Herzog Georg von Sachsen-Meiningen
[243] Herzog Georg von Sachsen-Meiningen (mit Portrait S. 229) ist in der Geschichte seines Landes der zweite seines Namens. Der erste Herzog Georg war sein Großvater, einer jener Fürsten der „guten alten Zeit“, die durch ihr Wesen und Walten das Bild ihrer ungewöhnlichen Persönlichkeit dem Volke so tief eingeprägt haben, daß sie auch ohne die Hülfe der Geschichtsbücher im Gedächtniß desselben fortleben. Noch heute erzählt sich Bürger und Landmann vom „Herzog Jörg“, wie er nach fränkischer Dialektweise genannt wurde, und aus allen diesen Charakterzügen und Anekdoten leuchtet hervor, daß die Strenge und Derbheit, die ihm als Kind seiner Zeit anhingen, durch Herzensgüte und das ernste Pflichtgefühl für rücksichtslose Gerechtigkeit gemildert wurde. Unsere Leser besitzen ein treffliches Charakterbild dieses Fürsten aus der Feder des Meininger Dichters Ludwig Köhler († 1862) im Jahrgang 1861, Nr. 37 („Eine Abstimmung“). Eine Ergänzung zu diesem Bilde des Herzogs brachte Jahrgang 1866, Nr. 19. Auch er gehörte zu der dort besprochenen „Tafelrunde“, mit welcher „der letzte Ritter des Frankenlandes“, der Freiherr Christian von Truchseß, seiner Bettenburg einen unvergänglichen Namen erwarb. Der weimarische Musenhof stand nicht allein da in den Ernestinischen Landen; auch die Höfe von Gotha, Meiningen, Hildburghausen und Coburg zogen hervorragende Geister in ihre Kreise, wenn sie auch nicht mit Sternen wie Goethe und Schiller glänzen konnten. Herzog Georg’s liebster Umgang war Jean Paul, auch einer der Gäste der Bettenburg, wo der Herzog einst den ihn und die Lichtseite der patriarchalischen Zeit so trefflich bezeichnenden Spruch der Tafelrunde zurief: „Fürstenglück und Volksfreude gehören bei mir immer zusammen.“
Dieser Herzog Georg starb 1803. Fünf Jahre später kam ein [244] anderer Meininger Besuch auf die Bettenburg: Friedrich Mosengeil, Ernst Wagner und ein achtjähriger Knabe. Als der alte Freiherr mit ihnen durch den Park wandelte, traten sie auch in die Todtencapelle ein, an deren Wänden marmorne Tafeln die Namen aller hingeschiedenen Genossen der Tafelrunde in goldner Schrift nannten. Da blieb der Knabe plötzlich vor einer der Tafeln stehen, erfaßte sie mit beiden Händen, lehnte den Kopf an sie und weinte bitterlich. Der Knabe war der Erbprinz Bernhard Erich Freund von Meiningen; auf der Tafel stand der Name seines Vaters.
Bernhard Erich Freund ist jetzt ein ehrwürdiger Greis von bald neunundsiebenzig Jahren. In bundesfürstlich großdeutscher Gesinnung mit den staatspolitischen Zielen seiner Zeit zerfallen, entsagte er im Jahre des deutschen Kriegs 1866 der Regierung. Sein Sohn und Nachfolger ist der gegenwärtige Herzog Georg. – Es ist eine alte Familienerfahrung, daß nicht selten das geistige Gepräge der Großeltern in ihren Enkeln wieder hervortritt. Diese Erscheinung glauben wir auch hier in Großvater und Enkel zu erkennen, und deswegen mußten wir, wenn auch mit wenigen Strichen, ein Bild des ersten Herzogs Georg zeichnen, weil die hervorragendsten Eigenschaften desselben in Georg dem Zweiten sich widerspiegeln.
