In einem baierischen Stellwagen

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Autor: Karl Stieler
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Titel: In einem baierischen Stellwagen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 188–190
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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In einem baierischen Stellwagen.
Von Karl Stieler.

Es giebt eine Phrase, daß nur der Land und Leute kennt, der zu Fuße wandert. Allein das ist da nicht richtig, wo das Fahrzeug zum charakterischen Gepräge der Gegend gehört, wo sich im Fahren selbst ein Stück Culturgeschichte abrollt. Wer Italien ganz kennen will, muß mit dem Vetturino gereist sein, und wer Altbaiern verstehen soll, muß auch auf der Folterbank eines Stellwagens gesessen haben. Davon läßt sich nicht dispensiren. Wenn man verschämte Touristen fragt, mit welcher Gelegenheit sie weiter reisen, so sagen sie: „mit dem Omnibus“. Das ist wenigstens ein lateinisches Wort und klingt nicht so plebejisch.

Im Wesen sind natürlich beide gleich. Denn die Pferde sind mager hier wie dort, der Kutscher ist in beiden Fällen gleich grob und der Wagen gleich enge. Es ist nur ein verschiedener Name für dasselbe Leid, und für diese Verschiedenheit zahlt man sechsunddreißig Kreuzer mehr. Zwischen den einförmigen Pappelalleen des Flachlands und zwischen den grünen Bergen des Hochlands trollen Stellwagen und Omnibus des Weges. Sie sind dort die Seele des Weltverkehrs, sie sind die Träger der Neuigkeiten und das Symbol des Fortschritts.

Den Sinn für Präcision hat man den Eisenbahnen überlassen; wer mit dem Stellwagen fährt, darf mit den Minuten nicht so knauserig sein. Darum ist es unsäglich schwer, ihn flott zu machen. Wenn er um drei Uhr vom Wirthshause abfahren soll, so liegt der Kutscher gewöhnlich um halb vier Uhr noch im Stall und schläft. Dann trampelt der Hausknecht mit schweren Stiefeln herein und spricht ihn freundlich an: „Wia, Hansei, Spitzbua fauler, steh auf, die Leut sind da zum Fahren.“ Mit einem Gähnen, das zehn Zoll im Durchmesser hat, hebt sich der Angeredete hinweg und brummt: „Schau, schau, daß die Tröpf’ immer zu früh kommen!“ Alsdann füttert er gemächlich die Pferde und ruft hinaus: „So, jetza fahren wir nachher bald!“ Schlimmer ist es noch, wenn er statt im Bett in der Schenke liegt und zecht; denn dann muß der Hausknecht nicht bloß die Pferde, sondern auch den Kutscher herausführen und das „bald“ dauert noch um eine Stunde länger.

Hierauf beginnt die Verpackung, die dadurch große Schwierigkeiten leidet, daß die Sitzplätze des Wagens nicht immer in räumlichem Einklang mit dem Sitzplatz der Fahrgäste stehen. Am tollsten geht es natürlich bei jenen Stellwagen zu, die an Bahnhöfen stehen, um die Passagiere über Land zu verfrachten. Denn im Galopp stürzt Alles aus dem Waggon an den Wagen, die Einen stolpern über die Schienen, die Andern verlieren ihr Gepäck, – es wird geflucht und gesucht, geeilt und geheult ohne Ende. Da die Menschen an äußerem Umfang ebenso verschieden sind, wie an innerem, so giebt es hier in der That ein difficiles Rechenexempel, dessen Lösung schließlich nicht der Kunst, sondern nur der Grobheit gelingt.

Alltäglich ereignen sich diese Scenen zum Beispiel in Holzkirchen, wenn der Hochsommer kommt und die Epidemie der Gebirgsreisen alle Münchner ergriffen hat. Mancher der verehrten Leser ist vielleicht selbst das Opfer solcher Momente gewesen und kann bestätigen, daß nicht gelogen wird.

Betrachten wir nun das Publicum, welches diesen Wagen füllt, ein wenig näher. Im Sommer sind es, wie gesagt, die „Luftreisenden“, die den großen Städten entfliehen wollen und die Gebirgsstraßen nach allen Seiten durchkreuzen. Außerdem findet man nur solche, die ihr Geschäft auf Reisen führt, aber auch diese sind bunt genug zusammengewürfelt. Kinder des Geistes und Kinder der Welt sitzen neben einander, der Pfarrer und der Gensd’arm, der Holzknecht und die Hochzeiterin. Die Disciplinargewalt über Alle handhabt der Kutscher, und wenn die Gegensätze platzen, wenn es Spectakel giebt, dreht er sich um und ruft durch’s Fenster hinein: „Wollts a Ruh’ geben, Ihr Sacra, oder nit, sonst wirf’ ich Euch gleich Alle in Straßengraben ’nein.“

Wer protegirt wird, der kommt auf den Bock; denn der Mensch lebt nicht vom Brode allein, er will sich auch unterhalten. Einen solchen Moment hat der junge Künstler gewählt, dem wir das nebenstehende reizende Bild verdanken. Auf der sonnigen Straße rollt der Wagen dahin, aber der Postillon ist mehr mit den Passagieren, als mit den Pferden beschäftigt und macht bedenkliche Wendungen auf seinem Sitze.

