Die geographische Vertheilung der Krankheiten

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Autor: Friedrich Schnurrer
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Titel: Die geographische Vertheilung der Krankheiten
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aus: Das Ausland, Nr. 90. S. 357–359; 363–364.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
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Entstehungsdatum: 1827
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
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[357]

Die geographische Vertheilung der Krankheiten,

vorgelesen in der Versammlung der deutschen Aerzte und Naturforscher zu München den 22 Sept. 1827.
Von Dr. Schnurrer.
––––––––
(Mit einer Charte.)

Die Versuche von Zimmermann, Ritter und Shouw, die geographische Vertheilung der Thiere und Pflanzen darzustellen, sind bekannt. Wenn ein ähnlicher Versuch, die Vertheilung der Krankheiten auf gleiche Weise zu versinnlichen, weit weniger genügend erscheinen sollte, so findet dieß sein Erklärung schon darin, daß die Krankheiten nicht wie andere Productionen des organischen Lebens ihre eigenthümlichen Existenzen haben, sondern an die Verbreitung dieser, zumal des Menschen, gebunden sind, und eine Verzeichnung der Krankheiten daher schon eine Charte des Menschengeschlechts, als ihres Substrats, voraussetzt.

Wäre aber letztere auch ganz vollständig gegeben, so entstünde eine neue Schwierigkeit daraus, daß die Krankheiten nicht wie die Pflanzen und Thiere gleich auf den ersten Anblick dem Forscher sich darbieten, noch viel weniger von minder Kundigen gesammelt und später erst geordnet werden können, überhaupt nicht einmal in Zeichnungen etwas Transportables haben. Vielmehr erfordern sie einen längern Aufenthalt des Beobachters, und am Ende bildet sich mehr eine Charte der Aerzte, die ihre Beobachtungen bekannt gemacht haben, als der Krankheiten selbst; letztere sind überhaupt mehr nur von den größern Städten angegeben, wo die Cultur bereits ihren gleichmachenden Einfluß ausgeübt hat; aus demselben Grunde sind auch einzelne Stellen mit Namen überhäuft und andere dagegen desto leerer.

Da jedoch die Krankheiten wie die Formen der Pflanzen und Thiere zugleich auch Aeußerungen der ursprünglichen Bildungskräfte der Erde sind, und ihren unvertilgbaren Character behaupten, so lassen sich auf einer Welt-Charte wenigstens ihre Verbindungsbezirke einigermaßen andeuten. Hiebei aber muß bei einem Formate, das für die übrigen Welttheile vollkommen genügt, Europa, das bei dem kleinsten Umfang der bekannteste ist, gerade am meisten zurücktreten.

Um so nothwendiger wird es deshalb, auf einer Charte, die, außer Europa, von Asien den bis zur Ostküste des caspischen Sees reichenden Theil und den Nordrand von Afrika begreift, mehr ins Einzelne zu gehen, und zugleich auch das Topographische der endemischen Krankheiten anzudeuten.

Zugleich ist es aber diese Erdfläche auch, auf welcher der uns bekannte Theil der Geschichte hauptsächlich sich bewegt; es bietet sich daher die weitere Aufgabe dar, auf denselben Raum-Verhältnissen, wie dort die mehr örtlichen an den Raum gebundenen Krankheiten, hier mehr die epidemischen, wie sie der Zeit nach vorkamen, anzugeben.

Auf dieselbe Weise würden denn auch auf einem vierten Blatte die Epizootien ihrem Vorkommen und ihrer Verbreitung nach dargestellt.

Auf weitern Blättern könnte dann erst bei einzelnen größern Ländern Europa’s die Behandlung ganz speziell topographisch und historisch werden; hier würden von jedem Orte die einzelnen Epidemien, welche je daselbst vorkamen und aufgezeichnet wurden, mit der Jahreszahl angegeben; ferner würde alles, was von der Gesundheits-Beschaffenheit der einzelnen Orte aus Topographien bekannt ist, bemerkt, und da bei der ganzen Arbeit es so sehr darauf ankommt, daß überall die Quellen wenigstens angedeutet werden, so müßte jedesmal der Name des Autors beigesetzt werden, was dieser Charte vollends ein von den phytographischen und zoographischen Charten verschiedenes Ansehen geben würde.

Ist es nun schon erlaubt, noch Einiges, was sich schon aus der Betrachtung der allgemeinen Charte, der einzigen, die bis jetzt mitgetheilt wird, ergeben dürfte, anzuführen, so ließe sich Folgendes über die Vertheilung der Krankheiten bemerken:

Es gibt keine Krankheit, die wie das Menschengeschlecht überall über die ganze Erde verbreitet wäre, oder diesem bei seiner Verbreitung überall hinfolgte. Wollte man nur auf die Entfernung der äußersten Punkte sehen, so fände sich wohl im höchsten Norden und unter der Linie der Aussatz, welcher bei der größten Entfernung und bei der Verschiedenheit seiner äußeern Ursachen doch viel Gemeinschaftliches in seinen Erscheinungen darbietet; ebenso unerwartet kommt fast auf denselben Punkten, in den heißesten und kältesten, eine Krankheit des frühesten Lebensalters, der Kinnbackenzwang der Neugebornen, trismus neonatorum vor. Beide so furchtbare Krankheiten zeigen sich aber desto seltener in den gemäßigten Zonen.

