Hoffmann von Fallersleben in Corvey
Hoffmann von Fallersleben in Corvey.
In demselben Jahre, das uns zum Rückblick auf 1848 und an die Verdienste der patriotischen Freiheitsjünger mahnt, deren Heroldsrufe der Märzbewegung vor fünfzig Jahren schmetternd vorausklangen, bietet am 2. April der hundertste Geburtstag Hoffmanns von Fallersleben uns Anlaß, dieses Dichters im besonderen zu gedenken. Der befreienden Wirkung, welche seine „Unpolitischen Lieder“ in der Stickluft der vormärzlichen Zeit ausübten, des jubelnden Wiederhalls, den sein „Lied der Deutschen“, sein „Deutschland, Deutschland über alles!“ gleich nach seinem Entstehen im Jahre 1841 in patriotischen Kreisen fand, hat erst vor kurzem die „Gartenlaube“ gedacht. Dort ist unseren Lesern – vergl. S. 62 des laufenden Jahrgangs – auch ein Bildnis des Dichters aus jener hochbewegten Zeit dargeboten worden. Das zeigte ihn noch im Vollbesitze seiner kraftstrotzenden Jugendfrische, ganz wie er sich trug und gab, als er nach dem Verlust seiner Breslauer Professur, eines festen Wohnsitzes und jedes sicheren Einkommens, ein Heimatloser, durch Deutschlands Gaue zog und nach dem Muster der fahrenden Sänger der Vorzeit als Recitator seiner Gedichte und Lieder sich praktisch an der Agitation der politischen Führer beteiligte, welche die Wiedergeburt des zerstückelten und geknechteten Vaterlands in freier Verfassung erstrebten.
Das Bild Heinrich Hoffmanns, das unser heutiges Heft schmückt, zeigt uns seine Züge in späterer Zeit. So – das humorvolle Antlitz von weißem Bart und Haupthaar umrahmt – sah er im Alter aus, als er sich endlich wieder einer festen Anstellung zu erfreuen hatte. Erst 1860, als ihn der Herzog von Ratibor zum Bibliothekar seiner kostbaren Büchersammlung auf Schloß Corvey an der Weser ernannte, wurde ihm eine solche zu teil. In den stillen Räumen dieser ehemaligen berühmten Benediktinerabtei konnte er in den letzten vierzehn Jahren seines Lebens sich ohne Kampf und Sorgen seinen Neigungen hingeben, die von Jugend auf mit gleicher Liebe das Studium der altdeutschen Poesie und die Pflege des eigenen Dichtertalents umfaßten. Hier, an der Grenze seines Geburtslandes Hannover, das zu betreten ihm mehr als zwei Jahrzehnte lang polizeilich untersagt war, ist der reichen Blütenwelt seines Gemüts noch ein voller Nachfrühling vergönnt gewesen. Zwar das glückliche Familienleben, das er sich noch als Fünfziger hatte gründen dürfen und das seinen Aufenthalt in Weimar verklärt hatte, ging in Corvey bald nach der Uebersiedelung seines besten Horts verlustig: der Tod entriß dem Dichter die innig geliebte Frau. Erst als die Schwester der Verstorbenen das Hauswesen übernahm, kehrte wieder Ruhe und Frieden bei ihm ein. Aber in dem von ibm so schön besungenen „Garten der Kindheit“ sah er hier gesund und frisch sein eigen Fleisch und Blut erblühen. Zahlreicher Zuspruch von Freunden erhellte seine Einsamkeit, und jetzt konnte er als Wirt am eigenen Tisch beim perlenden Wein das hafisische Behagen entfalten, mit welchem er während seiner Wanderjahre die ihm erwiesene Gastfreundschaft so reichlich zu vergelten gewußt. Von seiner traulichen Dichterklause in Corvey aus begleitete sein Geist das Erstarken des deutschen Volks mit manch kräftigem Zuspruch, begrüßte er die Gründung des Deutschen Reichs im Jahre Siebzig mit hoffnungsvollem Frohlocken, während seine Vaterlandslieder aus den Jahren der Einheitsträume für die Nation neue Bedeutung erhielten.
So werden die Ansichten von seiner Arbeitsstätte in Corvey wie von dem Schlosse selbst, in welchem das sturmbewegte Leben des Dichters einen friedlichen Abend fand, vielen willkommen sein. Wir verdanken das Kunstblatt, welches rechts unten auch noch ein Stück des Gartens zeigt, der zu Hoffmanns Geburtshaus in Fallersleben gehörte, dem Sohne des Dichters, Franz, aus dessen persönlichen Erinnerungen wir zur Erläuterung der Bilder das Folgende schöpfen.
