiß so genau, wie ein Mensch, wer es mit ihm gut meint!“ Und in der That, bei jedem Bissen, welchen sein Herr darreichte, bog und bewegte es nach Pferdeart die Ohren, blickte ihn freundlich an, stieß ihn mit dem Kopfe, gleichsam als wollte es Scherz und Kurzweil mit ihm treiben, wieherte, hob die Augen nach seinen vierbeinigen Gefährten mit dem bedeutungsvollen Blicke: Wer von euch hat einen solch’ guten Herrn, der den Bissen des Mundes theilt?

„Sie haben wohl Ihr Pferd recht lieb?“ frug ich den Dragoner, als ich die gegenseitige Zärtlichkeit des Rosses und seines Reiters sah. „Trifft man solche Zuneigung auch bei Ihren Cameraden?“

„Ja,“ antwortete er, „der hannoversche Cavalerist liebt sein Pferd; kann es anders sein? Wer die Einrichtung und Geschichte unserer Cavalerie kennt, den wird das nicht befremden. Cavalerist und Pferd sind zwei Wesen zwar, aber fast wird man versucht, mit dem Dichter[WS 1] zu sprechen: ‚Zwei Seelen und ein Gedanke, zwei Herzen und ein Schlag!‘ Lache man immerhin, aber es ist so. Der Reiter hat nur Sinn für sein Pferd und dieses kennt und liebt nur ihn; auch sieht er es völlig als sein Eigenthum an, denn es ist nicht selten auf seiner väterlichen Besitzung geboren, groß geworden, mit dem Stammerben in’s Regiment getreten. Zwar hat es der Staat käuflich übernommen und seinem zeitherigen Besitzer nur klüglich zum Gebrauch überlassen, denn in dessen Hand scheint es ihm am besten aufgehoben; aber daran denkt der sogenannte ‚Bauernjunge‘ nicht mehr, ihm ist sein Pferd immer noch sein Eigenthum, sein bester Freund. In dieser glücklichen Täuschung erhält ihn der Staat selbst, indem er ihm das Thier, wenn es gehörig dressirt ist, mit auf die väterliche Besitzung [75] giebt, um es dort zu pflegen und täglich ein Stündchen auszureiten. Diese Dienstleistung und Pflege wird zwar vom Regiment aus überwacht, aber man hätte das kaum nöthig, denn eine Vernachlässigung des Rosses ist fast beispiellos. Nach Ablauf einer gewissen Frist wird der Cavalerist mit seinem Rosse zu einer Uebung im Regimente zurückgerufen und erntet gewöhnlich wegen der vorzüglichen Pflege und des guten Zustandes seines Thieres Lob und Anerkennung. Nach dem Regimentsexerciren kehrt er mit ihm in die Heimath zurück.

Sie können sich, mein lieber Herr, denken, daß der Cavalerist sich nicht blos die gute Pflege und Dressur seines Pferdes zur Aufgabe macht, nein, seine Muße und die Liebe zu demselben treiben ihn nicht selten zu einer wahrhaft künstlerischen Ausbildung. Viele unserer Cavaleristen mit ihren Pferden könnten jeden Augenblick vor einem gewählten, kunsterfahrenen Publicum mit den seltensten Kunstreiterstücken zur Schau auftreten. Auch mein Schimmel ist wohldressirt. Erlauben Sie mir als Beispiel nur einen kleinen Scherz. „Hercules,“ rief er diesem zu, „gieb mir einen Fuß!“ Das Pferd hob den rechten Vorderfuß. „Einen Kuß!“ Es spitzte und reichte die Lippen. „Mache ein Compliment!“ Es kniete mit beiden Vorderfüßen nieder und bog den Kopf. „Wie spricht das Pferd?“ Laut begann es zu wiehern. „Hast Du Deinen Herrn lieb?“ Es nickte, legte mit sichtbarem Verständniß seinen Kopf auf dessen Schulter und strich mit demselben seine Wangen. „Was machst Du mit dem Feinde?“ Bei dieser Frage richtete es sich, trotz des verwundeten Hinterfußes, stolz in die Höhe, spitzte die Ohren, blies die Nüstern weit auf, blickte wild um sich und endlich stieg es kerzengerade zur Luft hinein, biß, hieb und schlug wild um sich. „Bravo, mein treues Thier, aber was ist das Ende von Reiter und Pferd?“ Bei diesen Worten begann er das bekannte Lied zu singen: „Morgenroth, leuchtest mir zum frühen Tod.“ Kaum hatte das Roß seine Anfänge vernommen, als alle seine Wildheit verschwand; es sank zusammen, fiel auf die Kniee, reckte und streckte sich und lag nun scheinbar ohne Leben völlig todt. Der Reiter sang weiter, aber nicht mehr allein, die umstehende Jugend begleitete theilnehmend den ernsten, schönen Gesang, und Alte und Junge weihten dem Reiter und seinem Pferde eine Thräne des Mitleids.

