Zum Inhalt springen

Innsbruck (Meyer’s Universum)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
LXXXXVIII. Der Berg Tabor Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band (1836) von Joseph Meyer
LXXXXIX. Innsbruck
C. Negroponte
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[Ξ]

INSPRUCK
in Tyrol

[19]
LXXXXIX. Innsbruck.




Die Lage dieser heitern Stadt, hart am grünlichen Innstrom, der mit jugendlichem Ungestüm vorüberbraust, im Schooße wilder und abenteuerlicher Gebirgsformen, muß auch den Blick Desjenigen, der ganz Europa durchzog, in ihrem großen, feierlichen, hochromantischen Charakter, lebhaft überraschen und mächtig festhalten. Es ist ein eigner [20] Zauber über diese Landschaft gebreitet. Während die hohen Alphörner ringsum das blendend weiße Gewand des ewigen Winters tragen, lacht alles mild und sonnig in dem geschirmten breiten Thale, und fast das ganze Jahr hindurch prangt es im vollsten Blüthenschmuck und saftigsten Grün. Lau sind hier die Lüfte und man ahnet die Nähe Hesperiens.

Uralt ist die Hauptstadt Tyrols und ihr Inneres trägt das Gepräge großer und lang-einheimischer Wohlhabenheit. Schon im eilften Jahrhundert galt der Ort für reich. Die Häuser (etwa 600, in denen 11000 Menschen wohnen) sind meistens von Quadern aufgeführt, 4 bis 6 Stockwerke hoch und von italienischer Bauart. Mehre der regelmäßigen Straßen sind mit schönen Denkmälern geziert, unter welchen sich der Triumphbogen der Maria Theresia und Josephs II., die herrliche marmorne Annensäule in der Mitte zweier Brunnen (am Eingange der Hauptstraße) und auf dem großen Rennplatze die erzene Reiterstatue Leopolds V., ein Werk der Tyroler Gras und Reinhardt aus dem 17. Jahrhundert, auszeichnen. Mehre alterthümliche Palläste erinnern an die Zeiten, wo die deutschen Kaiser, Habsburger Stamms, in der Mitte ihrer treuen Tyroler mit Vorliebe weilten und Inspruck und die Pfalzen in der Nähe die gewöhnlichen Sommerresidenzen der Monarchen waren. – Die kaiserliche Burg, 1494 von Maximilian I. erbaut, erhielt unter Maria Theresia ihre jetzige Gestalt. Die Burgkapelle ward von ihr auf der selben Stelle errichtet, wo ihr Gemahl, Franz I., vom Schlage gerührt, seinem Sohne Joseph II. in die Arme sank. – Das Haus mit dem goldnen Dach, (jetzt Hofkammer), erbaute sich Kaiser Friedrich mit der leeren Tasche 1425 zur Wohnung. An die Vergoldung der kupfernen Kuppel hat er 200,000 Dukaten verschwendet. – Die Universität, ein Denkmal Kaiser Leopold I., 1782 gestiftet, später aufgehoben und 1826 wieder hergestellt, welche auf Tyrols höhere Nationalbildung mächtig und wohlthätig einwirkt, hat ein schönes Lokal und die mit ihr verbundnen Sammlungen vaterländischer Natur- und Kunstprodukte des Ferdinandeums, das physikalische und das anatomische Kabinet sind sehenswerth. Im Gymnasialgebäude ist die Universitätsbibliothek aufgestellt, mit welcher eine reichhaltige Kupferstichsammlung verbunden ist. – Unter den Kirchen zeichnet sich die Hofkirche durch Größe aus, und die in ihr bewahrten Denkmäler machen sie weltberühmt. Das Mausoleum Kaiser Maximilians I., in ihrer Mitte aufgerichtet und einen weiten Raum einnehmend, gehört zu den prachtvollsten Monumenten der alt-niederdeutschen Kunst. Acht und zwanzig kolossale Bildsäulen von Bronze, die denkwürdigsten Männer und Frauen des Hauses Habsburg vorstellend, umstehen den herrlichen Marmorsarkophag, an dessen Wänden 24 Basreliefs von wunderbarer Schönheit und Erhaltung die Thaten des Kaisers veranschaulichen, dessen wohlgetroffnes, mehr als lebensgroßes Bild in ritterlichem Schmuck, aus Erz gegossen, auf dem Deckel ruht. Die Verfertiger dieses Kunstwerks waren die Meister Collin aus Mecheln, Abel und Löffler aus Köln. Von der Hand des erstgenannten sind auch die bewunderten Grabmäler Ferdinands II. und der schönen Philippine Welser, seiner Gemahlin, einer Patriziertochter aus Augsburg. – Neben diesen fürstlichen Prachtmausoleen erhebt sich das einfache Denkmal des heldenmüthigen [21] Hofer, – des Sühn-Opfers einer verrätherischen und feigen Politik. – In der Jakobskirche verdient der Hochaltar, ein Werk Benedetti’s, Betrachtung. Als Innsbrucks schönster Tempel gilt aber die Dreifaltigkeitskirche, in derem Hochaltarblatt man ein Werk von Rubens bewundert. Ein guter Albrecht Dürer, ein ECCE HOMO, ziert die Sakristei. Auch alle andren Kirchen haben bedeutende, zum Theil kostbare Bilderschätze – (die des Kapuzinerklosters z. B. einige der schönsten Lukas Kranach’s) aufzuweisen.

