Historisch-Politisch-Geographischer Atlas der gantzen Welt:Siberien
[815] SIBERIen, Sibirien, Sibeor. Lat. Siberia, Fr. Siberie, eine überaus grosse Landschaft und Königreich in dem Rußischen Reiche, und welche den Nordlichsten Theil von diesem Reiche, und so gar von Asien ausmachet. Sie gräntzet gegen Osten an das Japanische Meer; gegen Süden an die große Tartarey, gegen Westen an Rußland, davon sie durch den Anfang des Berges Caucasi abgesondert wird, und gegen Norden an das Eiß-Meer; daß also Siberien, nach seiner jetzigen Beschaffenheit, in seinem größten Umfange von Westen gegen Osten 800. deutsche Meilen, und ohngefehr 300. Meilen von Süden gegen Norden betragen mag. Andere meynen, diese Landschafft gräntze gegen Norden mit den Samojeden, gegen Osten mit den Ostiaken, gegen Westen mit Pormien und Condora bisß an Ussa, und den Fluß Juzewaja, gegen Süden an Barrabam, von Worchaturia biß an den Fluß Oby. Sonst [816] begreift man auch unter dem General-Nahmen von Siberien alles Land, welches von Pormien, längst an dem Tartarischen oder Eis-Meer, biß an den Fluß Yamur und an die Ost-See unter Rußischer Bothmassigkeit; also, daß darunter gehöret, die eigentlich sogenannte Provintz Siberien, das Land der Samojeden, Lucomorien, Loppie, Pelsidia, Tiogusa und Dauria, biß an der Mongalen-Land. Da dieses grosse Land zwischen dem 50. und 70. Gr. der Breite liegt, so muß es in den Nordlichen Theilen desselben sehr kalt seyn, und dieses um so viel mehr, da diese Quartiere durch nichts für den Nordwind bedecket werden, welcher 3. Viertel vom Jahre lang beständig wehet; denn je weiter man gegen die Ufer des Eiß-Meeres kömmt, desto mehr nehmen die sonst sehr hohen Gebürge dieses Landes ab; dergestalt, daß man endlich nichts als gewaltig grosse Ebenen antrifft, die mit kleinen Fichten und andern Gesträuchen, und hin und wieder nur mit einigen mässigen Hügeln bedecket sind, welche diesem erschrecklichen Winde die Freyheit lassen, biß in die entlegensten Cantons von Siberien zu dringen. Was die Benennung dieser Landschaft anbelanget; so sind die Gelehrten deswegen nicht allerdings einig. Viele geben vor, sie sey den alten Griechen und Römern unter dem Nahmen des Asiatischen Iberiens bekannt gewesen, und habe noch heute zu Tage den uralten Nahmen, mit Hinzusetzung des einigen Buchstabens S welches den Sprach-verständigen nichts neues oder ungewohntes ist, beybehalten. Andere haben noch eine grössere Wahrscheinlichkeit bey ihrer Meynung, oder gedencken sie wenigstens zu haben, wenn sie sagen, daß das Wort Sibir, welches in Sclavonischer und Rußischer Sprache so viel als Norden oder Mitternacht[1] heisset, zu ihrer Benennung Gelegenheit gegeben. Doch möchten es diejenigen wohl am besten getroffen haben, welche den Nahmen Siberien von den Flusse Sibir oder Sibersta, ja gar von der nun verfallenen Stadt Siber herleiten; und das Land dahero Ciberien und Sibior nennen, welches aber nicht mit dem Groß-Hertzogthume Siverien oder Severien, sonst Czernichovien genannt, muß vermischet werden. Man siehet zwar hieraus so viel, daß unter diesen Meynungen eine immer mehr Wahrscheinlichkeit als die andere habe, dennoch aber lässet sich wohl schwerlich behaupten, ob eine oder welche von diesen die richtigste sey? Allein die Sache ist auch nicht von so grosser Wichtigkeit, daß man Ursache hätte, sich lange dabey aufzuhalten. Eines wollen wir hierbey noch anmercken, welches die Meynung dererjenigen ist, welche sagen, daß dieses Land bey dem Plinio den Nahmen Abarimon führe. Hieraus wollen sie alsdenn schließen, als ob die alten Völcker, so bei den Griechen Saberi, Abares, und Avares heissen, daher den Ursprung gehabt. Man könnte hierbey noch gedencken, daß einige so gar den Ursprung der Hunnen von diesen Völckern hergeleitet; wir lassen aber dieses, weil es zu unserm Haupt-Zwecke nicht gehöret, an seinem Orte beruhen. Es wird die Provintz Siberien von vielen in das Nordliche und in das Südliche eingetheilet. Wir finden aber weiter keine Anweisung der Gräntzen oder Anzeige, welcher kleinere Herrschafften, oder welche Städte zu dem Mitternächtig- oder welche zu dem Mittägigen Theile gerechnet werden; ausser daß sie Samojeden zu Nord-Siberien, und die Wüsten Stop zu Süd-Siberien zehlen. Viele von den Geographis und andere Gelehrte Leute, sind in der ungegründeten Meynung gestanden, daß dieses weitläuftige Land ein besonderes Reich ausmache, und einem einigen Herrn unterhänig sey, welches sich aber gantz anders gezeiget, da die große Czaarische Entdeckung jener Ländereyen[2] uns nunmehro sichere Nachrichten gegeben, daß das Land viele kleine Könige gehabt, deren keiner von dem andern dependiret; und ein jeder mit etliche 1000. Mann zu Felde ziehen können, auf [817] die Art, wie die Americanischen Könige und Königreiche in denen Reise-Büchern uns beschrieben werden. Wie denn noch jetzo die hieselbst theils unter Chinesischem Schutz lebende Tartarn in unzehlige Horden, deren jede unter ihrem Chan oder Taiso stehet, getheilet sind. Der Nahme Siberien ist inzwischen weder in den ältern noch mittlern Zeiten sehr bekannt gewesen. Denn wenn man die in Lateinischer Sprache zusammen gedruckten Scribenten von Rußland und andere dergleichen ältere Bücher aufschläget, und durchblättert; so wird man denselben kaum etliche mahl, und darnechst gar magere Nachrichten von dem Lande antreffen. Die Ursache ist eben, weil dis grosse Land den Russen selbst noch nicht bekannt war, und niemand sich dahin zu reisen getrauete. Paulus Venetus[3], der um das Jahr 1272. in die Tartarischen Dienste getreten, und etliche Jahre darinnen gedauret, meldet hiervon einige Umstände, welches er vermuthlich nur aus den Erzehlungen anderer geschöpfet, weil er das Land niemahls durchreiset. Er nennet zwar dasselbe nirgends mit Nahmen, doch kan man aus seinen Beschreibungen deutlich abnehmen, daß er nichts anders als Siberien meyne. Was die Entdeckung dieses Landes anlanget, so giebt es davon wieder nicht einerley Meynungen. Einige schreiben sie den Cosacken zu, welche um den Dnieper sich niedergelassen. Andere sagen, es habe zur Einnehmung desselben ein grosser Räuber Jeremak Amiofeirwitz[4] zu Zeit der Regierung des Groß-Herrns Czaar Iwan Basilowitz[5] Gelegenheit gegeben. Noch andere halten davor, dieses Land sey auf folgende Art entdecket, und dem Rußischen Reiche unterworffen worden. Es ist in Rußland ein Volck, welches man die Kinder Aniconii, oder des Anicae, nennet. Sie stammen von einem Bauer her, welcher Anica hieß. Dieser Mann, welcher sehr reich an Ländereyen war, wohnete nahe bey dem Flusse Witsogda, welcher sich in den Fluß Duna ergießt; und dieser letztere, welcher, nachdem er den andern zu sich genommen hat, läufft beynahe 100. Meilen, und fällt nahe bey der Stadt Archangel, oder St. Michel l’Archange, in das weisse Meer. Anica hatte viele Kinder, welche er alle von den Gütern, die er besaß, reich hinterlassen konte; aber er konte seine Begierde, noch mächtiger zu werden, nicht überwinden. Er wolte wissen, was das für ein Land wäre, wo Leute wohneten, die alle Jahre der Handlung wegen, nach Rußland kamen, schönes Rauchwerck, und andre Arten von Waaren dahin brachten. Diese Leute redeten eine fremde Sprache; ihre Kleidung, ihre Religion, und ihre Sitten waren von den Rußischen Gebräuchen unterschieden; sie nenneten sich Samojeden, und gaben sich noch einige andere Nahmen. Sie kamen alle Jahr mit ihren Waaren auf dem Flusse Witsogdy herunter, und handelten mit den Russen in den Städten Ozoeil und Ustinga an der Duna, wo damahls die Niederlage von allen Waaren und sonderlich von Peltzwercke war. Der Bauer Anica hatte noch immer ein hefftiges Verlangen, zu erfahren, wo diese Leute herkamen, und wo ihr Land läge, da man seiner Einbildung nach überaus reich werden könte, wegen des schönen Rauchwercks, das man alle Jahre daher brachte; deswegen machte er heimlich mit einigen von ihnen einen Vergleich. Diesem Vergleiche zu folge schickte er 10. bis 12. von seinen Knechten und Sclaven mit ihnen, und befahl denselben, daß sie alle Gegenden, wo sie vorbey reisen wurden, ihre Lebens-Art, die Sitten der Einwohner, ihre Wohnungen, und überhaupt die gantze Verfassung des Landes sich wohl bekannt machen möchten, damit sie ihm eine umständliche Nachricht davon geben könnten. Als die Leute des Anicae wieder zurücke kamen, erzähleten sie ihrem Herrn, was sie gesehen hatten. Er befahl ihnen, daß sie niemand etwas davon melden [818] solten; und damit sie schweigen möchten, so hielt er sie sehr gut. Im folgenden Jahre schickte er deren mehrere, nebst einigen von seinen Anverwandten dahin, welchen er verschiedene geringe Waaren, als Schlösser-Waaren, Schellen, und andern Deutschen Krahm mitgab. Diese erforscheten alles, so, wie die vorhergehenden schon gethan hatten, und reiseten biß an den Fluß Oby, wo sie durch Wüsteneyen und über Flüsse kamen, welche in diesem Lande sehr häuffig sind. Sie giengen mit allen Samojeden sehr ehrlich um, und mit einigen von ihnen machten sie besondere Bekanntschafft, wodurch sie noch genauer erfuhren, daß das Rauchwerck in diesem Lande sehr wohlfeil sey; und daß man durch diesen Handel überaus reich werden könnte. Sie erforscheten die Lebens-Art der Samojeden noch genauer. Sie sahen, daß sie keine Städte hatten, sondern Hauffenweise beysammen wohneten; daß sie sehr ruhig unter einander lebeten, und von einigen von denen altesten unter ihnen regieret würden. Bey ihrem Essen und Trincken waren sie unreinlich. Sie lebten von der Jagd, und kannten weder Brodt noch Korn. Die meisten waren gute Bogen-Schützen. Die Bögen waren von biegsamen Holtze, und sie legten spitzige Steine darauf, welche sie hierzu ausdrücklich spitzig macheten; oder Fischgräten, womit sie das Wild und die Thiere, welche es bey ihnen in Menge gab, tödteten. Sie bedieneten sich auch der Fisch-Gräten an statt der Nadeln zu Nähen, und der kleinen Nerven von gewissen Thieren an statt des Zwirns, und fügeten also die Häute, womit sie bedeckt waren, zusammen, deren Peltzwerck sie im Sommer auswendig, und im Winter inwendig trugen. Sie bedeckten ihre Hütten mit