„Erhebe Dich, mein treues Roß,“ gebot der Dragoner, als er sich wieder gesammelt hatte, „es kommt jetzt die gefürchtete Stunde der Trennung!“ Er deutete auf die sich nähernden preußischen Commissäre, welche den hannöverischen Cavaleristen ihre Pferde abnahmen. Mühsam erhob sich das Pferd; seine, wenn auch leichte, aber vernachlässigte Wunde machte ihm sichtbar große Schmerzen.

Je mehr sich die preußischen Officiere näherten, desto größer wurde die Aufregung des Dragoners. Der Mann that mir herzlich leid; er war ein ziemlich junges Blut, dazu der Sohn eines Landmannes; ich selbst war ein solcher und besaß auch einen Sohn, über dessen Schicksal ich jetzt in großer Sorge lebte; denn er kämpfte in der preußischen Armee gegen Oesterreich. Das Alles bewegte mein Herz nur noch mehr zum Mitleid und ich beschloß, den Armen nicht zu verlassen.

„Sind Sie krank?“ frug ich theilnehmend, als ich sein öfteres Erröthen und Erblassen bemerkte; „haben Sie selbst vielleicht eine Wunde?“ Bei diesen Worten sah er nach dem linken Arm und sprach: „Allerdings habe ich einen Streifschuß in den linken Arm bekommen und das Bivouac bei Tag und Nacht im strömenden Gewitterregen hat die Wunde verschlimmert. Das Alles möchte sein, wenn ich nur Pferd und Waffe behielt und nicht wie ein Lump abziehen müßte. Das Bitterste dabei ist: Ich selbst muß hier stehen und das treue Thier abgeben. Nicht wahr, Hercules, Du glaubst es nicht, wenn man Dir erzählt, daß Dein Herr allein und ohne Dich nach Hause ziehen will? Hast ihm so treu gedient, ihn aus dem starren Bajonnetwalde durch die Tausende der Geschosse des Feindes getragen; hast Dich ihm dadurch mit Leib und Leben verdient und erkauft; auf seiner Scholle denkst Du nun zu leben und dereinst zu sterben. – Und wenn Du nun erfährst, daß all’ Dein Hoffen und Wünschen Traum und Schaum war, fremde Hände Dich zu eigen nehmen und Dir statt zärtlicher Liebkosung Fußtritte geben: o, wie wirst Du dann über menschliche Undankbarkeit klagen und selbst Deinen Herrn nicht verschonen! Und doch, Hercules, bin ich unschuldig, behielte Dich so gern und darf doch nicht.“ –

„Camerad,“ rief ich besorgt, „Sie sind krank. Entschlagen Sie sich solch’ trüber Gedanken. Ihr und des Pferdes Schicksal ist nicht zu ändern; fügen Sie sich in’s Unabänderliche. Nehmen Sie Abschied von Ihrem Rosse, schnell, die preußischen Herren treten heran!“

Da faßte der wahrhaft unglückliche Mann das Pferd um den Hals, flüsterte: „Kuß, Hercules!“ und gab ihm noch unzähliche Küsse, die zärtlichsten Namen und Liebkosungen, wandte sich endlich, hielt die strömenden Augen zu und eilte ohne Umsehen zum Thore hinein. Ich folgte ihm, nahm ihn auf meinen Wagen und führte ihn mit nach Hause. Die Erlaubniß, einen kranken und verwundeten Soldaten in Privatpflege zu nehmen, erhielt ich sehr leicht. Beides, verwundet und krank, war mein Dragoner. Der untersuchende Arzt sagte: „Die an sich ungefährliche Schußwunde im Arm hat sich durch Erkältung und Vernachlässigung sehr entzündet und muß fleißig gekühlt werden; außerdem fiebert der Mann stark; man lasse ihn nicht aus den Augen, Arzenei ist für jetzt nicht nöthig.“ –

Schon am Abend desselben Tages wurde das Fieber sehr heftig und in der Nacht lag der Patient in wilden Phantasien. Ich zog am andern Tage den Arzt des nahen Marktfleckens zu Rathe; denn ich fühlte für den jungen Mann das innigste Mitleiden und mochte ihn gern dem Leben und seiner Familie erhalten. Meine Gattin und die andern Hausgenossen übernahmen am Tage seine Pflege, ich selbst und ein zuverlässiger Knecht bewachten ihn in der Nacht.