Ohne Zweifel kommen solche auch in seinem Gespräche vor. Drei Gestalten sehr verschiedener Art sitzen im Coupé: die eine ein Bild des freien Genießens, die anderen das erzwungener Entsagung. Da selbst ein Kutscher weiß, daß man gegen Nonnen nicht galant sein darf, so fällt ihm die Wahl nicht schwer, und ungehindert kann er sich dem jungen „Bauernkinde“ widmen. Die beiden Braunen finden schon von selbst den Weg, sie machen ihn ja seit sieben Jahren täglich, und somit ist die Gelegenheit zur Unterhaltung ganz gefahrlos. Nur dann und wann, wenn man den Radschuh einlegen muß, wird auch das Gespräch gehemmt.

Der Postillon weiß natürlich wer das schmucke Mädchen ist; denn ein Postillon kennt jedes lebende Wesen auf fünfzehn Meilen im Umkreis und läßt, wenn es hübsch ist, wie in dem gegebenen Falle, keine Gelegenheit vorbei, die Bekanntschaft zu erneuern. Sie war heute bei Amt und hat sich ihre „Papierer“ geholt, ist doch in vierzehn Tagen die Hochzeit. Darum der Sonntagsstaat. An den grimmigen Schnauzbart des Amtmanns, der die Heiterkeit seiner Kunden schmählich einschüchtert, denkt sie schon lange nicht mehr, sondern nur an das lachende Gesicht ihres Künftigen. Jetzt fährt sie heim und läßt sich gute Rathschläge geben, wie sie denselben kutschiren soll. Sieh nur, wie schelmenklug die Aeuglein blinzeln! Die hat zur Regentschaft viel Talent und wird die Zügel fester halten, als der Postillon!

Nebenan sitzen zwei junge Nonnen und beten ihre Litanei; aber noch niemals war die Litanei so langweilig, wie heute. Nur mühsam versenkt die eine sich in das fromme Buch, sie hört das

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In einem baierischen Stellwagen.
Nach seinem eigenen Oelgemälde auf Holz gezeichnet von Joseph Watter.

Kichern nebenan, und wenn sie emporschaut, soll sie ein ernstes Gesicht machen.

Es ist aber auch seltsam genug, wie geräth ein Nonnenkloster in den Stellwagen? Vielleicht kommen die beiden „barmherzigen Schwestern“ von einer vornehmen Städterin, die mitten in der Sommerfrische erkrankt war; sie haben ihre Pflicht gethan, sie haben heilen oder begraben helfen und kehren nun aus der Welt voll Leiden wiederum in ihr Kloster zurück. Aus der Welt voll Leiden! Durch die Zweige spielt der Sonnenstrahl, am Wege blühen die Blumen, und dazu das immerwährende Lachen! Wie die Ahnung ober wie die Erinnerung eines fernen Glückes geht es den Beiden durch die Seele. Glück ist ein altes Räthsel und es ist überall dasselbe, ob es auf dem Glanz des Parquets oder auf dem Bock einer Postkutsche spielt.

[190] Das ist der eigentliche Kern des Bildes; aber der Künstler (der damit seinen ersten trefflichen Versuch gemacht) zeigt uns dasselbe nicht von der wehmüthigen, sondern von der heiteren Seite. Sonnenschein liegt darüber, und nur in tiefer Ferne ahnen wir das Leid, das hinter den Gegensätzen des Lebens athmet.

Watter, der Maler dieses Bildes, das auf der internationalen Kunstausstellung des vergangenen Jahres zu München sich allgemeinen Beifall erwarb, ist noch sehr jung; er ist ein geborener Baier und hat sich schon frühe durch seine feinsinnigen Illustrationen bekannt gemacht, die in München bei Braun und Schneider erschienen sind. In denselben war noch der Einfluß der Richter’schen Gestalten bemerkbar, obschon er näher als der Dresdener Meister an die moderne Sphäre heranrückte, die er insbesondere seit jener Zeit entwickelte, da er in die Münchener Akademie und in die Schule des Baron Ramberg trat. Jener gemüthvolle Zug, welcher durch seine Bilder geht, verkörpert sich auch im Verkehre, und eine liebenswürdige Bescheidenheit sichert seinen Talenten doppelte Anerkennung.

