In der Heimat der Gummiliane

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Textdaten
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Autor: M. Hagenau
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Titel: In der Heimat der Gummiliane
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 360–361, 363
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Gewinnung von Kautschuk aus der Liane Landolphia florida
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[360–361]
Datei:Die Gartenlaube (1896) b 0360.jpg

Gebirgswald mit Gummilianen im Togolande.
Nach einer Originalzeichnung von F. Leuschner.

[363]

In der Heimat der Gummiliane.

(Zu dem Bilde auf S. 360 und 361.)

Das Elfenbein Afrikas geht zur Neige, in absehbarer Zeit wird eine wichtige Quelle des afrikanischen Handels versiegen. Aber wenn das zu Grunde geht, was jahrtausendelang das Ziel so vieler Karawanen bildete, so weiß der Mensch frühzeitig dafür Ersatz zu schaffen. In den Urwäldern Afrikas entdeckt er neue Handelsartikel und einer der wichtigsten ist der Kautschuk. Die civilisierte Welt braucht ihn weit mehr als das Elfenbein, von dem Knaben, der mit dem Gummiball spielt, bis zu dem hochgelehrten Chemiker, der mit Gummiröhren seine Retorten verbindet. Fast jeder von uns trägt etwas von Gummi tagtäglich und wenn es nur elastische Hosenträger oder das Bändchen an der Krawatte sein sollten. Wenn die Gummieinfuhr aufhören müßte, wir würden alle ihr Ausbleiben sehr schmerzlich vermissen. Und der Kautschuk hat eine Zukunft; die Industrie, die ihn verarbeitet, ist ja noch so jung im Vergleich zu anderen Gewerben.

Das elastische Gummi war unseren Vorfahren nicht bekannt. Erst im Jahre 1756 brachte der französische Akademiker La Condamine die erste Nachricht von einem seltsamen Harze nach Europa, welches die Eingeborenen am Amazonas Cachuchu nannten.

„Wenn es frisch ist,“ schrieb La Condamine, „giebt man ihm mittels gewisser Formen eine solche Gestalt wie man will. Der Regen kann durch dasselbe nicht dringen; allein dasjenige, was es am merkwürdigsten macht, ist seine große elastische Kraft. Man macht daraus Flaschen, welche nicht zerbrechlich sind, hohle Kugeln, welche platt werden, wenn man sie drückt, und welche, sobald man sie los läßt, wieder ihre Gestalt annehmen. Die Portugiesen zu Para haben von den Omaguas gelernt, aus eben dem Stoffe Pumpen oder Spritzen zu machen, welche keines Pumpenstockes bedürfen. Sie sehen wie hohle Birnen aus und haben an dem Ende ein kleines Loch. Man füllt sie mit Wasser, und wenn man sie alsdann drückt, so thun sie die Wirkung einer gewöhnlichen Spritze.“

Und ein Genosse La Condamines, der dieselben Kautschukgeräte in Guayana fand, brachte unter den Kupfern seines Berichtes auch Abbildungen von den „Ballonen der Wilden“.

Das waren die ersten Nachrichten vom Kautschuk! Man ahmte den Wilden nach und machte aus ihm Bälle und ähnliches Spielzeug. Nur der große Chemiker Priestley wußte dem neuen Stoffe eine praktische Seite abzugewinnen. Auf sein Anraten benutzte man den Kautschuk zum Ausreiben der Bleistiftstriche. Damals, um das Jahr 1770, war auch der Kautschuk in Europa noch sehr teuer. Ein kleiner 12 mm großer Würfel kostete etwa 3 Mark. Was ist inzwischen im Laufe eines Jahrhunderts aus dem Kautschuk geworden!

Das elastische Gummi ist in dem Pflanzenreiche weit verbreitet; wir finden es in dem Milchsafte unserer Pflanzen, wie z. B. der Wolfsmilcharten; aber in den Gewächsen des Nordens tritt es nur in geringen Mengen auf; dagegen strotzen von ihm viele Bäume und Schlinggewächse der südlichen Länder, die um den Aequator gelegen sind. Das beste Gummi liefert Südamerika; in Brasilien allein arbeiten an seiner Gewinnung gegen 10 000 Menschen und der Wert der brasilianischen Kautschukausfuhr schwankte in den letzten Jahren zwischen 90 und 60 Millionen Mark. In Afrika begann man erst vor etwa 30 Jahren Kautschuk zu gewinnen. Mosambique und Madagaskar im Osten, Angola, Gabun und Sierra-Leone im Westen waren die vornehmlichsten Ausfuhrplätze, als die afrikanische Kolonialära begann. In den deutschen Kolonien, oder besser gesagt in den Gebieten, von welchen die Deutschen Besitz ergriffen, war die Gewinnung des Kautschuks nur ganz unbedeutend oder völlig unbekannt, wie z. B. in Kamerun.

