Im Schwanen-Hotel

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Titel: Im Schwanen-Hotel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 476–479
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Im Schwanen-Hotel.


An Frankfurt knüpften sich seit der Metternich’schen Schöpfung, die ein halbes Jahrhundert lang den Aufschwung alles nationalen deutschen Lebens verhinderte, seit dem deutschen Bunde, die fatalsten Erinnerungen. Bis auf die schöne Episode des Völkerfrühlings, bis auf das eine Jahr des deutschen Parlaments war die heitere Mainstadt, wo die Natur so reichlich Sonnenschein bietet, politisch der Sammelplatz aller Gewitter für’s ganze Vaterland. Hier ballten sich die finstern Wolken zusammen, deren rollender Donner den treugehorsamen Unterthanen der deutschen Duodez- oder Folio-Souveraine in heilsamen Schrecken zu setzen berufen war; von hier aus entluden sich die Blitze auf die Häupter der deutschen Jugend, welche ihrem Ideale, der Freiheit und Einheit, das Wort zu reden sich erkühnten. In der Eschenheimergasse zu Frankfurt hatte Jupiter tonans, genannt Clemens Lothar Fürst Metternich, sein Hauptquartier aufgeschlagen und lenkte des deutschen Volkes Geschicke mit seinem Generalstab von Bundestags-Gesandten, nach dem System der heiligen Allianz der Fürsten gegen den Freiheitsdrang der Völker. Der Artikel „Frankfurt“ in den deutschen Zeitungen war für viele Leser, besonders für die Eltern der studirenden Jugend, unheilvoll oder doch wenigstens beängstigend und es fiel ihnen ein Stein vom Herzen, wenn Gott sei Dank zu lesen stand, daß der Bundestag Ferien habe.

Das ging so ganze zweiunddreißig Jahre lang, ein ganzes Menschenalter hindurch, von 1816 bis 1848, bis der große Sturm aus Westen die ganze Gesellschaft wegfegte, die mit Noten und Decreten alle Stürme zu beschwören sich unterfangen hatte. Da verwandelte die Ironie des Schicksals den Schauplatz total; der Boden, der die große Kettenschmiede getragen, wurde über Nacht umgewühlt, um darauf künftig den Tempel der Freiheit zu bauen. Frankfurt, von wo aus seit drei Decennien jede Regung des Volkswillens niedergehalten worden, ward nun plötzlich ausersehen, den Willen des Volkes für’s ganze große Vaterland zur Geltung zu bringen. Man schloß die Thore des Palastes, in dessen zopfzeitalterigen, dämmerigen Salons die leisetretenden Diplomaten heimliche Cabinets-Politik getrieben, und öffnete dafür die hohe helle Halle der Paulskirche, wo laut vor allem Volke das freie Wort erklang für des Vaterlands Größe, des Vaterlands Glück.

Jetzt knüpfte sich an Frankfurt in viel reicherem Maße die Hoffnung, als früher die Furcht – daß sie überschwenglich wurde, diese Hoffnung, war eine natürliche Folge des jähen Wechsels und führte bald genug wiederum einen jähen Wechsel herbei. Als der bittere Bodensatz im Kelche der schäumenden Freude allein zurückblieb, verwünschten die Zecher den ganzen Rausch und sprachen vom tollen Jahre 1848, wie von einem Genusse, dessen sie sich zu schämen hätten. Wird aber heute nicht Jeder anerkennen, daß 1870 und 71 nicht möglich gewesen ohne 1848 und 1849?

Wiederum liegen zwei Drittel eines Menschenalters zwischen damals und jetzt; die letzte Hälfte des letzten Jahrzehnts hat mit gewaltigen Erschütterungen den Schwerpunkt weit ab verlegt von der Stelle, wo er ein halbes Jahrhundert lang gelegen – da, im letzten Augenblick, am Schlusse einer ganzen Epoche, läuft die Kugel, die im ernsten Spiele des Lebens durch das Rad der Zeit rollt, plötzlich noch einmal an die alte Stelle – gagne! verkündet der Croupier, und Aller Augen belächeln strahlend den glücklichen Zufall.

Frankfurt brachte der politischen Welt ein langes Unheil, dann ein kurzes Glück, und jetzt den langersehnten Frieden!

Aber die launige Glücksgöttin ließ es nicht dabei bewenden. Nicht der Schauplatz allein sollte vom Zufall begünstigt werden, auch dem Künstler gewährte sie den seltenen Triumph, auf der nämlichen Bühne, darauf er als Anfänger debutirt, den größten Beifall zu ernten.