An einem der folgenden Tage rief mich die in öffentlichen Blättern angekündigte Auction dienstuntauglicher Cavaleriepferde wieder zur Stadt. Wer beschreibt mein Erstaunen, als ich bei der Durchmusterung der zu Verkauf stehenden Rosse den Schimmel Hercules erblickte! Um mich jeden Zweifels zu entledigen, trat ich zu dem Thiere und rief den Namen Hercules! Es spitzte die Ohren und wieherte leise, als frage es schüchtern: „Wer kennt meinen Namen und bekümmert sich noch um mich?“ Da faßte ich einen raschen Entschluß; ich dachte: „Wo acht Pferdemäuler satt werden, findet auch noch ein neuntes Raum und Futter,“ und beschloß, das Pferd zu kaufen. Es war das keine leichte Sache, nicht des Geldes, nein, des Spottes wegen, der von Seite meiner Bekannten und Gutsnachbarn nicht ausbleiben konnte.

Und so geschah es. Als die Reihe an den klapperdürren, lahmen Schimmel kam und der Auctionator das Angebot mit drei Thaler that, mit den Worten: „Ein Schimmelpferd, Schuß durch den linken Hinterfuß!“ folgte in der ganzen großen Versammlung kein Nachgebot. Da faßte ich mir ein Herz, legte einen Thaler zu und rief: „Vier Thaler!“ Um es kurz zu machen, ich erhielt das Roß unter allgemeinem Gelächter und Spott. Das wurmte mich doch ein wenig und schier mochte ich es dem armen Thiere auf dem Heimwege entgelten lassen; aber je weiter ich mich von den Spöttern entfernte, desto friedlicher wurde meine Stimmung. Zuletzt konnte ich ein förmliches Zwiegespräch mit ihm halten; freilich hatte sein Trübsinn nie eine Antwort, ich mußte sie mir immer selbst geben. Am glücklichsten fühlte ich mich, wenn ich an den Herrn des Pferdes dachte. „Was wird der Dragoner sagen,“ sprach ich zu mir selbst, „wenn er sein Roß erkennt und wieder erhält!“

Mit dem Kranken stand es übel; er sah und hörte nicht, ein heftiges Nervenfieber hatte ihn ergriffen, und so mußte ich vorerst auf die Hoffnung, durch den Kauf und Anblick seines Pferdes beruhigend auf sein Gemüth zu wirken, Verzicht leisten.

Auch von Seite meiner Angehörigen und Dienstleute wurde mir bei der Einführung des lahmen Schimmels ein spöttischer Willkomm und selbst die Hausfrau verschonte ihren Eheherrn nicht; ich aber blieb ruhig und gelassen, denn ich wußte, was ich that. Zunächst ließ ich das beschmutzte Thier und seine stark entzündete Wunde gründlich reinigen, die letztere fleißig kühlen und bot dem Rosse mit eigener Hand sein Futter. Es schnoberte an dem Hafer, zog auch einige Hälmchen Heu von der Raufe, aber dabei blieb es. Ein Fressen zum Sattwerden war das nicht. Was war zu thun? Wie ein Blitz kam mir ein Gedanke in die Seele. Ich rief den Kleinknecht, gebot ihm, die Uniform des Dragoners und einen der umherliegenden Caraleriesäbel anzulegen, und in solcher Gestalt, aber ohne jedes laute Wort, den Schimmel zu füttern. Bei diesem Aufzuge gab es unter den Dienstleuten, welche meine Absicht nicht begriffen, wieder ein lautes [76] Gelächter, die beabsichtigte Wirkung jedoch erreichte ich völlig. Der Schimmel, getäuscht durch die Uniform und das Klirren des Säbels auf dem Steinpflaster, wieherte freudig auf, drehte und wandte sich bei jedem Tritt und Schritt seines vermeintlichen Herrn und erzeigte ihm alle die zärtlichen Liebkosungen, welche wir bereits kennen, ähnlich einem Kinde mit der heimkehrenden Mutter. Nur zuweilen schien eine Ahnung der Wahrheit das treue Thier zu beschleichen. Es war auch an zärtliche Worte gewöhnt und sein jetziger Pfleger blieb immer stumm, obwohl er es wie sein wirklicher Herr streichelte und liebkoste. Von Stund’ an nahm das Roß etwas mehr Nahrung zu sich und nach wenig Tagen schon trat es kräftiger auf, glättete sich und lähmte immer weniger.

