Ibrahim Pascha

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Autor: Charles Deval
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Titel: Ibrahim Pascha
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aus: Das Ausland, Nr. 89; 91. S. 353–354; 363–364.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Entstehungsdatum: 1827
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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[353]

Ibrahim Pascha.

Deux années à Constantinople et en Morée. Paris 1827

[1]


Nachdem ich den Sultan gesehen, war ich begierig nun auch seinen Alter Ego in Morea zu sehen. Einer der französischen Offiziere in der egyptischen Armee, mit welchem ich in Modon Bekanntschaft gemacht, stellte mich dem Pascha vor. In einem Zelte vor der Stadt gegenüber dem Lager der Araber, hatte Ibrahim sein Hauptquartier aufgeschlagen; hier empfing er mich. Der Empfang war ziemlich freundlich, und die Unterredung, die ich mit ihm hatte, dauerte lang. Mir ward die Ehre, an der Seite Seiner Hoheit Platz zu nehmen und mit Pfeife und Kaffee bedient zu werden. Einige Artigkeiten, die ich dem Pascha über die Organisation seiner Armee sagte, nahm derselbe als einen gewöhnlichen Tribut europäischer Bewunderung so hin; mit besonderer Theilnahme aber hörte er mir zu, als sich ihm von den in Constantinopel vorgefallenen Neuerungen und der Niedermetzelung der Janitscharen, wovon ich Augenzeuge gewesen war, erzählte.

Ibrahim ist klein von Person, eine breite sehr dicke Gestalt, mit abgeplatteter Nase, funkelnden Augen; sein Gesicht hat das Gepräge der Wildheit.

Er ist nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, Mehemed Ali’s eigener Sohn, sondern dessen Adoptivsohn. Als Pascha der heiligen Städte aber, erster Pascha des Reichs, steht er dem Range nach über seinem Vater. Seine Tapferkeit ist anerkannt, die Beharrlichkeit, mit welcher er seine Neger und Araber zu Soldaten zu bilden sucht, verdient Bewunderung. Ungeachtet die Truppen unter der Masse von Elend, welches die barbarische Kriegsweise über die Sieger wie über die Besiegten herbeiführt, unter den Anstrengungen und Entbehrungen aller Art fast erlagen, wurden die taktischen Uebungen[2] keinen Tag ausgesetzt. Geht er in’s Gefecht, so ist er immer der erste, der sich auf die Feinde wirft, wo er sie trifft, der mit seltener Unerschrockenheit dem Feuer ihrer Flinten oder der Schärfe ihrer Säbel Brust und Stirne bietet. Ist das Gefecht einmal im Gang, so tritt er mit einigen Offizieren hinter die Fronte, und ohne Gnade haut er jeden Soldaten nieder, der zurückweicht: so daß die Araber, den unvermeidlichen Tod hinter sich wissend, es bald für weniger gefährlich halten, vorzurücken, und so oft wider Willen den Sieg davon tragen.

Die Griechen fechten gegen diese Truppen nie in Reih und Glied, sondern aus Höhlen und Schluchten, hinter Bergströmen oder Abgründen, kurz von unnahbaren Stellungen aus; plötzlich hervorbrechend und spurlos wieder verschwindend, führen sie den kleinen aber mörderischen Krieg, in welchem sie eben so sehr im Vortheil sind, als der Angreifer im Nachtheil ist, da die aus dem Hinterhalte abgeschossene Kugel des selbstgewählten Ziels nur selten verfehlt. So mißlang namentlich jeder Versuch Ibrahim’s gegen Maina, und lief nie ohne bedeutenden Menschenverlust für ihn ab.

Eines Tags, erzählt man, begegneten sich Ibrahim und Kolkotroni im Gebirge; ein schmaler Abgrund lag zwischen den beiden Feinden. „Ergieb dich, rief Ibrahim dem Griechen zu, ich werde dich mit Reichthümern überhäufen.“ „Die Freiheit meines Vaterlandes, erwiederte dieser stolz, ist mir lieber als deine Schätze.“ Er sprachs, und eine Kugel streckte einen Araber aus dem Gefolge des Paschas todt zu dessen Füßen. Kolokotroni war verschwunden.