Doch kehren wir zu unserm Wagen zurück, in dessen Innerem unterdeß von allem Möglichen geplaudert wird, und wer erkennen will, wie das Volk fühlt und denkt, der kann keine bessere Studirstube wählen, als den verruchten gelben Kasten. Ueber Liebe und Politik, über die Lebendigen und Todten wird hier verhandelt, als wäre ein förmlicher Congreß berufen. Manches schlagende Wort springt über die wulstigen Lippen, manche feine Bemerkung fällt unter die rasselnden Räder; im Ganzen aber ist das Publicum sehr dankbar – weil es Langeweile hat.

Nicht immer freilich ist der Styl zierlich und der Inhalt zahm. Die größten Virtuosen sind in dieser Beziehung die Flößer, welche auf der Isar nach München fahren und über Holzkirchen im Stellwagen heimkehren. Als Pertinenzen führen sie eine große Axt und einen Centner Seile bei sich, die sie dann ihrem Gegenüber auf den Schooß legen. Da sie müde sind, schlummern sie gewöhnlich auf der Schulter des Nachbars ein, und alle Versuche, solch’ holde Last von sich abzuwälzen, sind vergeblich. Und doch ist es vielleicht besser, sie schlafen; denn ihr Gespräch betritt gar leicht einen schlüpfrigen Boden, gegen den nur solche Wasserstiefel unempfindlich sind.

Vorn auf dem Bock thront der Kutscher als eine Macht. Er weiß Alles, er besorgt Alles, er schimpft und protegirt ganz nach Befinden. Wer ihn milde stimmen will, muß ihm eine Cigarre geben; und je schlechter sie ist, desto besser wird er sie finden, desto näher wird sie seinem Verständniß sein. Bedenklicher als jedes andere Hinderniß aber wirken die Wirthshäuser, für die der Stellwagen eine unverbrüchliche Anhänglichkeit besitzt. Denn wer hat jemals gesehen, daß ein Stellwagen an einem Wirthshause vorüberfuhr? Und wer hat es je erlebt, daß ein Kutscher seine Pferde tränkt, ohne selbst ein Glas Bier zu trinken? Wehe, wenn einer der Gäste sich beigehen ließe hierüber zu murren; solche Einrede beantwortet der Lenker höchstens damit, daß er sich noch ein zweites Glas einschenken läßt. Unter diesen Umständen kann man allerdings nicht behaupten, daß der Stellwagen ein Culturfahrzeug ersten Ranges sei. Aber trotzdem kann man bisweilen ganz vergnügte Stunden darin verleben, ja sogar manchmal schöne und poetische.

So gedenk’ ich noch immer gern einer Fahrt, die ich einmal bei Nacht gemacht; es ging auf den Herbst zu und tiefe Dämmerung lag schon auf der Landschaft, als wir wegfuhren; am Himmel glänzten die ersten Sterne, in den Häusern die ersten Lichter. Unter der Thür saßen die Leute und riefen uns ihren Gruß, als wollten sie sagen: „Ei, wer wird so spät noch fortreisen; wir sind froh, daß wir daheim bleiben können.“ Die Straße führte am See entlang; man hörte, wie die Wellen eintönig anschlugen, wie das Schiff sich regte im Nachtwinde. Der Postillon knöpfte sich den Mantel zu, die Passagiere drückten sich in die Ecke und die kühle Nachtluft flog mir um die Schläfe. Ich saß draußen auf dem Bock. Stückweise ging es dahin unter hohen Buchen, daß die Zweige das Dach des Wagens streiften; dann ward die Straße wieder frei und stieg mäßig bergan. Jetzt ergriff der Postillon sein Horn mit der blauweißen Schnur und blies in die Nacht hinein. Anfangs waren es lustige Weisen, dann kam das alte schmerzenreiche Lied:

Du hast mich zu Grunde gerichtet!
Mein Liebchen, was willst du noch mehr?

Kein Wanderer begegnete uns, nur der Wiederhall antwortete auf die stille Weise. Immer glänzender wurden die Sterne; es war, als ob das Firmament sich wölbte vor unseren Augen, als ob man den kühlen Nachtthau fallen sähe. Dann und wann scholl fernes Gebell zu uns her, und wenn wir an Häusern vorbeifuhren, sah man wohl ein verliebtes Paar, das unter der breiten Altane stand, Arm in Arm oder verstohlen flüsternd. Da knallte der Postillon mit hellem Lachen; doch wenn wir vorüber waren, nickte er still und dachte: „cosi fan tutte.“ Auch er hatte einst ein Lieb gehabt, das seinen Weisen lauschte; er erzählte die lange Geschichte, aber es war nichts davon übrig geblieben als das alte Lied:

Du hast mich zu Grunde gerichtet!
Mein Liebchen, was willst du noch mehr?