Die Wiener Kongreßausstellung

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Autor: Ludwig Hevesi
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Titel: Die Wiener Kongreßausstellung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 364–367
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Wiener Kongreßausstellung.

Von Ludwig Hevesi.

Napoleons des Ersten Macht war gebrochen. Bedingungslos mußte er abdanken und saß, von vierhundert seiner Gardisten umgeben, ein Scheinsouverän auf der Insel Elba. Europa atmete auf und die Mächte, die den unruhigen Korsen bekriegt hatten, traten in Wien zu einem Kongreß zusammen, der über die künftige politische Gestaltung Europas entscheiden sollte. Vom September 1814 bis zum Juni 1815 dauerten die Verhandlungen, deren Ergebnis in der „Wiener Schlußakte“ ihren Ausdruck fand. Für Jahrzehnte wurde die Neugestaltung Europas in Grundzügen festgelegt und später durch die „heilige Allianz“ besiegelt.

In der Kongreßzeit war Wien der Sammelpunkt der hervorragendsten Männer und Frauen Europas; dank der freigebigen Gastfreundschaft des österreichischen Kaisers wurden die glänzendsten Feste veranstaltet und auf dem Wiener Kongreß spiegelte sich infolgedessen nicht nur das politische, sondern auch das gesellschaftliche Leben jener so interessanten Zeitepoche wieder.

Es war ein glücklicher Gedanke, die Erinnerung an jenes denkwürdige Jahr durch Veranstaltung einer Kongreßausstellung wieder zu beleben. Dieselbe ist am 15. Februar dieses Jahres im Oesterreichischen Museum daselbst durch den Kaiser eröffnet worden.

Das Arbeitszimmer des Kaisers Franz.

