Negroponte
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Negroponte ist das Euböa der Alten. Sie ist die größte Insel des griechischen Archipels (76 □Meilen groß) und von der Ostküste Livadiens durch eine Meerenge getrennt, deren Breite bei der Hauptstadt Negroponte (dem ehemaligen Chalcis) so gering ist, daß eine Brücke, welche am vorderen Theil zum Durchlassen der Schiffe aufgezogen werden kann, die Insel mit dem festen Lande verbindet. – Euböa wird seiner ganzen Länge nach von einer hohen Bergkette durchzogen, welche Hochwald bedeckt. Herrliche, üppige, wohlbewässerte Thalgründe sind überall, und der Boden bringt fast ohne Bestellung Getreide, Wein und Oel in Ueberfluß hervor. Das Klima ist mild und gesund. Aber der vielhundertjährige Druck des Despotismus hat alles vernichtet, und was die Natur mit freigebiger Hand darbietet, – das zu genießen fehlen die Menschen. Erpressungen aller Art (die Grausamkeit der türkischen Befehlshaber auf Egripos war sprüchwörtlich geworden in ganz Hellas!) hatten bis zur Zeit des griechischen Unabhängigkeitskampfes das Volk gänzlich erschöpft. Die Insel war fast verödet; die meisten Dörfer lagen verlassen da, viele Städte in Trümmer, Kirchen und Klöster verfielen. Häuser, Straßen und Landwege waren menschenleer, Felder und Gärten blieben unbestellt, unerschwingliche Abgaben, Erpressungen und Raub aller Art, Krieg und Pest hatten die Einwohner zu Grunde gerichtet, weggescheucht, oder aufgerieben. Die Bevölkerung, welche in klassischer Zeit über eine halbe Million betrug, war auf 45000 geschmolzen.
In dieser Noth, wo auf Erden kein Helfer war, erschien dem Eilande, wie ein Engel vom Himmel, eine andere Johanna d’Arc. – Ein schönes Mädchen, Namens Modena Maurogenia, erhob die Fahne der Freiheit, und rief [23] begeisterungsvoll die Euböer zum Kampfe für Unabhängigkeit. Maurogenia war der letzte Sprößling des Euböischen Fürstengeschlechts; ihren Vater, Dragoman der Pforte, ließ der Sultan erwürgen; das Mädchen, für des Mörders Harem bestimmt, floh auf die kleine Insel Mikone, wo sie, vom Erlöse geretteter Kleinodien, für die Sache ihres Vaterlandes 2 Schiffe ausrüstete, in denen sie dem Volke von Euböa das Panner und die Waffen der Freiheit zuführte. Die Heldenmüthige versprach ihre Hand als Preis dem tapfersten Streiter gegen die Türken. 72 Ortschaften standen an einem Tage in Waffen auf. – Viele Türken wurden erschlagen, die übrigen zogen sich in die festen Städte Negroponte und Karisto zurück, von wo aus, durch die türkische Flotte verproviantirt und öfter verstärkt, sie in häufigen Ueberfällen das Land verheerten. – Vergeblich versuchten die Hellenen in mehrmaligen Stürmen die Eroberung der starken Vesten. Sie blieben in den Händen der Türken, bis die Insel, in Folge der Traktate, dem griechischen Königreiche abgetreten wurde. König Otto hat dem Menschenmangel und der daraus entstandenen Verödung der Insel durch Einwanderung abzuhelfen gedacht; – doch bis jetzt haben diese Versuche nur geringe Erfolge gehabt; denn man berechnet die Einwohnerzahl gegenwärtig auf kaum 50000. Davon kommen etwa 9000 auf die Hauptstadt Negroponte, deren Fernsicht unser schöner Stahlstich veranschaulicht. Im Alterthume reich und blühend und von den Venetianern zur Zeit ihrer Herrschaft über Griechenland in eine Festung umgeschaffen, ist diese Stadt in ihrem Innern jetzt ein Bild des Verfalls und des Schmutzes. Bei wenig Gewerbe und geringem Küstenhandel steht sie überdieß im Rufe, ungesund zu seyn, und nur ihre strategische Wichtigkeit kann sie vor gänzlicher Verödung bewahren.