Das intermittirende Fieber, das den Menschen vor den Thieren und auch meistens nur dem erwachsenen Alter zukommt, ist dagegen die Krankheit, welche den Europäer wenigstens auf seinen Wanderungen am weitesten begleitet, doch nach den Beobachtungen von Nil Dalber, Debes, Manicus und Kratsheninnikow auf den Inseln im Norden von Großbritannien, auf den Farröern, auf Island, im nördlichen Schweden und auf Kamtschatka, aller Marsch- und Moorgründe unerachtet, nicht mehr vorkommt. Innerhalb dieser Breiten tritt dasselbe überall hervor, wo der [358] Mensch zwischen sehr entgegengesetzten Einflüssen des Bodens wechselt, und befällt selbst den Indianer im spanischen Guiana, sobald derselbe aus dem freien Leben in seinen Wäldern in die Missionen verpflanzt wird, ja sogar häufig den Bewohner ungesunder Gegenden, wenn er seinen bisherigen Aufenthalt mit dem in gesundern vertauscht.

Darf man annehmen, daß bei dieser Krankheit immer die Drüsen des Unterleibs leiden, besonders die Milz, eine Drüse ohne Ausführungsgang, so steht derselben auf dem nämlichen Verbreitungsbezirk ein anderes Uebel gegenüber, das weniger die Ankömmlinge, als die Neugebornen und das früheste Lebensalter, aber fast unter denselben äußern Umständen, befällt und auch wieder seinen Sitz in einer Drüse ohne Ausführungs-Gang hat, die, wie die Milz für das Blutsystem der Brust Bedeutung zu haben scheint – nämlich der Kropf und Cretinismus, welcher hier nicht zum erstenmale dem intermittirenden Fieber gegenüber gestellt wird. Im nördlichen Amerika wie im südlichen entspricht dem intermittirenden Fieber in den mit üppiger Vegetation bedeckten Uferländern, in den engen Thälern höher gelegener Gegenden der Kropf und Cretinismus, und in Europa läßt sich von Estremadur und Asturien an über die Pyrenäen und Abruzzen, durch die Schweiz und Tyrol, über die Kärnth’schen und Steyer’schen Alpen, bis in die Carpathen der Kropf nachweisen; nur in dem Caucasus wurde er noch von keinem Reisenden angetroffen. Dieselbe Erscheinung bietet sich auch in Asien überall dar, wo man darauf achtet, besonders in den Gebirgsthälern zwischen dem Ganges und Brahmaputra und im nordöstlichen China wie an der Lena und Kirenza in Sibirien. Sonst scheint das intermittirende Fieber auch noch andere eben so unerwartete Gegensätze zu haben. In manchen Gegenden entstehen da, wo zu gewissen Jahreszeiten die intermittirenden Fieber allgemein sind, in der entgegengesetzten Jahreszeit Fußgeschwüre, in einzelnen Gegenden Hypertrophie des Scrotum und der Füße; endlich Race gegen Race gehalten, scheint bei den Negern, die wie die Urbewohner Amerikas übrigens auch Kröpfe bekommen, in Gegenden, die bei den Europäern intermittirende und emittirende Fieber hervorrufen, der Starrkrampf häufig zu seyn.

Einige ihren Erscheinungen nach sehr bestimmte Krankheiten haben weit kleinere Verbreitungsbezirke: so kommt die Gangräne des Mastdarms nur auf einer Linie vor, welche von Peru nach Angola gezogen wird. Nur wenig über den nördlichen Wendekreis verbreitet sich auch der Fadenwurm.

Andere Krankheiten dagegen, welche der Tropenwelt allein eigenthümlich zu seyn scheinen, wie die Berry Berry und Borbiers, Rheumatismen, die bald in Lähmung der Glieder oder der Athmungsorgane übergehen, mögen nicht so ganz zu trennen seyn von der in den vorigen Jahrhunderten viel häufigeren Kolik, die gewiß mehr der Gicht anzureihen als von Bleivergiftung herzuleiten ist, und die durch die dry belly ach, eine in Westindien seltener gewordene Krankheit, noch deutlicher mit diesen Uebeln zusammenhängt.

Für die Geisteskrankheiten verdient es gewiß beachtet zu werden, daß, wo unter fremden Himmelsstrichen und bei andern Racen solche vorkommen, sie jedesmal entweder in Blödsinn oder Melancholie bestehen.

