Herr von Beethoven sind eingeladen
Es war an einem unfreundlichen Winterabend. In dichten, großen Flocken fiel der Schnee auf das schmutzige Pflaster des alten Wien. Die Passage war überall gehemmt. Die zusammengefegten Schneehaufen wuchsen zu immer höheren Hügeln an, die Arbeiter scharrten, schaufelten und fegten bei brennenden Fackeln um sie herum, und das glatt gewordene Pflaster machte das Betreten desselben gefährlich.
Gerade dort, wo diese alte Wiener Straßencalamität den entschiedensten Ausdruck erlangt hatte, mußte noch eine herrschaftliche Equipage durchdringen wollen! Sie war in voller Gala, und zu ihren beiden Seiten liefen oder trippelten nach damaliger Sitte zwei „Läufer“ in reicher Livrée, die aus einer kurzen Jacke, mit einem Gürteltuche um den Leib, Kniehosen, seidenen Strümpfen und einer farbigen Schirmkappe bestand. In ihren Händen schwangen sie hoch auflodernde Fackeln, deren Pechtropfen flammend zu Boden sanken und die Passanten zwangen, sich vor dieser neuen Bedrohniß dicht an die Mauern der Häuser zu drängen.
Der Wagen mußte stehen bleiben, denn es war für ihn unmöglich, in der engen Straße durch die ohne jede Ordnung angehäuften Schneemassen durchzukommen. Der Herr, der in der Equipage saß, öffnete den Wagenschlag.
„Ist es nicht möglich?“ fragte er einen Polizeifeldwebel, der eben in der Nähe stand.
„Vor einer Stunde nicht, Herr Graf,“ erwiderte höflich der Angeredete, und legte dabei salutierend die Hand an den Czako.
Hierauf sprang der Herr mit jener Eleganz, wie sie zu jener Zeit nur den Cavalieren eigen war, aus dem Wagen, und befahl dem Kutscher umzukehren, das heißt den Wagen nach der nächsten Straße zurückzuschieben und dort zu warten. Der Herr selbst aber hüllte sich fester in seinen Mantel und setzte seine Wanderung zu Fuße fort.
„War das nicht der ‚Musikgraf‘?“ fragte den Feldwebel einer jener Neugierigen, wie sie in Wien von jeher in den Straßen auf jedes Ereigniß lauern.
„Ja wohl,“ antwortete kurz der Gefragte und drehte sich um.
„Möchte wohl wissen, was den Herrn Grafen in diese Gegend führt?“ murmelte der Neugierige seinem Begleiter zu, und sogleich machten sich auch Beide davon, dem Herrn Grafen auf dem Fuße zu folgen.
Dieser bog in eine Seitenstraße, und nach wenigen Schritten schon trat er in das Thor eines der ersten Häuser.
Die Glocke, mit welcher der Klingeldraht in Verbindung stand, muß mindestens die Größe einer Capellenglocke gehabt haben, denn ihr Schall klang so mächtig, daß das ganze Haus davon erdröhnte und der Herr Graf nicht wenig davon überrascht war. Eine Frauensperson öffnete die Thür.
„Herr von Beethoven zu Hause?“ fragte der Graf.
„Bitte um Ihren Namen,“ erwiderte die Pförtnerin.
Der Graf gab ihr seine Karte. Die Frauensperson ging damit in das anstoßende Zimmer und kam, wie es schien, selbst erstaunt über den Erfolg, mit der Einladung einzutreten zurück. Als der Graf das Zimmer betrat, war Beethoven eben vom Claviere aufgestanden. Die Gedanken, welche so eben noch des großen Meistern Gehirn gleich Wetterstrahlen erleuchtet haben mochten, phosphorescirten noch auf seinem Gesichte und übergossen es mit jenem Ausdrucke einer großen Seele, welche selbst dem trivialsten Individuum imponiren muß. Da aber der Graf Dietrichstein in Wahrheit ein glühender Verehrer der Künste und ihrer Priester war, so erfüllte ihn des Meisters Erscheinung mit scheuer Ehrfurcht.
