Insectenfressende Pflanzen/Fünftes Capitel

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von: Charles Darwin
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Fünftes Capitel.

Die Wirkungen nicht-stickstoffhaltiger und stickstoffhaltiger organischer Flüssigkeiten auf die Blätter.

Nicht-stickstoffhaltige Flüssigkeiten. — Lösungen von arabischem Gummi. — Zucker. — Stärke. — Verdünnter Alkohol. — Oliven-Öl. Aufgusz und Abkochung von Thee. — Stickstoffhaltige Flüssigkeiten. — Milch. — Harn. — Flüssiges Eiweisz. — Aufgusz von rohem Fleisch. — Unreiner Schleim. — Speichel. — Lösung von Hausenblase. — Verschiedenheit in der Wirkung dieser beiden Gruppen von Flüssigkeiten. — Abkochung von grünen Erbsen. — Abkochung und Aufgusz von grünem Kohl. — Abkochung von Grasblättern.

Als ich im Jahre 1860 zuerst Drosera beobachtete und zu der Ansicht geführt wurde, dasz die Blätter nährbare Substanz aus den Insecten absorbirten, welche sie fiengen, schien es mir zweckmäszig zu sein, mit ein paar gewöhnlichen Flüssigkeiten, welche stickstoffhaltige Substanz enthielten und nicht enthielten, einige vorläufige Versuche zu machen; die Resultate sind der Mittheilung werth.

In allen den folgenden Fällen wurde ein Tropfen von demselben spitzen Instrumente auf die Mitte des Blattes fallen gelassen; durch wiederholte Versuche wurde ermittelt, dasz einer dieser Tropfen sehr nahebei ein halbes Mimm oder 1/960 einer flüssigen Unze oder 0,0295 Mgr. betrug. Doch beanspruchen diese Messungen offenbar durchaus keine strenge Genauigkeit; überdies waren die Tropfen der klebrigen Flüssigkeiten deutlich gröszer als die Wassertropfen. Nur ein Blatt wurde an einer und derselben Pflanze zum Versuch benutzt, und die Pflanzen wurden an zwei verschiedenen Localitäten gesammelt. Die Versuche wurden während der Monate August und September angestellt. Bei Beurtheilung der Wirkungen ist eine Vorsicht nothwendig: wird ein Tropfen irgend einer klebenden Flüssigkeit auf ein altes oder schwaches Blatt gelegt, dessen Drüsen aufgehört haben, reichlich abzusondern, [68] so trocknet der Tropfen zuweilen ein, besonders wenn die Pflanze in einem Zimmer gehalten wird; dabei werden einige der centralen und nahe nach dem Rande hin stehenden Tentakeln zusammengezogen, was ihnen das trügerische Ansehen gibt, als wären sie eingebogen worden. Dies kommt zuweilen mit Wasser vor, da es durch Vermischung mit der klebrigen Flüssigkeit klebend geworden ist. Daher ist das einzige sichere Kennzeichen —, und allein auf dies habe ich mich verlassen, — das Einwärtsbiegen der äuszern Tentakeln, welche von der Flüssigkeit nicht berührt worden sind, oder höchstens allein an ihrer Basis. In diesem Falle ist die Bewegung allein eine Folge davon, dasz die centralen Drüsen von der Flüssigkeit gereizt worden sind und einen motorischen Einflusz den äuszeren Tentakeln übermittelt haben. Die Blattscheibe krümmt sich gleichfalls häufig nach innen, in derselben Weise als wenn ein Insect oder ein Stückchen Fleisch auf die Scheibe gelegt wird. Diese letztere Bewegung wird, so viel ich gesehen habe, niemals durch das blosze Eintrocknen einer adhäsiven Flüssigkeit und die davon abhängige Zusammenziehung der Tentakeln verursacht.

Zuerst will ich die nicht-stickstoffhaltigen Flüssigkeiten anführen. Als vorläufiger Versuch wurden Tropfen destillirten Wassers auf zwischen dreiszig und vierzig Blätter gebracht; und es trat keine irgendwelche Wirkung ein; trotzdem wurden aber in einigen anderen und seltenen Fällen einige wenige Tentakeln für kurze Zeit eingebogen; dies konnte aber auch dadurch verursacht worden sein, dasz die Drüsen zufällig berührt wurden, als die Blätter in eine passende Stellung gebracht wurden. Dasz Wasser keine Wirkung hervorbringen würde, hätte vorausgesehen werden können, da im andern Falle die Blätter von jedem Regenschauer zu Bewegung gereizt worden wären.

