Im Ratskeller zu Hamburg

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Autor: Gustav Kopal
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Titel: Im Ratskeller zu Hamburg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 860–864
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Im Ratskeller zu Hamburg.

Von Gustav Kopal.
Mit Illustrationen von H. Haase.
Datei:Die Gartenlaube (1896) b 0860 1.jpg

Der alte Bachus vom Einbeckschen Hause.

Das soll ja die jüngste großartige Sehenswürdigkeit eurer Stadt sein, der Weinkeller im neuen Rathause,“ meinte der von „drüben“ heimgekehrte Freund, den ich mit dem Hamburg der Gegenwart bekannt machte. „Aber mit den beiden älteren Freien und Hansestädten auf diesem Gebiet in den Wettbewerb zu treten, werdet ihr doch wohl kaum vermögen!“

„Alle Hochachtung vor den Ratskellern der Schwesterstädte!“ gab ich zu. „Bremens unschätzbare ,Rose‘ nebst den ,Aposteln‘ steht jedenfalls einzig in ihrer Art da, ebenso Lübecks Keller, wo tief gebräunt die Eichentafel steht aus unsres letzten Kriegsschiffs Planken, umschwebt von den Schatten hansischer Seehelden, die hier ihre Stammplätze wieder aufsuchen – wie dies Geibel so schön ausgeführt hat. Ach, auch wir in Hamburg hatten unseren geschichtlichen Ratsweinkeller! Im Eimbeckschen Hause befand er sich bis zum Jahre des Unheils 1842, und manches Mutterfaß goldigen Rheinweins lag dort unter Eines Ehrbaren Rates Obhut. Da zerstörte in vier schrecklichen Tagen der große Brand den Kern der Altstadt, und fast nichts wurde gerettet von jenen Schätzen. Eine Ausnahme macht der wackere Bacchus, den ich Dir hiermit vorstelle.“

Wir waren durch den Eingang zum Keller an der Großen Johannisstraße getreten, dessen Eisengitter unser Bild S. 862 noch geschlossen aufweist. In den Vormittagsstunden wird es geöffnet und gestattet dann auch den Vorübergehenden den Blick auf den biedern Weingott, der hier selig lächelnd den Römer in seiner Rechten betrachtet. Ihn schuf der schwedische Bildhauer Manstadt um die Mitte des 18. Jahrhunderts.

„Wohl darf er sich freuen, der alte Herr,“ bemerkte ich, „daß er endlich aus der halbhundertjährigen Abgeschiedenheit des Museums wieder einziehen durfte in ein Reich voll Glanz und Herrlichkeit. Denn das bot ihm das neue Rathaus, an dem die wohlhabende Stadt wahrlich nichts gespart hat. Auf 4 600 000 Mark lautete der Kostenanschlag der Baupläne, aber seit der Grundsteinlegung am 6. Mai 1886 sind nun schon 10 Millionen glücklich hineingesteckt, und viel ist noch zur weiteren Ausschmückung des Prachtbaues erforderlich. Wie äußerst sparsam auch in mancher anderen Beziehung die Väter unserer Stadt sein mögen, die Rathausbaukommission hat das unmöglich Scheinende möglich gemacht, einen Wettstreit zwischen Senat und Bürgerschaft entfacht, wer zuerst und am meisten bewilligen konnte. Das war unerhört in Hamburg!“