Der Legationsrath von Bismarck hatte 1851 in denselben Mauern ein Werk begonnen, in welchen 1871 der Fürst Bismarck dasselbe zum Abschluß brachte. An demselben Tage im Mai, an welchem vor zwanzig Jahren Bismarck in Frankfurt ankam, hatte [477] er 1871 die entscheidende Conferenz mit den französischen Ministern. Am Nachmittage ging er, umgeben von einer Menge, die ihm laute Ovationen darbrachte, durch die Gallusgasse und verweilte einen Moment vor seiner alten Wohnung, im Seufferheld’schen Hause, angesichts des prächtigen Triumphbogens im Taunusthor. Er warf erst einen langen Blick auf das Fenster der Stube, darin er vielleicht so manche Mitternacht an seinem Pult herangewacht, um seine politischen Pläne auszubrüten, dann durchschritt er den Triumphbogen und sah die Siegesgöttin mit beiden Händen Kränze von Eichen und Lorbeer darbieten. –

Im Schwanen-Hotel am 10. Mai 1871.
Originalzeichnung von A. Neumann.


Nicht mehr blos ein Zufall, ein seltenes Glück muß es benannt werden, daß er und wie er vor runden zwanzig Jahren hier einzog. Seine Beförderung vom ultrabescheidenen Amte eines Pommerschen Deichhauptmanns zum wichtigsten diplomatischen Posten war ein unerhörter Sprung in der Staatscarrière, nur erklärlich durch die Gunst des Königs, den er 1848 in kritischen Lagen privatim berieth. Und wie die Erfolge der Regierung von 1870–71 undenkbar sind ohne die Kämpfe des Volkes 1848–49, so ist der Begründer der deutschen Einheit undenkbar ohne den Bundestagsgesandten. Aber zwischen diese beiden Zeitpunkte fällt die große innere Wandelung, die an Bismarck glänzend das Wort des Dichters in der Erfüllung zeigen sollte: „Es wächst der Mensch mit seinen Zwecken.“ Aus dem märkischen Junker mit dem oft so tiefverletzenden Uebermuth jedem ihm nicht genehmen Wunsch und Willen der Volksvertretung gegenüber mußte das Riesenwagstück des Kampfes von 1866 erst den ernsten Mann herausbilden, den die großartige Opferfähigkeit des Volks zur Achtung vor diesem Volke und zu einem fortan dieser Achtung [478] berücksichtigenden Auftreten vor demselben bestimmte. Wir würden es für ein Unrecht halten, diese große Wandelung Bismarck’s zu verschweigen, denn sie gereicht ihm nur zur Ehre.

Bismarck lernte die Künste der Diplomatie an der Stelle, wo sie ihre schönsten Kunststücke machte, und er studirte sie, um sie nicht nachzumachen. Die in Frankfurt bestehende Diplomatenzunft hatte es niemals unterlassen, einen großmächtigen Nimbus um sich zu verbreiten; was dem Bundestag an Gewicht abging, wußte er durch Wichtigthun zu ersetzen, und Jeder von der Zunft hütete sich, den Nimbus zu zerstören. Da kam plötzlich ein Nichtzünftiger, ein kühner Fremdling in Sarastro’s Heiligthum. Wie zerfloß der Nebel im Nu vor dem Blicke des Mannes, der von jeher seine Pappenheimer gekannt hat; wie wenig konnten ihm die Herren imponiren, die, im Grunde nur Handlanger ihrer Minister, sich geberdeten, als trügen sie, jeder ein anderer Atlas, eine Welt auf ihren Schultern!

Und aus der tragikomischen Misère, die er hier kennen und seines Gesammtvaterlandes so wenig würdig finden lernte, entstand der Plan zu der Umgestaltung. Am russischen und französischen Hofe feilte er dann blos noch sein Concept. Die stille Allianz des Czaren war ein eben so wichtiger Factor in seiner Rechnung, als die Rheingelüste des Cäsars an der Seine. Wir haben erlebt, wie er Beide sich dienstbar zu machen verstand.

Und mit derselben gründlichen Menschenkenntniß, die ihn der Diplomaten wie der Fürsten Herz durchschauen ließ, berechnete der Staatsmann die Wirkung seiner Erfolge auf die Massen, und immer wieder von dem Gesichtspunkt aus, den er in Frankfurt gewonnen, als er des deutschen Volkes politische Ohnmacht an der Quelle studirte, in der Diplomatengesellschaft des deutschen Bundes, der, vom Volke verlacht, von den fremden Fürsten verachtet, nichts weiter leistete als – Polizeiaufsicht! Er sah voraus, daß das Volk, dessen lange verhaltenen Stolz er weckte, vom erbitterten Gegner zum bewundernden Freunde umschlagen müsse, wenn er die schmerzlich vermißte Einheit schaffen würde, die dem germanischen Stamme das seit Jahrhunderten entbehrte Selbstgefühl wiedergab.

