Hermann’s Hort in Hildesheim

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Hermann’s Hort in Hildesheim
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 796–799
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[796]

Hermann’s Hort in Hildesheim.

Es war am 17. oder 18. October dieses Jahres um die Mittagszeit, als sich in der guten Stadt Hildesheim das Gerücht verbreitete, daß in der Nachbarschaft ein großer Schatz gefunden worden sei. Dasselbe bestätigte sich, und bald war der Fund in Aller Munde. Wochenlang bildete er dann das Gespräch der Stadt, das Räthsel, an dem alle Welt mit rieth, die Zufallsgabe, über deren Vertheilung jeder sein Urtheil abgeben zu müssen meinte.

Und in der That war der Schatz ein der Besprechung in weiten Kreisen in ungewöhnlich hohem Grade würdiger Gegenstand. Denn abgesehen davon, wie hoch man seinen Metallwerth taxirt hat, erwies sich sein Kunstwerth als höchst bedeutend, und sodann stammen die gefundenen Gefäße ohne Zweifel zum größten Theil und wahrscheinlich alle aus der Zeit der ersten römischen Kaiser. Ja, wenn ein gewisses Stückchen Pergament nicht wäre, welches in einem der Gefäße gelegen haben soll, oder wenn ein gewisser Archivar, der auf diesem Pergamentfragment ein gewisses neuhochdeutsches Wort las, nicht zu scharfe Augen gehabt hätte, so wäre die Vermuthung nichts weniger als zu kühn, daß der gefundene Schatz, der beiläufig jetzt nach Berlin gewandert ist, nichts Geringeres sei, als ein Theil der Beute aus der Befreiungsschlacht im Teutoburger Walde, der Schatz eines der germanischen Häuptlinge, die jene Schlacht mitschlugen, vielleicht der Hort des Helden, der ihr oberster Führer war, Hermann’s des Befreiers also.

Die deutsche Gründlichkeit wird darüber bald auf’s Reine kommen, und muß sie dem bedächtigen Archivar Unrecht geben, so wird das deutsche Volk an dem Hildesheimer Fund einen geradezu unvergleichlichen Schatz besitzen, ein Kleinod ersten Ranges, ebenso schön als ehrwürdig durch seine Beziehung zu einem der größten Ereignisse unserer Geschichte.

Der Ort, wo der Schatz gefunden wurde, liegt am westlichen Fuße des Galgenberges und gehört dem preußischen Fiscus. Die Finder waren Soldaten, die hier einen Schießstand ausgruben. In der Tiefe von neun Schuh stieß ihr Spaten auf eine hohle Stelle. Etwas wie ein Stück verrostetes Metall kam zu Tage. Unten in der Erde glänzte es wie Silberbruch. Die Leute gruben vorsichtiger weiter, und siehe da, ein reicher Schatz silberner Gefäße zeigte sich ihren überraschten Blicken. Einzelnes war von der Feuchtigkeit zerstört und gelangte nur in Bruchstücken an’s Licht, das Meiste erwies sich, nachdem es kunstgerecht gesäubert war, als wohl erhalten, wozu die Reinheit des Metalles, welches nur einen geringen Zusatz von Kupfer hat, wesentlich beigetragen haben wird. Kenner aber gaben schon auf den ersten Blick ihr Urtheil dahin ab, daß der Fund, dessen Silberwerth jetzt auf etwa dreitausend Thaler veranschlagt wird, in Betreff des Kunstwerthes der einzelnen Gefäße beinahe unschätzbar genannt werden müsse.

Eins stand zunächst fest: die gefundenen Vasen, Schalen, Becher, Kandelaber, Tiegel etc., im Ganzen einige fünfzig Stücke, hatten das Küchen- und Tafelgeräth eines Fürsten oder sonst eines vornehmen Mannes gebildet, und diese Ansicht ist nicht angefochten und widerlegt worden.

Anders verhielt sich’s mit der Meinung, die man anfänglich über die Kunstperiode hegte, welche diesen Gegenständen ihre Gestalt gegeben. Edle, der Antike entnommene Formen, reiche Masken, trefflich erfundener Thier- und Blätterschmuck ließen auf Arbeiten der Renaissancezeit, also auf Meister der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts schließen. Mehreres war offenbar von Künstlern ersten Ranges geschaffen, und man rieth bei einigen besonders vollendeten Stücken sogar auf den Großmeister jener glorreichen Schöpferzeit, Benvenuto Cellini.