Elends- und andern Thier-Häuten, die sie geringe schätzeten. Nachdem die Abgeschickten von dem Anica alles wohl erkundiget hatten, so kehreten sie mit einer Ladung von dem kostbaresten Rauchwercke wieder zu ihrem Herrn zurücke, dem sie von allem, was er gerne wissen wolte, Nachricht gaben. Anica begnügte sich damit, daß er selbst einige Jahre lang in dieses Land handelte, und seine Anverwandten dahin handeln ließ. Diese Leute, welche man Aniconier nannte, wurden gewaltig reich, und kaufften viele Ländereyen. Alle ihre Landesleute erstauneten über ihr Glücke, und wusten nicht, was sie davon dencken solten. Sie liessen in ihren Dörffern auf ihre Kosten Kirchen bauen, ja sie baueten so gar eine in der Stadt Ozoeil an dem Flusse Witsogda, an dem sie längst hin wohneten, welche aus lauter schönen weissen Werckstücken aufgeführet wurde. Kurtz, sie hatten so viel Vermögen, daß sie nicht wusten, was sie damit anfangen solten. Aber bey dem allen gedachten sie doch an die Unbeständigkeit des Glücks, und furchten, daß es nachem es ihnen so günstig gewesen, ihnen nicht etwa wieder nach seiner Gewohnheit den Rücken zu kehren möchte. Diese ihre Betrachtung rührete nicht etwa daher, daß sie, da sie es jederzeit mit ihren Landes-Leuten gehalten, und mit denen Fremden ohne die geringste Beleidigung und Betrügerey gehandelt, als wovor sie sich sorgfältig hüteten, nicht Ursache gehabt hätten, zu hoffen, daß sie den Unglücks-Fällen weniger unterworffen seyn würden, als diejenigen, die sich iheres Glückes erheben; sondern weil sie klüglich voraus sahen, daß es ihnen bey aller ihrer Sorgfalt schwer fallen würde, sich in Rußland aufrecht zu erhalten, wo man, nach der gemeinen Redens-Art dafür hält, daß derjenige, welcher keinen Freund am Hofe hat, nicht als ein Mensch darf angesehen werden. Und in der That wird in diesem Lande ein Mann der einige gute Eigenschafften, oder irgend einen sonderbaren Vorzug für andern hat, er sey auch, wer er wolle, von aller Welt beneidet, und bey Hofe verleumdet; und wenn er keine Freunde hat, die ihn unterstützen, so wird der gewiß, es geschehe auch, wenn [819] es wolle, unterdrückt und aufgerieben, wenn er auch der ehrlichste und gerechteste Mann von der Welt wäre. Als nun die Anicier zu so grossen Reichthume gelanget waren, so waren sie auch darauf bedacht gewesen, daß sie einen Rückenhalter bey dem Kayser haben möchten. Die genossen den Schutz des Boris Goddenoof[6], welcher einer der vornehmsten Herren am Hofe, und ein Schwieger-Sohn des damahls regierenden Kaysers Fedor Ivanowitz war; und welcher, wie man in der Histoire des Guerres Moscovie[7] siehet, nach seinem Tode zum Kayser erwählet wurde. Sie fasseten den Entschluß, sich dem Boris anzuvertrauen; nachdem sie sich, ihrer Gewohnheit nach, durch Geschencke den Weg zu seiner Gewogenheit gebahnet hatten. Sie sageten ihm, daß sie ihm eine Sache entdecken wolten, welche dem Reiche nützlich seyn würde. Boris hörete sie gnädig an, und erzeigte ihnen viel mehr Höflichkeit, als zuvor. Sie erzähleten ihm ihre bißherigen Bemühungen, das Land der Samojeden und Siberien zu entdecken; sie berichteten ihm alles, was sie angemercket hatten, und zeigeten ihm, was für grosse Vortheile und Reichthümer Rußland aus diesen Ländern würde ziehen können. Aber sie entdeckten ihm nicht, daß sie schon lange dahin gereiset wären, daß sie in geheim dahin gehandelt, und daselbst so gewaltige Reichthümer erworben hätten. Boris war sehr erfreuet über diese Entdeckung, und brannte für Begierde noch mehr davon zu erfahren; daher entschloß er sich, nach der ihm gemachten Erzehlung, genaue Untersuchungen anstellen zu lassen. Er versicherte die Anicier, daß er sie als seine Kinder liebete. Er würckte ihnen bey dem Kayser Patente aus, wodurch ihre Ländereyen ihren Nachkommen ohne Widerspruch versichert wurden, so, daß alle ihre Güter bey ihren Familien auf ewig erblich, und von nun an auf beständig von allem Tribute frey seyn solten. Er ließ sie in seinem Schlitten durch die Strassen von Moscau führen, wo sie sich den Winter über aufhielten, welches bey denen Russen ein grosses Gnaden-Zeichen ist, sonderlich von einem so grossen Printzen, als Boris war, welcher das gantze Reich regierete. Boris eröffnete alles, was ihm war entdecket worden, dem Kayser, welcher sehr vergnügt darüber war, und ihm Gewalt gab, zu thun, was er für dienlich erachten würde. Dieser Herr war nicht schläfrig, er brauchte einige Officiers und arme Edelleute, die ihm unterthan waren darzu, und gab ihnen Befehl, daß sie mit denen Aniconiern reisen solten. Er ließ sie prächtig kleiden, und schickete sie als Gesandte ab; er gab ihnen einige Soldaten, und etliche Sachen von geringem Werthe mit, für die Völcker, zu welchen sie geschickt wurden. Er befahl ihnen, daß sie die Pässe, die Flüsse, die Gehöltze, und alle andere Oerter, wohl erforschen, und ihre Nahmen mercken solten; er schärffte ihnen sonderlich ein, daß sie diesen Leuten höflich begegnen, und in ihrem Bezeigen grosse Hochachtung für ihn solten blicken lassen. Es wurde ihnen auch aufgetragen, die Oerter genau zu bemercken, welche zu Anlegung der Forteressen bequem wären; und sich zu bemühen, daß sie einige von denen Einwohnern mit sich bringen könnten. Diese Gesandten reiseten mit Kleidung ung Gewehr, mit Gelde und Geschencken wohl versehen von Moscau ab, und begaben sich nach Witsogda zu denen Aniconiern, welche ihnen Leute von ihrer Familie, von ihren Kindern, Freunden und Bedienten zu Reisegefährten mitgaben. Als sie an den Oertern angelanget waren, dahin sie waren geschickt worden, so machten sie alle Anmerckungen, wie ihnen war befohlen worden, und erzeigeten den Leuten viel Freundschafft und Höflichkeit. Die Geschencke, welche sie gaben, welche geringe waren, wurden als sehr kostbare Sachen angenommen, weil sie denen also vorkamen, welche den Werth derselben nicht wusten. Man nahm [820] dieselbe sogar mit Freuden-Geschrey auf, und fiel denenjenigen zu Füssen, welche dieselben überreichten, man bewunderte ihre kostbaren Kleider, indem man niemahls dergleichen gesehen hatte; und biß dahin war man geneigt, sie für Götter zu halten. Die Russen waren genöthiget, sich der Dollmetscher zu bedienen, und hierzu bedieneten sie sich dererjenigen Samojeden, welche nach Rußland Reisen gethan, und mit denen Bauern Umgang gehabt, wo sie die Sprache gelernet hatten. Durch diese redeten sie mit ihnen von dem Rußischen Kayser, und gaben ihnen zu verstehen, daß er wie ein Gott auf Erden, und daß sogar einer unter dem Menschen wäre. Endlich sageten sie ihnen so viel andere Dinge vor, welche fähig waren, ihre Neugierigkeit zu reitzen, daß diese ehrlichen Leute eine brennende Begierde bekamen, dasjenige zu sehen, was man ihnen erzählete. Weil nun diejenigen, welche mit ihnen redeten, keinen andern Endzweck hatten, als sie darzu zu bewegen, so wurden sie gar bald mit einander einig, und dieses um so viel mehr, da die Russen sich erboten, ihnen einige von ihren Leuten als Geiseln da zu lassen, welche ihre Sprache lernen solten. Durch diese Aufführung wurden die meisten Leute disseit des Flusses Oby gewonnen; sie unterwarffen sich dem Kayser, und liessen sich schätzen, wobey sie sich anheischig macheten, dem Rußischen Reiche alle Jahr einen Tribut von jedem Kopfe, und sogar für die Kinder zu geben, so bald sie anfangen würden mit dem Bogen zu schiessen, nehmlich jeder ein paar Zobel-Felle, welche sie am wenigsten achteten; die aber von denen Russen so hoch geschätzet wurden, daß man wohl sagen kan, daß sie gleichsam ohne Preiß waren. Sie versprechen diesen Tribut denenjenigen zu überliefern, welche darzu würden verordnet werden; und sie hielten es auch. Hierauf begaben sich die Russen auf die andere Seite des Flusses Oby; und giengen über 200. Meilen tief in das Land hinein. Sie sahen auf dieser Reise viele Arten von seltenen, und ihnen unbekannten Thieren, schöne Brunnen, vortrefliche Weide, schöne Gehöltze, und verschiedene Samojeden, deren einige auf Elend-Thieren ritten, andere auf Schlitten fuhren, welche von Rennthieren, oder von Hunden gezogen wurden, die so geschwinde lieffen, als Hirsche. Endlich so sahen sie viele ausserordentliche Dinge, deren einige ihnen Verwunderung verursachten; von allem, was sie gesehen hatten, hielten sie ein richtiges Verzeichniß, so wie es ihnen war befohlen worden. Als sie wieder zurücke kehreten, so nahmen sie Samojeden mit sich, die ihnen freywillig folgen wolten, und liessen dargegen einige Russen zurücke, nicht sowohl als Geiseln, als damit sie die Sprache des Landes lernen möchten. Als sie zu Moscau angelanget waren, so erstatteten sie dem Boris ihren Bericht, und dieser Fürst gab dem Kayser Nachricht davon. Der Anblick der Samojeden war ein seltenes Schauspiel für die Russen. Man befahl ihnen mit dem Bogen zu schiessen, und sie thaten es mit solcher Geschicklichkeit, daß man sich darüber verwunderte. Sie befestigten einen Pfennig an einem Baume und traten so weit davon, daß sie selbigen kaum erkennen konnten, und gleichwohl traffen sie solchen allezeit mit ihren Pfeilen. Hingegen betrachteten diese wilden Leute die Einwohner von Moscau, ihre Lebens-Art, und verschiedene andere Dinge, die ihnen fremde waren, mit Erstaunen. Den Kayser aber betrachteten sie anders nicht, als mit Furcht und Ehrerbietung. Seine prachtige Kleidung fiel ihnen in die Augen. Sie verwunderten sich darüber, daß sie ihn bald zu Pferde, bald in einer prächtigen Kutsche sahen, die mit vielen Pferden bespannet war, und wobey ihn eine Menge von prächtig gekleideten grossen Herren begleitete. Eben so aufmercksam betrachteten sie die Soldaten, [821] ihre Feuer-Röhre, ihre rothen Kleider, ihren Gebrauch, Truppweise zu gehen, und die Menge, welche den Kayser allezeit umgab, so offt er ausgieng, indem insgemein nicht weniger, denn 400. Mann um seine Person waren. Sie höreten mit Verwunderung den Schall der Glocken, deren es zu Moscau viele giebt. Sie betrachteten die Krahmläden und die darinne befindlichen Sachen. Endlich so glaubeten sie an einen Ort versetzet zu seyn, der von Göttern bewohnet würde, und verlangeten nur deswegen