Gummi. — Es wurden Lösungen von vier verschiedenen Stärkegraden gemacht: eine von sechs Gran auf die Unze Wasser (ein Theil auf 73), eine zweite etwas stärker, doch immer noch sehr dünn, eine dritte mäszig dick und eine vierte so dick, dasz sie gerade nur noch von einem spitzigen Instrument abtropfen konnte. Diese wurden auf vierzehn Blättern versucht, wobei die Tropfen von 24 bis zu 44 Stunden auf den Blattscheiben gelassen wurden, meistens ungefähr 30 Stunden. Einbiegung wurde hierdurch niemals verursacht. Es ist nothwendig, reines arabisches Gummi zum Versuch zu nehmen, denn einer meiner Freunde kaufte eine fertig bereitete Lösung und diese verursachte eine Biegung der Tentakeln; es wurde indessen später ermittelt, dasz dieselbe viel thierische Substanz, wahrscheinlich Leim, enthielt.

Zucker. — Tropfen von Lösungen weiszen Zuckers in drei [69] verschiedenen Stärkegraden (deren schwächste einen Theil Zucker auf 73 Theile Wasser enthielt) wurden auf vierzehn Blättern von 32 bis 48 Stunden gelassen; es wurde aber keine Wirkung hervorgebracht.

Stärke. — Eine Mischung, ungefähr so dick wie Sahne, wurde auf sechs Blätter getropft und 20 Stunden auf denselben gelassen, ohne dasz eine Wirkung hervorgebracht worden wäre. Diese Thatsache überrascht mich, da ich glaube, dasz die Stärke im gewöhnlichen Handel meistens eine Spur von Leim enthält, und diese stickstoffhaltige Substanz Einbiegung verursacht, wie wir im nächsten Capitel sehen werden.

Verdünnter Alkohol. — Ein Theil Alkohol wurde auf sieben Theile Wasser zugesetzt und Tropfen hiervon wie gewöhnlich auf die Scheibe von drei Blättern gebracht. Im Laufe von 48 Stunden erfolgte keine Einbiegung. Um mich zu vergewissern, ob diese Blätter in keiner Weise beschädigt worden seien, wurden Stückchen Fleisch auf sie gelegt, und nach 24 Stunden waren dieselben dicht umfaszt. Ich brachte auch Tropfen von Sherry-Wein auf die andern Blätter; sie verursachten keine Einbiegung, doch schienen zwei Blätter etwas beschädigt zu sein. Wir werden später noch sehen, dasz abgeschnittene Blätter, wenn sie in verdünnten Alkohol von der angegebenen Stärke gelegt werden, nicht eingebogen werden.

Oliven-Öl. — Es wurden Tropfen hiervon auf elf Blätter gebracht, und in einer Zeit von 24 bis 48 Stunden wurde keine Wirkung hervorgebracht. Vier dieser Blätter wurden dann mit auf ihre Scheiben gebrachten Fleischstückchen probirt; drei derselben fand ich nach 24 Stunden mit ihren sämmtlichen Tentakeln und Rändern dicht eingebogen, während am vierten nur einige wenige Tentakeln eingebogen waren. In einem spätem Capitel wird indessen gezeigt werden, dasz abgeschnittene Blätter beim Eintauchen in Oliven-Öl stark afficirt werden.

Aufgusz und Abkochung von Thee. — Tropfen eines starken Aufgusses und einer starken Abkochung wurden ebenso wie Tropfen einer ziemlich schwachen Abkochung von Thee auf zehn Blätter gebracht; keines derselben wurde eingebogen. Ich prüfte später drei dieser Blätter dadurch, dasz ich Fleischstückchen zu den Tropfen hinzuthat, die noch immer auf den Blattscheiben liegen blieben; und als ich sie nach 24 Stunden untersuchte, waren sie dicht eingebogen. Der chemische Grundstoff des Thee's, das Thein, wurde später gleichfalls versucht und brachte keine Wirkung hervor. Die eiweiszartige Substanz, welche die Theeblätter ursprünglich besessen haben müssen, war ohne Zweifel dadurch unlöslich gemacht worden, dasz die Blätter vollkommen getrocknet worden waren.