Diese Ansicht, die unter Anderem auch von dem hochgebildeten [797] und um Hildesheim außerordentlich verdienten Senator Römer eine Zeitlang vertreten wurde, erhielt sich nicht lange. Sie stellte die betreffenden Gegenstände sehr hoch, aber bald hieß es: höher hinauf.

Am 25. October kam der Professor Friedrich Wieseler von Göttingen nach Hildesheim, um den Fund in Augenschein zu nehmen und wo möglich endgültig über die inzwischen aufgetauchte Frage zu entscheiden, ob nicht wenigstens einzelne Stücke desselben dem classischen Alterthum, der Griechen- und Römerzeit ihre Entstehung verdankten. Der Professor erschien ohne vorgefaßte Meinung und mit dem Entschluß, jedem Zweifel an der Herkunft der Gefäße aus altrömischen Werkstätten Gehör zu geben und jeder Spur einer Entstehung derselben in der Zeit der Renaissance sorgfältig nachzuforschen. Hatte sich doch bisher Niemand, auch nur im Traum, beikommen lassen, daß so hoch oben im Norden ein Schatz wirklich antiker Gefäße und Geräthe von solcher Menge und solcher Schönheit vorhanden sein könne.

Altrömischer Becher aus dem Hildesheimer Silberfund.

Allerdings sind im Bereiche der Landstriche, die früher das Königreich Hannover bildeten, römische Münzen, vorzüglich silberne, bisweilen in ziemlich großer Anzahl bei einander gefunden worden. Aber aus dem Gebiete der Gefäße von Edelmetall hat man hier nur eine kleine silberne Schale in Bruchstücken ausgegraben, und der Fundort derselben liegt weit entfernt von Hildesheim, bei Lengerich im Osnabrück’schen.

Ja noch mehr, nicht nur Hannover, nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa hat in neuerer Zeit noch nie einen Schatz altclassischer Kunstwerke von edlem Metall der Erde entsteigen sehen, der dem Hildesheim’schen gleich zu stellen wäre. Der im Jahre 1830 bei Bernay in der Normandie gemachte Fund dieser Art übertrifft den unsern nur nach der Zahl der Stücke (es waren 69) um etwas, steht ihm aber sonst in allen Beziehungen nach. In Pompeji ferner wurden 1835 Silbergefäße ausgegraben, aber es waren nur fünfzehn, und keines derselben war von höherem Werth als eins der am Hildesheimer Galgenberge zu Tage geförderten. Dort bei Bernay sodann war man auf dem Boden eines früher völlig romanisirten Landes, und hier in Pompeji hatte man eine in ihrer vollen Blüthe unvermuthet verschüttete Stadt Mittelitaliens vor sich, während in die Gegend Hildesheim’s Römer nur selten und nur vorübergehend gekommen sein konnten. Endlich sind auch die glänzenden Funde von ähnlichen Gegenständen, die in Südrußland vorkamen, dem Hildesheimer nicht überzuordnen; denn sie haben niemals soviel Silber auf einmal geliefert.

Altrömische Schale aus dem Hildesheimer Silberfund.

Nach alledem war große Vorsicht in der Beurtheilung geboten, und diese Vorsicht hielt den untersuchenden Göttinger Gelehrten auch dann noch von einem endgültigen Bescheid zurück als er sich nach kurzer Besichtigung des Fundes auf Grund des Kunstwerthes desselben stark der Ansicht zuneigte, daß derselbe mindestens in einigen seiner Theile in der That aus dem classischen [798] Alterthum herstammen müsse. Einige untergeordnete Stücke konnten recht wohl modernen Ursprungs sein. Für die besseren war die Möglichkeit, daß sie Schöpfungen eines nach classischen Mustern und mit dem Feinsinn der classischen Meister arbeitenden Künstlers der Zeit Raphael’s und Michel Angelo’s seien, nicht völlig ausgeschlossen. Einige anscheinend altrömische Inschriften, die man auf den Gefäßen erkannte, ließen sich in der Kürze der Zeit, die Wieseler in Hildesheim auf deren Untersuchung verwenden konnte, nicht mit genügender Genauigkeit betrachten.

So schied der Professor von Hildesheim, ohne auf’s Reine gekommen zu sein. Als er aber, nach Göttingen zurückgekehrt, das Detailstudium begann, schwand bald aller Zweifel. Schon am 30. October konnte er vor einem Kreise gelehrter Freunde als seine feste Ueberzeugung aussprechen, daß es sich hier um Erzeugnisse der besten römischen Kunstperiode handele, und diese Ansicht bestätigte sich, als später von Professor Sauppe die Inschriften, von denen man inzwischen mehrere, im Ganzen vierundzwanzig, entdeckt hatte, genau untersucht wurden, sowie durch eine Anzahl anderer zwingender Gründe.