wieder zu ihren Landes-Leuten zurücke zu kehren, damit sie ihnen erzählen könnten, was sie gesehen und gehöret hätten. Sie schätzten diejenigen für glücklich, welche die Ehre hätten, unter der Herrschafft eines solchen Fürstens zu stehen, welcher mehr ein Gott als ein Mensch wäre, und freueten sich, daß sie unter die Zahl derselben solten aufgenommen werden. Die Speisen, womit man sie bewirthete, schmecketen ihnen vortreflich, und sie gestanden, daß zwischen diesen köstlichen Mahlzeiten, und dem rohen Fleische von Thieren, und den gedörrten Fischen, die sie zu essen pflegten, ein grosser Unterschied wäre. Das wichtigste aber bey dem allen war, daß sie dem Kayser versprachen, ihn für ihren Herrn zu erkennen, und alle Samojeden zu bewegen, daß sie ihn auch dafür erkennen solten. Sie bathen ihn, daß er ihnen die Gnade erzeigen, und ihnen Gouverneurs schicken möchte, unter deren Aufsicht sie stünden, und welche den Tribut einnähmen. Was ihren Götzendienst anbetrifft, so erwehnte man solches damahls nicht; man ließ sie bey ihrer alten Gewohnheit; aber man würde sie leicht zu Annehmung der Christlichen Religion bewegt haben, wenn man ihnen geschickte Lehrer geschickt hätte. Ja es ist sehr wahrscheinlich, daß die Russen in keine langen und beschwerlichen Kriege würden seyn verwickelt worden. Nach einem so glücklichen Erfolge wurden die Aniconier bey Hofe sehr günstig angesehen. Man ertheilete ihnen viele Privilegia und Immunitäten. Man schenckte ihnen einige Plätze, die nahe bey ihrem Lande lagen, und sehr richtig waren; dergestalt, daß sie in verschiedenen Gegenden längst an den Flüssen Duna, Witsogda und Soebra 100. Meilen Landes besitzen; und sie sind an allen Orten, wo sie sich ausgebreitet haben, reich geblieben, und erhalten sich noch jetzo dabey, ohne daß das geringste von ihren Privilegiis wäre aufgehoben worden. Uebrigens wurde in dem Rathe des Kaysers beschlossen, daß man längst dem Flusse Oby, und in freyen Felde, wo es bequem wäre, Forteressen anlegen, und Besatzungen hinein legen wolte; ferner, daß man einen General-Gouverneur dahin schicken, und ihm Befehl ertheilen wolte, das Land genau zu erforschen, so weit als möglich hinein zu dringen, und es dem Kayserthume zu incorporiren. Alles dieses ist berwerckstelliget worden. Man hat die Forteressen von dem daselbst befindlichen Holtze gebauet, solche mit starcken Pallisaden umgeben, und mit Erde verschüttet. Man schicket Colonien dahin, dergestalt, daß es an vielen Orten Einwohner giebt, die gantze Kirchen ausmachen, und Pohlen, Tartarn, Russen, und von andern Nationen sind. Ausser denen, welche freywillig dahin gezogen sind, hat man auch Mörder, Verräther, Diebe, und so zu sagen den Abschaum von Menschen, und diejenigen, welche das Leben verwürcket hatten, als in eine Exilium dahin geschicket. Einige wurden daselbst gefangen gehalten, andere waren in Freyheit, und hatten die Erlaubniß, sich häußlich niederzulassen, wornach ihre begangenen Verbrechen mehr oder weniger harte waren. Also hat man daselbst nach und nach sehr grosse Städte erbauet, und solche mit allerhand Leuten bevölckert; jetzo stehen [822] die Sachen daselbst auf einem solchen Fusse, daß man so viel Kirchen, Forteressen und Städte daselbst hat, daß es einem Königreiche gleich kömmt. Doch muß man gestehen, daß zu diesem geschwinden Anwachse die ertheilten Befreyungen, und die Verschenckung der Ländereyen das meiste beygetragen hat; denn diese Vortheile haben von allen Orten arme Leute dahin gelocket, welche anderwärts arbeiteten, um ihr Leben hinzubringen. Dieses so gewaltig grosse Land heißt jetzo Siberien, und man hat daselbst eine Stadt, Nahmens Siber erbauet. In den ersten Zeiten, da man dies Pflantz-Stätte anlegte, war dieser Nahme Siberien, wenn man ihn zu Moscau erwähnete, das Schrecken der Müßiggänger, denn alle diejenigen, welche man entdeckete, wurden sogleich nach Sibirdam geschickt. Jetzo aber ist diese Strafe gemein, und zugleich, in Ansehung ihrer ersten Beschaffenheit, so gelinde geworden, daß, so bald irgend ein Herr, oder Edelmann in die Ungnade des Kaysers fällt, er mit seiner gantzen Familie auf eine gewisse Zeit nach Siberien geschickt wird, um in Siberien Busse zu thun, und man giebt ihm daselbst irgend ein Gouvernement, biß sich der Zorn des Kaysers gelegt hat. Unterdessen ist doch diese Straffe, ob sie gleich viel gelinder als andere ist, allezeit ein hartes Leiden für diejenigen, welche ihre gantze Glückseeligkeit sonst nirgends, als bey Hofe finden. Es war diese Straffe weyland so arg, als wenn einer auf die Galeeren versendet wird, indem sie allda zwey, drey, sechs, zehen mehr oder weniger Jahre, nachdem das Verbrechen war, verbleiben, und der Zobel-Jagd mit höchster Beschwerniß obliegen musten. Sie sind gehalten, täglich eine gewisse Anzahl zu liefern, oder sie bekommen die Knut-Peitsche. Was ein solcher über seine auferlegte Zahl fället, mag er frey verkauffen. Wir wollen hier den Weg von Moscau nach Siberien beyfügen, so viel man bey dem Stillschweigen der Russen davon hat erfahren können, indem sie aus Furcht für der Straffe nichts davon melden; denn man versichert, daß man es bey Hofe nicht mit Gelassenheit ansehen würde, wenn die Unterthanen denen Fremden die Geheimnisse ihres Landes entdecken wolten. Von Witsogda Soi, wo die Aniconier wohnen, fährt man diesen Fluß hinauf, biß an eine kleine Stadt, Nahmens Javinisco, welche von Russen bewohnet wird. Es sind 17. Tagereisen Weges von der Stadt Soil biß hieher, und man muß durch Gehöltze und über Flüsse reisen. Von Javinisco an bringt man 3. Wochen zu, ehe man bey einem Flusse, Nahmens Ne-em, das ist, der Stumme, anlanget, welcher deswegen also heißt, weil er zwischen den Gehöltzen gantz ruhig fort läufft. Wenn man auf diesem Flusse ohngefehr 5. Tage mit Fahrzeugen oder Flössen gefahren ist, so muß man die Waaren und das Geräthe, so man hat, eine Meile weit zu Lande fortbringen, weil der Ne-em hier einen andern Lauf nimmt, und von der Strasse abweicht. Damit man also den kürtzesten Weg nehmen möge, so thut man eine Meile zu Lande, und geht hernach wieder auf einem Flusse zu Schiffe, Nahmens Wyssera, welcher von Felsen herab fällt, die von denen Russen Camena genennet werden, und in eben denselben Gebürgen Joegoria sind. Man fährt auf diesem Flusse 9. Tage lang hinunter, und kömmt zu einer kleinen Stadt, Nahmens Soil-Camscoi, welche zur Bequemlichkeit der Reisenden erbauet worden, welche genöthiget sind, ihre Reise zu Lande fortzusetzen. Der Wyssera setzt seinen Lauf fort, und fällt endlich in einen andern Fluß, den man Cam nennet, welcher unter der Stadt Viatea in Rußland hinläufft, und sich in den grossen Fluß Rha, oder Wolga ergießt, der durch 70. Mündungen in das Caspische Meer fällt. Nachdem [823] man zu Soil-Camscoi ausgeruhet hat; so kommen Leute, welche einem Pferde bringen, denn dieses Land ist gut bewohnt, und es giebt viele Dörffer und Vieh darinne, indem die Einwohner Russen und Tartarn sind. Diese Leute nehmen die Bagage, laden sie auf Pferde, und führen die Reisenden fast den gantzen Weg über Gebürge, welche mit Fichten, Palmen und andern Bäumen bedecket sind. Man muß über 2. Flüsse setzen, welche in denen Gebürgen sind, beyde gegen Norden lauffen, und Soyba und Coosna heissen. Die darauf folgenden Gebürge theilen sich in 3. Theile ab, und sind von denen andern, an welche sie stossen, unterschieden. Es giebt hier sehr schöne Gehöltze, die viel dicker sind, als auf den ersten Gebürgen, und vortrefliche Weide. Zwey Tagereisen Weges weit heissen sie Coosvinscoy-Camen; 2. andre Tagereisen weit. Cirginscoy-Camen, und nach 4. andern Tagereisen, Polvinscoy-Camen. Hernach kömmt man zu einer Stadt, Nahmens Vergateris. Diese 3. Gebürge sind eigentlich Wüsteneyen, dahin Tartarn und Samojeden kommen, welche bloß für die Russen jagen. Die Gebürge Potvinscoy-Camen sind die höchsten, indem sie an vielen Orten mit Schnee bedecket, und mit Wolcken umgeben sind. Die Reise ist daselbst sehr beschwerlich, aber ob gleich der Fuß des Gebürges sehr niedrig ist, so ist doch die Lähne desselben nicht sehr rauh, und man steigt nach und nach hinab. Wenn man zu Vergateria angelanget ist, so muß man biß auf das Frühjahr daselbst verbleiben. Weil der allda vorbey lauffende Fluß, Nahmens Toera, das gantze übrige Jahr hindurch wenig Wasser hat, indem er nahe bey seiner Quelle ist; aber im Frühlinge schwillt er durch den geschmoltzenen Schnee dergestalt auf, daß man mit Fahrzeugen und Barquen darauf schiffen kan. Diese Stadt Vergateria ist die erste Stadt in Siberien, welche nur von 30. Jahren, eben so wohl wie viele andere Städte erbauet ist. Unterdessen ist sie sehr volckreich, und die dasigen Einwohner bauen das Feld auf eben die Art, wie man in Rußland thut. Es ist hier ein Gouverneur, welcher alle Jahre vieles Getrayde und andere Provision in alle andere Oerter von Siberien auf den dasigen Flüssen schicket, und er läßt die Forteressen, und alle andere Oerter, wo sich Besatzungen befinden, damit versorgen. Er schicket auch Getrayde jenseit des Oby, in die Forts und Plätze, wo Rußische Soldaten liegen; denn biß jetzo hat man daselbst noch keines erbauet, und die Samojeden leben bloß von der Jagd. Auf dem oben gedachten Flusse Toera fährt man fünf Tage lang hinunter, und kommt in eine Stadt Nahmens Japhanim, welche nur seit 12. biß 13. Jahren erbauet und bevölckert worden ist. Zu Japhanim schiffet man sich auf eben diesem Flusse wieder ein, welcher nach 2. Tage-Reisen Weges dermassen Schlangen-weise läufft, daß man öffters über das Land gehen muß, um den Fluß wieder anzutreffen, und einen kürtzern Weg zu nehmen. Die Gegenden dieses Flusses werden von Tartarn oder Samojeden bewohnet, welche sich von der Viehzucht ernähren. Sie haben auch Fahrzeuge. Endlich läufft man aus dem Flusse Toera, in einen andern grossen Fluß, welcher Tabab heißt, ohngefehr 200. Meilen von Vergateria, auf welcher man biß nach Tinen, einer sehr volckreichen Stadt, reiset, die auch ohngefehr seit 30. Jahren erbauet worden. Im Winter nehmen viele Leute zu Saphanim Schlitten, und reisen innerhalb 12. Tagen nach Tinen, einem