Von der Lustseuche läßt es sich kaum sagen, ob sie über die ganze Erde verbreitet sey oder nicht, da dieses Uebel so ungemein vielfach sich gestaltet, und bald an die Haws, bald an den Aussatz, und hie und da wieder, besonders im indischen Archipel, sogar an die Pocken sich anzureihen scheint.

Unter den von Fieber begleiteten und schnell verlaufenden ansteckenden Krankheiten läßt sich nur von den Menschen- und Kuhpocken behaupten, daß sie in den verschiedensten Theilen der Erde wenigstens künstlich fortgepflanzt werden können; weit weniger gilt dieß von dem Scharlach, den Masern und dem Typhus, von welchen der letztere eigentlich nur in Europa bei dessen Klima denkbar ist, so fern letzteres zu diesen Kleidern, Betten und geheizten Wohnungen nöthigt, und bald verschwindet, wo das Klima so beschaffen ist, daß der Kranke keinen Schutz gegen dasselbe bedarf. Scharlach und Masern, oder der gemeinschaftliche Ausdruck für beide, die Influenza, scheint nach der Beschreibung von Dobrizhofer und Azara im südlichen Amerika da wieder hervorzutreten, wo sich das Klima wieder mehr dem europäischen nähert.

Vor allen übrigen Krankheiten ziehen aber jene, in einzelnen Perioden über große Erdflächen sich verbreitenden Epidemien die Aufmerksamkeit auf sich; ebenso wegen ihrer großen Folgen für das Menschengeschlecht, als wegen des Unerklärlichen, also Wunderbaren, ihrer Natur.

Es sind dieß im neunzehnten Jahrhundert die Cholera, die Pest und das gelbe Fieber. Von der Cholera hat Moreau de Jonnès, und von dem gelben Fieber Matthäi eine Verbreitungscharte gegeben, aber die Verbreitungsbezirke der drei großen Krankheiten müssen (am besten illuminirt) neben einandergestellt werden, wenn man ihre Beziehungen, ihre relative Ausdehnung und die Fläche, auf welcher sie sich durch Zeugung fortzupflanzen vermögen, näher beurtheilen will.

Die Pest, die vor zwei Jahrhunderten bis an den Indus, und nach Villalba, auch nach dem spanischen Amerika sich verbreitete, und im vorletzten Jahrhundert noch mehrmals in England gesehen wurde, ist unterdessen nur mehrere Länge- und Breite-Grade aus Ländern, die sich mit Quarantäne-Anstalten zu schützen glaubten, und aus solchen, in denen man keine Anstalten dieser Art kannte, freiwillig zurückgewichen; dagegen hat die Cholera in der kürzesten Zeit bis an den eigentlichen Heerd der Pest, doch mit erschöpfender Gewalt, sich im Jahr 1823 ausgedehnt, wie dieß schon einmal im Jahr 1031 nach Deguignes, und, für jene Gegenden wenigstens, auch in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts der Fall gewesen seyn mag. In demselben Jahr 1823 hat aber auch das gelbe Fieber, darf man den Angaben vollkommen trauen, sich an der nördlichen Seeküste Spaniens und auf der Insel Ascension gezeigt; übrigens war der Jahrgang durch physische Ereignisse nicht ausgezeichnet, und, was noch merkwürdiger seyn dürfte, zeigten beide, die Cholera und das gelbe Fieber, an der Stätte ihres Ursprungs keine bedeutende Zunahme oder [359] Verschlimmerung. Seit jenem Jahr hört man aber sowohl von dem gelben Fieber, als von der Cholera, (von letzterer einzelne Gegenden in Ostindien, wo ihre Ausbrüche meist mit Erdbeben zusammentreffen, wie zu Sahore, etwa ausgenommen,) wenig mehr, und von der Pest, die im Jahr 1821 auf den balearischen Inseln dem gelben Fieber weichen mußte, ist seit jener Zeit eben so wenig mehr ein besonderer Ausbruch bekannt geworden, auch wurden die zu Smyrna und auf der nordwestlichen Küste Afrikas in den Jahren 1825 und 26 herrschenden Krankheiten ganz anders, als die Pest, an dem erstern Ort als bösartiges Frostfieber (Febr. pernic. algida) geschildert.

Auf dem historischen Blatte der Charte von Europa ließen sich für die Verbreitung des Scharlachs, der ansteckenden Augenentzündung und des Typhus fernere Andeutungen geben, doch es genüge, nur den Wunsch auszusprechen, daß in der gegenwärtigen, durch die großen Fortschritte der Natur Wissenschaften und deren innigere Berührung gleich ausgezeichneten Zeit, auch Pathologie und Geographie sich näher treten und dadurch auch gegenseitig immer mehr wissenschaftlich begründen möchten, während es in der Ausübung der Medicin freilich zu allen Zeiten angesehene und glückliche Praktiker gegeben haben mag und geben wird.


Die im Bericht erwähnte Charte liegt uns derzeit nicht vor.