Gefühllose Grausamkeit und unersättliche Habsucht sind die hervorstechendsten Eigenschaften, um derer willen Ibrahim ein Geistesverwandter des Sultans genannt werden kann. In Modon meinten Einige, die Ersparnisse des egyptischen Helden dürften über 15,000 Beutel[3] angeschlagen werden: eine Summe, die demjenigen nicht übermäßig erscheint, der den kameralistischen Spürsinn desselben kennt. Eine seiner Finanzoperationen war folgende:

Einstmals ließ er alles große und kleine Vieh in und um Modon aufgreifen. Die Eigenthümer thaten umsonst Einsprache gegen dieses Räuberkunststück, das sie nicht nur um einen rechtmäßigen Gewinn, sondern manche von ihnen selbst um ihren ganzen Unterhalt brachte. Der Pascha wollte sich noch einer sonderlichen Großmuth vermessen, als er für einen Ochsen sechs und für ein Schaaf drei Piaster auszahlte. Nachdem er auf diesem Weg sich in den Besitz alles Schlachtviehs gesetzt, errichtete er Fleischbanken und fieng an zu schlachten, und verkaufte die Okka [354] (2½ Pf.) zu drei Piastern: so daß man die Wahl hatte, entweder kein Fleisch zu essen, oder sich den von im beliebten Preis gefallen zu lassen. Natürlich machte er dabei einen ungeheuren Gewinn.

Noch von einer schändlicheren Seite zeigte sich des Pascha’s schmutziger Charakter bei einer andern Gelegenheit. Während meines Aufenthalts in Modon starb Mehemed-Ali-Aga, der Oheim Ibrahim’s, einer der ersten Befehlshaber in der Armee. Dieser hatte in seinem Harem achtzehn Frauen, seinen Antheil an der missolonghischen Beute, und etwa ein Dutzend griechische Knaben, von einem Alter von zehn bis fünfzehn Jahren, welche ihm als Pagen dienten.

Während seiner letzten Krankheit besorgte ihn ein junger englischer Arzt, ein eben so talentvoller als edler Mann. Mit Lord Byron nach Missolonghi gekommen, hatte er den erlauchten Dichter überlebt und war bei der Einnahme dieser Stadt in die Hände der Ungläubigen gefallen, die ihm unter der Bedingung, daß er in die Dienste Ibrahims träte, das Leben schenkten. Er stand als Arzt in großer Achtung und Gunst, und seine Lage war soweit nicht unangenehm; dem ungeachtet aber konnte er nicht vergessen, daß er einst einer bessern Sache gedient hatte, der auch jetzt noch nützlich zu seyn, er für seine Pflicht hielt.

Als er sah, daß Mehemed-Ali-Aga’s Tage gezählt seyen, fragte er ihn, „was aus seinen Gefangenen werden solle? Geben Sie ihnen die Freiheit, setzte er hinzu, Sie thun damit ein Gott wohlgefälliges Werk.“ Der Kranke willigt ein, gibt seinem Neffen Ibrahim davon Nachricht und stirbt in einigen Stunden. Ibrahim hatte nichts eiligeres zu thun, als die Erbschaft seines Verwandten in Beschlag zu nehmen, die griechischen Frauen und Kinder auf den Markt zu führen und zu verkaufen.

An diesen Beispielen seiner Habgier mag man genug haben; an Beispielen seiner Wildheit fehlt es auch nicht.

Es war bei der Belagerung Navarin’s, daß sich einmal Ibrahim den Wällen der Festung so weit näherte, daß die Kugeln neben ihm niederschlugen. „Prinz, sagte einer der Offiziere, die ihn begleiteten, Eure Hoheit ist hier nicht sicher; die Feinde schießen auf Sie.“ „Du bist ein Feiger, erwiederte der Pascha, stirb!“ und mit einem Hieb spaltete er ihm den Schedel.

Ibrahim war in Modon eingerückt und hatte den Griechen, die sich ihm unterwarfen, nicht nur das Leben geschenkt, sondern selbst seinen Schutz zugesagt. Da fand er aber, daß sie noch zu viele Häuser inne hätten und nun, um seinen Negern Wohnungen zu verschaffen, läßt der ehrlose Verräther in einer Nacht und in einer Stunde die ganze christliche Einwohnerschaft erwürgen; die Frauen allein hatten den Schmerz, sich und ihre Kinder für die Sclaverei gerettet zu sehen.