Wir gingen die gewundene Steintreppe hinab und überblickten von der „Rosenkranzgalerie“ aus die erste große Halle, deren in Hamburg bereits gebräuchlich gewordene Bezeichnung „die bunte Kuh“ den Fremden seltsam anmutet. So hieß ein stolzes Orlogschiff, auf dem Simon von Utrecht befahl, als im grimmen Gefecht Hamburgs Flotte diejenige des Seeräuberhäuptlings Claus Störtebeker besiegte. Begeistert pries damals das Volkslied in ganz Niederdeutschland „die bunte Kuh von Flandern“ mit den starken Hörnern, die den Schrecken der Meere zu fassen wußten, und dem tapfern Simon von Utrecht ward eine einzig dastehende Auszeichnung zu teil, die Ernennung zum Ehrenbürgermeister von Hamburg. Eine Nachbildung seines Admiralschiffes hängt hier von der Decke herab. Es blickt oft genug auf zahlreiche Gruppen froher kluger Zecher, wie sie unser Bild auf Seite 861 zeigt, denn hier läßt sich’s wohl sein in den Räumen, für deren herrliche Ausstattung die Kunst alles gethan hat, was in ihren Kräften stand! Baumeister, Bildhauer und Maler wetteiferten miteinander. Zu den von der Tiroler Glasmalerei in Innsbruck ausgeführten prächtigen Fenstern der Halle der „bunten Kuh“ hat unser Landsmann Allers die Vorwürfe geschaffen. Drei Hamburgische Seehelden alter Zeit sind die Hauptgestalten, neben Simon von Utrecht noch Ditmar Koel, Bürgermeister und Admiral, sowie der tapfere und bis zum Tode auf brennendem Schiffe treu ausharrende Kapitän Karpfanger. Ereignisse aus ihrem Leben, Spruchbänder und Wappen, Städteansichten aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert schließen sich an; launige Scenen aus Hamburgs Wasser- und Straßenleben, ebenfalls von Allers gemalt, zieren die Getäfel der Fensterzellen.

Doch wie kalt bleibt die Beschreibung hinter dem lebendigen Eindruck zurück, der den Beschauer sowohl hier wie namentlich beim Weiterschreiten znm üppig ausgestatteten „Remter“ gefangen nimmt! Dessen gewahr wurde auch bald mein überseeischer Freund. Er pries begeistert die reizvollen Durchblicke, die Galerien, die Treppen und Treppchen, wo in jeder Ecke, aus jedem Wandfelde neuer Schmuck auftaucht.

Der Remter – das altdeutsche Wort ist aus refectorium, Speisesaal, entstanden – verdankt seinen Schmuck dem Bremer Maler Arthur Fitger, der auch im Bremer Ratskeller das große „Bacchusfest“ schuf. Hier in Hamburg vereinte er zu einem Hauptbilde, dem „Trinker-Parnaß“, gar manche wohlbekannte Gestalten: dem das große Wort führenden Sir John Falstaff lauschen der flotte Studiosus Hieronimus Jobs mit dem Renommierhund, ferner König Wenzel von Böhmen, der Krone und Reich vertrank, der Pirat Störtebeker (Stürzebecher, so genannt, weil er auch als Zecher fast ohnegleichen war), Sokrates (der nicht Niederzutrinkende), Lucullus mit der Auster in

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„Die bunte Kuh von Flandern“ im Hamburger Ratskeller.
Nach dem Leben gezeichnet von H. Haase.

[862] der Hand, der Prälat Fugger mit der Orvietoflasche (bei Orvieto gedeiht im „Est Est Est“ der köstliche Wein, dem jener Zecher erlag) und der Bruder Karthäuser; zur Seite zwei Met zechende Germanen, zu Falstaffs Füßen Perkeo, der Zwerg; auf der anderen Seite Noah, ihm zu Füßen als Andeutung des Wunsches, daß jeder Trunk hier gut bekommen möge, ein jämmerlich ertrunkenes Kätzlein.

Der Eingang zum Keller.

Von den vielen Nebenbildern im Remter, sämtlich Fitgersche Schöpfungen, seien hier nur die Dichtergestalten nebst den unsterblichen Versen aus ihren Gesängen zum Preise des Weines und der Liebe hervorgehoben:

König David:

„Der Wem erfreut des Menschen Herz.“

Hafis:

„Laß, wenn die Rosen blühen, das Glas nicht aus der Hand.“

Anakreon mit Bathyllos:

„Wenn ich den Wein getrunken, verschwinden mir die Sorgen.“

Horaz mit Lalage:

„Genieße das Heute, wer weiß, was das Morgen dir bringt.“

Mathias Claudius:

„Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben.“

Das Selbstbildnis des Malers, das ihn als altdeutschen Würdenträger mit Pelzschaube und Ehrenkette, beim Glase eingeschlafen darstellt, führt die Umschrift:

„Wer niemals einen Rausch gehabt, der ist kein braber Mauu.“

Sieben Stufen führen zu der Remterlaube, einem Quergemache mit vier größeren Wandbildern Fitgers, deren eines unser Bild S. 860 skizziert: auf ihm wird ein Centaur, der eine Frau raubt, von Bauern und Hunden verfolgt; der köstliche Humor des Malers hat hier mit kühnem Anachronismus auch den pickelhaubengeschmückten Kopf eines Schutzmannes der Jetztzeit unter den Verfolgern auftauchen lassen.