„Was steht zu Diensten, Herr Graf?“ wendete sich Beethoven höflich, aber nicht ohne einen gewissen Stolz an diesen, und schob ihm, da er sein „Conversationsbuch“ nicht fand, ein Blatt Papier zu, in das der Gast seine Antworten zu schreiben hatte.
Des Grafen Erwiderung lautete: „Ich gestehe, daß mir in diesem Momente die Bitte, die ich an Sie zu richten beabsichtige, so kleinlich vorkommt, und zwar kleinlich für Sie, daß ich es schon bereue, Sie deshalb in Ihrer Arbeit gestört zu haben ...“
„O, es ist gut, Herr Graf, wenn ich ausruhe. Also eine Bitte an mich! Wenn es in meinen Kräften liegt, bitte ich nur zu befehlen.“
„O, ich weiß, was man Ihnen schuldig ist, Meister!“
Beethoven runzelte ein wenig die Stirn. „Darf ich also fragen, womit ich Ihnen gefällig sein kann, Herr Graf?“
„Ich möchte mir die Ehre Ihrer Anwesenheit bei meiner nächsten Soirée erbitten. Sie werden dort viele Freunde, viele Bekannte finden.“
„O Herr Graf! Freunde? Vielleicht! ... Bekannte? Nun, das glaube ich schon eher ...“
„Darf ich also darauf rechnen? ...“
„Ich weiß die Ehre, die Sie mir erweisen, zu schätzen, und darum wäre ich undankbar, wenn ich nicht käme. Bitte nur Nachsicht mit mir zu haben.“
„Herr von Beethoven, ich danke Ihnen aufrichtig für die freundliche Annahme meiner Einladung.“
Mit sichtbar vergnügtem Gesichte verließ der Graf das Haus.
Beethoven’s Stimmung war gerade in jenen Tagen, wenigstens vorübergehend, eine bessere als gewöhnlich. Es war wieder eine jener Wandlungen in seiner Seele vorgegangen, welche diese allein über die Misère des irdischen Lebens zu erheben vermochten, die sonst mit ihren starren, kalten Armen den Künstler hätte erdrücken müssen, dessen Widerspruch mit den pygmäenhaften Anschauungen der Gesellschaft schon hätte genügen können, um ihn in Momenten blöden Verkanntseins und ekler Noth sich als ein fehlerhaftes, von der Gesammtheit losgerissenes Atom derselben fühlen zu lassen. –
Diese inneren Sonnenstrahlen, welche, trotz der ihn umgebenden Nacht, immer wieder befruchtend über den Geist des Künstlers streiften, sie hatten auch Beethoven, der moralisch, physisch und materiell so Vieles schon erlitten, immer wieder geistig zu jener titanenhaften Größe aufgerichtet, welche selbst die Canaille, die ewig am Boden kriecht, von Zeit zu Zeit stutzen machte. Er fühlte sich heiter umhaucht, und die historische Liebenswürdigkeit des Grafen Dietrichstein hatte um so mehr den Meister in seiner momentanen Stimmung gefördert, als jene in wahrer Bildung und inniger Verehrung des Künstlers wurzelte. Die Chronik der damaligen Tage bewahrt dafür viele kleine, aber charakteristische Züge aus dem Leben dieses Cavaliers im echten Sinne des Wortes.
Beethoven’s gute Gemüthsstimmung hielt noch am Tage nach der Einladung durch Graf Dietrichstein an. Mit fast heiterem Tone verlangte er in der von ihm gerne besuchten Gaststube zum „Blumenstöckel“ sein Glas Wein. Man konnte es ihm ansehen, daß er heute sogar gelaunt sein mochte, mit irgend Jemandem ein Gespräch zu führen, wobei ihm freilich seine Schwerhörigkeit wie immer im Wege stand. Der arme Meister! Sein Blick streifte forschend in der Stube umher, und fiel auf einen Gast, der an einem anderen Tische ihm gegenüber saß, und den er dabei ertappte, wie er ihm, Beethoven, seine volle Aufmerksamkeit zuwandte. Der Meister schien dies heute ausnahmsweise nicht mit Unbehagen aufzunehmen, denn ohne sein Gesicht zu verfinstern, wie er in ähnlichen Fällen oft that, hielt er den Blick des Andern geduldig aus.