Die Schlichtheit und Anspruchslosigkeit des Dichters sprach sich auch im Charakter seines Arbeitszimmers aus. Sein Wahlspruch: „Klar und wahr“ kam hier voll zur Geltung. Da sah man sich nach modernen Stores und schweren Gardinen, nach lauschigen halbdunklen Ecken vergeblich um. Voll und ungehindert drang das Tageslicht durch ganz leichte an den Seiten drapierte Vorhänge ein. Dafür zeigte sich auch der in die Fensternische gerückte Blumentisch stets dankbar, dessen wohlgepflegte Pflanzen in stetem Grünen und Blühen waren. Wuchernder Epheu hatte die ganze eine Wand überzogen, mit seinen Ranken das von Friedrich Preller fein und charakteristisch gezeichnete Bildnis der so früh geschiedenen Gattin des Dichters überspinnend. Ein seiner Größe angemessenes, unendlich lang erscheinendes Sofa, einige Tische, dicht bestellte, bis an die Decke reichende Bücherregale, mehrere handfeste Stühle, an den Wänden gute Bilder, das war außer seinem Schreibtisch das ganze Mobiliar. Dieser aus gewöhnlichem Tannenholz verfertigte, rot gebeizte Arbeitstisch war stets mit hunderterlei Dingen, unzähligen Schriftstücken, Mappen, Heften, Manuskripten und Schreibutensilien bedeckt. Musterte man ihn oberflächlich, so glaubte man, alle die Sachen seien in genialer Unordnung, wie es eben kam, hingelegt. Doch bei näherer Betrachtung überzeugte man sich vom Gegenteil. Es war kein Stück auf seiner Fläche, das nicht seinen ganz bestimmten, peinlich bewahrten Platz gehabt hätte. Rechts befand sich zur Hand zahlreiches Schreibmaterial. Ein Körbchen mit Petschaften und verschiedenen farbigen Arten von Siegellack stand daneben und ward fleißig von ihm benutzt. Die Petschafte zeigten mehrere seiner Wahlsprüche, die außerordentlich charakteristisch sind und je nach dem Inhalte der Briefe verwendet wurden: „Klar und wahr“, „Heut und immer“, „Gott und die Zeit“, dann ein Hammer mit der Umschrift: „Viel Feind, viel Ehr“ und ein Eichenzweig, umgeben von den Worten: „Nur tot anders“, waren allen seinen Freunden bekannte Siegel.
Die erwähnten Schriftstücke bestanden aus wissenschaftlichen sowohl wie poetischen. Auf dem Tische lagen ferner seine Tagebücher, die er bis auf den letzten Tag regelmäßig fortgeführt und zum großen Teil in seiner Selbstbiographie „Mein Leben“ benutzt hat. Eine Mappe mit Papier, um seine Gedanken zu fixieren, hatte den Titel „Feierabend“. Mit Papier war der Dichter überhaupt sparsam, seine herrlichsten Lieder, die in ganz Deutschland von einem Ende bis zum andern gesungen werden, sind auf das gewöhnlichste Konzeptpapier geschrieben, oft nur auf handgroße Zettel. Als ein weiteres Haupt- und Kapitalstück, ein Requisit ersten Ranges, muß noch seine hier ebenfalls liegende Brieftasche genannt werden. Ihr wurden die wichtigsten neuesten Gedichte, Trinksprüche und Aufzeichnungen von allgemeinerem Interesse einverleibt. Hoffmann ohne seine Brieftasche war nicht denkbar. Aus ihr, die Unzähligen seiner Verehrer eine Spenderin froher Stunden geworden ist, las der Dichter zu Hause wie auf Reisen seine neuesten Poesien vor, mit einer Kunst im Vortrage, einer Stimme, wie man sie so leicht nicht wieder hört, und die niemand, der sie je vernahm, wieder vergißt.
Die Lust am Wandern und der Drang, seine alten Freunde zu sehen, verließ ihn bis ans Ende nicht. Corvey selbst bot ihm wenig Verkehr; die Beamten des Herzogs brachten weder seiner Persönlichkeit noch seinem Schaffen irgendwie Verständnis entgegen. Das nahe Höxter war in dieser Beziehung ergiebiger, aber konnte ihm keinen Ersatz bieten für den Verkehr mit Freunden von gleichem Erleben und Streben. Oft packte ihn das Reisefieber ganz plötzlich, die alte buntgestickte Reisetasche wurde hervorgeholt und mit dem Nötigsten versehen und fort ging’s mit den starken Wanderschritten seiner Jugendjahre. Am stärksten zog es ihn zu den alten Freunden am Rhein, in Leipzig, Hamburg, Dresden und Breslau. Als 1861 seine noch immer in Kraft bestehende Ausweisung aus Hannover aufgehoben ward, bot ihm die geliebte hannöversche Heimat das Hauptziel seiner Ausflüge.
Die Stadt Fallersleben, welche jetzt den hundertsten Geburtstag ihres berühmten Sohns festlich begeht, besuchte er so oft er irgend konnte. Hier war sein Vater Bürgermeister gewesen. In dem großen Garten hinter seinem Geburtshaus, das noch im Besitz seines Schwagers war, freute er sich des reichen Blumenflors, der ihm Gelegenheit gab, wie als Knabe zierliche Sträuße zu winden, in welcher Kunst er ein Meister war. Oft lud ihn aber auch das kühle Gartenhaus, welches wir auf unserer Zeichnung sehen, ein, von seinen Spaziergängen auszuruhen. Im heimlichen Dämmerschein schuf er hier noch im hohen Alter manches Lied, sich und andern zur Freude. Als nach seinem Tode der Pavillon zusammenbrach, errichtete die Stadt Fallersleben dem Sänger auf derselben Stelle einen Denkstein.
Der Dichter starb in Corvey eines sanften Todes. Von seltener Gesundheit, wie er sein Lebelang gewesen, bis ins hohe Alter, traf ihn am 8. Januar 1874 ein Schlaganfall, der seinen mächtigen Körper auf das Krankenlager warf. Hier entschlief er am 19., nachts halb Zwölf, ohne jeglichen Todeskampf. In den letzten Jahren seines Lebens ward ihm die Freude, daß sich das volle Verständnis für das Martyrium seines Lebens und die hohe Mission seiner Poesie immer mehr im Vaterlande Bahn brach. Das ist inzwischen in immer stärkerem Maße der Fall gewesen. In erfreulichster Weise zeigte sich das im Jahre 1890, als Emil Rittershaus den poetischen Aufruf für die Errichtung eines Hoffmann-Denkmals auf der damals deutsch gewordenen Insel Helgoland erließ, dem Entstehungsorte des niemals ausgesungenen „Lieds der Deutschen“. P.
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