Am Mittwoch, dem 2. April, hat Herzog Georg seinen dreiundfünfzigsten Geburtstag gefeiert. Als Erbprinz beschritt er den jetzt allgemein üblichen Weg der Fürstenerziehung, studirte in Bonn und ging dann zum Kriegsdienst über. Im preußischen Garde-Kürassier-Regiment war er zum Major avancirt, als er, 1850, die Tochter des Prinzen Albrecht von Preußen, Charlotte, als Gemahlin heimführte. Er lebte von da an meist in Meiningen oder in der Villa „Carlotta“ am Comersee seiner Familie (am 1. April 1851 war ihm sein Sohn Bernhard geboren) und den schönen Künsten – in der Malerei strebte er aus dem Dilettantenthum hinaus und galt längst als Künstler von Auszeichnung, ehe er die Kunst veredelnder Gestaltung auf die Bühne übertrug. Der Tod trennte die glückliche Ehe schon nach fünf Jahren. Drei Jahre danach schloß Erbprinz Georg einen zweiten Ehebund mit Prinzessin Feodora von Hohenlohe-Langenburg, und als auch diese nach vierzehn Jahren ihm durch den Tod entrissen wurde, wählte er Freifrau Helene von Heldburg geb. Franz zur Gattin.
Seine erste Regentensorge, als er im Jahre 1866 die Regierung übernommen, war, den seit einem Menschenalter entbrannten und noch immer ungeschlichteten Streit des herzoglichen Hauses und des Landes über die Domänen beizulegen. Ehe ihm dies noch gelungen war, brach der französische Krieg aus. Er zog mit nach Frankreich, aber nicht als General der Infanterie der preußischen Armee, der er seit 1864 war, sich dem Hauptquartier anschließend, sondern er zog es vor, als Chef des 95. Regiments, bei welchem auch sein Sohn stand, alle die Schlachten und Gefechte mitzumachen, die sein Regiment in diesem Kriege zu bestehen hatte. Wenige Fürsten haben sich ihr eisernes Kreuz so redlich verdient, wie der tapfere Herzog Georg und sein Sohn, der Erbprinz Bernhard, gegenwärtig bekanntlich unsers Kaisers Wilhelm glücklicher Schwiegerenkel.
Nach dem Frieden des deutschen Reichs mit Frankreich schloß der Herzog daheim Frieden mit seinem Lande. Am 14. Juli 1871 wurde das auf Grund der Vorschläge eines in Dresden gewählten Schiedsgerichts vorgelegte Domänengesetz vom Landtage genehmigt. Es war gegenseitig erprobtes Vertrauen, welches die versöhnten Hände zusammenführte. Der Herzog hatte längst dem Volke gezeigt, daß auch in seinem Herzen Fürstenglück und Volksfreude immer zusammengehörten“. So weit die heutige Staatsmaschine dies verträgt, war er seit Jahren mit Geist und Hand dabei, wo es galt, das Wohl des Volks zu fördern. Dafür spricht seine Theilnahme an der Pflege aller Unterrichtsanstalten und besonders die Erweiterung derselben für praktische Zwecke, wie Malerei- und Modellirschulen in den Hauptbezirken der Porcellan- und Spielwaaren-Industrie Wallendorf-Lichte und Sonneberg; dafür spricht seine Freude am Volksleben, nicht blos in seiner Arbeit, sondern auch bei seinen Festen; dafür spricht endlich der heilige Ernst, mit welchem er über der Ausübung der hohen Kunst wacht, welche am unmittelbarsten auf Herz und Geist des Volkes einzuwirken vermag, ja einzuwirken berufen sein sollte: der Schauspielkunst in einem wahrhaft nationalen Theater. Herzog Georg’s Verdienste auf diesem Gebiete sind in dem Artikel „Das deutsche Theater und die Meininger“ gewürdigt worden. Es ist heutzutage nicht mehr so leicht, wie ehedem, ein „populärer Fürst“ zu sein. Demjenigen, welchem diese Zeilen gewidmet sind, ist dies gelungen, und die Behauptung der alten Meininger: „Es steht kein Herzog Jörg wieder auf“, wird bald nicht mehr geglaubt werden.