Die ganze Zeit des Wiener Kongresses, samt ihrem Vorher und Nachher, ist da als lebendes Geschichtsbild aufgestellt; eine Mosaik aus etlichen tausend Bildnissen, Möbelstücken, Schmucksachen, Waffen, Karikaturen und persönlichen Andenken jeder Art! Ganz eigen wird man berührt, wenn man diesen Säulenhof betritt, diese Bogengänge und Säle durchwandelt. Ist man nicht in jene Zeit zurückversetzt, die der Jetztlebende recht eigentlich die „gute alte“ nennt? Die Zeit, in der sein Großvater die Großmutter nahm, oder, sofern er jünger an Jahren, sein Urgroßvater die Urgroßmutter! Hingen nicht genau solche Bildnisse in unserer „guten Stube“, ja bis in unsere Kinderstube herein? Urgroßmama war noch der reine klassische Empirestil und sah genau so aus wie Maria Luise oder Karoline Bonaparte, im griechischen Kleid aus weißem Linon, so hoch als möglich gegürtet, und im blutroten Shawl, von dem sie nicht entfernt ahnte, daß die Töchter der Pariser Guillotinierten ihn zum Andenken an ihre Toten modern gemacht hatten. Und sie hatte einen dunklen krausen Tituskopf, denn der war bis 1813 Vorschrift; ganz so hat ihn die schöne Katharina Pawlowna von Oldenburg, die Schwester Kaiser Alexanders I. und spätere Königin von Württemberg, getragen. Und die Kamee an Urahnchens Brust war auch letztmodern, denn erst 1808 war es der Kaiserin Josephine eingefallen, die Kameen des Antikenkabinetts als Schmuck verarbeiten zu lassen, sehr gegen Napoleons Willen, der aber schließlich klein beigab und sagte: „Unsinn erster Klasse, aber man muß nun einmal thun, was die Weiber wollen“. Und einen Marabufächer hielt sie in der Hand, denn im Jahre 1806 hatte der Marabu, von dem der Modist behauptete, daß er selbst dem großen Naturforscher Buffon unbekannt sei, den Schwan mit seinem Schneegefieder entthront. Und echte Pariser Kunstblumen, wie sie nur der große Wenzell in der Rue de l’Echiquier seit 1800 fabrizierte, schmückten ihren Hut. Die hatte ihr der Urgroßvater noch als Bräutigam mitgebracht, schöne weiße Rosen, wie sie auf der Ausstellung in dem lebensgroßen Bilde der Großherzogin Stephanie von Baden, Nichte der Kaiserin Josephine, den untersten Kleidsaum umziehen. Und Urgroßpapa trug noch Stiefel à la Suwarow mit gelben Kappen, wie der schöne Wiener Graf Fries, der hier in Lebensgröße gemalt ist, mit seiner prächtigen Gemahlin, einer Prinzessin Hohenlohe, und einem Kindlein in der Wiege; gemalt vom Baron Gérard in Paris, dem „Maler der Könige und König der Maler“. Großpapa freilich, auf dem Miniaturbildchen unter unserer alten Schwarzwälderuhr, trägt keine solchen Kappenstiefel mehr, denn im Jahre 1815 kamen schon die Pantalons auf, gleich nach dem Kongreß; und Großpapa war sehr modern gesinnt. Selbst Napoleons Leibporträtist, der berühmte Isabey, der doch in seinem Leben so viele hoffähige weiße Kniehosen gemalt hatte, auch so enge wie die des Grafen von Artois, der sich durch vier kräftige Lakaien in die Luft heben und so in die knappen Unaussprechlichen hineinfallen ließ – selbst Isabey trägt als alter Großpapa auf einem Bilde dieser Ausstellung schon Pantalons und einen schneeweißen Backenbart dazu. In seiner Jugend mußte er alle Backenbärte schwarz malen, auch die blonden, denn das war damals Mode. Und was ist’s mit Großmama, deren Miniatur ja auch unter unserer alten Schwarzwälderin hängt? Ach, sie trägt eines der schönsten Kostüme, die dieses Jahrhundert hervorgebracht. Es ist das der Restaurationszeit, der Zeit Ludwigs XVIII. Weil er der Achtzehnte war, trug man sogar achtzehn Falten am Kleide, und weil er ein Nachkomme Heinrichs IV. war, trugen die Damen der ganzen Welt über der unvermeidlichen „Coquesfrisur“ weiße frisierte Federn (Monsieur Plaisir hatte dieses Federnkräuseln erfunden) wie König Henri-Quatre auf seinem Helm. Und die Damen, unsere Großmutter mit inbegriffen, trugen dazu ungeheure Capoten, wo nicht gar Kaleschenhüte, und jedenfalls gewaltige Pluderärmel. Manches à gigot hießen diese damals, Schinkenärmel nennt man sie wohl jetzt, da doch der Schinken auch ein gigot, d. h. die Keule eines Tieres, ist. Das war die royalistische Mode, nach der imperialistischen der Bonapartezeit, und genau so sind einige der höchsten und schönsten Damen der Ausstellung gekleidet. So manche dieser [365] Schönheiten möchte man, nach ihrer Tracht, gleich als Zeitgenossinnen ansprechen. Denn die Moden kehren wieder. Selbst unsere jetzigen flachsohligen Schuhe stammen vom Kothurn, den die Empirezeit dem Altertum entlehnt hatte; Großmama trug sie noch mit zierlichem Band kreuzweise gebunden – in Wien nennt man dies „Altwien“ – und auch das war von Cop, dem großen Pariser cothurnier, d. h. Schuhmacher der Napoleonzeit, so vorgeschrieben, um den Kothurn zu befestigen. Und trägt man nicht jetzt wieder die farbigen Strümpfe von damals? Und malt man nicht mit Pinsel und Farben Blumengewinde auf Ballkleider wie auf die Musseline und Kattune von damals?

Der Schreibtisch Napoleons aus La Malmaison.