„Von diesem Remter aus,“ so erklärte ich meinem Freunde, „führt eine Treppe nach dem Bürgerschaftsvorsaale. Es ist die dort mit dem Bronzestandbild einer rheinischen Hebe, einem Werke des Hamburger Bildhauers Carl Garbers, auf dem Treppenabsatz. Die löbliche Bürgerschaft ist unser Parlament, aus 160 Abgeordneten bestehend. Sie teilt mit dem Senat die höchste Herrschergewalt in Hamburg, das Kyrion, um das im Mittelalter so lange und oft blutige Kämpfe zwischen Geschlechtern und Volk geführt wurden, die erst mit dem Hauptreceß 1712 endeten. Der Bürgerschaft steht hinsichtlich des Ratskellers ein Vorrecht zu. Wenn sie dereinst in die Räume über uns, also im rechten Flügel des Rathauses, eingezogen sein wird und nach dem anstrengenden Redeturnei des Mittwochabends die Volksvertreter zur Stärkung den Keller aufsuchen, sollen sie den Remter zu ausschließlicher Verfügung haben. In gleicher Weise gedenkt auch der Senat bei besonderen Veranlassungen, wie Senatorenwahl etc., dem schönen Beispiel der Altvordern zu folgen. Dann begeben sich die Magnificenzen, nämlich die Bürgermeister, die Hochwohlweisheiten, das sind die rechtsgelehrten Ratsherren, und die Wohlweisheiten, das sind die kaufmännischen Senatsmitglieder, in den ‚Rosenkranz‘, das Schmuckkästlein dieser Räume, das dem Hohen Senat stets zu eigenem Gebrauch zur Verfügung steht. Doch in dies Allerheiligste wollen wir später treten: zunächst wollen wir uns in den größten der Räume, die Grundsteinhalle, begeben, die 487 Plätze enthält. Dabei sei gleich bemerkt, daß der Remter 78, die ,bunte Kuh‘ und der Schenkeraum 300, der ,Rosenkranz‘ 55 Plätze aufweisen, macht insgesamt 920!“

„Bewirtschaftet die Stadt den Keller selbst?“

„Nein, er ist verpachtet. Die guten alten Zeiten sind vorüber, zu denen die Stadtobrigkeiten eigene Keller anlegten, um das Bürgertum gegen den unlauteren Wettbewerb der bösen Weinschmierer zu schützen. Wohl aber hat die verpachtende Finanzdeputation durch strenge Vorschrift dafür gesorgt, daß hier stets ein guter echter Tropfen gegen billiges Entgelt zu haben sein wird. Für seine feinsten Sorten mag der Pächter fordern, was ihm beliebt, und er ist auch so frei, für eine Flasche 1886er Rüdesheimer Hinterhaus, Trockenbeerenauslese, bestes Faß der königlichen Domäne, 45, sage fünfundvierzig Mark deutscher Reichswährnng zu verlangen. Die stehende Redensart älterer Romane, daß im Wirtshause eine Flasche vom Besten bestellt wird, wäre hier nur mit Vorsicht anwendbar. Uebrigens enthält die Weinkarte 220 Flaschennnmmern, also Auswahl ist genügend da.“

In der Grundsteinhalle.

