Hyperion an Bellarmin XXI
[103] HYPERION AN BELLARMIN.
Wie die Wooge des Oceans das Gestade seeliger Inseln, so umfluthete mein ruheloses Herz den Frieden des himmlischen Mädchens. Ich hatt’ ihr nichts zu geben, als ein Gemüth voll wilder Widersprüche, voll blutender Erinnerungen, nichts hatt’ ich ihr zu geben, als meine gränzenlose Liebe mit ihren tausend Sorgen, ihren tausend tobenden Hoffnungen; sie aber stand vor mir in wandelloser Schönheit, mühelos, in lächelnder Vollendung da, und alles Sehnen, alles Träumen der Sterblichkeit, ach! alles, was in goldnen Morgenstunden [104-105] von höhern Regionen der Genius weissagt, es war alles in dieser Einen stillen Seele erfüllt. Man sagt sonst, über den Sternen verhalle der Kampf, und künftig erst, verspricht man uns, wenn unsre Hefe gesunken sey, verwandle sich in edeln Freudenwein das gährende Leben, die Herzensruhe der Seeligen sucht man sonst auf dieser Erde nirgends mehr. Ich weiss es anders. Ich bin den nähern Weg gekommen. Ich stand vor ihr, und hört’ und sah den Frieden des Himmels, und mitten im seufzenden Chaos erschien mir Urania. Wie oft hab’ ich meine Klagen vor diesem Bilde gestillt! wie oft hat sich das übermüthige Leben und der strebende Geist besänftigt, wenn ich, in seelige Betrachtungen versunken, ihr in’s Herz sah, wie man in die Quelle siehet, wenn sie still erbebt von den Berührungen des Himmels, der in Silbertropfen auf sie niederträufelt! Sie war mein Lethe, diese Seele, mein heiliger Lethe, woraus ich die Vergessenheit des Daseyns trank, dass ich vor ihr stand, wie ein Unsterblicher, und freudig mich schalt, und wie nach schweren Träumen lächeln musste über alle Ketten, die mich gedrükt. O ich wär’ ein glüklicher, ein treflicher Mensch geworden mit ihr! Mit ihr! aber das ist mislungen, und nun irr’ ich herum in dem, das vor und in mir ist, und drüber hinaus, und weiss nicht, was ich machen soll aus mir und andern Dingen. Meine Seele ist, wie ein Fisch aus ihrem Elemente auf den Ufersand geworfen, und windet sich und wirft sich umher, bis sie vertroknet in der Hizze des Tags. Ach! gäb’ es nur noch etwas in der Welt für mich zu thun! gäb’ es eine Arbeit, einen Krieg für mich, das sollte mich erquiken! Knäblein, die man von der Mutterbrust gerissen und in die Wüste geworfen, hat einst, so sagt man, eine Wölfin gesäugt. Mein Herz ist nicht so glüklich. |