Selbst die Zimmer, in denen dazumal gelebt und gestorben wurde, sind heute zum Teil wieder da. Was an Urväterhausrat noch nicht in den Ofen gewandert ist, steht hoch im Werte; der krummbeinige Rokokostuhl wie der spreizbeinige Empiretisch. Wir selbst waren unter Empiremöbeln jung; in der schönen Mahagonizeit. Man könnte auch sagen: in der grünen Ripszeit; war es etwa nicht ein hochwangiger Lehnstuhl, mit grünem Rips überzogen, in welchem Schiller starb? Großväterstühle – Stühle aus der Großväterzeit! Freilich, was die Kongreßausstellung an solchem Hausrat enthält, beruht nicht auf grünem Rips, denn es ist zum großen Teil das Prächtigste, was in der Empirezeit geschaffen worden. Da steht der Schreibtisch Napoleons aus La Malmaison, dem Landschlößchen Josephinens. Er gehört jetzt dem Grafen Johann Palffy. Solcher Schreibtische giebt es wohl wenige auf Erden, und er wurde auch nicht in jenen vierzehn Tagen gemacht, in denen Percier und Fontaine, die Schöpfer des Empirestils, dem ungeduldigen „ersten Konsul“ sein Arbeitszimmer in La Malmaison zustande zaubern mußten. Dieser Tisch ist aus dunklem Mahagoni und aufs reichste mit Goldbronze verziert. Die Goldbronze folgt allen Kanten, innen und außen, sie kriecht in allen Hohlkehlen der zwölf toskanischen Säulen, die den Tisch wie einen Tempel tragen, als Blumenranke empor, sie formt sich zu prächtigen Fruchtgewinden, zu Balustraden und einem entzückenden Kinderfries im erhöhten Mittelstück. Der Verschluß geht im bekannten Viertelkreis nieder, das Schreibbrett ist ausziehbar und im Innern steckt ein Musikwerk, das hoffentlich „C’en est fait, je me marie“, das Lieblingslied des Cäsars, spielt. Steht der Schreibtisch offen, so sieht man, daß die inneren Fächer zu einem förmlichen Palast geordnet sind, mit drei breiten Bogenthoren über einer Freitreppe. Alle diese Teile haben Kanten in Goldbronze und von diesem Metall schimmert auch der Triglyphenfries oben und der Sockelfries unten. Odiot und Thomire waren die großen Ciseleure, welche das Metall an solchen Empiremöbeln in unübertrefflicher Vollendung arbeiteten.

Das Metternich-Zimmer.

Das prächtige Klavier, das auf unserer Abbildung neben dem Schreibtisch zu sehen ist, gehört dem Herzog von Sachsen-Meiningen; es ist ein Erard aus der Empirezeit, Mahagoni mit Blumenfriesen, Palmettenkapitälen und eingelegten Zieraten aus Goldbronze. Wunderbarer Hausrat ist auch aus der Hinterlassenschaft der Kaiserin Marie Luise ausgestellt. Darunter der Tisch aus Fladerholz, in dessen Platte aufstellbar Isabeys Meisterbild, die „Taufe des Königs von Rom“, eingefügt ist: Napoleon an das blühweiße Himmelbett seiner Gemahlin herantretend, die ihm den Täufling reicht, ringsum Damen, in bunter Pracht gekleidet, und die berühmte Amme des Königs von Rom, Madame Auchard, im weißen, spitzenbauschigen Brusttuch und Häubchen. Napoleon ließ dieses umfangreiche Miniaturgemälde malen als Geschenk für Marie Luise. Da sind auch mehrere prächtige Kassetten und Necessaires für Schreib- und Toilettengerät, zum Teil Meisterwerke von Biennais, dem großen Goldschmied Napoleons. Eines ist ein Geschenk Marie Luisens an ihren [366] Vater Kaiser Franz, ein anderes von Napoleon an Marie Luise; selbst das Reisebesteck Napoleons, das bei Waterloo in seinem Wagen erbeutet wurde und jetzt dem Baron Nathaniel Rothschild gehört, ist da zu sehen, ein mit Silber eingelegtes Holzkästchen, das 23 Gegenstände aus Gold, Stahl und Glas enthält.