Dieser nun fühlte sich durch Beethoven’s Freundlichkeit zu einem Entschlusse ermuthigt, mit dem er schon länger gekämpft zu haben schien. Er stand auf und näherte sich dem Meister, den er sogleich ansprach.
Beethoven zog einen Bleistift aus der Brusttasche, drehte die Speisekarte auf die unbeschriebene Seite, und schob Beides dem Herrn zu. Mit Hülfe dieses Verständigungsmittels entspann sich zwischen ihnen folgende Conversation:
„Verzeihen, Herr Capellmeister, aber ich gehöre zu Ihren Verehrern ...“
„Sehr schmeichelhaft.“
„Nehmen Sie es nicht ungütig, aber es thäte mir sehr wehe, wenn es wahr wäre, daß ein so großer Mann, wie Herr Capellmeister, manchmal in – Geldverlegenheit sein solle ...“
„Kommt aber wirklich dann und wann vor.“
„Es würde mir eine Ehre sein, wenn es mir erlaubt sein sollte, mit meinem Bischen aushelfen zu können.“
[67] „Hm! Sie scheinen nicht recht gescheidt zu sein!“
„O Herr Capellmeister! Meine Hochachtung für Sie ist so groß! ... Leider habe ich nur diese hundert Gulden bei mir ...“
„So mir nichts, dir nichts, ohne Schuldschein? ... Hören Sie, das ist mir neu!“
„Bitte nur der Form wegen dieses Wechselchen hier unten mit Ihrem Namen zu zieren, es erhielte dieses Papier dadurch schon als Autograph seinen Werth ... “
„Sie sind ein Narr! ... Aber Sie legen hier Einhundert Gulden her, und da steht ja: ‚Drei Monate a dato zahlen Sie Zweihundert Gulden‘! ... Ah! So meinen Sie das! Ich bitte Sie nun recht sehr um Verzeihung! Ich habe Sie einen Narren genannt, aber Sie sind ein Hallunke!“
Beethoven war dabei aufgesprungen und sprach den letzten Satz mit solcher Donnerstimme, daß das Gesicht des Schelmen, der offenbar über Beethoven’s Verhältnisse und Persönlichkeit genau unterrichtet war und hier auf ihn gewartet hatte, einen Augenblick wie versteinert erschien. Dann aber hielt es der Herr „Verehrer“ des „großen Meisters“ für gerathen, ohne Zögern das Weite zu suchen. Beethoven fand diese Scene so komisch, daß er in ein lautes Lachen ausbrach. Dieser Zwischenfall trug dazu bei, daß er seinen Humor noch den ganzen Tag über behielt.
Am Abende trat die Stunde ein, um welche er sich zur Soirée des Musikgrafen zu begeben hatte. Beethoven kleidete sich rasch an und verließ das Haus. Am Thore angekommen, erwartete ihn eine gräflich Dietrichstein’sche Equipage, und ein Diener, der ihn erkannte, lud ihn ein, sich ihrer zu bedienen. Beethoven nahm jedoch nicht die mindeste Notiz davon, und setzte seine Wanderung trotz der schmutzigen Straßen zu Fuße fort.
Im Salon des Grafen eingetreten, ward er von diesem und einer großen Anzahl bekannter Persönlichkeiten, wie dem Geschichtsschreiber Joh. v. Müller, den Schriftstellern Hormayr, Maylath, Steigentesch, den Musikern Weigl, Gyrawaty, den Malern Füger, Lampi, Vater und Sohn, dem Bildhauer Zauner und Anderen mit ungeheuchelter Freudigkeit begrüßt. Beethoven fühlte sich ungewöhnlich animirt, und unterhielt sich in lebhafter Weise. Er benahm sich dabei so coulant, mitunter fein und witzig, daß Alle entzückt von ihm waren, und sie mußten sich sogar gestehen, daß er nirgends, außer was seine sehr kothigen Schuhe anbelangte, gegen den Ton eines so „eleganten“ Salons auch nur im Geringsten verstoßen habe.