Wie ging es aber mit seinem jungen Herrn? Nun, ein Gewittersturm biegt den jungen kräftigen Baum, bricht ihn aber nicht gleich. So geschah es mit unserem Kriegsmann. Das Fieber tobte gewaltig in seinen Adern und fast schien es uns, als solle er, statt auf dem Bette der Ehre, hier auf ruhmlosem Krankenlager enden. Die rüstige Jugendkraft siegte endlich, das Fieber schwand, die Besinnung kehrte zurück, doch nicht der fröhliche Jugendmuth, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Selbst Gedächtniß und Interesse für das treue Roß schienen dem Armen erloschen. Nie sprach er von demselben, nie nannte er seinen Namen; auch für alles Andere war er theilnahmlos und verbrachte die Tage in einem stillen, traurigen Dahinbrüten. Dieser Zustand ging mir zu Herzen und ich sann auf ein Heilmittel. Es lag dieses so nahe und so entging es mir nicht lange.

An einem der nächsten Tage, als ich den Gemüthskranken wieder in diesem melancholischen Hinbrüten fand, redete ich ihn an und sprach: „Camerad, wenn Sie sich wieder kräftig fühlen, sollen Sie mich gelegentlich in den Pferdestall begleiten, um Ihr Urtheil über ein angekauftes Pferd abzugeben. Sie sind Pferdekenner und werden seinen Werth richtig taxiren!“ Bei diesen Worten erröthete und erblaßte der Angeredete abwechselnd und über seinen ganzen Leib ging ein heftiges Zittern. Schon sah ich in den Zornblitzen seiner Augen einer abschlägigen Antwort entgegen, er kämpfte die Regung des Unwillens nieder und erwiderte mit trauriger Stimme: „Morgen, lieber Herr, nicht heute, ich muß mich erst an den Anblick eines Pferdes gewöhnen!“ Er hielt den Kopf nieder, verdeckte die Augen und weinte. Ich versuchte keine Tröstung; Thränen lindern den Schmerz, auch hoffte ich von meinem Heilmittel das Beste.

Am nächsten Morgen legte er das bequeme Hauskleid ab und zog die Uniform wieder an, und so begaben wir uns nach den Pferdeställen. Hercules hatte ganz am Ende seinen Stand und war jetzt mit dem zweiten Frühstück in angenehmer Beschäftigung. Auf dem kurzen Wege sprach ich vorbereitend zu meinem Begleiter: „Das angekaufte Pferd ist auch ein Schimmel. Sie werden sich über seine große Aehnlichkeit mit dem Hercules wundern, selbst die Schußwunde am Hinterfuß hat das Thier!“ Bei dieser Mittheilung blieb der Dragoner einen Augenblick stehen und sah mich forschend an. In seiner Seele schien eine Ahnung aufzusteigen, dann schritt er hastig auf den Stall los, öffnete und that einen raschen Blick hinein. Nur der Schimmel war darin, die Gespanne befanden sich auf dem Felde.

Dieser eine Blick genügte, um den Liebling wieder zu erkennen. „Hercules, mein Hercules, Du lebst noch, ich habe Dich wieder!“ rief der Dragoner mit zitternder Stimme. In fliegender Eile stürzte er nach dem Rosse, welches bei dem Klange seiner Stimme die Ohren spitzte und mit einem freudigen Wiehern antwortete. Aber die Gefühle des Schwergeprüften waren zu stark, die Ueberraschung allzu gewaltig; er sank in die Kniee und es dauerte lange, ehe die Schwäche verging. Während das geschah, zeigte sich auch Hercules sehr aufgeregt; er riß an den Ketten, drehte sich bald rechts, bald links und hieb und schlug um sich. Langsam führte ich meinen Mann nach dem unruhigen Rosse, indem ich lächelnd sprach: „Erkennen Sie den Schimmel? Habe ich es Ihnen zu Danke gemacht? Na, nun sind Reiter und Roß wieder beisammen. Erzählt einander, wie es Euch ergangen.“ Der Dragoner umschlang das treue Thier und herzte es viele Male. Die Freude und Ueberraschung ließen ihn nicht zu Worte kommen; ich aber verließ ihn aus Schonung seiner Gefühle.