Ein griechischer Gefangener wurde vor Ibrahim geführt. „Wo sind deine Brüder?“, fragte man ihn. „Ich werde nie meinen Eid brechen, und sie verrathen.“ „Du bist des Todes, donnert Ibrahim, wenn du mir nicht gehorchst.“ Dieselbe Antwort. Da legt der Pascha seine Pfeife weg, erhebt sich wüthend von seinem Polster, speyt jenem in’s Gesicht, nimmt einen Karabiner von der Wand und schießt ihn nieder.

Fünf oder sechs Tage nachher wurde ein anderer Gefangener vor den egyptischen Wütherisch gebracht; es war ein armer Hirte. Juha! Juha! Juha![4] ruft der humoristische Pascha, worauf er ihn mit tausend scheußlichen Verwünschungen überhäuft und ihm zuletzt befiehlt, sich auf die Kniee zu werfen, und den Kopf zu beugen. Seines Todes gewiß gehorcht der Hirte. „Ziehe deinen Säbel, – sagte Ibraim zu einem arabischen Buben von sechs Jahren, den er sehr lieb hatte, – und hau’ dem ungläubigen Hund hier den Kopf ab; du sollst mir ihn herbringen.“ Das Kind machte sich nun einen Spaß daraus, dem Unglücklichen das Gesicht zu zerfetzen, nach den Augen zu stechen, ein Ohr wegzuhauen, aber mehrere Versuche, ihm den Kopf abzuschlagen, wollten nicht gelingen. Einige französische Offiziere, die der Scene beiwohnten, erhielten endlich die Begnadigung des Gefangenen, der indeß ein paar Stunden darauf an seinen Wunden starb.

[363] Ich war selbst Zeuge von mehreren dieser Gräuel. Mit meinen eigenen Augen habe ich gesehen, wie fünfzig Landleute vor das Zelt Ibrahims geführt, in seiner Gegenwart mit einem glühenden Eisen gezeichnet und hierauf in ein tiefes stinkendes Kerkerloch[5] geworfen wurden, wo sie im Schlamm verfaulen mußten, wenn das Schiff, das sie nach Egypten abholte, nicht bald erschien. Ich sah Priester, die gekreuzigt, und am langsamen Feuer verbrannt wurden; ich sah die Scenen des Sklavenmarkts: „He Kapitän, wollt ihr diese junge Suliotin? Ein guter Kauf! Ihr werdet zufrieden seyn.“ Ich sah …, doch genug.

Um das Bild von Ibrahim zu vollenden, brauche ich nur hinzufügen, daß sich der gute Mann für eine Art Napoleon hält. Nichts kann ihn so sehr beleidigen, als der Name „Barbar,“ den man ihm in Europa zuweilen gibt. Wenn er in den Zeitungen, die er durch die in Zante, Modon oder Navarin einlaufenden Schiffe erhält, und sich von seinem Dolmetscher Abo übersetzen läßt, eine solche Verkennung seiner Würde wahrnimmt, so haben es jeder Zeit die armen Gefangenen zu entgelten.

Solyman-Bey.

Der Obrist Seve war Napoleon’s Adjutant und hatte sich als solcher besonders im rußischen Feldzuge ausgezeichnet. Als sich ihm in Frankreich nach dem Sturze des Kaisers keine seinen Neigungen angegemessene Beschäftigung mehr darbot, begab er sich nach Egypten. Damals fing eben Mehemed Ali an, seinen militärischen Organisationsplan ins Werk zu setzen. Bald lernte der Pascha in dem Obrist Seve einen eben so gebildeten als tapfern Offizier kennen, den er nicht mit der Masse der Abentheurer verwechseln durfte, die ihm ihre Dienstbefließenheiten und ihre Schmeicheleien aufdrangen.

„Franzose, sagte er zu ihm, wenn du mir Treue schwörst und bei den Reformen, die ich in meiner Armee vorhabe, tüchtig an die Hand gehst, so mache ich dich zum Bey und du kommandirst mein erstes Regiment. Aber du mußt Muselmann werden, denn die Araber würden dir sonst nicht gehorchen.“ Obrist Seve fand diese Gründe so einleuchtend, daß er den Turban nahm und in einer der Hauptmoscheen Alexandria’s feierlich dem Christenthum entsagte, wobei er sich jedoch von der Cermonie der Beschneidung dispensiren ließ. Der Pascha gab ihm den Namen Solyman-Bey, überhäufte ihn mit Geschenken und setzte ihm in seiner Eigenschaft als Commandeur einen Jahrgehalt von 40,000 Piastern (18,000 Fr.) aus.