Das Arbeitszimmer des Kaisers Franz (vergl. die Abbildung auf S. 364) ist eines der interessantesten Gemächer der Ausstellung. Es ist in der Hofburg genau so erhalten, wie er es bewohnt hat, und gehört zu den Gemächern der Kronprinzessin-Witwe Stephanie. Die Einrichtung wurde in die Ausstellung übertragen und das Zimmer genau nachgeahmt, samt den hellgrünen Tapeten und den gemalten Reliefidyllen über den Thüren; selbst die Aussicht in den Hof ist getreulich vor den Fenstern als gemalter Prospekt angebracht. Nichts kennzeichnet besser als dieser Raum die schlichte Natürlichkeit und den behaglichen Bürgersinn des mächtigen Monarchen, der doch den Wiener Kongreß zum Schauplatz der verschwenderischsten Gastfreundschaft gemacht hatte. Der Graf de Lagarde hat über die Kongreßfeste ein zweibändiges Werk geschrieben, aber das Haupt dieser Weltversammlung arbeitete in einem grünen Hofzimmerchen, unter braunen Möbeln, meist nur Nußholz, selten Mahagoni, mit gelben Bronzebeschlägen; die Sessel mit grünem Tuch gepolstert, der Papierkorb mit einer Straminstickerei geschmückt, der Schreibtisch ganz kanzleimäßig schmucklos mit vier geraden, dünnen Beinen, und darauf noch seine Kielfedern, seine Siegellackstange, sein dicker Zimmermannsbleistift, sein einfacher graumarmorner Briefbeschwerer mit einem weißen Ei als Griff und der Inschrift „Aus der Gegend von Aicha in Tyrol“ etc. etc. So wohnte der erste Bürger seines Reiches; man könnte fast sagen, der erste Beamte des Kaisertums, denn der damalige spätere Empirestil, mit seinem Verzicht auf alles künstlerische Element, hatte etwas entschieden Bureaumäßiges. Die zwei Blumentöpfe im Fenster und zwei reizende kleine Porträts der Kaiserin Karolina Augusta fallen allein aus der Amtlichkeit heraus. Dieses Kaiser Franz-Zimmer ist ein redendes geschichtliches Denkmal, das eine patriarchalische Zeit, mit einem buchstäblich zu nehmenden „Landesvater“ an der Spitze, widerspiegelt. So erscheint ja auch der Kaiser, von dem manches meisterhafte Bildnis ausgestellt ist, auf einem äußerst schlichtbürgerlich gehaltenen Brustbilde von unbekannter Hand, das der Fürst Karl Trauttmansdorff von seinem Vorfahr, dem Obersthofmeister zur Kongreßzeit, geerbt hat. Ein vergilbter Zettel von seiner Hand steckt daran und besagt: „Dieses Bild Kaisers Franz I., im 55. Jahresalter, und seiner alltägigen Kleidung, wie ich Ihn gewöhnlich zu sehen die gnade habe, soll – seiner ganz besonderen ähnlichkeit wegen, auf immerwährende zeit bey meiner familie verbleiben, und zu diesem ende, von jedem fideicomis Besitzer meiner Branche, bey ihm selbst, oder im Schlosse der Herrschaft Teinitz, sorgsamst aufbewahrt werden. Wien den letzten october 1823. Ferdinand Fürst Trauttmansdorff Sr. Majestät Erster Oberst Hofmeister.“ Unter den übrigen Bildnissen des Kaisers ist das sitzende, in Feldmarschallsuniform von Sir Thomas Lawrence, dem „Tizian seiner Zeit“, das beste, vor allem ein Meisterwerk der Farbe. Es gehört dem Fürsten Esterhazy. Wie gut es getroffen sein muß, beweist, daß die Erzherzogin Marie Clementine, Prinzessin von Salerno, es sich durch Lawrence in Aquarell kopieren ließ und sich von diesem Abbild ihres angebeteten Vaters zeitlebens keinen Augenblick getrennt hat. Diese Kopie befindet sich jetzt auf Schloß Chantilly bei dem Herzog von Aumale, der als Gatte der Tochter der Prinzessin von Salerno ein Enkel des Kaisers Franz ist.

Lawrence malte auf dem Kongreß in Aachen (1818) im Auftrage des Prinzregenten von Großbritannien, der als Georg IV. König ward, alle Größen des Wiener Kongresses, die der Regent im Waterloosaal zu Windsor vereinigte. Von Aachen reiste der unverwüstliche Lawrence Tag und Nacht eine Woche lang mit Extrapost nach Wien zum Kaiser, und dann in ebensolchem Tempo ohne Aufenthalt nach Rom, den Papst und den Kardinal Consalvi zu malen. In Aachen malte er auch den allmächtigen Haus-, Hof- und Staatskanzler Fürsten Clemens Metternich. Dieser schrieb darüber an seine Gemahlin: „Unsere Porträts werden wahre Meisterwerke. Meines ist eins der besten. Er wird es nach Wien bringen, wo ich es kopieren lasse, um mich dann nie wieder malen zu lassen.“ Und so that er auch; die Kopie hängt im Wiener Palais Metternich, das Lawrencesche Original auf Schloß Plaß in Böhmen. Gegenwärtig ist es das Hauptstück im „Metternichzimmer“ der Kongreßausstellung. Unsere Abbildung äuf S. 365 zeigt uns die Umgebung, in der der Leiter des Wiener Kongresses sein Leben beschloß.