Was war die Folge dieses Besuches? Hercules gebehrdete sich sehr unartig, als sein Herr ihn wieder verlassen wollte, und dieser war genöthigt, sein Nachtlager, wie damals im Bivouac, neben ihm aufzuschlagen. Bei meiner Besorgniß sprach der junge Mann: „Tragen Sie um meinetwillen keine Sorge, Hercules thut seinem Herrn nichts zu Leid und die milde Sommernacht kann mir unmöglich schaden. Ich werde einige Tage neben dem verwöhnten Burschen campiren, bis er seine Unart und Heftigkeit wieder abgelegt hat.“ Am späten Abend ließ ich Reiter und Roß neben einander betten und verließ Beide in sehr zufriedener Stimmung. Jetzt nun begriffen auch die Dienstleute meine Passion für den Schimmel und lachten nicht mehr.

Ich brauche wohl kaum zu erzählen, daß der junge Reitersmann mit seinem Pferde in stündlicher Gemeinschaft, in wahrhaft cameradschaftlichem Umgange lebte und Beide von Tage zu Tage an Kräftigung und Wohlgefallen zunahmen. Der junge Mann besorgte jetzt die Wartung und Pflege seines Rosses mit eigener Hand, führte es auf der nahen Wiese spazieren und übte und stärkte dessen lahmen Fuß. Durch diese Beschäftigung vergaß er seines Leides, schöpfte neuen Lebensmuth und gewann die alte Spannkraft zurück.

Endlich waren Reiter und Roß völlig genesen. Das letztere warf den schönen Hals stolz in die Höhe, streckte den Schweif weit von sich und stieg keck und kerzengerade in die Luft. Sein schlanker Leib hatte sich mit glänzendem Haar bedeckt, die Haut ließ jede Ader und Muskel durchschimmern, die Füße tanzten in Lust und Leben. Wie gafften und neideten bei diesem Anblick die damaligen Lacher und Spötter!

Eines Tages kam Besuch auf das Gehöft, Besuch von weit her. Der langgestreckte Korbwagen und das eigenthümliche Pferdegeschirr verwiesen aus Hannover. Errathet ihr die Namen der fremden Gäste? Es waren Vater und Bruder unseres Dragoners, aus weiter Ferne gekommen, den Schmerzlichentbehrten heimzuführen.

Groß war die Freude des Wiedersehens! Auch das treue Roß erhielt davon seinen gebührenden Antheil. Der Abend war nicht lang genug, all’ die Erlebnisse von Reiter und Pferd zu erzählen; die Nacht noch fand uns in tiefen Gesprächen. Die Lage des Vaterlandes machte Allen großen Kummer. Es gelang mir auch hier, lindernden Balsam zu bringen.

An einem der folgenden Morgen fuhr der Korbwagen wieder vor, an dessen Seite Hercules, lose angebunden, die Rückreise machen sollte. Als sein Herr das Thier herbeiführte, rief er ihm zu: „Hercules, bedanke Dich bei den Stallleuten!“ Diese hatten sich allesammt am Wohnhause aufgestellt. Hercules verbeugte sich mit dem Kopfe und hielt ihnen mit seinen Zähnen ein kleines Päckchen entgegen. Es war ein werthvolles Geschenk für seine Pfleger. Dann drehte der junge Mann das Thier und rief ein zweites Mal: „Nun, Hercules, bringe auch unserem guten Hausherrn deinen Dank!“ Bei diesem Befehl kniete es nieder und berührte mit den Lippen meine Hände und Kleider, gleichsam um sie zu küssen. Dann sprang das kluge Thier auf und wieherte laut, als ahne es den Heimzug. – Sein Herr selbst hatte bei der Tiefe seiner Gefühle kein lautes Wort. Er drückte uns fest an sein lautschlagendes Herz und sprang dann hastig zu den Seinigen in den Wagen. – „Ade, Ade, Ihr guten Thüringer! Lebt wohl, lebt Alle wohl!“ – Ein lauter Peitschenknall – und dahin sauste der Wagen. Lange sahen wir die weißen Tücher wehen und hörten den muthigen Schimmel wiehern, endlich verschwanden die lieben Gäste unseren Blicken, aber des Reiters und seines Rosses werden wir nie vergessen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Friedrich Halm (eigentlich Eligius Franz Joseph Freiherr von Münch-Bellinghausen), 1806–1871.