Das Regiment Solyman-Bey’s lagerte vor der Stadt; er selbst bewohnte in Modon ein Haus in der großen Marktstraße. Vor seiner Thüre stand eine Wache von ungefähr zehn Sapeurs, die uns, als wir ihnen sagten, daß wir den Obrist besuchen wollten, ehrerbietig salutirten und eintreten ließen. Es war um eilf Uhr Morgens. Wir trafen Solyman-Bey auf einem breiten Bette ruhend, wobei er sich mit einem Uebelbefinden, das er sich durch eine starke Ermüdung zugezogen, entschuldigte. Ich sagte ihm, daß ich in Morea gelandet hätte, um einige Städte zu besuchen. Da ich nun meinen Zweck erreicht, sey ich im Begriff, nach unserm gemeinschaftlichen Vaterlande zurückzukehren und wenn er mich mit Aufträgen an seine Familie beehren wollte, so würde ich sie mit Vergnügen besorgen. „Ich danke Ihnen unendlich, erwiederte er mit einer sehr verbindlichen Miene. Der directe Verkehr zwischen Frankreich und Morea ist so selten, daß ich Sie beim Wort nehmen und von Ihrer Güte Gebrauch machen muß, um meinen Freunden zu schreiben. Ich werde Ihnen unter anderem einen Brief an meinen Vater in Lyon zustellen.“ Nach einem Augenblick Stillschweigen setzte er mit Rührung hinzu: „Ich habe in meinem Leben nur drei Menschen geliebt, weil nur drei Menschen mir Gutes erwiesen haben: das ist mein Vater, Napoleon und Mehemed Ali.“

Ein kleiner Negersklave wartete uns hierauf mit Pfeifen und Kaffee auf, zu meiner großen Freude aber folgte auf die türkische Sitte bald die französische:

Crateras magnos statuunt et vina coronant. Dem Gesetze des strengen Propheten zum Trotz, floß der Champagner in lange Gläser und drei oder vier egyptische Offiziere, die gerade zugegen waren, leerten unbedenklich einige Flaschen.

Solyman-Bey, obgleich Renegate, doch im Herzen noch Franzose, brachte einen Toast auf das Wohl Frankreichs aus, wobei ihm die Thränen in die Augen traten. Ich stimmte feurig ein. Nachdem wir uns eine Zeitlang über Constantinopel und über die öffentlichen Angelegenheiten Frankreichs, wofür er sich lebhaft zu interessiren schien, unterhalten hatten, bezeugte ich ihm meinen Wunsch, sein Harem zu sehen. „Obrist, sagte ich, meine Bitte kann Sie befremden. Aber ich betrachte mich hier als im Hause eines Franzosen, nicht eines Türken.“

Die egyptischen Offiziere zogen sich zurück und drei Frauen aus dem Harem Solyman-Bey’s erschienen. Alle drei (zwei von ihnen waren Schwestern) vereinigten mit den liebenswürdigsten Eigenschaften des Geistes die entzückendsten Reize des Körpers; besonders war Chrysula, die ältere der beiden Schwestern, eine verführerische Schönheit: eine schlanke Gestalt, ein sanfter, etwas melancholischer Ausdruck über ein Gesicht verbreitet, auf welchem sich das blendende Weiß der Linie mit dem Purpur der Rose vermählte; himmelblaue Augen, seltsam constrastirend mit dem Haar, schwarz wie Ebenholz. Der reiche und geschmackvolle Putz dieser drei Damen, gefangener Griechinnen, erhöhte wesentlich den Glanz ihrer Schönheit.