Platze, wo jetzo zwischen den Russen, Tartarn und Samojeden ein starcker Handel mit Peltzwercke getrieben wird; und dieser Ort ist für diejenigen bequem, die nur 6. Monate auf der Reise zubringen wollen. Einige aber wollen noch tieffer hinein gehen, und reisen jenseit des Flusses Oby sowohl gegen Osten, als gegen Süden. Von Tinnen gehet man biß nach Tobolsca, der Hauptstadt in Siberien, wo sich der Stadthalter aufhält. Hierher schicken alle Städte jährlich ihren Tribut, sowohl diejenigen, die jenseit, als die diesseit des Oby sind; und wenn [824] aller Tribut beysammen ist, so schicket man denselben unter einer guten Bedeckung nach Rußland. Der Gouverneur ist strenge, und alle übrigen Gouverneurs von Samojedien und Siberien sind schuldig, dem Statthalter zu gehorchen. Diese wichtige Stelle wird gemeiniglich einem von den geheimden Räthen, und den reichsten Familien in Rußland anvertrauet, in der Absicht, weil diese ohnedem schon Geld und Gut haben, so werden sie desto getreuer seyn, und nach fremden Mitteln nicht so leichte streben. Es wird auch ein starcker Handel mit Rußischen Waaren getrieben. Es kommen sogar Tartarn von Süden, und mitten aus der Tartarey, und viele andere verschiedene Völcker hieher; und dieser Zulauf wird desto stärcker, je mehr das Land in Ruf kömmt. Dieses ist ein grosser Vortheil für die Russen, da sie dieses grosse Land ohne Krieg erobert, und ihrem Reiche mit Gelindigkeit und mit Einwilligung der Einwohner einverleibet haben, weil ihnen die Leute überaus gewogen sind, und man überall Kirchen antrifft. Diese Stadt Tobolsca, die Hauptstadt in Siberien, liegt auf der einen Seite an dem Ufer eines grossen Flusses, Nahmens Irtis, welcher von Süden kömmt und einen so schnellen Lauf hat, als die Donau. Er ergießt sich in den Fluß Oby, und man glaubet, daß diese 2. Flüsse in einerley Lande entspringen. Der Fluß Tobol, von welchem die Stadt ihren Nahmen hat, läufft auf der andern Seite des Platzes. In den Tobol fällt ein anderer Fluß, welcher von Norden kömmt, und oben von einem Berge nahe bey denen Küsten des Meeres herab fließt. Die Wilden nennen ihn Taffa, und die Russen haben vor einigen Jahren an seinen Ufern eine Stadt, Nahmens Pohem erbauet. Sie haben eine Colonie hieher geschickt, die sie aus Siberien gezogen, und sind willens, diesen Ort in rechtes Ansehen zu bringen, wegen der Schönheit und Fruchtbarkeit des Landes. Es sind hier über dieses schöne Gehöltze, die voller wilden Thiere, Leoparden, Luchse, Füchse und Zobel sind. Diese Stadt liegt 15. Tage-Reisen von Tobolsca. Der Fluß Irtis fällt auch 15. Tagereisen von eben dieser Stadt gegen Norden in den Oby. Ehemahls war eine Stadt an seinem Ausflusse, welche Olscoygorod hieß; aber sie ist auf Befehl des Gouverneurs in Siberien zerstöhret worden, ohne daß man die Ursache davon hat erfahren können. Vielleicht ist es wegen der Kälte geschehen; oder weil sie zu nahe an dem Meere war, so hat man besorget, daß auf dieser Seite einige Unordnung oder Veränderung vorgehen möchte. Aber da der Fluß Oby sich in 2. Aerme sondert, und der eine davon, indem er sich entfernet, ein grosses Stück Landes umgiebt, und eine Insul formiret, und hernach wieder in den ersten grössern Canal fällt, so hat man in dieser Insul an statt der zerstöhrten Stadt, eine neue gebauet. Sie heißt Zergolt, und liegt ohngefehr 50. Meilen tieffer im Lande, als die erste. Wenn man den Fluß oberhalb Zergolt hinauf fährt, so steckt man auf denen Fahrzeugen fast gar keine Seegel auf, entweder weil hier der Wind würklich fast gar nicht mehr wehet, oder weil der Wind wegen des hohen Landes nichts hilfft, obgleich der Oby überall ein starcker und sehr breiter Fluß ist. Man ziehet also hier die Fahrzeuge mit Seilen, so, wie man auf allen Flüssen in Rußland zu thun pflegt. Von Zergolt fährt man 200. Meilen hinauf, und kommt zu einer Forteresse, Nahmens Noxinscoy, welche vor 34. Jahren erbauet worden, da der Ober-Gouverneur Leute ausschickete, um das Land zu erforschen, u. Oerter zu suchen, welche zu Anlegung der Städte bequem wären. Weil nun diese Gegend angenehm, gesund, und unter einem sehr heissen Climate, fruchtbar, und mit allerhand Thieren und Feder-Vieh versehen war, so legte man hier das Fort Noxinscoy an, und versahe es mit einer Besatzung. Es liegt Süd-Westwärts. Es sind hier so viel Einwohner, daß sie eine zahlreiche Kirche ausmachen. Man hat ihnen anbefohlen, das Land [825] nach dem heissesten Climate zu, je mehr und mehr zu erforschen, und die dasigen Einwohner durch Freundlichkeit zu gewinnen, um durch dieses Mittel das Kayerthum desto ansehnlicher zu erweitern. Da nun diese Leute öfters haufenweise ausgegangen, und über 400. Meilen weit in das Land hinein gereiset sind, so haben sie zwar vortreffliche Gegenden, schöne Ländereyen, aber keine Menschen angetroffen; sondern es ist ein wüstes Land. Diejenigen, welche vor 20. Jahren auf dem Flusse Oby noch 200. Meilen weiter hinauf fuhren, fanden daselbst ein ungemeines und sehr heisses Land, an welchem gar nichts auszusetzen ist, und welches wenig, oder gar keinen Winter hat. Nach ihrer Zurückkunft wurden sie nach Rußland gefordert, wo damahls Boris Goddenoof regierete, welcher, nachdem er von allem war benachrichtigt worden, sich diese Sache sehr angelegen seyn ließ. Er befahl alsobald, daß der Gouverneur von Siberien Leute dahin schicken sollte, um eine Stadt zu erbauen. Man legte anfänglich allda eine Forteresse und einige Häuser an, und solches hat man seit dem fortgesetzet; dergestalt, daß jetzo eine schöne Stadt, Nahmens Toom daselbst stehet, denn sie erfuhren nachhero, daß eben diese Gegend von Tartarn bewohnet würde, welchen diese Gegend die angenehmste wäre, und welche einen König hätten, der Altyn hieß. Diese neue Stadt ist öfters von verschiedenen Völckern angegriffen worden, welche rings herum unter Gezelten, oder im freyen Felde wohnen; aber jetzo ist sie so mächtig, daß sie nichts weiter zu fürchten hat, und es ist sehr wahrscheinlich, daß sie mit ihrem Zubehör in kurtzer Zeit werde ein kleines Königreich ausmachen können. Zwischen der Forteresse Noxinscoy und dieser Stadt Toom in Siberien entdecket man täglich, wenn man tiefer in das Land hinein kömmt, verschiedene Völcker, welche sich Ostachy nennen, und sich freywillig mit denen Samojeden, Russen, und Tartarn in Siberien vereinigen, und mit welchen man sehr freundlich umgeht. Einige von ihnen bringen so gar Gold. Sie haben verschiedene Könige, welche wie die Könige der Indianer sind, das ist, wie die kleinen Könige in Ost-Indien, und nicht wie die Grossen. Mit einem Worte, die Russen breiten sich auf dieser Seite dergestalt aus, daß man erstaunet, wenn man es sieht, oder wenn man davon reden höret. Es sind auch viele Forteressen und Schlösser zwischen dem Oby und Irtis, welche zur selbigen Zeit, oder seit dem Tobolsca erbauet, angeleget worden. Diese Plätze sind schon in einem blühenden Zustande, und mit gesitteten Tartarn, Russen und Samojeden bevölckert. Der eine heißt Tara, und auf der Höhe, wo er liegt, fliessen die Flüsse Oby und Irtis 10. Tagereisen Weges von einander. Ein anderer heißt Jorgoet, oder Jorgout, welcher vor 35. Jahren erbauet worden, wie auch Beson und Mangansoiscoy-Garad. Diese 3. Städte liegen weiter hinauf gegen Süden, und die Einwohner derselben geben sich noch täglich Mühe gegen Westen von dem Oby Entdeckungen zu machen. Disseit dieses Flusses sind die Städte Tobolsca, Sibir oder Sibier, Berelai, und viele andere, die alle an den Ufern verschiedener Flüsse liegen, und man bauet immer noch neue Städte. Aber die Städte Narim und Toom sind auf der andern Seite des Oby. Die Einwohner spannen Rennthiere, wie auch Hunde vor ihre Schlitten, welche sehr geschwinde laufen, und welche meistens mit Fischen gefüttert werden, weil man glaubet, daß ihnen dieses Kräffte giebt. Die Fische, die man ihnen giebt, sind insgemein gedörrte Rochen, was die Stadt Jargoet anlanget, so liegt solche, wie schon gesaget worden, in einer Insul, welche der Oby formiret. Wenn man von Narim Ostwärts hinauf fährt, so trifft man an einem Flusse, Nahmens Telt, eine Forteresse an, welcher man den Nahmen Comgofscoy beygeleget hat, und in welcher eine Besatzung gehalten wird. [826] Vor 28. Jahren bekamen die Einwohner von diesem kleinem Fort und von der Stadt Narim, von denen Gouverneurs von Siberien Befehl, auf Schlitten und zu Pferde Ostwärts Entdeckungen zu machen, ob es daselbst noch andere Völcker gäbe. Sie reiseten 3. Wochen lang, nahmen ihren Weg gerade gegen Osten durch grosse Wüsteneyen, und fanden fast überall ein schönes Land, vortreffliche Bäume und verschiedene Flüsse. Nach einer Reise von 3. Wochen, sahen sie einige Hütten im freyen Felde, und traffen Menschen beysammen an, welche bey Erblickung der Russen nicht erschracken, weil diese Samojeden und Tartarn zu Anführern hatten, welche vielleicht schon gar ehemahls diesen Weg gereiset, und mit den Einwohnern dieses Landes Umgang gepflogen hatten. Als man daselbst anlangete, begegnete man denen Einwohnern mit vieler Höflichkeit. Die Tartarn und Samojeden verstunden ihre Sprache nicht, doch begriffen sie etwas davon, als, daß sie Tingöesy hießen, und längst an einem Flusse, Nahmens Jenisea wohneten, welcher grösser wäre als der Oby, daß sie von Süd-Osten eigentlich herkämen; aber daß sie so genau die Gegend nicht wüsten. Sie hatten ein doppeltes Kinn, das ist, ein dickes Wesen, welches von dem Kinne biß auf die Gurgel herab hieng, und wenn sie redeten, so schluchtzeten sie wie die Truthäne. Die Samojeden verstunden ihre Sprache am besten, indem dieselbe mit der Sprache der Tiugöesen einige Aehnlichkeit hatte. Ostwärts von diesem grossen Flusse Jenisea sind hohe Berge, von denen ihrer 4. Feuer ausspeyen; aber disseit, gegen Westen, ist ein niedriges und schönes Land, welches angenehme Wiesen, verschiedene Arten von unbekannten Obst-Bäumen, und viel Feder-Vieh hat. Der Jenisea ergießt sich im Frühlinge fast auf eben die Art wie der Nilus in Egypten, und bedecket über 70. Meilen Landes, während welcher Zeit sich die Tingöesen auf die andere Seite des Flusses begeben, und