Hobartstown
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Tief bewegt ist fort und fort die Gegenwart, und schwarze und weiße Wolken thürmen an ihrem Horizonte sich auf. Die Furchtsamen sehen in ihnen die Embryonen zerstörender Gewitter, die langsam herangezogen kommen, und die Anbeter des Alten geben vor, daß die Zeiten sich mehr und mehr zum Schlimmern neigen: aber während jene zittern und diese klagen, steigt mit Meilenstiefeln hinan die Menschheit zu lichter Geistigkeit, und so wird sie fortsteigen von Geschlecht zu Geschlecht.
An diese geistige Bewegung aufwärts knüpft sich die physische von Ost nach West, und je rascher jene, je schneller, kräftiger, stürmischer drängt der Menschenstrom vom Aufgang gegen Niedergang um den Erdball. Germanisches Blut rauscht in seinen vordersten Wogen, und seit länger als einem Jahrhundert schon hat bie lebendige, lebenswarme Fluth das rückwärts erstarrte Gewässer des Ostens wieder erreicht, und mit ohne Unterlaß regem Verjüngungstriebe die alten Formen bald langsam aufgenagt, bald sie mit Gewalt gebrochen.
Wie Asien sich gegenwärtig durch das Conflikt des germanisch-europäischen Elements mit den leblosen alten Formen zur Neugestaltung anschickt, so bereiten auch dieselben Hebel in Ozeanien gegenwärtig die ungeheuerste Umwälzung vor. Kaum sind’s sechzig Jahre, daß Cook in dieser Inselwelt seine ersten Entdeckungen machte, und schon erreicht die anglo-germanische Colonisation ihre fernsten Punkte, und der Untergang der Naturstaaten jenes Welttheils ist besiegelt. Das System der Actienvereine, auf Arbeiterverpflanzung und Colonisation angewendet, trägt, zusammenwirkend mit der Verbesserung der Dampfschifffahrt, wahrhaft große Frucht. Ungeheuere Etablissements werden alljährlich auf vielen Punkten Ozeaniens gegründet; wie durch Zaubersgewalt, so rasch, entstehen in diesen fernen Gegenden Centralpunkte der Civilisation, des Anbaus, der Betriebsamkeit, deren Producte wiederum den Handel schaffen, welcher sich mit unglaublicher Schnelligkeit nach allen Seiten ausdehnt. Auf dieses Colonisiren, auf diesen Anbau, auf diese Betriebsamkeit, auf diesen Handel hat das einzige Weltreich der Gegenwart, England, seinen Reichthum und seine nachhaltige Kraft basirt, und sich unermeßliche Hülfsquellen für einen noch unabsehlichen Zeitraum gesichert.
Seltsam genug und kaum begreiflich ist’s, daß das übrige Europa in jenem unermeßlichen Felde des Unternehmungsgeistes und des Reichthums England bisher allein gelassen hat. Allbekannt sind doch die Ursachen, [21] welche den brittischen Riesen in kurzen 25 Friedensjahren zu einer Größe und Kraft wachsen ließen, welche die der gesammten übrigen Staaten aufwiegt, und doch hat keine noch gewagt, dieselben Elemente des Gedeihens sich anzueignen. Die Continentalmächte schließen ja wohl Bündnisse zu weit kleinern Zwecken: warum sollten sie nicht den großen Zweck der Colonisation unter einen gemeinschaftlichen Schirm stellen können. Das Laissez faire thäte dann schon das Uebrige. Man wurde dann gewiß auch in Deutschland aus dem Beispiel Nutzen ziehen, welches England in seinen Privatgesellschaften für australischen Anbau und Colonisation aufstellt, und der Strom der auswandernden deutschen Arbeitskräfte, der jetzt dem nordamerikanischen Menschenmeere fast ausschließlich zueilt, um sich da, in ganz kurzer Zeit, bis zur Unkenntlichkeit seines Ursprungs zu verlieren, würde bald Richtungen annehmen, aus welchem er tausend Quellen des Reichthums dahin zurücksenden könnte, wo er entsprungen ist. Unter den jetzigen Verhältnissen ist alles, was er mit fortnimmt, – Arbeitskraft, Intelligenz, Capital, für das Vaterland verloren.
Unter den Colonien in Ozeanien ist die Ansiedelung der Britten in Vandiemensland, der Insel an der südlichsten Spitze Neuhollands, eine der ältesten, und doch reicht die Entdeckung seiner Inselform kaum über das jetzige Jahrhundert hinaus. 1798 durchsegelte Flinders die Meerenge, die es vom neu-holländischen Festlande scheidet, zum erstenmale. Land zwar hatte hier der Holländer Tasman schon vor 200 Jahren gesehen.