In Brasilien liefert ein starker Baum, die Hevea brasiliensis, den Kautschuk. Auch in Afrika giebt es Bäume, welche kautschukhaltige Milch haben, wie z. B. einige Euphorbiaceen und Ficusarten, aber sie alle spielen in dieser Hinsicht eine unbedeutende Rolle im Vergleich zu den immergrünen Kautschuklianen, welche neben der Oelpalme das wichtigste wilde Gewächs des westafrikanischen Gebietes bilden. Als die beste unter ihnen gilt die Landolphia florida. Ihre doldenähnlich beisammenstehenden orangenähnlich riechenden weißen Blüten verbreiten einen betäubenden Duft; ihre Früchte gleichen Orangen, enthalten aber sehr große, mit scharf säuerlich schmeckendem Fruchtfleisch umgebene Kerne. Schneidet man die Rinde des Stammes an, so rinnt die rosigweiße Milch aus der Wunde mehrere Stunden lang, und zwar reichlicher in der Regen- als in der Trockenzeit.

Die Verbreitung dieser Liane ist sehr groß. Man hat sie in Kamerun und in Togo gefunden. In der ersteren Kolonie wurde die Kautschukgewinnung durch die Schweden Knutson und Waldau eingeführt, die auf den Flanken des Götterberges sich als wahre Pioniere der Kultur niedergelassen hatten. Die Liane erreicht hier eine gewaltige Höhe. Bernhard Schwarz fand sie, stark wie ein Arm und hoch wie ein Turm, auf den Abhängen des Gebirges und in den Urwäldern von Ikatta und dem Gebiet der Bafarami. Am besten eignet sie sich für den in Frage kommenden Zweck, wenn sie etwa 150 bis 200 Fuß aufgeschossen ist. Die Eingeborenen sammeln hier den Kautschuk, indem sie mit einem Faschinenmesser Einschnitte in die Rinde des Baumes machen und am Fuße desselben Gefäße niedersetzen, um die austretende Milch aufzufangen. Diese läßt man nun bei mäßigem Feuer kochen, damit der reichliche Wassergehalt verdampfe. Der Rückstand wird darauf in Stücken von der Größe etwa einer kurzen dicken Gurke mit weißgrauer Färbung an die Faktoreien der Weißen abgeliefert.

In Deutsch-Ostafrika wird gleichfalls Gummi gewonnen. Schon vor der Besitzergreifung des Landes durch die Deutschen brachten Karawanen, die aus dem Innern kamen, diesen Handelsartikel nach den südlichen Häfen des Schutzgebietes. Später wurden auch im Norden die Kautschuklianen entdeckt und man lehrte die Eingeborenen das Gummi zu gewinnen. In nicht unbedeutender Weise hat sich diese Ausbeutung der Naturschätze des Landes in dem fruchtbaren Usambara gestaltet. Dort, wo neben Zuckerrohr und Tabaksfeldern die ersten größeren Kaffeepflanzungen entstanden, gedeihen auch die Landolphien in den dichten Urwäldern und in der Baumsavanne und werden namentlich in der Landschaft von Tanga durch die Eingeborenen verwertet.

Als weitere Quelle des Kautschuk in Deutsch-Afrika ist das Togoland an der Sklavenküste zu nennen. Hinter dem schmalen nehrungsartigen Küstenstreifen steigt dort das Land wellenförmig zu einem Gebirge an, das, wo reichlichere Wassermassen vorhanden sind, mit üppigerem Pflanzenwuchs und selbst mit Urwäldern bedeckt ist. Hier gedeiht die Kautschukliane in ansehnlichen Mengen und wird seit einigen Jahren von den Eingeborenen ausgebeutet. Unsere Illustration zeigt uns einen solchen Gebirgswald, zu dessen charakteristischen Gewächsen auch die Landolphia zählt.