sich so lange in den Gebürgen aufhalten, biß das Wasser zurück getreten ist, worauf sie mit ihrem Viehe in dieses schöne Land wieder zurücke kehren. Die Tingöesen sind friedfertig und stille Leute. Sie unterwarfen sich denen Gouverneurs von Siberien, worzu sie durch die Samojeden bewogen wurden, welche ihnen sageten, daß sie gleichsam Götter wären. Man konnte damals nicht wahrnehmen, wie ihre Religion beschaffen wäre, und man hat es auch seit dem nicht erfahren können, indem die Russen allzu nachläßig sind, und nicht in allen Stücken thun, was sie würden thun können. Uebrigens darf man sich nicht wundern, daß das Weigats so sehr voll Eiß, und Nordwärts damit gleichsam verstopfet ist, weil die Flüsse Oby und Jenisea, eine erstaunende Menge daselbst zusammen führen, wie auch unzähliche andere Flüsse, die sich hinein ergießen, und deren Nahmen unbekannt sind. Sie führen so gar gantze Gehöltze dahin, und daher kömmt es, daß man auf dem Weigats so viel Holtz schwimmen siehet. Uebrigens ist die Kälte in denen Meer-Engen von Novazembla eben so hefftig, als an irgend einem Orte der Welt, daher denn auch die Kälte, und der kleine Umfang der Meer-Enge nothwendig diese Würckung hervorbringen, daß das Eis, welches von allen Seiten hierher getrieben wird, sich häufet, zerschellert, zusammen gefrieret, und dergestalt dicke wird, daß einige Schollen 50. bis 60. Faden starck sind. Die Russen, welche die Entdeckung unternahmen, giengen über den Fluss Jenisea, aber sie nahmen ihren Weg Ostwärts, und wollten sich nicht allzuweit Südwärts wagen. Sie hatten einige Tingöesen mit sich genommen, welche ihnen sageten, daß es weiter gegen Süden verschiedene Völcker gebe, die ihnen unbekannt wären, und von Königen regieret würden, die öfters mit einander Krieg führeten, wie sie gehöret hätten. Da sie nun also das Land nicht bevölckert fanden, so kehreten sie nach einigen Tagereisen Weges wieder zurücke, und befahlen denen Tingöesen, daß sie neue Untersuchungen anstellen sollten. Diese versprachen es und macheten ein Bündniß mit ihnen. Nachdem ihnen die Russen ihre Geschencke überreichet hatten, so liessen sie einige von ihren Leuten, einige Samojeden und Tartarn unter ihnen. [827] Nachdem im folgenden Jahre die Tingoësen eine gewisse Anzahl von den ihrigen Westwärts ausgeschicket hatten, um das Land zu erforschen, so giengen sie weiter, als in dem vorigen Jahre, und traffen einen grossen Fluß an, der aber doch nicht so groß war, als der Jenisea; allein er war eben so reißende. Sie giengen einige Tage lang an den Ufern desselben fort, allwo sie endlich Menschen sahen; welche sie erreicheten; und nachdem sie einige von ihnen gefangen genommen hatten, so konnten sie ihre Sprache nicht verstehen. Indessen glaubeten sie doch durch Zeichen so viel von ihnen zu vernehmen, daß diese Leute ihnen sageten, daß es auf der andern Seite oft donnere, weil sie oft Om, Om schryen, und daß es daselbst viele Menschen gäbe. Als sie den Fluß hinauf fuhren, so sageten sie Pesida, woraus die Tingoesen und die Tartarn schlossen, daß solches der Nahme des Flusses sey. Aber die Russen behaupteten, daß sie durch die Worte Om Om, das Getöse der Glocken anzeigen wollten. Als sie wieder zurücke kehreten, so nahmen sie ihre Gefangenen mit sich, welche unterwegens starben, entweder aus Furcht, oder wegen Veränderung der Lufft, man bedauerte solches sehr. Bey ihrer Ankunft sageten sie, daß dieses sehr mächtige, starcke und wohlgebildete Leute wären, die kleine Augen, ein plattes Gesichte, und eine gelbbraune Farbe hätten. Nach dem die Russen, die in Siberien waren, hiervon von denen Samojeden Nachricht erhielten, welche aus dem Lande der Tingoesen kamen, so wurden sie begierig auf eine nochmalige Entdeckung auszugehen. Sie baten den Gouverneur um Leute, welcher ihnen solche, wie auch Soldaten gab, und ihnen befahl, daß sie Tingoesen, Samojeden und Tartarn mit sich nehmen sollten. Also reiseten sie, ohngefehr 700. Mann an der Zahl ab, giengen über den Fluß Oby, und durch das Land der Samojeden und Tingoesen, welche ihnen den Weg zeigeten. Ihre Kost traffen sie unterwegens an, indem sie Vögel, Rennthiere, Ziegen und andere Thiere schossen, und Fische fiengen, indem das gantze Land voller Flüsse war. Sie langeten an den Ufern des Flussses Pesida an, allwo sie Gezelter aufschlugen, und den Frühling erwarteten, weil sie den Fluß offen sehen wollten, und weil diese Jahreszeit nahe war; aber sie getraueten sich nicht über den Pesida zu gehen, wegen desjenigen, was man ihnen auf der ersten Reise gesaget hatte, und weil sie ein Getöse von Glocken höreten. Ueberdieses, wenn der Wind gerade von der andern Seite des Flusses herkam, so hörete man ein verworrenes Getöse von Menschen-Stimmen, und von dem Wiehern der Pferde. Sie entdecketen so gar Seegel, aber selten, und glaubeten, daß die Fahrzeuge den Fluß herab führen. Die Seegel waren viereckigt, so, wie die Indianischen zu seyn pflegen. Gleichwohl entdecketen sie keine Menschen disseit des Flusses, wo sie waren. Das Wasser war im Frühlinge sehr hoch; aber es hinderte niemand, weil das Land auf beyden Seiten hoch war. In dem Monath April kam ihnen das Land ungemein schön für, und sie ergötzeten sich alle darüber. Sie sahen hier viele Simplicia, rare Kräuter, Blumen, Früchte, Bäume, Thiere und Vögel[.][8] Aber da die Russen nicht neugierig sind, so brauchten sie hier weniger Aufmercksamkeit, als andere nicht würden gethan haben. Diese sehr plumpe Nation, ist auf nichts als auf ihren Vortheil bedacht. Als der Sommer gekommen war, begaben sie sich wieder auf den Weg, und reiseten gantz gemächlich, so, daß sie erst im Herbste wieder in Siberien anlangeten. Sie statteten ihren Bericht von demjenigen ab, was sie gesehen hatten, und bekräfftigten solches eydlich. Nachdem man dieses alles nach Moscau berichtet hatte, so verlangeten der Kayser Boris, und der gantze Hof sehr eifrig, daß man grössere und genauere Untersuchung anstellen sollte. Zu dem Ende entschloß man sich in folgendem Jahre eine Gesandschaft mit Geschencken nebst einer Begleitung von Tartarn, Samojoeden und Tingoesen abzuschicken, damit solche über den Fluß Pesida gehen, und sehen möchte, was jenseit desselben wäre: Man wollte ihnen Vollmacht ertheilen, mit denen Königen, Völckern [828] und Herrschaften, die sich etwa daselbst befinden möchten, Freundschafft zu errichten; sonderlich aber wurde ihnen aufgetragen, alles was sie sehen würden, genau zu bemercken und zu untersuchen, und solches aufzuschreiben; denn weil man in den Gedancken stund, daß man den Schall der Glocken gehöret hatte, so machete man sich Hoffnung zu grossen Entdeckungen. Aber alle diese vorgehabten Unternehmungen wurden zu Wasser, durch die Unruhen, welche in Rußland entstunden, und worauf so schwere Kriege erfolgeten. Man glaubet, daß dieser Fluß Pesida sich endiget, oder wenn man will, auf dieser Seite sich bey dem Königreiche Cathai anfängt, welches an China und Indien gräntzet. Indessen verhinderten die Unruhen in Rußland, die Gouverneurs in Siberien nicht, eine neue Reise zu unternehmen; und viele Einwohner und Bürger wollten dabey seyn. Aber als sie sich dem Flusse Pesida genähert, und einen Lermen von Menschen-Stimmen, und das Getöse der Glocken sehr deutlich gehöret hatten, und die Tingoesen der Meynung nicht waren, daß man über dem Fluß gehen sollte, so wollte es auch niemand wagen; sondern sie begnügten sich damit, daß sie disseit desselben einige Flammen bemerckten, welche aus einigen Schwefelbergen fuhren, daß sie sich denenselben naheten, ein wenig Schwefel, und einige Goldsteine, die sie auch daselbst fanden, und woraus sie schlossen, daß es reichhaltige Bergwercke in diesem Lande geben müsse, mit sich nahmen. Der Statthalter ließ auch vor einiger Zeit bedeckte Barquen bauen, um mit selbigen auf den Frühling durch den Ausfluß des Oby in See zu gehen, und längst an denen Küsten hin, biß an den Ausfluß des Flusses Jenisea zu fahren. Diese Barquen sollten in diesem Ausfluß einlauffen, und 2. Tagereisen weit den Fluß hinauf fahren. Außerdem schickete er Leute zu Lande an den Ufern eben dieses Flusses ab, um daselbst so lange zu verweilen, biß jene allda würden angelanget seyn, oder sie ein gantzes Jahr lang zu erwarten, worauf ihnen erlaubet seyn sollte, wieder zurück zu kehren. Diejenigen, welche sich einschiffen sollten, hatten einen Commandanten, Nahmens Luca, welcher eben so wohl als diejenigen, welche er commandirete, alles beobachten, und die Gegenden und Lage der Küste abzeichnen sollte. Nachdem alle diese Reisenden, so wohl zu Wasser, als zu Lande, dasjenige ausgerichtet hatten, was ihnen war befohlen worden, so trafen sie einander würcklich in dem Genisea, oder vielmehr in seinem Ausflusse an; denn diejenigen, welche zu Lande gereiset waren, hatten Flößen gemacht, und einige kleine Fahrzeuge gebauet, welche sie mit Leuten besetzet hatten, die biß zu diesem Ausflusse herunter gefahren waren, allwo sie die andern fanden. Alles was sie sahen, traf mit denen Muthmassungen des Statthalters überein. Aber weil der Commandant Luca unterwegens nebst denen vornehmsten gestorben war, so hielten sie für nöthig, sich zu trennen, und auf dem Wege, den sie gekommen waren, wieder zurück zu kehren. Als sie zu Hause angelanget waren, statteten sie dem Gouverneur eine umständliche Nachricht ab, welche er nach Moscau schickete, allwo sie verschlossen und versiegelt in dem Schatze beygelegt wurde, um sie daselbst biß zu Ende des Krieges zu verwahren. