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Hyperion an Bellarmin XV

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Textdaten
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Autor: Friedrich Hölderlin
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Titel: Hyperion – Hyperion an Bellarmin XV
Untertitel: oder der Eremit in Griechenland – Erster Band
aus: Hyperion oder der Eremit in Griechenland von Friedrich Hölderlin. Erster Band. Tübingen 1797; S. 94–96
Herausgeber:
Auflage: 1
Entstehungsdatum: o. A.
Erscheinungsdatum: 1797
Verlag: J. G. Cotta'sche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Tübingen
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Quelle: www.hoelderlin.de
Kurzbeschreibung:
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[94-95]
HYPERION AN BELLARMIN.


     Lass uns vergessen, dass es eine Zeit giebt und zähle die Lebenstage nicht!

     Was sind Jahrhunderte gegen den Augenblik, wo zwei Wesen so sich ahnen und nahn?

     Noch seh’ ich den Abend, an dem Notara zum erstenmale zu ihr in’s Haus mich brachte.

     Sie wohnte nur einige hundert Schritte von uns am Fusse des Bergs.

     Ihre Mutter war ein denkend zärtlich Wesen, ein schlichter fröhlicher Junge der Bruder, und beede gestanden herzlich in allem Thun und Lassen, dass Diotima die Königin des Hauses war.

     Ach! es war alles geheiliget, verschönert durch ihre Gegenwart. Wohin ich sah, was ich berührte, ihr Fussteppich, ihr Polster, ihr Tischchen, alles war in geheimem Bunde mit ihr. Und da sie zum erstenmale mit Namen mich rief, da sie selbst so nahe mir kam, dass ihr unschuldiger Othem mein lauschend Wesen berührte! –

     Wir sprachen sehr wenig zusammen. Man schämt sich seiner Sprache. Zum Tone möchte man werden und sich vereinen in Einen Himmelsgesang.

     Wovon auch sollten wir sprechen? Wir sahn nur uns. Von uns zu sprechen, scheuten wir uns.

     Vom Leben der Erde sprachen wir endlich.

     So feurig und kindlich ist ihr noch keine Hymne gesungen worden.

     Es that uns wohl, den Ueberfluss unsers Herzens der guten Mutter in den Schoos zu streuen. Wir fühlten uns dadurch erleichtert, wie die Bäume, wenn ihnen der Sommerwind [96] die fruchtbaren Aeste schüttelt, und ihre süssen Aepfel in das Gras giesst.

     Wir nannten die Erde eine der Blumen des Himmels, und den Himmel nannten wir den unendlichen Garten des Lebens. Wie die Rosen sich mit goldnen Stäubchen erfreuen, sagten wir, so erfreue das heldenmüthige Sonnenlicht mit seinen Strahlen die Erde; sie sey ein herrlich lebend Wesen, sagten wir, gleich göttlich, wenn ihr zürnend Feuer oder mildes klares Wasser aus dem Herzen quille, immer glüklich, wenn sie von Thautropfen sich nähre, oder von Gewitterwolken, die sie sich zum Genusse bereite mit Hülfe des Himmels, die immer treuer liebende Hälfte des Sonnengotts, ursprünglich vielleicht inniger mit ihm vereint, dann aber durch ein allwaltend Schiksaal geschieden von ihm, damit sie ihn suche, sich nähere, sich entferne und unter Lust und Trauer zur höchsten Schönheit reife.

     So sprachen wir. Ich gebe Dir den Innhalt, den Geist davon. Aber was ist er ohne das Leben?

     Es dämmerte, und wir mussten gehen. Gute Nacht, ihr Engelsaugen! dacht’ ich im Herzen, und erscheine du bald mir wieder, schöner göttlicher Geist, mit deiner Ruhe und Fülle!