Die einzelnen Stücke des Schatzes passen sämmtlich für die Tafel und die Küche eines reichen Römers. Es befinden sich darunter zunächst Aufbewahrungs-, Vertheilungs- und Mischgefäße von großen Dimensionen und schwerem Gewicht, sowie mehrere Schalen bis zu etwa zehn Zoll Durchmesser, die aus dem innern Boden mit erhabenen Reliefs geschmückt sind und wohl nur als Schaustücke auf den Tisch gesetzt wurden. Ferner treffen wir darunter Trinkbecher von verschiedener Art und Gestalt, zum Theil mit dem herrlichsten Bilderwerk bedeckt, welches sich auf Bacchus und seinen Dienst bezieht, Schüsseln, von denen die eine offenbar für Eier, eine andere vielleicht für Pasteten bestimmt war, große Teller mit oder ohne Arabeskenverzierung auf dem Rande, Casserolen und Tiegel. Sodann sind fünf kleine Gefäße dabei, die länglich-runden Präsentirtellern gleichen und, mit niedrigen Füßen versehen, zum Aufsetzen kleiner Vögel gedient zu haben scheinen. Auch das Salzfaß fehlt nicht. Zwei ovale Gegenstände, die am oberen Rande eine Auskehlung und unten ebenfalls Füßchen haben, sehen fast wie unsere Lichtscheerenschiffchen aus, werden aber Untersetzer gewesen sein. Endlich sind, um von weniger Bedeutendem abzusehen, die Ueberbleibsel einer rundlichen Cista (Schmuckkästchen), der Fuß von einem Lampenträger und von einem Dreifuß die drei Füße und drei Aufsätze, sowie mehrere Querstäbe dieses Geräthes vorhanden.

Alle diese Gefäße und Geräthe sind, wie bemerkt, von Silber, mehrere vergoldet, bei zweien findet sich Arbeit in Email. Sämmtliche Gegenstände passen nach ihrer Form durchaus in die Zeit, in welche Wieseler ihre Entstehung verlegt. Auch das ansehnliche Gewicht mehrerer Stücke spricht dafür. Seit in Rom während der Kriege mit Karthago der Gebrauch aufkam, von Silber zu speisen, aus Silber zu trinken, sehen wir, wie das Gewicht des silbernen Geräths, mit dem die Tafeln vornehmer Leute bedeckt waren, fortwährend zunahm; und schon vor Beginn der Kaiserzeit war auch das Küchengeschirr reicher Häuser von Silber.

Zu diesen Beweismitteln für die Ansicht, daß der Hildesheimer Silberfund aus dem römischen Alterthum stammt, kommen noch drei andere: die Inschriften der Gefäße, dann die Eigenthümlichkeiten der bildlichen Darstellungen, endlich das in technischer Hinsicht befolgte Verfahren.

Die Inschriften enthalten zum Theil altrömische Namen, meist aber Gewichtsangaben und zwar fast durchaus nur in Abkürzungen und Chiffern. Auf zwei der schönsten Pokale findet sich der Name eines Silberhändlers oder Silberschmieds Boccus oder Bocchus, der die Vornamen Lucius Mallius oder Malleolus führte, und daß es in der Zeit der ersten römischen Kaiser den Namen Boccus oder Bocchus gab, ist nachgewiesen. Wir kennen aus Plinius einen Schriftsteller Cornelius Bochus, und dessen Name war in Lusitanien, dem heutigen Portugal, sogar häufig. Andere Geräthe stammen aus anderer Hand, die Inschriften darauf bezeugen, daß sie aus den Werkstätten von noch vier anderen römischen Künstlern hervorgegangen sind, von denen einer sich Marsus, ein anderer sich Aurelius C. nennt. Das Gewicht ist in Pfunden sowie in Unzen und Scripula angegeben. Die Gestalt der Buchstaben weist auf die von Wieseler angenommene Zeit hin, ebenso die Art der Gewichtsangabe, desgleichen die Stelle, wo die Inschriften angebracht sind. Endlich entspricht auch die Ausführung der Buchstaben und Zeichen vollständig dem, was im Alterthum, vorzüglich bei Werken von edlem Metall, üblich war, d. h. sie sind entweder durch Punktiren oder durch Einritzen und zwar meistentheils in ersterer Weise hergestellt.