Chrysula, kaum achtzehn Jahre alt, war die Favoritin Solyman-Bey’s, die er eben so leidenschaftlich liebte, als sie seine Liebe zärtlich erwiederte. Vor ihr besaß eine sehr reizende Negerin, Namens Arsana, die er aus Egypten mitgebracht, sein Herz. Ein paar Tage vor meiner Ankunft in Modon hatte die Eifersucht der verlassenen Geliebten einen Auftritt herbeigeführt, der leicht hätte ein tragisches [364] Ende nehmen können. Denn Arsana, die ihren treulosen Solyman in Chrysula’s Armen überraschte, gerieth über diesen Anblick in eine solche Wuth, daß sie über die begünstigte Nebenbuhlerin herfiel, sie bei den Haaren ergriff, ihr das Gesicht zerkratzte, ja daß sie ihr die Augen ausgerissen hätte, wenn sie nicht durch Solyman-Bey, der sich ihrer bemächtigte, von fernern Gewaltthätigkeiten abgehalten worden wäre. Solyman-Bey selbst überlieferte sie in der ersten Aufwallung des Zorns seinen Sapeurs, mit dem Befehl, sie vor seinen Augen hinzurichten. Arsana vernahm ihr Todesurtheil, ohne um Gnade zu bitten. „Nein, Solyman, sagte sie, Du hast mich nicht verurtheilt, Du willst meinen Tod nicht; Arsana ist Dir zu theuer, als daß Du nach ihrem Blut dürstest. Doch gesetzt, Du vergäßest den Bund unserer Liebe, Undankbarer, und opfertest mich meiner Nebenbuhlerin, so sterbe ich ohne Bedauern einen Tod, der mich von dem Anblick der Verhaßten befreit.“ Schon war das verhängnißvolle Beil über Arsana’s Haupt erhoben, als einige französische Offiziere, Freunde des Obrists, dazu kamen und dessen Zorn beschwichtigten. Arsana mußte für immer aus dem Hause.

Die drei Frauen Solyman-Bey’s waren erst seit drei Monaten bei ihm und schon fingen sie an, arabisch zu sprechen. So leicht ist die Fassungskraft der Griechen, daß sie sich Kenntnisse, wozu Andere erst nach Jahren eines anhaltenden Fleißes gelangen, oft schon im ersten Augenblicke aneignen. Ich redete sie griechisch an; die vaterländischen Töne, die sie noch nie aus dem Munde eines Franken gehört hatten, waren ihren Ohren Musik und ich wurde bald mit ihnen so bekannt, daß der Obrist fast eifersüchtig geworden wäre. Auf den folgenden Tag lud uns Solyman-Bey zu einem Mittagmahl. Wir begaben uns um vier Uhr in sein Haus. In demselben Zimmer, wo er uns am vergangenen Morgen empfangen hatte, stand eine gedeckte runde Tafel, die jedoch nicht sehr orientalisch aussah, da sie sehr reichlich mit Flaschen besetzt war. Die Gesellschaft Solyman-Bey’s bestand außer mir noch aus drei französischen Offizieren, und zwei andern Bekannten. Ich erhielt einen Platz zwischen den beiden Schwestern; an einem Ende der Tafel befanden sich drei bejahrte Frauen, ziemlich dürftig gekleidet. Ich überließ mich mit Lust der Unterhaltung mit meinen liebenswürdigen Nachbarinnen. Eine Unterhaltung mit Damen des Harems ist ein Glück, das dem Reisenden nur selten zu Theil wird und das eben deswegen etwas um so Pikanteres hat. Ich fragte sie, wer die drei alten Frauen seyen? „Eine von ihnen, antwortete Chrysula, ist unsre Tante. Waisen seit unsrer frühesten Jugend bewohnten wir mit dieser unsrer einzigen Verwandten ein kleines Haus in der Nähe von Tripolizza, als die Araber, welche das Land umher verwüsteten, in unsre Wohnung einbrachen, dieselbe plünderten, und uns selbst gefangen mit sich fortführten. So kamen wir in Solyman’s Haus. Unsre Pflegmutter war damals verschwunden, wurde aber einige Tage nachher in den Gebirgen gefunden, nach Modon geschleppt, daselbst um einen geringen Preis verkauft und hatte das Schicksal, Wasser zu tragen oder in den Wäldern Reiß[6] zu sammeln. Wir waren so glücklich, ihr eines Tages an den Thoren von Modon zu begegnen; Solyman bezahlte das Lösegeld für sie.“ „Seyd ihr zufrieden mit dem Bey?“ „Er ist sanft und freundlich und sogar nicht launisch, daß wir uns glücklich genug schätzten, wenn uns nicht der Anblick unsrer unglücklichen Landsleute, die mit Ketten belastet unter den Peitschenhieben ihrer Treiber erliegen, zur Trauer stimmte.“ „Aber werdet ihr denn immer Gefangene bleiben?“ „Der Bey hat uns die Freiheit geschenkt.“ Sie zeigte mir ihren Freiheitsbrief: er war von dem Obrist eigenhändig ausgestellt. Ich machte dem Obrist ein Kompliment über seine Humanität, worauf er sagte: „wenn ich meine Religion geändert habe, so ist mein Character dadurch nicht verändert worden, mein Herz bleibt immer französisch. Alle diese Frauen, jung und alt, kehren, sobald der Krieg vorbei ist, in ihre Heimath zurück. Es sind auch noch acht Griechen bei mir, die ich den Händen meiner Araber entriß, als sie dieselben, mit den Waffen in der Hand, gefangen genommen hatten und eben niederhauen wollten.“[7]

