Im Lawinenschnee
[132] Im Lawinenschnee. (Zu dem Bilde S. 105.) Erst vor zwei Wochen haben sie das Vieh auf die Alm getrieben, unter Jodeln, und Singen, an einem herrlichen Maientag. Es ist ungewöhnlich früh „aper“ (schneefrei) geworden auf den „Niederlegern“ (den unteren Alpen). Auf den „Hochlegern“ lagert allerdings noch der Winter. Diese höchsten Almen wird man erst unter dem Einfluß der wärmeren Junisonne beziehen können. Die Trennung des Viehes hat daher noch nicht stattgefunden. Das „Galtvieh“, unter welchem gemeinsamen Namen man alles nicht Milch gebende Rindvieh zusammenfaßt, ist noch mit dem übrigen Vieh auf den gleichen Almen vereinigt. Selbst die Schafe und Ziegen, die sonst die allerersten in der Höhe sind, müssen sich noch in den Niederungen der Almenwelt gedulden. – Das schönste gestickte Halsband und die größte „Schell’n“ hatte die Sennerin Rosl ihrer besten Milchkuh, der „Scheckaten“ angelegt, als man heuer auf die Alm trieb.
Vor einer Woche war plötzlich rauhe Witterung eingetreten. Es hatte fast bis zur Sennhütte hernieder geschneit. Mit der „Graswand“, die gerade über der Alm drohend emporragt, war es von jeher nicht geheuer. In den Rissen und Schrunden des mächtigen Felsriesen pflegten sich turmhohe Schneewehen anzusammeln … „Aber is dö ganze Zeit her nix g’schehen, wird uns Gott und unsere liabe Frau wohl auch weiterhin behüten!“ dachte sich die Rosl und widmete ihre ganze Sorgfalt der Milchwirtschaft. Jeden dritten oder vierten Tag kam der Hiasl, der Großknecht ihres Bauern, zur Alm herauf, um das Galtvieh zu salzen. In der Salztasche brachte er dann gewöhnlich noch einen Leckerbissen für die Sennerin mit. – Knapp auf das rauhe Wetter hatte sich der Wind gedreht. Seit zwei Tagen wehte ein „bacherlwarmer Südinger“ (Südwind).
Es ist noch zeitlich am Vormittag. Das Vieh ist auf die Weide getrieben, bis auf die „Scheckate“, den Liebling der Rosl. Vor einer Viertelstunde ist auch der Hiasl wieder „z’weg’n“ gekommen. Man war gerade im gemütlichsten Plaudern, als ein entsetzliches Getöse, donnerähnlich, jäh anschwellend, brausend und die ganze Luft erschütternd, jedes Wort im Munde ersterben machte. Dann Totenstille. Die Sennerin und der Knecht sind beide „kasweiß“ geworden. „Jessas! die Lahn!“ schreit die Rosl auf. Sie fliegt mehr, als sie läuft, nach der Alm. Der Hiasl folgt ihr. Der Anblick, der sich beiden darbietet, ist freilich trostlos genug.
Der Künstler hat auf unserm Bilde die Verwüstungen der Lawine naturwahr veranschaulicht. Das Dach der Sennhütte eingedrückt, die zunächst stehenden Bäume entwurzelt – alles unter den Schneemassen verschüttet! Auf einem Stein vor ihrer zerstörten Alm hockt die Rosl. Heiße Thränen rollen ihr über die Wangen. Sie denkt nicht daran, daß ihr geringes Hab’ und Gut dort unter der Lawine liegt – sie denkt nur an die „Schekate“, die von den Schneemassen erstickt und begraben wurde. Da legt sich ihr eine Hand tröstend auf die Schulter … „Schau’, Diandl, wein’ nit gar so! Wenn dich selber die Lahn in der Hütten erwischt hätt’ – das hätt’ i nit überlebt!“ Es ist der Hiasl, der so zu ihr spricht … Vielleicht blüht da mitten im Schnee „a Blüamerl“ auf, das sorgsame Pflege finden wird von zwei treuen Herzen. R. G.