Als sich die Gesellschaft, mit ihr Beethoven, entfernt hatte, war es besonders Graf Dietrichstein, welcher über die treffliche Art, mit welcher der Meister aufgetreten war, seine Freude ausdrückte. Das hatte aber, wie wir sogleich erzählen werden, seinen guten Grund, der übrigens dem edlen Sinne des Grafen alle Ehre machte.
Wenige Tage später hatte Dietrichstein Gelegenheit, mit dem Kaiser Franz über diese Soirée zu sprechen.
„Sehen Sie, wie man diesen Beethoven verleumdet,“ bemerkte der Kaiser. „Und bei Ihnen hat er sich so tadellos benommen!“
„Wie ich bereits die Ehre hatte, Ew. Majestät zu versichern.“
„Sehen Sie, Graf, das freut mich! Ich hätte den Menschen gerne bei mir gesehen, aber ich habe mich vor ihm gefürchtet! Ich sag’s offen. Nicht wegen seiner Staats-Schrullen, auch nicht wegen der Ungeschminktheit seiner Rede, im Gegentheil mir sagt das gar nicht übel zu, es ist mir recht, wenn Einer redet, wie er denkt, aber, wissen Sie, Graf, ohne alle Grenze, das ginge denn doch nicht!“
„Ich wiederhole Majestät, daß alle bei meiner Soirée Anwesenden einstimmig Beethoven’s Benehmen anerkannten.“
„Dann will ich nachdenken, wie ich’s mache, den merkwürdigen Menschen in der Nähe zu sehen.“
„Ich glaube versichern zu dürfen, daß sich Beethoven dieser Gnade Ew. Majestät würdig zeigen werde.“
„Na, ich werde sehen, wie sich’s machen läßt.“
Damit war die Besprechung dieses Gegenstandes zu Ende. In einer der folgenden Wochen aber erschien bei Ludwig van Beethoven ein k. k. Kammerherr. Er überreichte dem Meister ein beschriebenes Blatt Papier. Auf demselben war zu lesen:
„Se. Majestät der Kaiser haben mich beauftragt, Herrn von Beethoven für .... den ..... Uhr zu einer Quartettproduction in den Appartements Sr. Majestät einzuladen. Es würde Herrn von Beethoven’s Anwesenheit den Kaiser um so mehr freuen, als an diesem Abende eine Composition von Herrn von Beethoven executirt wird.“
Beethoven war frappirt. Mit Ausnahme des Erzherzogs Rudolph hatte ihm noch kein anderes Mitglied des kaiserlichen Hofes eine besondere Aufmerksamkeit zu Theil werden lassen und zwar, wie Beethoven selbst nicht unbekannt sein konnte, wegen seiner „republikanischen“ Gesinnungen oder vielmehr wegen der rücksichtslosen Offenheit, mit der er dieselben aussprach. Der Meister wußte daher offenbar nicht, was er zu dieser unerwarteten Einladung nach Hofe sagen sollte. Er verbeugte sich stumm vor dem Kammerherrn, und dieser entfernte sich, nachdem er den Verständigungszettel wieder zu sich gesteckt hatte.
Ob nun Beethoven entschlossen war, der auszeichnenden Einladung Folge zu leisten oder nicht, vermögen wir nicht zu sagen. Als der Tag und die Stunde aber heranrückten, welche ihm zum Erscheinen beim Kaiser bestimmt waren, traf man ihn, wie seit langer Zeit täglich, in der – Gaststube des Wirtshauses zur „Schnecke“! Es währte nicht lange, so erschien derselbe k. k. Kämmerer, der Beethoven die Einladung überbracht hatte, ebenfalls im Gasthause zur „Schnecke“. Der Hofmann war außer Athem. Man wartete bei Hofe auf Beethoven, und als er nicht erschienen, stürzte der Kammerherr ab, den Säumenden zu suchen. Mühsam entdeckte er dessen Aufenthalt im Gasthause. Vergebens mahnte er den Meister, der wieder in der übelsten Laune war, der „Allerhöchsten“ Einladung doch Folge zu geben. Beethoven war nicht zu bewegen. Der Kammerherr aber glaubte, nachdem er alle Motive erschöpft hatte, den Sonderling dadurch aufrütteln zu können, daß er dessen Künstlereitelkeit in’s Mitleid zog.