Wir sehen hieraus, dasz mit Ausschlusz der Experimente mit Wasser ein und sechzig Blätter mit Tropfen der obengenannten nicht stickstoffhaltigen Flüssigkeiten versucht wurden; die Tentakeln wurden nicht in einem einzigen Falle eingebogen.

Was die stickstoffhaltigen Flüssigkeiten betrifft, so wurden die ersten, welche mir in die Hand kamen, versucht. Die Experimente wurden in derselben Zeit und in genau derselben Art und Weise angestellt wie die [70] vorhergehenden. Da es sich sofort offenbar herausstellte, dasz diese Flüssigkeiten eine bedeutende Wirkung hervorbrachten, so vernachlässigte ich es in den meisten Fällen zu notiren, wie bald die Tentakeln eingebogen wurden. Es trat dies aber immer in weniger als 24 Stunden ein, während die Tropfen nicht-stickstoffhaltiger Flüssigkeiten, welche keine Wirkung hervorbrachten, in allen Fällen während einer beträchtlich längeren Zeit beobachtet wurden.

Milch. — Es wurden Tropfen auf sechzehn Blätter gebracht, und die Tentakeln von sämmtlichen, ebensowohl wie die Blattränder bei mehreren wurden bald bedeutend eingebogen. Die Zeitverhältnisse wurden nur in drei Fällen notirt, nämlich bei Blättern, auf welche ungewöhnlich kleine Tropfen gebracht worden waren. Ihre Tentakeln wurden in 45 Minuten ein wenig eingebogen, und nach Verlauf von 7 Stunden 45 Minuten waren die Blattränder von zweien so stark nach innen gekrümmt, dasz sie kleine, die Tropfen umfassende Schälchen bildeten. Diese Blätter breiteten sich am dritten Tage wieder aus. Bei einer andern Gelegenheit war die Scheibe eines Blattes in 5 Stunden, nachdem ein Tropfen Milch auf dieselbe gebracht worden war, bedeutend eingebogen.

Menschlicher Harn. — Tropfen hiervon wurden auf zwölf Blätter gebracht, und die Tentakeln von allen, mit einer einzigen Ausnahme, wurden bedeutend eingebogen. Wie ich vermuthe in Folge von Verschiedenheiten in der chemischen Beschaffenheit des Harns bei verschiedenen Gelegenheiten schwankte die zum Hervorrufen der Bewegungen der Tentakeln erforderliche Zeit bedeutend; sie wurden aber immer in weniger als 24 Stunden bewirkt. Bei zwei Fällen habe ich notirt, dasz die sämmtlichen äuszeren Tentakeln in 17 Stunden vollständig eingebogen waren, nicht aber die Scheibe des Blattes. In einem andern Falle wurden die Ränder eines Blattes nach 25 Stunden 30 Minuten so stark eingebogen, dasz dasselbe in eine kleine Schale verwandelt worden war. Die Kraft des Harns liegt nicht im Harnstoff, welcher, wie wir später noch sehen werden, unwirksam ist.

Eiweisz (frisch aus einem Hühner-Ei). — Es wurde auf sieben Blätter gebracht und verursachte bei sechs eine ordentliche Einbiegung der Tentakeln. In einem Falle wurde der Blattrand selbst nach Verlauf von 24 Stunden bedeutend eingerollt. Das eine Blatt, welches nicht afficirt wurde, blieb 26 Stunden lang so; dann wurde es mit einem Tropfen Milch geprüft und dieser verursachte innerhalb 12 Stunden eine Einbiegung der Tentakeln.

Kalter filtrirter Aufgusz von rohem Fleisch. — Dies wurde nur bei einem einzigen Blatte versucht, bei welchem die meisten äuszern Tentakeln und die Scheibe in 19 Stunden eingebogen wurden. Während der folgenden Jahre benutzte ich wiederholt diesen Aufgusz, um Blätter zu prüfen, an welchen mit andern Substanzen Experimente angestellt worden waren; es stellte sich heraus, dasz derselbe äuszerst energisch wirkte; da aber keine genaue Schilderung dieser Versuche aufgesetzt wurde, werden sie hier nicht mit angeführt.

Schleim. — Dicker und dünner Schleim aus den Bronchialröhren, auf drei Blätter gebracht, verursachten Einbiegung. Ein Blatt mit dünnem Schleim hatte seine randständigen Tentakeln und die Scheibe in 5 [71] Stunden 30 Minuten ein wenig, und in 20 Stunden bedeutend einwärts gebogen. Die Wirksamkeit dieser Flüssigkeit ist ohne Zweifel eine Folge davon, dasz sich Speichel oder irgend eine eiweiszartige Substanz[1] ihr zugemischt hat, und nicht dem Mucin oder dem chemischen Grundstoff des Schleimes zuzuschreiben, wie wir in folgendem Capitel sehen werden.