Mittlerweile wanderten wir treppauf treppab, je nach der verschiedenen Höhenlage der Kellerräume, zum Grundsteinkeller, der am tiefsten gelegen ist. Trotzdem, oder richtiger eben deshalb, ist dort die Luft am besten. Der geneigte Leser möge unter geeigneten Umständen den wohlmeinenden Rat befolgen, sich daselbst niederzulassen, denn in den meisten anderen Hallen ist die Lüftung noch entschieden der Verbesserung bedürftig. Wenn’s nicht hieran fehlte, so würde die Wahl des Platzes schwer, denn behaglich sitzt es sich überall, so in den vielen Eckchen und Abteilungen, wo jede Gesellschaft ihr gemütliches Reich für sich hat, wie unter den Bogenwölbungen der hohen Haupthallen, wo das Auge sich an dem Gesamtbilde der kraftvollen und reichen baulichen Gestaltung und an dem überall verschwenderisch ausgebreiteten malerischen und bildhauerischen Schmuck erfreut. Heutzutage aber, wie erwähnt, mundet der edle Rebensaft aus den mit dem Hamburger Wappen geschmückten feinen Gläsern wohl am besten in dem großen Grundsteinkeller.

Der Grundstein zum Rathause am Fuße des großen Mittelturms ist hier in umgitterter Zelle sichtbar. Er trägt den Weihespruch, mit dem vor zehn Jahren weiland Bürgermeister Dr. Petersen die ersten drei Hammerschläge begleitete:

„Mit Gottes Gunst durch Menschenhände
Kommt auch ein schwierig’ Werk zu Ende.“

Auf dem Stein ruhen Hammer und Kelle. – Das Mittelschiff endet mit einem mächtigen Steinkamin. Hier in diese entlegenste Ecke hat sich ein junges Paar zurückgezogen, das von der Hochzeitsreise auf den am Eingang zum Keller gekauften Postkarten mit Lichtdruckbildern den Lieben daheim Kunde giebt von seiner [863] beschaulichen Seligkeit „tief unter der Erd’“. – Eine eigenartige Ausschmückung hat der Grundsteinkeller erst kürzlich durch eine Anzahl Modelle hanseatischer Kriegs- und Handelsschiffe verschiedener Zeiten erhalten, die von den Schlußsteinen der Gewölbe herabhängen.

Zurück geht es, zunächst in den Schenkeraum, dessen überaus reichen Bilderschmuck an Pfeilern und Gewölben der Maler Jordan in Hannover geschaffen hat. Die Gewölbemalerei schildert die Entstehung des Weines: im Sonnenschein und Nebel, durch das stille Wirken der Naturkräfte – Feuer, Wasser, Luft und Erde wachsen und reifen die Trauben, von emsigen Händen werden sie gesammelt, gekeltert und kredenzt. Die beglückende Wirkung des Sonnenscheins preist ein Spruch im mittleren Bogenfelde:

„Sonne, du hast der Erde das Leben,
Dem Wein die feurige Glut gegeben,
Drum wird dem rechten Zecher beim Wein
So wohlig, als tränke er Sonnenschein.“

Geräte und Erzeugnisse der Gemüse- und Blumenzucht, des Weins und des Obstbaues, der Jagd und des Fischfanges verzieren in bunten Gehängen nebst allegorischen Gestalten die Gewölbepfeiler, nach Art der Wandbeläge in den alten hamburgischen Kaufmannshäusern. Der Freund des Kunstgewerbes erfreut sich hier an der von Wesselys Werkstatt in Hamburg wiedererweckten Technik der Kachelmalerei, durch die Jordans Entwürfe zur Ausführung gelangten. Daß hier wie in den anderen Hallen eine blendende Fülle des elektrischen Lichtes alle die Herrlichkeiten zu voller Geltung kommen läßt, braucht füglich kaum erwähnt zu werden. Stundenlang kann man mit Genuß beschauen und bewundern, und wohl darf den Hamburger das Gefühl stolzer Freude überkommen, daß diese Räume nicht nur dem leiblichen Genusse dienen, dem engherzig zu frönen seine gute Stadt mit Unrecht verschrieen wird, sondern daß sie auch den Beschauer zauberisch entrücken aus dem alltäglichen Getriebe in die heiteren Gefilde der Kunst.