Der Triumph seines Werkes war der Frankfurter Friede. Welch ein Abstand zwischen diesem Diplomaten-Congreß und allen, die Deutschland seit Friedrich dem Großen erlebt hatte! Zu Wien wie in Aachen, zu Verona wie in Paris war speciell Preußen stets die Rolle der demüthigen Nachgiebigkeit zugefallen, Oesterreich, Rußland und Frankreich führten das große Wort, Neid und Mißgunst spannen ihre Ränke – jetzt war der stets hintangesetzte deutsche Staat vollständig tonangebend und zwar gerade gegenüber seinem ältesten und gefährlichsten Gegner.

Und welch ein Abstand zwischen den handelnden Personen! Nicht ein einziger Diplomat der alten Schule nahm am Frankfurter Frieden Theil, lauter Leute der neuen Zeit und Träger der neuen Idee, die Majorität sogar, Zöglinge des Liberalismus. Das Haupt dieser Partei in Frankreich, Jules Favre, hatte vier republikanische Diplomaten im Gefolge, Pouyer-Quertier, Le Clerq, de Goulard und de Fénélon, und auf der Seite des deutschen Reichskanzlers gesellten sich diesen fünf Liberalen noch zwei aus der Schule des Liberalismus Hervorgegangene hinzu, Graf Hatzfeld, dessen Lehrer ein angesehenes Mitglied der Fortschrittspartei ist, und Lothar Bucher, der mit seiner im Dienste des Liberalismus virtuos gewordenen Feder das ganze Friedensinstrument redigirt hat.

Zu diesen inneren Curiositäten kamen noch allerlei äußere Zufälligkeiten ebenso ungewöhnlicher Art. Der „Russische Hof“, das althergebrachte berühmte Absteigequartier der Großen dieser Erde, war anfangs zum Rendez-vous dieser Conferenz bestimmt. Das Hôtel hatte unter Anderm beim Fürstencongreß von 1863 eine große Rolle gespielt, und Alles, was von jener glänzenden Zusammenkunft der deutschen Herrscher übrig blieb, ist in seinen Mauern aufbewahrt, nämlich – das Original-Tableau des Festmahls auf dem Römer. Im „Russischen Hofe“ nahm auch der jetzige Kaiser, als Prinz von Preußen, stets sein Quartier und hatte dann regelmäßig Conferenzen mit dem Bundestagsgesandten von Bismarck. Als der Fürst Bismarck sich diesmal hier anmelden ließ, fand sich ein Hinderniß in der zufällig eben stattfindenden Reparatur des Hausflurs; man glaubte dadurch Störungen ausgesetzt zu sein, und nachdem auch der „Englische Hof“ nicht Räume genug disponibel hatte – man bedurfte deren vierzehn – wurde der eben neueröffnete, durch dreijährigen Vergrößerungsbau zum Palast umgeschaffene „Gasthof zum Schwan“ ausersehen. Im „Russischen Hofe“ blieben nur die französischen Geschäftsträger, und jedesmal, wenn ihre Equipagen auf der schönen Zeil vorfuhren, gruppirte sich eine Menschenmenge und reckte die Köpfe, um den Mann zu sehen, der trotz seines diplomatischen Unglücks den Ruhm höchster Ehrenhaftigkeit genießt, Jules Favre. Neben seiner durch den greisen Löwenkopf außerordentlich imposanten ernsten Erscheinung machte Pouyer-Quertier den Eindruck eines jovialen bon-homme. Stets lächelnd mit großer Zuversicht aus der Brille so heiter blickend, als sollte er die fünf Milliarden empfangen, statt sie zu zahlen, war er eine lebendige Illustration der bekannten Phrase: „Frankreich ist reich genug, um seinen Ruhm“ – eventuell auch das Gegentheil – „zu bezahlen“. Mancher europäische Finanzminister der alten Schule mag diesen diplomatischen Neuling um seine Zuversicht und deren jetzt mit dem brillantesten Erfolge gekrönte Berechtigung beneiden!