Auf seinem Schreibtisch steht sogar noch sein Blockkalender mit seinem Sterbedatum (11. Juni 1859). Der Schreibtisch ist ein französisches Prunkstück aus dem 18. Jahrhundert; Mahagoni mit Goldbronze, aber im geschweiften und gebauchten Rokokostil. Er sieht aus wie der Vater des Schreibtisches Napoleons I. Unter den Merkwürdigkeiten dieses Gemachs befindet sich der großartige, aus 75 Stücken bestehende Tafelaufsatz aus vergoldeter Bronze, von Thomire gearbeitet, ein Geschenk Napoleons, heute wieder von größtem Kunstwert. Ueber einer verkleinerten Bronzekopie der Vendômesäule hängt das Bildnis Wellingtons, von John Lucas, 1829, in österreichischer Marschallsuniform, ein Geschenk des eisernen Herzogs. Auch Isabeys Kongreßbild, im Stich von Godefroy (1819), sehen wir an der Wand auf der andern Seite des Schreibtisches. In zwei Glasrahmen auf demselben befindet sich eine Sammlung kostbarer Kameen und Intaglien; ein Glaskasten enthält einige der kostbarsten Dosen, die Orden Metternichs u. s. f.

Aehnliche Zimmer sind aus Geräten und Andenken des Fürsten Karl Schwarzenberg und des Fürsten Johann Liechtenstein zusammengestellt. Im Schwarzenbergzimmer enthält u. a. ein Glaskasten die Großkreuze, Marschallstäbe und Ehrensäbel (z. B. der City von London), die der Sieger von Leipzig erhalten. Solche Serien kommen noch anderweitig vor; so hat der jetzige Herzog von Wellington die acht goldenen Marschallstäbe eingesandt, die der Sieger von Waterloo von acht Potentaten empfing. Es ist da überhaupt kein Ende an geschichtlichen und persönlichen Andenken. Das Bildnis des Fürsten Schwarzenberg ist vom Baron Gérard 1814 in Paris gemalt; in jenem Atelier der Rue Bonaparte, wo damals Kaiser und Könige und Weltbesieger sich die Thürklinke reichten, denn Gérard malte grundsätzlich niemand anders als nur Souveräne von Frankreich in deren eigenem Heim. Während Lawrence von Residenz zu Residenz reiste, saß Gérard in Paris, wie eine Spinne in ihrem Netz, und ließ die Goldfliegen an sich herankommen. Auch sein berühmtes Sitzbild Talleyrands aus dem Jahre 1810 ist ausgestellt; ein Meisterwerk ersten Ranges, in dem sich schon eine lebensvollere Zeit ankündigt; Goethe bewundert es ausführlich in seiner Kritik des gestochenen Porträtwerkes Gérards.

Ueberhaupt wird man in der Kongreßausstellung oft genug an Goethe erinnert. An Schiller nur hier und da, z. B. durch Danneckers Büste des Erzherzogs Karl, die einen ausgesprochenen Schillerkopf hat, nur schlanker und höher aufgebaut. Goethe aber war einer der größten Zeitgenossen des Wiener Kongresses und mit diesem durch manche Fäden verknüpft. War nicht die reizende, liebenswürdige und feingebildete „Kongreßkaiserin“ Maria Ludovica, Kaiser Franz’ dritte Gemahlin, dieselbe, die er in drei Karlsbader Festgedichten so innig gefeiert? Ihre Bildnisse auf der Ausstellung lassen es wohl ahnen, daß ein Goethe stundenlang mit ihr die tiefsten Gespräche führen konnte, daß Goethes Herzog von Weimar „mit Freuden sein Leben für diese göttliche Frau geben wollte“, daß Marschall Berthier, der in Wien Napoleons Ehe mit Maria Luise per procurationem zu schließen hatte, durch seine ganz verliebten Berichte Napoleon auf die Bekanntschaft der Kaiserin begierig machte. Selbst Talleyrand erwärmte sich für sie, fand aber freilich, daß sie gar schlank und schwach aussehe. Diese außerordentliche Frau, die, obgleich geborene Italienerin, auf ihrem Haustheater sogar Teile von Schillers „Wallenstein“ zur Aufführung brachte, starb 28 Jahre alt. Man lese alle die Dinge, die Goethe über sie schreibt.