Schon das Gesägte läßt kaum noch Raum für die Ansicht, daß der Hildesheimer Silberfund viel jünger als der Anfang der christlichen Zeitrechnung sei, und von Renaissancearbeit ist wohl nicht mehr die Rede. Aber hören wir die Gelehrten weiter.

Von den beiden größeren Schalen mit Bildwerk auf dem inneren Boden zeigt die eine die vergoldete und etwa acht Zoll hohe Figur einer Minerva, die auf einem Felsen sitzt und den Kopf nach links wendet. Ihre Gewandung mit wundervollem Faltenwurf ist die gewöhnliche. Die Aegis liegt, schärpenartig übergeworfen, auf der linken Schulter. Das Haupt bedeckt ein Helm mit drei Roßschweifen, deren mittelster eine Sphinx zur Unterlage hat. Mit der linken Hand hält die Göttin einen großen runden Schild, der in der Mitte das Medusenhaupt zeigt, während der Rand mit Olivenblättern geziert ist, in der rechten aber nicht, wie gewöhnlich, die Lanze, sondern einen Pflug. Vor ihr endlich, etwas zur Rechten, sitzt auf einem Stein, an dem ein Oelkranz lehnt, die Eule, das heilige Thier der Göttin. Nun kommen drei Roßschweife auf dem Helm der Minerva im Alterthum sehr selten vor, es ist daher nicht glaublich, daß ein Künstler der Renaissancezeit gerade diese Form nachgeahmt haben sollte. Noch wichtiger aber für uns ist der Pflug. Derselbe bezeichnet die Göttin als Erfinderin des Pflugs. Daß sie im Alterthum auch als Göttin des Ackerbaues galt, ist bekannt; daß sie den Pflug erfunden habe, wird nur in zwei lediglich von Fachgelehrten gelesenen alten Schriftstellern gesagt, die schwerlich in den Werkstätten von Silberschmieden des sechzehnten Jahrhunderts den Ton und die Norm angegeben haben.

Ein ähnliches Medaillon kommt in der zweiten größeren Schale vor. Es ist ein stark aus der Fläche hervortretendes Brustbild, stellt Hercules als neugebornes Kind vor, wie er spielend und lächelnd die bekannten beiden Schlangen erdrückt, und ist ein Meisterwerk im Ausdruck des Gesichts, dem nichts Modernes an die Seite zu setzen ist.

Die beiden kleineren von den vier Schalen, die mit erhabenem Bilderschmuck versehen und vergoldet sind, gehören unzweifelhaft zu einander; denn sie entsprechen einander nach Größe, Form und Decoration vollständig. Die eine zeigt die Büste eines nach links gewendeten Weibes, die eine Mauerkrone auf dem Haupte trägt, und hinter deren linker Schulter eine Handpauke hervortritt, auf welcher ein großer Stern erscheint, Attribute, welche sie als die Göttin Cybele bezeichnen. Die andere Schale dieses Paares enthält die Büste eines jungen, bartlosen Mannes, der ebenfalls nach links hinblickt. Sein Haupt bedeckt eine phrygische Mütze, seine Brust ein phrygisches Gewand, um seinen Hals legt sich ein gewundenes, vorn offenes Halsband. Wie der Halbmond hinter seinen Schultern und die Sterne auf seiner Mütze schließen lassen, ist dieser, beiläufig außerordentlich schön gebildete, Jüngling der Deus Lunus, d. h. der Mondgott. Dieser aber ist bisher mit der Cybele noch nicht so gruppirt gefunden worden. Ein Künstler des Alterthums indeß konnte beide sehr wohl mit einander verbinden; denn beide wurden von vorderasiatischen Völkern besonders verehrt, und beide standen sich ihrer Bedeutung nach nahe, ja Cybele wurde neben die thracische Mondgottheit Hekate gestellt. Indeß war diese Ansicht im Alterthum nicht weit verbreitet. Wir werden also kaum glauben dürfen, daß ein Künstler des sechzehnten Jahrhunderts nach ihr verfahren sei.