Die erste brittische Ansiedelung in Ozeanien datirt sich von 1803. Sie war ein Filial vom jungen Sidney (Botany-Bai). 1804 schickte das Mutterland 400 Verbrecher unter Führung eines Lieutenants, Collins, her. Dieser gründete Hobartstown, organisirte die Niederlassung und ward ihr erster Gouverneur. Die ersten Jahre einer Colonie sind fast immer Jahre des Leidens. Auch Hobartstown hatte schwere Tage der Kindheit. Doch als sich, zu Ende des ersten Lustrums, freiwillige Ansiedler zu den Gezwungenen gesellten, nahm die Colonie rasch zu, und die Entdeckung, daß Vandiemensland für die Zucht feinwolliger Schaafe geeigneter noch sey, als Neusüdwales, wurde der wirksamte Hebel des Gedeihens und zur Quelle des Reichthums. Schon innerhalb 17 Jahren (bis 1821) war die Colonialbevölkerung bis auf 9000 Köpfe angewachsen, zu sieben Zehntel freie Ansiedler, die an 200,000 feinwollige Schaafe und 35,000 Rinder besaßen. In immer größerer Progression stieg die Bevölkerung; 1825 wurde die Colonie, die bisher eine Dependenz von Neusüdwales gewesen, für selbstständig erklärt, und eine, blos vom Mutterlande abhängige, besondere Regierung eingesetzt. Diese Maßregel beförderte die Einwanderung so bedeutend, daß sich die Volksmenge binnen den nächsten 15 Jahren (bis 1840) vervierfachte. [22] Sie ist jetzt über 40,000 Köpfe stark, und das Eiland gilt als die glücklichste und blühendste Colonie in ganz Australien.
Howartstown, (wo das erste Blockhaus vor 36 Jahren von zusammengeketteten Mördern und Räubern unter Verwünschungen aufgerichtet wurde), ist jetzt eine gar freundliche Stadt, mit regelmäßigen, breiten Straßen, Märkten, Squares etc. etc., und der vollständige Ausdruck einer wohlhabenden, in vielen Fällen reichen, intelligenten Bevölkerung. Es hat die Stadt gegenwärtig über 13,000 Bewohner. Sie ist der Sitz der Colonialbehörden, von 4 Banken, einer Assekuranzgesellschaft und mehrer wissenschaftlicher Vereine; auch von zwei Buchhandlungen und 4 Buchdruckereien. Es erscheinen 3 Zeitungen und Journale daselbst. Poststraßen durchkreuzen die Insel nach allen Richtungen, und sieben Eilwagen bringen die Stadt mit den übrigen größern Orten in tägliche Verbindung. Zum Erstaunen ist das Zunehmen des hiesigen Verkehrs und Handels. Hobartstown hat bereits eine auf eigenen Werften gebaute Kauffartheiflotte von 60 Segeln, die alle Weere durchkreuzen, und im vorigen Jahre kamen über drittehalbhundert größere Schiffe aus verschiedenen Welttheilen hier an, um die Waaren des Luxus und der feineren Bedürfnisse gegen die Produkte der Insel zu tauschen. Die Ausfuhr wird über eine halbe Million Pfund Sterling geschätzt; Wolle, Waizenmehl, Felle, Pöckelfleisch, Hanf etc. etc. gehen meistens nach England, welches dagegen jährlich für 5 bis 6 Millionen Gulden seiner Fabrikate sendet. So schafft sich das große Britannien alljährlich neue Stützen für Gewerbe und Handel, und neue Basen seiner Macht und Weltherrschaft, und was in andern Staaten als eine Calamität beklagt und als eine furchtbare Last verschrieen wird, – Auswanderer und Verbrecher, – wird in seinen Händen zu Quellen des Reichthums.
Mag auch die Zeit nicht fern liegen, wo die australischen Colonien der Autorität des Mutterlandes entschlüpfen! Der Gewinn bleibt diesem doch; denn ob die Regierungen der Pflanzstaaten ihre Autorität vom Londoner Cabinette erhalten, oder vom Willen der Colonialbevölkerung, englisch bleiben diese Niederlassungen immer, englisch sind ihre Sprache, Sitten, Gesetze, englisches Blut rollt in ihren Adern, englisches Capital belebt ihren Ackerbau, Gewerbsleiß, Handel etc. fort und fort. Tausend und aber tausend unverwüstliche Interessen und Neigungen knüpfen Mutter und Töchter an einander, und der gegenseitige Vortheil umschlingt sie mit den festesten Banden.
Diese große, von den Wandlungen politischer Verhältnisse zwischen Colonien und Mutterland völlig unabhängige Verwandtschaft zwischen Asien und Ozeanien und dem Reiche in Europa, welches, im Besitz der größten Macht und Mittel, durch die rastlose Rührigkeit seines Geistes unaufhörlich getrieben wird, sich an den die Erde umrollenden Culturwagen zu spannen, muß für die Geschichte der Menschheit eine neue Aera vorbereiten, zumal England, noch ehe es den Dreizack den Völkern zeigt, überall das Kreuz pflanzt. Auch in dieser [23] Beziehung kehrt der Strom, aber geläutert im Laufe der Jahrtausende, zu seiner Quelle zurück. – Es ist vielleicht kein zu kühner Gedanke, daß die Menschheit da, wo sie ausgegangen ist, einst neu hervorgehen wird, zum zweiten, höhern Weltlauf.
Gegen diese Regung der Zeiten, gegen diese Wandelung des Geschlechts vermögen unsere blinden Erdengötter nichts. Sie sehen sie nicht einmal; und darum ist’s gewiß auch zu viel von ihnen verlangt, wenn man fordert, sie sollen sie begreifen und lenken. –