„Nun aber,“ mahnte ich den Beschauer, der sich von dem farbenprächtigen Anblick des Schenkeraums gar nicht trennen zu wollen schien, „gelangen wir zu einem Paradiese der Jugend und wonnigen Schönheit, wie es ein dichterisch veranlagtes Menschenkind genannt hat, zu dem schon erwähnten ,Rosenkranz‘.“

Entzückend ist der Anblick, den dies Gelaß bietet. Kreisrund ist die Halle, deren von Stichkappen durchschnittene und durch einen steinernen Rosenkranz wagerecht geteilte Kuppel einen eigenartigen buntschimmernden Schmuck erhalten hat: Frühlingsblumen und Blüten breiten einen reichgemusterten Teppich über Gewölbe und Kappen, und auf dem glänzenden Hintergrund schwingt sich im Tanze ein Kreis anmutiger Mädchengestalten in der Gewandung des Mittelalters. Der Hamburger Maler Düyffcke hat sich um dies Kleinod des Kellers verdient gemacht.

„Das zierliche Erzstandbild des Bacchus dort in der Nische des Holzgetäfels,“ so berichtete ich, „entstammt dem alten hamburgischen Ratsweinkeller. Da gemäß der Ueberlieferung ein besonders lieblich geschmückter Raum als ‚Rosenkranz‘ bezeichnet und dadurch dem schönen Geschlecht zur Trinkstube gewidmet wurde, durfte auch dieses Bacchusbild nicht fehlen, das ein Freund des Rathauses an sich gebracht und nun seiner ursprünglichen Bedeutung zurückgegeben hat. Denn eine artige Sage von der Zauberkraft dieses Standbildes knüpft sich an das feine Figürchen. Zu Nutz und Frommen junger Mädchen im heiratsfähigen Alter erzählt es der Spruch dort an der Wand zu Häupten des Gottes.“

Mein Freund las:

„Seht der Mädchen Ringelreih’n mit den Rosenkränzen,
Seht der Jugend Wiedersehein im Pokale glänzen,
Seht, wie Bacchus fröhlich lacht, denkend alter Tage;
Denn von seiner Zaubermacht kündet uns die Sage:
Wenn die Maid den Bacchus küßt, heimlich und verschwiegen,
Wird beglückt in Jahresfrist sie ein Herz besiegen.“

Ob’s sich bewährt? Noch kann es niemand sagen. Erst seit dem 25. April 1896 stehen die Pforten des Kellers geöffnet, also die Jahresfrist ist noch nicht um. Daß der schüchterne Versuch gemacht sein dürfte, die Wahrheit des Spruches zu ergründen, wird der Menschenkenner kaum bezweifeln, denn – der Versuch kann ja nicht schaden .. und es thut just nicht weh – auch sieht es gerade niemand …

„Also hier,“ so unterbrach der Freund meinen Gedankengang, „tafeln die Herren des Rates bei besonderen Veranlassungen unter sich, kraft ihres Vorrechtes?“

„Das steht ihnen zu. Ich erinnere mich nicht, in den hamburgischen Mären der Vorzeit Aehnliches vom Keller des Eimbeckschen Hauses gelesen zu haben. Wohl aber entsinne ich mich eines anderen Sonderrechtes, das sich zu grauer Vorzeit an die hiesige Ratstrinkstube knüpfte. In allen anderen Schenken der Stadt mußte der Fron, wenn er eintrat, vorerst bescheiden die anwesenden ehrlichen Leute, also nach heutiger Redeweise die ehrbaren Bürger, befragen, ob gegen seine Anwesenheit Einspruch gethan werde. Geschah das – wenn auch nur von einer einzigen Stimme – so zog er traurig und durstig fürbaß. Dagegen stand dem verrufenen Manne der Zutritt zum Ratskeller jederzeit frei; war er doch ein Diener [864] des Rates, in dessen eigenem Hause er ohne weiteres und ohne Anfrage Platz nehmen und sein Schöpplein trinken durfte wie jedes andere Menschenkind auch. Und im Hamburger Ratskeller gab es jederzeit einen vertrauenswürdigen Stoff.“

„Nach einem solchen steht nunmehr auch mein Verlangen,“ bemerkte darauf lächelnd der Freund. Bald perlte ein köstliches Naß in unsern Gläsern, und wir ließen sie klingen auf das Blühen und Gedeihen der alten Freien und Hansestadt.