Eines der schönsten Gefäße ist die eine von den drei großen, gegen zwanzig Zoll hohen Vasen des Schatzes. Am Fuße derselben stehen vier Greife, aus deren Flügeln sich Arabesken entwickeln, welche in feinen Ranken die ganze Vase umflechten. Dieses Geflecht ist von einer Zierlichkeit, die wir aus Pompeji hinlänglich kennen, und die keine nachahmende Kunst moderner Zeiten jemals ganz erreicht hat. Von den sich kreuzenden Ranken aus harpuniren und fischen schäkernde Kinder in den anmuthigsten Stellungen Fische, Krebse und andere Wasserthiere. Ebenso künstlerisch vollendet ist ein etwa vier Zoll hoher Henkelbecher. Derselbe ist mit Weinranken überzogen und zwischen denselben mit Theatermasken tragischer und kölnischer Art besetzt. Die Masken sind so erhaben gearbeitet, daß man sie kaum noch Reliefs nennen darf, und von einer Vollendung in Zeichnung und Ausdruck, die [799] schwerlich von einer anderen auf uns gekommenen Schöpfung der alten Welt übertroffen und sicher von keiner Arbeit der Renaissance erreicht wird. Den erhaben gearbeiteten Rand eines großen Tellers bilden köstliche Arabesken von Blattwerk, zwischen denen Vögel, Käfer und Schmetterlinge herumfliegen. Von drei flachen Trinkschalen sind zwei mit reichem, aber nur wenig hervortretendem Blätterschmuck, eine andere, ungleich werthvollere mit einem Löwenfell sowie mit Thier- und Menschenköpfen verziert. Durch große Einfachheit zeichnet sich ein anderes nur mit einem Lorbeerkranze geschmücktes Trinkgefäß aus. Auf den bandartigen Rändern von fünf anderen flachen Trinkschalen sehen wir rankende Pflanzen mit emaillirten Bändern eingravirt. Ein ganz eigenthümliches Stück der Sammlung, der Form nach ein nach oben sich erweiternder Cylinder und etwa achtzehn Zoll hoch, zeigt Bilder von Pferden und wilden Ebern.

Die handwerksmäßige Arbeit an diesen Silbersachen ist durchaus die der Zeit, in welche Wieseler im Einklang mit den Professoren Benndorf, Unger und Sauppe die Herkunft derselben verlegt. Es sind theils gegossene, theils gehämmerte und theils ciselirte, theils getriebene Werke. Zu den ciselirten gehören die meisten und die schönsten Trinkbecher sowie die oben geschilderte große Vase, die jedenfalls ein sogenannter Krater, d. h. ein Gefäß war, in dem man den Wein mischte. Bei diesem Mischkrug sowie bei verschiedenen Bechern ist jetzt die äußere Schale von dem massiven Einsatz, mit dem sie gefüttert war, getrennt, indem das sie verbindende Blei sich in der Erde aufgelöst hat. Dieses Verfahren bei der Herstellung ist ganz dasselbe, welches man von den bei Bernay und in Pompeji gefundenen antiken Silbergefäßen bemerkt hat.

Hiermit ist erschöpft, was sich für den Ursprung des Hildesheimer Schatzes im Alterthum sagen läßt. Es genügt, um denselben für festgestellt zu halten. Die gefundenen Gegenstände gehören zu einem Tafelservice, welches moderner Sitte und modernem Bedürfniß mit seinem Dreifuß, seinem Kandelaber, seinen massiven Casserolen und Anderem nicht entspricht. Die Ornamente und Darstellungen der Reliefs fallen ausnahmslos in das Bereich der antiken Kunst und Mythologie. Die lateinischen Inschriften weisen auf den Gebrauch römischer Werkstätten hin. Die hohe Kunst, die sich in dem Stil der Figuren und Arabesken sowie in der Handhabung der Silbertechnik ausspricht, läßt wenigstens bei einigen der besten Stücke auf griechische Meister der Zeit des Augustus oder Tiberius schließen.

Da ferner, wie bei der Ausgrabung zweifellos festgestellt wurde, die sorgfältig zusammengelegten Theile des Schatzes sich in keinerlei Baulichkeit befunden haben, so sind dieselben zum Zwecke heimlicher Aufbewahrung vergraben gewesen. Endlich sprechen verschiedene Gründe dafür, daß die Niederlegung derselben nicht später als im Alterthum stattgefunden hat. Es wäre sonach möglich, daß der Schatz wirklich von der Schlacht im Teutoburger Walde, der nur wenige Meilen von Hildesheim entfernt ist, herrührte, daß er ein Theil des Tafel- und Küchengeräths des Varus und die dem Arminins bei jener Gelegenheit zugefallene Beute wäre.