Monsieur Le Clerq konnte wenig repräsentiren – er hat das Unglück, stark zu schielen, und Monsieur de Fénélon war eine Pygmäengestalt. Dagegen sah Herr de Goulard wie ein echter Diplomat aus, erschien stets im Fracke mit weißer Binde und schwebte mit leisestem Schritte einher, als anerkenne er, daß festes Auftreten hier nicht angebracht sei. Wunderlich genug war nun noch der äußere Contrast der Repräsentanten beider Nationen; den meist kleinen Figuren der Franzosen standen auf deutscher Seite fast lauter Riesen gegenüber. Fürst Bismarck’s hervorragende Gestalt wurde vom Grafen Henckel von Donnersmark noch übertroffen; Graf Hatzfeld und Graf Wartensleben sind auch Beide über Mittelgröße, und nur Graf Harry von Arnim ist keine Garde-Figur.

Im scharfen Gegensatze zu allen früheren großen Staatsactionen wurde der Frankfurter Friede ohne alles Gepränge und ohne materielle Genüsse, in harter anstrengender Arbeit rasch und energisch betrieben und zum Abschluß gebracht. Wenn des Tages Arbeit unter Beseitigung aller Störungen (der „Schwan“ hielt aller anderen Gäste Lärm aus seinen Räumen fern) beendet war, dinirten die deutschen Diplomaten im abgeschlossenen Kreise und hatten nur ein paar Mal gesellige Zusammenkünfte mit anderen Personen, so beim Oberbürgermeister Mumm und beim General von Loen. Es war pikant, daß Fürst Bismarck auf dem Festmahl beim Vertreter der Stadt Frankfurt in seiner bekannten epigrammatischen Kürze die Parole der Versöhnung ausgab: „Ich hoffe, daß der Friede in Frankfurt auch der Friede mit Frankfurt sein wird!“ Es lag darin ein Zugeständniß, daß die Frankfurter Episode von 1866 noch eines besondern Friedensabschlusses von seiner Seite bedürfe. Und aus der Ruhe des Mahles, die der burschikose Humor des Reichskanzlers bei seinem Lieblingspokal, dem Seidel, weidlich würzte, rissen sich die gewissenhaften Theilnehmer allabendlich wieder heraus, um bis Mitternacht nochmals an’s Werk zu gehen. „Sie stritten vom Morgen bis in die Nacht,“ und wohl am längsten über die Grenzregulirung: denn wir sahen eine kleine Landkarte, in welcher eine eingezeichnete blaue Linie erst Metz von Deutschland trennt und hernach die wichtige Moselfestung als besondere Enclave wiederum Deutschland zuertheilt.

Das mußte nun „schätzbares Material“ bleiben und Fürst Bismarck nahm nicht eher die Feder zur Unterschrift, als bis die Franzosen von jenem Plane abstanden. Diese Feder war nicht die bekannte Pforzheimer (die in Versailles gedient hatte), sondern eine aus den Bestecken, welche die Diplomaten mit sich führten und nachher wieder einpackten. Aber ein historisches Tintenfaß blieb als Reliquie. Der Oberkellner im „Schwan“ hatte auf seine Rechnung einen eleganten Tintenbehälter gekauft, der dann hinterher in seinem Besitze blieb. Für dieses zierliche bronzene Tintenfaß, einen Eichenstamm darstellend, der Deckel einen Helm, das Ganze mit kriegerischen Emblemen verziert, sind dem Inhaber schon namhafte Summen von Curiositätensammlern geboten worden.

Der Frankfurter Friede ist für Deutschland der bedeutsamste diplomatische Act, der seit Jahrhunderten vollzogen wurde. Er gab dem germanischen Volke die schöne Landschaft zurück, die der stolzeste aller Despoten des gallischen Stammes ihm entrissen, er machte das Vaterland wieder complet „so weit die deutsche Zunge klingt“, und fügte das Stück wieder zum Ganzen, das einst „der Fürsten Trug zerklaubt, vom Kaiser und vom Reich geraubt“. [479] Der Frankfurter Friede ist Deutschlands Wiedergeburt aus langer politischer Schwäche. Möge der große Act in unserem Nachbarlande als das, was er in der That ist, als eine politische Nothwendigkeit, richtig gewürdigt werden, und mögen unsere Nachbarn nicht mehr von einem „Triumphe“ sprechen, der Revanche erheische. Wir wollen ihnen Revanche geben, aber auf dem Felde des Friedens, und hier blüht wahrlich den Franzosen, den Meistern der freien Gewerbe und gewerblichen Künste, noch mancher glänzende Triumph. Begnügen sie sich mit diesem, so hat es nie einen Frieden gegeben, der so segensreich war als der Frankfurter.