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Nachricht verlohren gegangen; denn es ist derselben niemahls gedacht worden. Es ist noch ein andrer grosser Fluß, Nahmens Taas, welcher in den Oby fällt, und welcher aus einem grossen Gehöltze sehr nahe bey Jenisea kommt, allwo auch ein andrer Fluß entspringt, der nicht weit von dem vorhergehenden ist, und in den Jenisea fällt. Also kan man aus dem Oby, aus diesem ersten Flusse, durch das Land der Samojeden reisen, und nur 2. Meilen zu Lande thun, um an das Ufer eines andern Flusses, Nahmens Torgalf, zu gelangen, und auf demselben dem Strohme nach in den Jenisea einzulauffen, indem dieser Fluß Torgalf zur Schiffarth überaus bequem, und von denen Samojeden und Tingoesen erst vor kurtzem entdecket worden ist. Es ist kein Zweifel, daß man, wenn man durch den Weigats, oder Pechora gehen könnte, wo es gute Häfen und Lebens-Mittel [829] giebt, man viele schöne Länder auf dem festen Lande, und angenehme Insuln antreffen würde. Es kan so gar seyn, und zwar ist es nicht so unwahrscheinlich, daß America gegen China zu durch irgend eine Spitze, oder schmahlen Strich Landes, an die andern Theile der Welt stößt[9], so wie Asien nahe bey dem Rothen Meere an Africa gräntzet. Wenigstens hat biß jetzo niemand gesaget, daß es also sey, oder nicht sey. Aber wenn auch gleich eine Absonderung statt haben sollte; so kan man doch schliessen, daß sie nicht groß seyn kan; sonst würde man nicht begreiffen können, daß America bevölckert sey, von so grossem Umfange es auch seyn möge; denn da der erste Mensch in Asien erschaffen worden, und es daselbst vor der Arche Noä kein Fahrzeug gegeben hat, so würde niemand dahin haben reisen können. Dieses Land wird jetzo von 3. Arten von Einwohnern bewohnt; nemlich 1) von denen heydnischen Völckern, welche die alten Einwohnern des Landes sind; 2) von Tartarn, die Mahometaner sind, und welchen es die Russen abgenommen haben; 3) von denen Russen, welche jetzo Herren davon sind. Viele von den Einwohnern in Siberien reden die Ungarische Sprache, welches viele auf die Gedancken gebracht, daß die alten Ungarn aus dieser Gegend hergekommen. Es ist in den neuern Zeiten in diesem Lande durch die Schwedischen Gefangenen hin und wieder viel Gutes angerichtet, indem sie zur Erbauung verschiedener Evangelischer Schulen Anlaß gegeben. Diese wurden meistens nach der unglücklichen Schlacht bey Poltava dahin geschickt, und musten biß auf den Nordischen Frieden im Jahre 1720. daselbst ausdauern. Die heydnischen Völcker, welche in Siberien wohnen, sind in viele Nationen abgetheilet, darunter die vornehmsten sind, die Wogulitzes, die Samojeden, welche zwischen dem Oby und der Lena, nach dem Eiß-Meere zu wohnen, und welche Samoyedi Mantzela genennet werden, um sie von andern Samojeden zu unterscheiden, welche gegen der Nordlichen Küste von Rußland, von den Westlichen Ufern der Guba Tassaukoya an, biß in die Gegenden der Stadt Archangel, und den Fluß Dwina wohnen. Diese Leute sind die dümmsten und ärmsten in gantz Siberien; ihr äusserliches Ansehen hat mit denen Calmucken viel Aehnlichkeit, ausgenommen, daß sie weder sowohl gestalt, noch so groß als jene sind, daß sie garstige Mäuler mit herabhängenden Lippen haben und überaus schwerleibicht sind. Die Ostiaken wohnen gegen Süden von den Samojeden, nach dem 60. Gr. der Breite zu, von denen Gebürgen an, welche Rußland von Siberien absondern, biß an den Fluß Jenisea; die Leute von dieser Nation sind fast wie die Russen gestaltet, aber sie sind insgemein noch unter mittler Gestalt; sie sollen von einem Theile der Einwohner der Provintz Welika-Permia in Rußland herstammen, welche wegen ihrer Abgötterey ihr Land verlassen musten, und sich zu der Zeit in diesen Quartieren niederließen, da die Christliche Religion in dieser Provintz eingeführet wurde; wenigstens versichert man daß die Sprache der Ostiaken noch jetzo mit der Bauren Sprache der Einwohner der Provintz Permia viel Aehnlichkeit, und hingegen mit den Sprachen der andern benachbarten Heydnischen Völcker in Siberien gar kein Verhältniß habe; dergestalt, daß sie sich der Dollmetscher bedienen müssen, wenn sie mit ihnen reden wollen. Die Toungouses haben einen grossen Theil von dem Ostlichen Siberien inne; sie sind in 4. Linien abgetheilet. 1) Die Podkamena Toungousi, welche zwischen dem Flusse Jenisea, und dem Flusse Lena, gegen Norden von dem Flusse Angara wohnen. 2) Die Sabatski Toungousi, welche zwischen der Lena und dem Ende des Meer-Busens von Kamtzchatka, gegen dem 60. Gr. der Breite, Nordwärts von dem Flusse Aldan wohnen. 3) Die Olenni Toungousi, welche gegen den Quellen der Lena und dem Flusse Aldan, Nordwärts von dem Flusse Amur wohnen. 4) die Conni Toungonsi[10], [830] welche zwischen dem See Baikal, und der Stadt Nerzinskoy, und längst dem Flusse Amur wohnen. Die Jakuti, welche längst an der Lena wohnen: diese Leute sind fast wie die Toungouses gestalt, und die einzigen, unter den heydnischen Völckern in Siberien, welche sich der Rennthiere zum Reuten bedienen; sie sollen witziger und folglich auch boßhafter seyn, als die andern heydnischen Völcker auf dem festen Lande. Die Jukagri, welche gegen den Ufern des Eis-Meeres, Ostwärts von dem Ausflusse der Lena wohnen; diese sind von denen Samojeden nicht sehr unterschieden, doch sind sie weder so tumm, noch so häßlich, als jene. Die Tzuktzchi und Tzachlatzki. Die Kamtzchadales. Die von dieser Nation sind viel gesitteter und wohlgestalter, als ihre Nordlichen Nachbarn, sie habe auch bessere Kost und Wohnungen, als diese; sie versehen die Spitze an ihren Wurfspiesen und Pfeilen mit einem sehr schneidenden Crystalle, an statt des Stahles, welches Wunden machet, die sehr schwer zu heilen sind. Die Buratti, welche Südwärts von dem Flusse Angara, zwischen dem Jenisea und Selinga wohnen, sind eine Art von Moungales; Diese Leute ernähren sich von ihrem Viehe, und sind von langer und starcker Statur, aber bey weiten nicht so schwartzbraun, als die andern Moungales. Die Barbinski, welche eine Art von Calmucken sind, und in den Ebenen zwischen den Flüssen Irtis und Oby wohnen. Diese Leute stehen zum Theil unter der Herrschafft des Contaisch und zum Theil unter Rußischer Bothmäßigkeit; sie leben von ihrem Ackerbaue, von ihrem Viehe, und von ihrer Jagd; weil es aber in denen Landschafften dererjenigen, die unter Rußischer Botmäßigkeit vieles Peltzwerck giebt, so bezahlen sie den größten Theil ihres Kopf-Geldes an Peltzwercke. Von diesen Nationen haben nur die Wogulitzes, die Barabinski, die Buratti, die Kamtzchadales, und die Olutorski, beständige Wohnungen. Alle andere Völcker in diesem Lande leben unter Hütten; sie wohnen den Winter über in den Wäldern, und suchen ihre Nahrung von der Jagd; und im Sommer begeben sie sich an die Ufer der Flüsse, um sich von der Fischerey zu erhalten; die Häute von den Fischen dienen ihnen im Sommer, und die Häute von den Elend- und Rennthieren im Winter zur Kleidung. Bogen und Pfeil, ein Messer, eine Axt, und eine Keule sind ihr gantzer Reichthum, und die Späne von einem gewissen Holtze sind ihr Feder-Bette, worauf sie schlaffen; die Rennthiere und die Hunde dienen ihn an statt der Pferde, ja sie thun ihnen im Winter bessere Dienste, als diese würden thun können, weil sie auf dem Schnee gehen können, der zuweilen einer Picke hoch liegt, ohne daß sie hiniein sincken, wie ein Pferd thun würde; und auf diese Art ziehen 4. Hunde einen Schlitten, der 300. Pfund schwer ist, 6. biß 8. deutsche Meilen fort. Diese Schlitten sind überaus leichte, indem sie 4. biß 5. Ellen lang, und so breit sind, als nöthig ist, daß ein Mensch darinne liegen kan. Die Samojeden und die Jukagri bedienen sich vornemlich der Rennthiere vor ihren Fuhrwercken, denn die übrigen von diesen Völckern nehmen insgemein Hunde darzu. Durch gantz Norden in Siberien hat man im Winter keine andere Bequemlichkeit von einem Orte zum andern zu reisen, als die Hunde-Post, welche ihre ordentlichen Stationes hat, wo frische Hunde vorgelegt werden, völlig wie bey unsern ordentlichen Posten, und wornach der Reisende schleunig reisen muß, desto mehr spannet man Hunde vor seinen Schlitten. Mit eben dergleichen Gelegenheit holen die Schatz-Commissarii in Siberien, im Winter, an denen in jedem Gouvernement[11] bestimmten Oertern, die Contributiones von diesen Völckern ab, welche in Peltzwercke bestehen, nach Beschaffenheit der Cantons, die sie bewohnen; zu dem Ende hat man an diesen Oertern keine höltzerne Häuser gebauet, dahin sich im Winter die Commissarii in Begleitung einiger Cosacken begeben, und alsdenn finden sich die Häupter der Familien, die zusammen unter einer Gerichtsbarkeit stehen, häuffig ein, und bringen diejenige Quantität [831] von Peltzwercke, welche jeder Familie auferleget ist, damit sie nicht im Verzögerungs-Falle denen Erpressungen dieser Commissarien mögen ausgesetzet seyn. Von allen diesen Völckern, und von verschiedenen andern kleinen Nationen, welche in Siberien zerstreuet sind, sind nur die Tzachalatzki, die Tzuckzchi, die Olatorski, die Kurilski, welche die Südliche Spitze von dem Lande Kamtzchatka bewohnen, und die Kilaki, welche Nordwärts von dem Ausflusse des Flusses Amur wohnen, die biß daher Rußland keine Contribution gegeben haben; alle andere Völcker in diesem weitläufftigem festen Lande, zahlen dieselbe ohne Ausnahme, nach Beschaffenheit der verschiedenen Cantons, die sie bewohnen. Ihre Religion bestehet meistentheils in einigen Ehrenbezeigungen, die sie der Sonne und dem Monde erweisen, und in der Verehrung ihrer Götzen. Alle diese verschiedenen Völcker, haben insgemein 2. Arten von Götzen, nemlich die öffentlichen, welche von dem gantzen Volcke verehret werden, und die Privat-Götzen, die ein jeder Haus-Vater von einer Familie sich selbst macht, um seine Wünsche an dieselben zu richten. Beyde sind gemeiniglich nichts anders, als rund gemachte Klötzer, die am obern Ende rund zugehauen sind, welches den Kopf bedeutet, und die eine Nase, Maul und Augen haben, die sehr ungeschickt gemacht sind, indessen haben doch einige von diesen Völckern öffentliche Götzen, die überaus schön gegossen sind, und die sie aus China müssen bekommen haben. Denen Privat-Götzen wird zuweilen von diesen Leuten häßlich mitgespielet, wenn sie Ursache haben zu glauben, daß sie für ihr ärmliches Glücke nicht gnugsame Sorge tragen: alsdenn füget man ihnen alle nur ersinnliche Beleidigungen zu, so gar, daß man sie mit einem Stricke um den Hals durch den Koth schleifft, und sie ins Feuer, oder in den Fluß wirfft; wenn aber diese armen Leute glauben, daß sie sich des Schutzes ihrer Götzen rühmen können, so ist keine Ehrenbezeigung, womit sie dieselben nach ihrer Art nicht überhäuffen sollten, indem sie dieselben mit