Eine Menge Gerichte, welche zum Theil die Küche des Pascha’s liefern mußte, folgten auf einander. Zum Nachtisch brachte man Champagner. Zuletzt bemächtigte sich der der ganzen Gesellschaft jene den Franzosen eigenthümliche Munterkeit und man sang Trinklieder, deren Refrain der Chor wiederholte. Die Mahlzeit dauerte bis 8 Uhr Abends.

Während der fünfzehn Tage, die ich in Modon zubrachte, besuchte ich Solyman-Bey noch oft und hatte mich immer der gleichen freundschaftlichen Aufnahme zu erfreuen. Ich lernte den Mann achten, und bin überzeugt, daß es eher ein Glück als ein Unglück für die Griechen ist, daß er sich an der Spitze der Egyptier befindet. So manchen Ort hat er von der Plünderung, so manchen Griechen von dem Säbel der Araber, so manche Frauen von der Entehrung gerettet; sein ganzes Vermögen verwendet er zum Besten seiner Familie in Lyon und zur Erleichterung des Elends. Seine Thüre ist von einem Haufen Armer umlagert, die er nährt und sein Haus von Griechen angefüllt, die seine Großmuth preisen. Nachdem ich noch Coron, wo ich Byron’s und seines Korsaren gedachte, gesehen hatte, verließ ich den blutgetränkten Boden, der nicht mehr gebaut wird, wo aber mitten unter dem Wirken der Zerstörung immer noch wie in einem Garten tausendfarbige Blumen prangen, wo die Orangen und die Citronen die Luft durchwürzen, wo am Rande klarer Bäche Mürten und Lorbeerrosen grünen und in den dunkeln Gebüschen, die holden Freundinnen der Einsamkeit, die Nachtigallen, schlagen. Als ich nach dem Hafen wandelte, um mich einzuschiffen, spühlten die Wellen mehr als zwanzig Leichname an den Strand; es seyen einige Gefangene, hieß es, die man in dem Gefängniß enthauptet habe. – Armes Griechenland! wann wird endlich der Fluch von dir genommen werden!


  1. Vergl. Num. 32, 34, 36.
  2. bei einem Regimente (zu 4,000 Mann) waren fünf bis sechs europäische Offiziere, mit einem monatlichen Gehalt von 12–1500 türkischen Piastern, als Lehrmeister angestellt. Solcher Regimenter hatte Mehemed Ali bis 1826 sechs nach Morea geschickt. Zählt man noch die bedeutenden Verstärkungen, welche kurz vor der Navariner Schlacht daselbst ankamen, so hat Ibrahim nach und nach etliche und dreißig tausend Mann aus Egypten erhalten, wovon man aber, um den effektiven Stand seines Heeres zu berechnen, wenigstens zwei Drittel in Abgang bringen muß.
  3. 7,500,000 Piaster.
  4. Das Feldgeschrei der Griechen, mit welchem sie gewöhnlich angreifen.
  5. In einem Thurm, der die Südseite von Modon vertheidigt. Sie lagen daselbst nicht auf Stroh, sondern auf bloßer Erde, welche durch das eindringende Meerwasser aufgeweicht wird.
  6. Zu diesem Geschäfte wurden die ältern Frauen, namentlich die aus Missolonghi, gebraucht. Der Verfasser sah, wie sie heerdenweise hinausgetrieben wurden; unzählige erlagen den Mißhandlungen der Barbaren, welche die schönste Frucht der Humanität, das Gefühl des Mitleids, nicht kennen.
  7. Soliman-Bey zieht zwei griechische Kinder auf; einen Knaben von acht Jahren, den er Kolokotroni, und ein Mädchen von zwei bis drei Jahren, die er Bobolina nennt. Jedem hat er einen Freiheitsbrief ausgestellt.