An Bildungsanstalten ist Innsbruck reich. Außer der bereits erwähnten Universität besitzt es ein Gymnasium, ein Seminar, eine vortreffliche Muster-Hauptschule, eine höhere Töchterschule etc.; und viele öffentliche, oder der allgemeinen Benutzung offene Privatsammlungen, gelehrte Gesellschaften, Musikvereine und ein Theater erleichtern die Erlangung von Kenntnissen und vielseitiger Ausbildung. Eine lebhafte Industrie bewegt sich in zahlreichen Seiden-, Leder-, Tuch-, Baumwoll- und Messerfabriken, und die bürgerlichen Gewerbe und der Handel, besonders der Transitohandel zwischen Deutschland und Italien, sind im blühendsten Zustande. Die Wochenmärkte sind die besuchtesten Tyrols, und aus allen Thälern des Gebirgs ziehen an den Markttagen die kernhaften, schöngewachsnen Bewohner in ihren malerischen Trachten der alten Hauptstadt zu, die Produkte der Alpen gegen die Waaren des Orts und des Auslandes zu tauschen.

Interessante Ausflüge von Innsbruck sind viele zu machen. Eine der genußreichsten Partien ist die nach dem ¾ Stunde entfernten kaiserlichen Lustschloß Ambras, mit einer gepriesenen, entzückenden Aussicht in’s Ober- und Unter-Innthal. Hier lebte einst Ferdinand mit seiner Philippine der Kunst und der Liebe. Von daher stammt die berühmte Ambraser Sammlung, welche jetzt einen Hauptbestandtheil des kaiserlichen Museums ausmacht und in Wien, im Belvedere, aufbewahrt ist. Als eine Merkwürdigkeit zeigt man auch den Söller, von dem Wallenstein, der Held des 30jährigen Kriegs, der Fels, an dem die Sturmwogen der Reformation sich brachen, als Edelknabe, schlafend, herab in die Tiefe stürzte, ohne sich zu verletzen. – Ein zweistündiger unterhaltender Weg das Innthal herab führt zur St. Martinswand, einer senkrechten, himmelhohen Felsenmauer, an der ein Kapellchen hängt, welches, von unsichtbarer Kraft getragen, in den Lüften zu schweben scheint. Das fromme Denkmal bezeichnet die Stelle, wo Kaiser Maximilian dem Ersten auf der Gemsjagd in unbesonnener Verfolgung eines Wildes die Steigeisen brachen und er sich, allein auf schmalem Vorsprung in schwindelnder Höhe, unfähig einen Fuß zu versetzen, in äußerster Lebensgefahr sah. Zwei Tage und zwei Nächte, so erzählt die Legende, rang er vergeblich nach Hülfe; dann that er muthig Verzicht auf das Leben und bereitete sich zum Tode. Indeß erscholl das ganze Land von der betrübten Kunde, daß man den Kaiser vermisse. Gebete wurden in allen Kirchen angeordnet, und das Allerheiligste umhergetragen in feierlichen Prozessionen. Da, bei’m Anbruch des dritten Morgens, als schon die Nebel des Todes den Blick des auf’s Aeußerste erschöpften Kaisers umdüstern, fühlt er sich plötzlich von Menschenhand ergriffen, und dem freudig [22] Erschrockenen steht ein Hirtenknabe zur Seite, mit Kletterstab und Steigeisen, und dieser zeigt ihm mit den Worten: „Getrost, Herr! Gott kann euch helfen und er will euch helfen“ einen rettenden Pfad. Also gelangte Maximilian wieder zu den bekümmerten Seinen, die ihn wie einen vom Tode Erstandenen empfingen. Als aber der Kaiser, nach des Wiederfindens erstem Entzücken, nach dem Jüngling fragte, hieß es, er sey unter der Menge verschwunden. Niemals hat man ihn wiedergesehen. Da wähnte das Volk, ein Engel, von Gott zur Rettung des Kaisers gesendet, sey es gewesen und der fromme Glaube baute an der durch das Geschehene geheiligten Stelle das kleine Gotteshaus und stiftete in demselben eine ewige Lampe, die erst in den Wirren des 18. Jahrhunderts erlosch.