Von der schönen Herzogin von Kurland, die man mit ihren zwei Schwestern, den Herzoginnen von Sagan und Acerenza, die drei Grazien des Kongresses nannte – selbst auf einer Berliner Porzellantasse sehen wir dieses reizende Kleeblatt abgebildet – von dieser international gefeierten Dorothea also bekam Goethe 1820 in Karlsbad „ein historisches Blatt, die versammelten Minister beim Wiener Kongresse darstellend“, das „in den Portefeuillen des größten Formats platznahm“. Es ist Godefroys Stich nach Isabeys Kongreßbild gemeint. Jean Baptiste Isabey war überhaupt der Kongreßmaler par excellence. Daß er es wurde, verdankte er Talleyrand, der in den schwierigsten Lagen zu raten wußte. Napoleon war gestürzt und sein Leibminiaturist Isabey hatte alle seine Stellen verloren. Er klagte dies Talleyrand, dieser sann einen Augenblick und wies dann auf einen Kupferstich an der [367] Wand, nach Terburgs Münsterer Kongreßbild vom Jahre 1648, dem sogenannten „Westfälischen Frieden“, der in der Londoner Nationalgalerie hängt. „In Wien wird ein Kongreß stattfinden, gehen Sie hin,“ sagte er. Und Isabey war geborgen. Er machte in Wien Furore. Vor seiner Wohnung in der Leopoldstadt mußten Schranken errichtet werden, um nur das Gedränge der vornehmen Equipagen zu regeln. Alle Bevollmächtigten am Kongresse ließen sich bei ihm in Sepia malen, für ihr eigenes Geld; diese Studienköpfe gehören jetzt dem Grafen Stackelberg, Nachkommen des russischen Kongreßgesandten, und sind zu einem Album vereint in der Ausstellung zu sehen.

Das Kongreßbild selbst stellt, gleichfalls in Sepia, eine Vollsitzung der Bevollmächtigten der acht Signatarmächte dar; sie findet in einem Saal des Ministeriums des Aeußeren statt, der mit einem Bilde Leopolds II. geschmückt ist. Die Sitzung ist aber nicht im Gange. Die Herren sind vielmehr in einem vielseitigen Nichtsthun begriffen, das der Künstler sehr geschmackvoll einzuteilen wußte. Sie lassen sich eben nur verewigen. Ohne alle Schwierigkeiten ging es aber bei der Arbeit nicht ab und Isabey mußte selber Diplomat sein, um manchen dieser Diplomaten herumzukriegen. So wollte Wilhelm von Humboldt durchaus nicht sitzen, da er seiner Häßlichkeit wegen geschworen habe, niemals einen Heller auf sein Porträt auszugeben. Damit dieser Schwur nicht gebrochen werde, malte ihn Isabey umsonst, und hinterher scherzte Humboldt: „Ich habe nichts für mein Bild gezahlt, allein Isabey rächte sich, indem er mich ähnlich machte.“ Schwieriger war es freilich, den siegreichen Herzog von Wellington zu besiegen. Das Bild war bereits so gut wie fertig, als der Sieger von Waterloo ankam, um Lord Castlereagh zu ersetzen. Wohin nun mit ihm in diesem Bilde, ohne die ganze Anordnung zu stören? Da schlug Isabey vor, ihn ganz an den Rand zu stellen und ihn durch den Fürsten Metternich gleichsam einführen zu lassen. Der Herzog wollte aber nicht am Rande stehen und vollends nicht bloß im Profil gesehen sein. Da redete ihm Isabey ein, sein Profil erinnere, wenn man sich eine Halskrause darunter denke, auffallend an das Heinrichs IV. Damit ließ sich Wellington fangen und gab sich zufrieden. Das Blatt ist jedenfalls das Hauptwerk Isabeys, wenn auch die Köpfe, in der Art jener mehr plastischen als malerischen Zeit, ein wenig an Medaillen erinnern. Als Miniaturmaler, der er war, führte er alles mit außerordentlicher Sorgfalt aus und umgab das Bild mit einer bedeutsamen Einfassung, welche die Wappen der Dargestellten und die Medaillonbildnisse ihrer Souveräne enthält. Das Bild gehört der Königin Viktoria von England, die es in besonderer Huld der Ausstellung überlassen hat. Im Godefroyschen Stich hat es seinerzeit den Weg um den Erdball gemacht.