„Aber bedenken Sie doch, Herr von Beethoven,“ sagte er, „daß ein Quartett Ihrer Composition gespielt wird, und daß der Kaiser selbst einen Part übernommen hat!“
Beethoven sah den vor Aufregung in Schweiß triefenden Kammerherrn ruhig an, und sagte dann: „Alles recht, aber schöner habe ich mein Quartett schon gewiß spielen gehört! Das werden Sie zugeben!“
Dies war natürlich dem Kammerherrn zu viel. Wie ein Windspiel jagte er zur Thüre hinaus, Beethoven aber blieb unerschütterlich bei – der „Schnecke“! –
So wenig nun diese Geschichte auch bekannt wurde, so trug sie doch in gewissen Kreisen wohl dazu bei, daß Beethoven so selten als möglich mit Einladungen bedacht wurde, was aber Niemandem lieber war, als eben – Beethoven. Dennoch wandte im nächsten Sommer ein auswärtiger Fürst, der eben in Wien weilte, Alles an, um Beethoven zu bewegen, einer Soirée durch dessen Anwesenheit besonderen Glanz zu verleihen. Beethoven schien geneigt zu sein, der überaus freundlichen Einladung nachzugeben, denn am Abend des bestimmten Tages fuhr er von Heiligenstadt, wo er damals den Sommer zubrachte, mit dem „Stellwagen“ in die Stadt. Auf der „Freiung“ stiegen die Passagiere aus, mit ihnen Beethoven. Statt aber seine Schritte nach dem Orte zu lenken, wo er erwartet wurde, trat er, wahrscheinlich weil es ihm zur Soirée noch zu früh scheinen mochte, in das Café ein, welches sich zu jener Zeit auf der „Freiung“ im Hause des Hôtels „Zum römischen Kaiser“ befand. Er nahm eine Tasse Kaffee und eine Zeitung zur Hand. In die Lectüre derselben vertieft, merkte er erst spät, daß eine geraume Zeit dabei verstrichen war. Rasch erhob er sich und ohne seinen Kaffee zu bezahlen, eilte er zur Hinterthür hinaus.
Ein unglücklicher Zufall war es, daß an diesem Tage ein neuer Marqueur in das Geschäft getreten war. Beethoven, der sehr oft in dieser Localität verweilte, wenn er eben auf die Abfahrt des Heiligenstädter Stellwagens warten mußte, war dem neuen Diener des Kaffeehauses unbekannt. Deshalb geschah es, daß der unglückselige Diener in dem ihm fremden, somit schon halb verdächtigen Kauz einen Menschen erblickte, der, wie es in Wien vorzukommen pflegte und noch heute vorzukommen pflegt, mit der Zeche durchzubrennen beabsichigte.
„He! Sie haben Ihren Kaffee nicht bezahlt!“ rief er Beethoven nach.
Dieser, da er nicht hörte, setzte seine eilige Wanderung zur Thüre hinaus fort. Der Marqueur aber eilte dem „Flüchtlinge“ nach. In dem Corridor, der zum Ausgangsthore führte, faßte er [68] Beethoven endlich am Rockschooße. Verwundert sah sich der Meister um.
„Was giebts?“ sagte er mißmuthig.
„Zahlen!“ schrie der Marqueur. „Warte, du Fuchs, ich werde dich durchgehen lehren!“
Beethoven, der ihn nicht verstand, wollte sich von ihm, den er für verrückt hielt, losreißen; der Marqueur jedoch griff mit seiner Faust nach dem Rockkragen des Widerspenstigen, und es entspann sich ein Kampf, der so laut wurde, daß der Cafétier und dessen Gäste herbeieilten und das Mißverständniß noch rechtzeitig aufklärten. Beethoven war indeß über dieses Intermezzo dermaßen aufgeregt, daß er den nächsten Stellwagen nach Heiligenstadt bestieg und wieder zurück hinausfuhr.