schwartzen Fuchs- und Zobel-Peltzen bedecken, und sie in ihren Hütten an den ansehnlichsten Platz stellen; sie schmieren ihnen alsdenn den Mund mit Fischtrahne, und stellen warmes Blut, von einem frisch geschlachteten Viehe gleichsam zum Geträncke vor ihnen hin. Was man in der Welt ausgesprenget hat, als ob einige von diesen Völckern Gemeinschafft mit dem Teufel haben sollten, ist ein blosses Mährchen, welches von der grossen Einfalt dieser armen Leute, noch mehr aber von der Unwissenheit der meisten von denenjenigen, die sie besuchen, herrühret; unterdessen ist so viel gewiß, daß es viele Leute unter ihnen giebt, welche sich Zauberer nennen, in der That aber Betrüger sind, welche die Einfalt dieser Leute mißbrauchen, damit sie Geschencke von ihnen bekommen. Uebrigens leben alle diese Völcker gäntzlich im Stande der Natur, ohne andere Gesetze, als diejenigen zu haben, welche die Väter ihrer Familien vorschreiben. Sie nehmen so viele Weiber, als sie ernähren können, und bekümmern sich wenig um den morgenden Tag; sie tragen grosse Sorge, die Schulden zu bezahlen, die sie etwa gemacht haben, und fügen niemahls einem Menschen das geringste Leid zu, man müßte sie denn beleidiget haben; sie erweisen ihren Todten die letzte Pflicht auf das sorgfältigste, nach der Gewohnheit eines jeden Volckes, und ertragen die verschiedenen Zufälle des Lebens mit großer Gelassenheit. Weil die Kost, welche sie zu genießen pflegen, sehr ungesund, und meistens roh ist, so werden sie von Scorbutischen Kranckheiten sehr geplagt, welche die angegriffenen Theile, wie eine Art von Krebse anfressen, und einen Theil nach dem andern anstecken, biß der Tod erfolget; sonderlich sind die Samojeden und die Ostiaken diesen Kranckheiten sehr unterworffen, aber die meisten von ihnen suchen kein Mittel darwider, sondern sehen sich gantz gelassen bey lebendigen Leibe verfaulen, [832] weil sie, wie sie sagen, der Artzney-Kunst nicht kundig sind. Die Tartarn, welche Mahometaner sind, machen den andern Theil der jetzigen Einwohner von Siberien aus; sie sind die Nachkommen dererjenigen von dieser Nation, welche in dem Besitze dieses Landes waren, als die Russen dasselbe eroberten, und von denen die meisten sich lieber diesen ihren neuen Chan folgen wollten. Diese Tartarn wohnen meistens in den Gegenden von Tobolskoy, und auf der Seite der Stadt Tumeen, und lben vom Ackerbaue und von der Handlung, die sie mit denen Boucharen und Calmucken treiben. sie haben sehr viele Flecken und Dörffer längst dem Irtis und Tobol inne, und genießen die freye Ausübung der Mahometanischen Religion durch gantz Siberien; endlich so stehen sie eben so wohl unter dem Schutze von Rußland, als die eigentlichen Unterthanen dieses Reichs. Die Mahometanischen Tartarn in Siberien sind bey weiten nicht so häßlich als die andern Mahometanischen Tartarn, und haben sehr artige Weiber, ihre Kleidung ist von der Rußischen wenige unterschieden, und sie bezeigen bey allen Gelegenheiten viel Liebe für die jetzige Regierung in Siberien; sie haben einige Mursen unter sich, die gleichsam ihre Oberhäupter sind. Der mächtigste unter diesen kleinen Fürsten heißt Sch[?]banoff, und hält sich in einem Flecken, der ohngefehr aus 700. Häusern bestehet, 4. Werste weit von Tobolskoy, auf; es stehen über 20000. Tartarische Familien unter seiner Herrschafft, und man behauptet, daß in allem über 100000. Familien von Mahometanischen Tartarn sich in Siberien niedergelassen haben. Die Russen, welche den dritten Theil der jetzigen Einwohner von Siberien ausmachen, haben sich seit der Zeit hier niedergelassen, da das Land unter Rußischer Botmäßigkeit stehet; und ihre Zahl ist in weniger Zeit dergestalt gewachsen, daß sie seit ihrer Ankunfft in diesem Lande über 30. Städte erbauet haben, außer mehr als 2000. Flecken und Dörffern, die sie jetzo in verschiedenen Cantons dieses weitläufftigen festen Landes inne haben. Diese Zahl würde noch viel größer seyn, wenn nicht eben die unmenschlichen Woywoden, deren hartes Verfahren sie nöthiget, ihr Vaterland zu verlassen, sie auch in Siberien erwarteten, allwo sie glauben ein gnugsames Recht zu haben, das Volck nach ihrem Gefallen zu drücken, weil sie ausser den Augen des Hofes, und in einem eroberten Lande sind. Alle Städte und Dörfer in Siberien sind nach gewöhnlicher Art der Russen von Holtze erbauet, und die Festungwercke, womit die meisten von diesen Städten versehen sind, sind auch von Holtze gemachet, welches bisher wieder Leute, die von Schießgewehr keine Kenntniß hatten, zureichend gewesen ist; aber seitdem das Canonen-Pulver anfängt, denen Calmucken bekannt zu werden, und die Chineser nicht mehr ohne einen guten Zug Artillerie zu Felde ziehen, so wird man genöthiget werden, die Gräntz-Städte nach Europäischer Art zu befestigen. Was die Landes-Art betrifft, so ist die Lufft in dem Nordlichen Theile von Siberien überaus rauh und strenge, und von einer unbeschreiblichen Kälte, und dauret der Winter gemeiniglich 6. gantzer Monathe, vom Nov. biß zu Ausgange des Aprils. Man trifft weiter nichts, als eine Art Nüsse an, welche um den Keta und sonsten hier und da häuffig an den Cedern wachsen. In dem September findet man auf dem Felde an vielen Orten, wo fett Erdreich ist, gantze Büsche voll schwartze und rothe ziemlich große Johannis-Beeren in großer Menge. Jedoch bringt der Nordliche Theil von Siberien weder Getrayde noch Obst hervor, dergestalt, daß alles, was Nordwärts von dem 60. Gr. der Norder-Breite liegt, gäntzlich unbewohnt ist. Und die Russen, welche in den wenigen Städten, die sich auf dieser Seite befinden, niedergelassen haben, sind genöthiget, [833] das Getrayde, so sie zu ihrem Unterhalte brauchen, aus denenjenigen Provintzen zu hohlen, die weiter gegen Süden liegen, und welche überaus fruchtbar sind, der Kälte ungeachtet, die hier noch sehr hefftig ist. Es giebt viel Honig daselbst, daß wohl kein Land in der Welt gefunden wird, wo so viel Bienen in den grossen wilden Wäldern ohne einige Pflegung gezeuget werden, indem gantze Bäume davon voll liegen. Es möchte zwar dieses vielen wunderbar scheinen, wie solches in einem so kalten Lande möglich seyn könne. Allein es ist zu wissen, daß bey annahendem Frühlinge, im Lande eine gar geschwinde Veränderung geschehe, und Schnee und Eiß in kurtzem zerfliessen und vergehen, die Wälder alsbald ausschlagen, die Saaten grünen, und die Blumen hervor kommen. Hierzu kommt, daß der Boden voller Salpeter und nitresen Theilgen ist, welche das Wachsthum sonderlich befördern. Nebst dem Honig und Wachse giebt das Land vielerley Kaufmanns-Waaren an allerhand köstlichem Peltzwerck, Bisam, Juchten, Pot-Asche, Marien Glas, Theer, grobe Leinwand, Hanf, Bibergeil, Caviar, getreugten Fischen, u. s. f. welches alles nach Archangel verführet, und sonsten die Handlung aus den meisten Siberischen Städten bis nach China getrieben wird. Unter den Kräutern, welche in Siberien wachsen, ist das wunderbareste das Rosa Trava oder Sichel-Kraut, welches das Eisen zerbrechen soll. Die Wurtzel Voltschnoykoren oder Wolfs-Wurtz, soll die Krafft haben, Wunden zu heilen, u. s. f. Diejenigen Cantons in Siberien, die am besten gebauet sind, sind bis ietzo die Gegenden des Flusses Tobol, des Nevia, des Iseet, des Ischim, und des Tebenda. Westwärts von dem Irtis, wie auch die Ufer dieses Flusses, von Tobolskoy, bis gegen Süden von der Stadt Tara, indem alle diese Quartiere mit Dörffern und Flecken bedecket sind, wegen der grossen Fruchtbarkeit des Landes. Die Gegenden der Stadt Tomskoy, Ostwärts von dem Oby, wie auch die Ufer des Jenisea, von der Stadt Abakan bis an die Stadt Jeniseiskoy sind eben wohl gebauet, so wie alle Gegenden des Sees Baikal, von der Stadt Ilimskoy an, welche Nordwärts von dem Flusse Angara liegt, bis an die Stadt Nerzinskoy, an dem Flusse Schilka, und von der Stadt Selinginskoy bis gegen Norden von der Stadt Kirenskoy, nahe bey dem Lena; endlich so ist der gantze Südliche Theil von Siberien ungemein fruchtbar, und darff nur gebauet werden, so bringt er alles dasjenige, was zum Unterhalte des Lebens nöthig ist, im Ueberflusse hervor. Die dasige Weide ist vortreflich, und die Flüsse wimmeln von allerhand Fischen. Das Korn ist in dieser Gegend so wohlfeil, daß man 100. deutsche Pfund vor 16. Copeck, das ist so viel, als einen Marck Lübisch kauffen kan; desgleichen einen Ochsen vor 2 bis 21/2 Rthlr. ein ziemlich grosses Schwein vor 2. bis 3. Marck Lübisch. Man hat allda eine grosse Menge von allerhand Wildpret, als Elend, Hirsche, Rehe, Haasen, etc. wie auch Feder-Wildpret, als Fasanen, Rebhüner, Schwanen, wilde Gänse etc. welches alles sehr wohlfeil ist. Der Fluß Irtis ist so fischreich, daß man einen Stör von 40. bis 60. Pfunden vor 6. bis 12. Copecken kauffen kan. An Bergwercken fehlet es daselbst auch nicht, wie die Silber-Bergwercke bey der Stadt Argoun, die Kupfer-Bergwercke bey Nerzinskoy, und die Eisen-Hämmer zu Uxtas und Congour, gegen die Gräntzen des Königreichs Casan beweisen. Das Kupfer wird an vielen Orten in schönen Handsteinen gefunden, so die Natur zu Tage austreibt; weil man aber noch keine Anstalt zu ordentlicher Bereit- und Einrichtung der Bergwercke gemacht ist, haben die Einwohner auch noch zur Zeit wenige Nutzen davon. In den hohen Gebürgen bey Werckaturia findet man sehr viel Crystall, das härter, als an andern Orten Europens, und dem unächten Jaspis ziemlich gleich ist. Der Oby wirfft allerhand saubere Steine an seine Ufer aus, worunter man klare und durchsichtige, rothe und weisse Steine findet, denen Agaten nicht ungleich. Die Russen graben darein Blumen und Figuren, und fassen selbig in ihre Ringe. [834] Unter vielen andern Merckwürdigkeiten, so leichtlich sonst an keinem Orte in der Welt gefunden werden, als in Siberien allein, ist insonderheit das von denen Einwohnern sogenannte Mamant, welches hieselbst an vielen Orten in der Erden gefunden wird. Es siehet fast in allen Stücken dem Helffenbein gleich, an Farbe und Wachsthum, man findet es mehrentheils an sandigten Oertern. Viele von denen Einwohnern halten es vor Elephanten-Zähne, so seit der Sündfluth in der Erde gelegen. Einige