Zur Orientierung unserer Leser möge folgende kurze Erklärung des auf S. 368 und 369 wiedergegebenen Bildes dienen, in der wir die hervorragendsten Persönlichkeiten hervorheben. Auf der linken Seite des Bildes, vom Standpunkte des Beschauers aus, erblicken wir den Vertreter Preußens, Fürst Hardenberg, der im Vordergrunde auf einem Stuhle sitzend dargestellt ist; hinter ihm steht der Herzog von Wellington. Weiter gegen die Mitte zu sehen wir Fürst Metternich, dessen Handbewegung andeuten soll, daß er den eintretenden Wellington der hohen Versammlung vorstellt. Ueber seiner rechten Schulter blickt der Kopf des Franzosen Marquis de Noailles hervor, während über den linken Arm des Fürsten der russische Graf Nesselrode sich vorbeugt. Den Mittelpunkt des Bildes nimmt der Vertreter Englands Lord Castlereagh ein, der, die Beine übereinander geschlagen, auf einem Stuhle sitzt und den Rücken dem Tisch zuwendet. Hinter dem Lord an der gegenüberliegenden Seite des Tisches sitzt der österreichische Freiherr von Wessenberg-Ampringen, mit einem Ordensstern auf der linken Brust und einer Feder in der Hand. Hinter ihm steht hochaufgerichtet Fürst Razumoffsky (Rußland) und neben diesem in einer hellen Uniform Lord Stewart (England). Wenden wir unsere Betrachtung der rechten Seite des Bildes zu, so bemerken wir am Rande auf dem äußersten Stuhl Graf Stackelberg, einen der russischen Diplomaten, und neben ihm den Franzosen Talleyrand, der seinen rechten Arm auf den Tisch stützt. Von den vier Personen, die stehend im Hintergrunde dargestellt sind, ist die zweitnächste dem Rande des Bildes W. von Humboldt, zu seiner Rechten befindet sich der bekannte österreichische Publizist Friedrich von Gentz.

Es fehlt uns leider an Raum, um auf die hochinteressante Bildergalerie, die sich über alle Wände der Ausstellung zieht, weiter einzugehen. Prud’hon, Angelika Kauffmann, die Vigée-Lebrun, J. B. Lampi, George Dawe (der einst auch Goethe gemalt hat) und viele andere berühmte Porträtkünstler sind da mit Werken vertreten.

In den Schauschränken aber drängen sich Hunderte von reizvollen Miniaturen, die namentlich die Frauen- und Kinderwelt der Empire- und Kongreßzeit in allem Zauber ihrer Liebenswürdigkeit wiedergeben. Isabeys Frauenbilder fallen wieder besonders auf, schon weil er einen weitgeschwungenen weißen Schleier (damals „Wolke“ genannt) um Kopf und Brust seiner Schönen zu schlingen liebt; nicht sowohl aus eigener Manier, sondern, wie Mercier, der Sittenschilderer des Empire, schreibt, weil solche halbe Verschleierung, um den Reiz des Gesichts zu erhöhen, damals beliebt war. Von der Königin Hortense, der Gattin Ludwig Bonapartes, bis zur fabelhaft schönen Tänzerin Bigottini, welche Talleyrand eigens nach Wien engagieren ließ, um durch sie politische Geheimnisse erlauschen zu lassen, ist das eine ganze Schönheitsgalerie. Wie viel Romane könnten wir da erzählen; auf dem Kongreß war ja, wie der geistreiche Fürst von Ligne sagte, „jeder Mensch ein Roman“.