Mächtige Baumriesen, namentlich die Wollbäume mit ihren gewaltigen Strebepfeilern, bilden den Hauptbestandteil dieses Waldes; dazwischen stehen hohe Palmen, Mahagoni-, Ebenholz u. dergl. Das alles ist aber mit einem unentwirrbaren Netz von Schlingpflanzen durchzogen, die in verschiedener Stärke von den Wurzeln der Bäume bis in deren höchste Kronen aufsteigen oder von Baum zu Baum wie Guirlanden herüberreichen.

Wir befinden uns im Gebirge; kahle riesengroße Felsmassen liegen zerstreut in der Waldung umher, und da sie nicht mit Moos bewachsen sind, treten sie überall scharf hervor und geben dem Ganzen noch etwas Groteskes und Wildes. Und doch promeniert man durch diesen Gebirgswald wie in einem Park; denn der Weg durch denselben ist vielbenutzt von Karawanen, welche vom Inneren nach der Küste ziehen, und daher sehr gut ausgetreten. Ab und zu kommt dann auch eine Lichtung, welche durch den Sturz eines abgestorbenen Waldriesen entstanden ist. Dieselbe wird in der Regel zu einem Lagerplatz von den Karawanen benutzt. Wie herrlich und großartig auch im allgemeinen solch ein Marsch durch diesen Gebirgswald ist, so anstrengend ist er an einzelnen Strecken, namentlich wo der Gebirgsrücken steil abfällt und ansteigt. An solchen Stellen kommt häufig der Lehmboden zu Tage und durch die sich fortwährend im Boden haltende Feuchtigkeit ist derselbe so schlüpfrig und glatt, daß man nur mit äußerster Vorsicht vorwärts gelangen kann. Dann stürzt wohl alle Augenblicke einer der Träger und ein Stück des Gepäcks wird unfreiwillig hinabgefördert. Doch trotzdem sind auch diese so schwer zu passierenden Stellen von großem Reiz, denn man hat ja oft Gelegenheit, durch die hier spärlicher auftretenden Bäume seinen Blick über die üppig bewachsenen Seitenthäler und die herrlichen Waldungen hinweggleiten zu lassen, und so spürt man kaum die Strapazen und Mühen der Reise. Hunger und Durst ist vergessen, man schwelgt nur im Anschauen all dieser großartigen, herrlichen Naturschönheiten und ein Zug durch solch ein Paradies wiegt hundert der mühevollsten und anstrengendsten Märsche auf.

Die Gewinnung des Kautschuks ist in Togo anders als in Kamerun. Die Liane wird unten aufgeritzt und der dann langsam hervorquellende zähe Saft auf ein Stäbchen so lange gewickelt, bis eine Kugel von der Größe eines Kinderkopfes zusammengerollt ist. In dieser Gestalt (man bezeichnet sie mit dem Ausdruck „Negerkopf“) kommt dann der Kautschuk in den Handel.

Ueberall in Afrika wiederholt sich bei der Einführung der Kautschukgewinnung dasselbe Schauspiel. Kaum hat der Neger in Erfahrung gebracht, daß in der Liane ein Schatz liegt, so beginnt er ihn rücksichtslos auszubeuten. In manchen Distrikten, wie an der Loangoküste, sind infolge der Raubwirtschaft die Landolphien selten geworden, und es wird schwierig sein, hier geordnete Zustände zu schaffen; denn die Spenderinnen des Kautschuks sind Kinder der Wildnis, sie meiden zumeist die Nähe der menschlichen Wohnungen, der Urwald ist ihre Heimat. Und doch wird der wachsende Bedarf der Kulturwelt an Kautschuk die Schonung der gummihaltigen Lianen gebieterisch fordern. Eine regelrechte Forstwirtschaft wird dann auch in den tropischen Gebieten Platz greifen müssen. Vielleicht aber wird es auch gelingen, die Lianen in besonderen Pflanzungen zu hegen und zu pflegen und so an Stelle des Raubbaus einen geordneten Wirtschaftsbetrieb zu schaffen. Wie schwierig auch ein solches Unternehmen erscheinen mag, so wäre ein Versuch keineswegs aussichtslos. Ist es doch den Menschen gelungen, die Cinchonabäume, die das kostbare heilkräftige Chinin liefern und einst nur in den Urwäldern Perus wuchsen, nach Ostindien zu verpflanzen und in großartigen Waldungen anzubauen. M. Hagenau.