meynen, es sey das bekannte Ebur Fossile, und also ein Gewächse der Erden. Noch finden sich viele, so vorgeben, es wären Hörner eines in den sumpfigten Oertern und Löchern der Erden sich befindenden und lebenden sehr grossen Thieres, das im Schlamme seine Nahrung hätte, und mit diesen Hörnern den Koth und die Erde vor sich wegarbeitete. Wenn es aber also unter der Erden in eine sandigte Gegend käme, könnte es wegen des stetig nachschiessenden Sandes, und seiner ungeheuren Grösse, sich nicht wieder umwenden, sondern es müsste also stecken bleiben, und sterben. Die Einwohner wissen davon unterschiedliche Arbeit zu machen, und ist solches in allen Stücken unserm Elfenbein gleich; nur daß es viel spröder ist, auch leicht seine weisse Farbe verändert, und gelbe wird, wenn es ins Wasser, oder in die Hitze kommt. Das unvergleichliche Muscus-Thier weiset sich öffters über die Gräntze Siberiens; es soll von der Grösse eines Rehes seyn, und erzehlet man von ihm, daß unterweilen von der Brunst, aus gar zu hefftiger Geilheit, ihm der Nabel springe, und das Blut häuffig heraus fliesse, da denn die Wälder von dem angenehmen Geruche erfüllet werden, und ist der Muscus-Sack nicht ein Testicul dieses Thieres, wie der bisherige irrige Wahn gewesen, sondern sein Nabel ist eigentlich das Behältnis dieser vortreflichen Parfume. Gantz Siberien ist voller wilder Thiere, deren Häute überaus gutes Peltzwerck geben, wie auch an Feder-Wildpret; und es ist sonderbar, daß nach den Ufern des Eiß-Meeres zu, alle Thiere, wie auch einige Vögel so weiß werden, als der Schnee im Winter. Bloß in Siberien und in denen darzu gehörigen Provintzen, trifft man schwartze Füchse u. Zobel, wie auch Vielfrasse an; und die schönsten Hermelin- und Luchsfelle kommen auch daher; man trifft auch sehr viele Castors daselbst an, und unter andern sind die zu Kamtzchatka von einer ausserordentlichen Grösse. Weil nun alles dieses Peltzwerck sehr kostbar und rar ist, so ist es niemanden erlaubt, damit zu handeln; sondern die Einwohner des Landes, welche dergleichen haben, sind gehalten, solche denen Schatz-Commissariis zu überliefern, welche diselben für einen gewissen Preiß bezahlen sollen; aber dieses giebt zu allerhand Unterschleiffen Gelegenheit. Indessen gehet jährlich eine erstaunende Menge von dergleichen Peltzwercke aus Siberien, und zwar durch die Nachsicht dererjenigen, welche deswegen besoldet werden, daß sie den Ausgang dieser Waaren verhindern sollen; denn man durchsuchet an vielen Orten diejenigen, welche aus Siberien nach Rußland reisen, um zu verhindern, daß sie kein neues und kostbares Peltzwerck mit sich führen sollen, aber ein kleines Trinckgeld hilfft diesem allen ab; mit dem übrigen geringerem Peltzwercke dürffen die Einwohner nach ihrem Gefallen handeln. Gantz Siberien stehet ietzo seit ohngefehr 140. Jahren unter Rußischer Bothmäßigkeit, welches bey folgender Gelegenheit geschahe. Unter der Regierung des Czaars Ivan Wasilowitz war ein Hauptmann der Donischen Cosacken, Nahmens Jermak Timofewitz, welcher, nachdem er lange Zeit mit einigen tausend Cosacken in den Gegenden des Occa und der Wolga herum geschwärmet, und alle Städte und Dörffer in dasigen Gegenden verheeret hatte, sich endlich durch eine grosse Menge von Truppen, die man ihm auf allen Seiten nachschickete, dergestalt in die Enge getrieben sahe, daß er, da man ihm die Rückkehr nach den Wohnplätzen der Cosacken abgeschnitten hatte, genöthiget war, nachdem er die meisten von seinen Leuten in vielen Scharmützeln verlohren hatte, an den Flüssen Kama und [835] Susawaya hinauf zu gehen, um der Straffe zu entrinnen die seine Thaten verdienet hatten. In diesen verzweifelten Umständen that er einem gewissen Strobinoff, welcher in den Gegenden des Flusses Susawaya viele Ländereyen besaß, den Antrag, daß er, wenn er ihm Fahrzeuge und Leute, um diese Fahrzeuge nebst den seinigen auf die andere Seite der Gebürge ziehen zu helffen, geben wolte, er mit denen 800. Cosacken, die er noch übrig hatte, auf dem Tura hinunter fahren, und sehen wolte, ob er sich der Städte On-Zigidin und Sibir bemächtigen könnte, die ietzo Tuméen, und Tobolskoy heissen, und welche die eintzigen waren, die damahls in Siberien lagen. Strobinoff, welcher sich furchte, diesen Mann zur Verzweiflung zu bringen, wenn er ihm sein Verlangen abschlüge, und auf der andern Seite seinen Vortheil dabey fand, wenn er die Mahometanischen Tartarn von diesen Gräntzen entfernete, nahm den Vorschlag an, und stand ihm mit alle demjenigen, was er bey dieser Gelegenheit nöthig hatte, großmüthig bey. Vermittelst dieses Beystandes fuhr Jermak Timofewitz mit seinen Cosacken den Tura hinunter, überrumpelte die Stadt On-Zigidin, die ietzo Tumeen heißt, und bemächtigte sich hernach der Stadt Sibir, oder Tobolskoy, verjagte den Kutzium-Chan, welcher damahls daselbst regierete, und nahm seinen Sohn gefangen; als er aber hierauf die Unmöglichkeit einsahe, sich mit so weniger Mannschafft wider so viele tausend Mahometanische Tartarn zu behaupten, so bald sie sich von ihrem ersten Schrecken würden erhohlet haben, so schickete er den Sohn des Kutzium-Chan, welcher Altanai-Sultan hieß, nach Rußland, und both seine Eroberung, zur Aussöhnung seiner Verbrechen, dem Rußischen Hofe an; man nahm solches augenblicklich an, und schickete eine gnugsame Anzahl Truppen ab, um sich in den Besitz dieses Landes zu setzen, und seit jener Zeit haben sich die Russen immer ie mehr und mehr in Siberien ausgebreitet, bis daß sie endlich das Gestade des Japanischen Meeres erreichet haben. Jermak Timofewitz büssete kurtz nach einer so schönen Unternehmung sein Leben ein; denn als er mit einigen Fahrzeugen den Irtis hinunter fahren wollte, so wurde er Nachts von einer starcken Parthey von Tartarn überfallen, welche ihn und die meisten von seinen Leuten niederhieb; weil nun die Cosacken diese Eroberung gemacht hatten, so wollte man ihnen auch den Ruhm davon gäntzlich überlassen; so viel man also Truppen dahin schickete, so viele warden auch denen Cosacken einverleibet; und aus dieser Ursache führet noch ietzo die sämmtliche Militz in Siberien den Nahmen der Cosacken. Siberien ist gegenwärtig in so viele Gouvernements getheilet, als Städte in diesem Lande sind, indem iede Stadt ihren Woywoden hat, welcher in dem gantzen Umfange der Gerichtsbarkeit dieser Stadt unter dem Befehle des General-Gouverneurs en chef commandiret, welcher seine Residentz zu Tobolskoy hat; dieser letztere Posten ist einer der ansehnlichsten und einträglichsten in gantz Rußland, und der Hof ernennet insgemein Personen vom vornehmsten Range darzu; aber seit der letzte General-Gouverneur dieses Landes Knees Czerkaski, im Jahre 1722. seinen Rappel verlanget hat, so hat man für dienlich erachtet, nur einen Vice-Gouverneur dahin zu schicken. Weil das Geld in Siberien sehr seltsam ist; so sind alle Lebens-Mittel und die andern innländischen Waaren daselbst sehr theuer, und alles Gewerbe wird durch Tausch getrieben, indem man Waaren gegen Waaren annimmt, wornach sich die Partheyen verglichen haben. Die Rußische Müntze ist die eintzige, welche in diesem festen Lande gangbar ist; das Gold und Silber, welches aus China hierher kommt, wie auch der Goldstaub, welchen die Bouchares zu Friedens-Zeiten hierher bringen, werden nicht anders, als gegen Waaren angenommen. Das Geistliche Gouvernement ist einem Metropolitano, von der Griechisch-Rußischen Kirche anvertrauet, welcher seine Residentz zu Tobolskoy hat. Es soll auch dem Vorgeben nach in Siberien ein gewisses Volck seyn, welches die Russen Pestraya Orda, das ist, den Frommen Stamm nennen, weil man versichert, [836] daß diese Leute von Natur am gantzen Leibe, und im Gesichte grosse schwartze Flecken, so wie etwa unsere Pferde, und andere vierfüßige Thiere haben; aber es giebt auch Leute, welche alles, was man hiervon erzehlet, für eine Erdichtung halten. Der bequemste Fang der Zobel ist im November und December bis den 18. Jan. denn wenn die Sonne sich zu nähern beginnet, pflegen die Haare auszufallen, und werden die Zobel-Häute untaugbar. Sie werden mit abgerichteten Hunden gejagt, daß sie sich in die Gebüsche, Sträuche oder bedeckte Höltzer verkriechen, alsdenn wird ein Netze herum gespannet, und werden also gefangen und mit Knütteln todt geschlagen. Wofern sie sich aber auf die hin und wieder stehende Bäume begeben, werden sie von den Jägern mit stumpfen Boltzen und Pfeilen herunter geschossen. Und auf solche Weise soll Siberien jährlich bey 200000. Rubeln eintragen; welche Summe leichte noch könnte vermehret werden, wenn das Land nicht so weit von Rußland entlegen wäre. Weil die Cantzley in Siberien zu des Landes Umständen etwas beyträgt; so wollen wir kürtzlich hiervon einige Nachricht geben. Man nennet dieselbe insgemein die Siberische Cantzeley, oder Sibirskoi Pricas, und befindet sich in Moscau. Es werden daselbst alle Sachen, so zu diesem Lande gehören, verhöret und abgethan; absonderlich wird darinne die Einnahme und Ausgabe der Peltzwerck-Rechnung geführet. Der vorderste in diesem Collegio ist der Cantzler, welcher keine Besoldung hat, sondern er muß selbst der Kayserin von Rußland jährlich 1000. Rubeln zahlen. Hergegen dependiren alle Woywoden von Siberien bloß eintzig und allein von ihm, die er nach seinem Belieben einsetzet, und also hierdurch sich schon wieder erhohlen kan. Siberien hat sonst auch sein eigenes Wappen, welches der Rußische Kayser auf den lincken Flügel des Rußischen Reichs-Adlers setzen lassen. Es bestehet dasselbe in zween silbernen Wölfen, die eine offene güldene Crone halten, im blauen Felde; unten sind nebst einem güldenen Bogen zween silberne Creutzweise liegende Pfeile. Mart. Voy. de la Comp. des Indes Or. T. I. Hist. des Tartars. Das veränderte Rußland.[12] Sonst hat Herr Nicolans Witsen[13], Bürgermeister zu Amsterdam in seinem Noord-en Ostergedeelte von Asia en Europa, wie von andern nordlichen Ländern, also auch von diesem Siberien eine gründliche und ausführliche Beschreibung geliefert. Sprach- und Sachkommentar Wikisource[Bearbeiten]
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