Die fürstliche Soirée bekam also Beethoven nicht zu sehen. Weit größer aber war die Empörung des Cafétiers und der Besucher des Locales über die Brutalität, mit welcher der arme Teufel von einem Marqueur gegen den berühmten Meister verfahren hatte. Die Strafpredigten, die ihm gehalten wurden, hatten sich einer solchen altösterreichischen Derbheit zu erfreuen, daß der im Grunde unschuldige Mensch in den Ausdrücken, die er zu seiner Vertheidigung anzuwenden verleitet war, ebenfalls nicht wählerisch zu sein vermochte. Dies gipfelte die Affaire zu einem solchen Scandale, daß sie nur mit der Abführung des Marqueurs zur Polizei einen Abschluß finden konnte.
Aber die Polizei, gegen welche sich der gereizte unglückliche Bursche widerspenstig benahm, glaubte noch um einige Schritte weiter gehen zu müssen. Die Zustände Altösterreichs gaben dieser Behörde nämlich eine Macht, von der leider Jeder überzeugt wurde, der eben nicht daran glauben wollte. So ging es auch dem armen Marqueur. Nach wenigen Tagen, die er im Polizeihause zubrachte, sah er sich schließlich – zum Militär abgestellt. Dies war lange Zeit hindurch der Canal, durch welchen man in jener Periode „mißliebige“ Personen aus der Gesellschaft entfernte.
Als Beethoven im Laufe der Woche wieder das Café „Zum römischen Kaiser“ betrat, konnte es dessen Besitzer nicht unterlassen, sich bei dem Meister wegen des unliebsamen Vorfalles zu entschuldigen und ihm mitzutheilen, daß Beethoven bereits alle Satisfaction erlangt habe, indem der „freche Bursche“ bereits „die Muskete trage“.
„Und das soll eine Satisfaction für mich sein!?“ rief Beethoven entrüstet aus.
Aber er ließ es nicht dabei bewenden. Unverzögert machte er bei seinen Bekannten in hohen militärischen Kreisen ernstliche und nachdrückliche Schritte, um den Unglücklichen wieder dem bürgerlichen Stande zurückzugeben, was ihm endlich auch gelang, und wahrhaftig nur einem Manne wie Beethoven gelingen konnte, dessen Bedeutsamkeit am Ende doch in allen Kreisen respectirt wurde und von dessen Herzensgüte und Rechtssinn man im vorliegenden Falle ergriffen sein mußte.
Bekanntlich erzählt Schindler in seiner Biographie Beethoven’s von einem Marqueur, dem es Beethoven allein zu verdanken hatte, daß Dr. Wawnuch unaufgefordert dem sterbenskranken, einsamen Meister zu Hülfe eilte, während die dadurch „unsterblich“ gewordenen Doctoren Staudenheim und Braunhofer dies verweigert hatten! Ob dieser Marqueur und derjenige, dessen Geschichte wir hier erzählen, eine und dieselbe Person waren, können wir nicht sagen, glauben jedoch, daß eine Vermuthung dessen nicht ganz ohne Wahrscheinlichkeitsgrund sein dürfte.
Eine „Einladung“ aber, welcher der große Beethoven gewiß nicht ungern Folge gab, war jene, welche am 26. März 1827 in feierlichster Weise – unter Blitz und Donner – von dem Fürsten des Todes an ihn erging: sein müdes Haupt zur ewigen Ruhe hinzulegen!
Wie sehr sich der große Mann nach diesem Momente gesehnt haben mochte, beweisen wohl die Worte, die er acht Tage vor seinem Ende zu seinen Freunden sprach: „Amici, comoedia finita est!“ – Freunde, die Komödie ist zu Ende!
- ↑ Aus der demnächst erscheinenden Neuen Sammlung der Märzroth’schen „Bilder aus dem alten Wien.“ Die Redaction.