Die Fürsten der Germanen liebten es, einen Hort zu haben. Häufig wurden solche Schätze in der Zeit der Völkerwanderung vergraben. Oft werden in den Heldensagen geheimnißvolle Schätze erwähnt, so der Schatz Fafnir’s in der Edda, der Nibelungenhort, der Drachenschatz, welcher Beowulf den Tod brachte. Mit Begier strebten die Gegner der Besitzer solcher Reichthümer nach denselben. Das Erste, was Agilulf, der Langobardenkönig, that, als er den aufständischen Herzog Gaidulf bezwungen, war, daß er ihm seinen Schatz nahm, den er auf einer Insel des Comer Sees verborgen. Unter den Friedensvorschlägen, welche Kaiser Justinian dem Gothenkönig Vitigis machte, ist auch der, daß dieser seinen Schatz mit dem Kaiser theilen soll. Der Frankenkönigin Brunhilde wurde nach dem Tode ihres Gemahls von dem Nachfolger vor Allem ihr Schatz genommen.

Es ist nicht undenkbar, daß Hermann der Cherusker oder einer seiner Angehörigen aus irgendwelchem Grunde, in Bedrängnis aus Mißtrauen und dergleichen den ihm zugefallenen Antheil an der Beute der Schlacht, in der Varus und seine Legionen der Wucht der vereinigten nordwestlichen Germanen erlagen, der Erde anvertraut hat. Es wäre ferner möglich, daß dies in der Nähe von Hildesheim geschehen wäre, bis wohin sich das Gebiet der Cherusker erstreckt haben mag, und wo die frühzeitige Gründung einer Kirche vielleicht darauf zu schließen gestattet, daß hier einst ein altes Heiligthum der heidnischen Germanen oder sonst ein Versammlungsort von Bedeutung stand.

Die Phantasie kann darauf weiter bauen.

Vorher aber hat der Verstand noch ein nicht unerhebliches Hinderniß zu bewältigen. Ein kleines Pergamentstückchen, welches in einem der Gefäße des Galgenbergs gefunden worden sein soll, rückt, falls es echt ist und wirklich enthält, was man auf ihm lesen will, zwar nicht die Entstehungszeit des Schatzes, wohl aber die Zeit, wo er vergraben wurde, sofort aus dem Alterthume über das Mittelalter hinweg in eine verhältnißmäßig nicht sehr entfernte Zeit. Auf diesem verhängnißvollen Fetzen Thierhaut wurde nämlich, für gewöhnliche profane Alltagsaugen zwar kaum erkennbar, für geübten Gelehrtenblick aber fast unzweifelhaft das Wort „Herzog“ und dabei ein „U“ entdeckt, und das wiese auf den Herzog Ulrich von Braunschweig hin, der vor circa dreihundert Jahren einmal in der Gegend von Hildesheim lagerte. Nur wäre dann wunderbar, daß damals vom Verschwinden eines so bedeutenden Schatzes nichts ruchtbar geworden sein sollte.

Bis auf weitere Untersuchung dürfen wir also wohl noch an die Möglichkeit glauben, daß die Ueberschrift unseres Berichts von dem denkwürdigsten Funde antiker Silbergeräthe, der seit Menschengedenken gemacht worden ist, wenigstens annähernd auf Richtigkeit Anspruch hat.

Sei dem aber auch anders, Eins steht fest, daß der Hildesheimer Fund kein Product der Renaissance oder irgend einer spätern Zeit, sondern altrömischen Ursprungs und zwar aus der alleredelsten Periode des römischen Kunsthandwerks ist, und daran knüpft sich eine Erwartung, die in das praktische Gebiet hineinschlägt.

Es kann kaum ausbleiben, daß dieser Fund auf die Entwickelung unsres heutigen deutschen Kunsthandwerks erheblichen Einfluß übt. Nicht nur den Goldschmieden, sondern auch anderen Handwerkern, Töpfern und Bronzearbeitern z. B., liegen hier Muster von Gefäßformen und Ornamenten vor, wie man sie so schön in Deutschland noch nicht gesehen hat. Durch Photographien und Abgüsse, namentlich aber durch Holzschnitte, wie wir hier zwei von den besten Stücken des Schatzes gegeben haben, werden diese Schätze sehr bald allgemein bekannt werden, und es ist nicht zu bezweifeln, daß der deutsche Geschmack nach Verlauf einiger Zeit die Anregung erkennen lassen wird, die diese wahrhaft herrlichen Vorbilder ihm bieten werden.