Speichel. — Menschlicher Speichel hinterläszt, wenn er verdunstet wird, von 1,14 zu 1,19 Procent Rückstand [2]; dieser ergibt 0,25 Procent Asche, so dasz das Verhältnis stickstoffhaltiger Substanz, welche der Speichel enthält, sehr gering sein musz. Nichtsdestoweniger wirkten Speicheltropfen, welche auf die Scheibe von acht Blättern gethan wurden, auf sämmtliche. In einem Falle wurden die sämmtlichen äuszern Tentakeln, mit Ausnahme von neun, in 19 Stunden 30 Minuten eingebogen; in einem andern Falle wurden einige wenige in 2 Stunden und nach Verlauf von 7 Stunden 30 Minuten alle diejenigen, welche der Mitte nahe standen, wo der Tropfen lag, ebenso wie die Blattscheibe beeinfluszt. Seitdem ich diese Versuche gemacht habe, habe ich hundertmal Drüsen mit dem mit Speichel angefeuchteten Griff meines Scalpels eben berührt, um zu ermitteln, ob ein Blatt sich im activen Zustande befände: dies zeigte sich nämlich im Verlaufe weniger Minuten durch das Einwärtsbiegen der Tentakeln. Das eszbare Nest der chinesischen Schwalbe ist aus einer von den Speicheldrüsen abgesonderten Substanz gebildet; zwei Gran eines solchen wurde einer Unze destillirten Wassers zugesetzt (ein Theil auf 218), welches mehrere Minuten lang gekocht wurde, aber doch nicht das Ganze auflöste. Tropfen von der gewöhnlichen Grösze wurden auf drei Blätter gebracht, und diese waren in 1 Stunde 30 Minuten ordentlich, in 2 Stunden 15 Minuten dicht eingebogen.

Hausenblase. — Tropfen einer Lösung, welche ungefähr so dick wie Milch war, und einer noch dickeren Lösung wurden auf acht Blätter gebracht; die Tentakeln aller wurden eingebogen. In einem Falle wurden die äuszern Tentakeln nach Verlauf von 6 Stunden 30 Minuten ordentlich einwärts gekrümmt und die Blattscheibe nach 24 Stunden in theilweiser Ausdehnung. Da der Speichel so kräftig wirkt und doch ein so geringes Verhältnis an stickstoffhaltiger Substanz enthält, so versuchte ich, eine wie kleine Quantität von Hausenblase wirken würde. Ein Theil wurde in 218 Theilen destillirten Wassers aufgelöst und Tropfen hiervon auf vier Blätter gebracht. Nach 5 Stunden waren zwei derselben beträchtlich und zwei mäszig eingebogen; nach 22 Stunden waren die ersteren bedeutend und die letzteren noch viel mehr eingebogen. Im Verlauf von 48 Stunden von der Zeit an, wo die Tropfen auf die Blätter gebracht worden waren, hatten sich alle vier beinahe wieder ausgebreitet. Es wurden ihnen dann kleine Stücken Fleisch gegeben, und diese wirkten kräftiger als jene Lösung. Dann wurde weiter ein Theil Hausenblase in 437 Theilen Wasser aufgelöst; die in dieser Weise bereitete Flüssigkeit war so dünn, dasz sie nicht von reinem Wasser unterschieden werden konnte. Tropfen von der gewöhnlichen Grösze wurden dann auf sieben [72] Blätter gethan, von denen ein jedes damit 1/960 Gran (oder 0,0295 Milligr.) erhielt. Drei derselben wurden 41 Stunden lang beobachtet, wurden aber in keiner Weise afficirt; bei dem vierten und fünften wurden zwei oder drei der äuszeren Tentakeln nach 18 Stunden eingebogen; beim sechsten waren es einige wenige mehr; und beim siebenten war auszerdem der Rand des Blattes eben bemerkbar nach innen gekrümmt. Die Tentakeln der vier letzten Blätter fiengen nach einem weiteren Verlauf von nur acht Stunden sich wieder auszustrecken an. Es ist hiernach 1/960 Gran Hausenblase hinreichend, um die empfindlicheren oder activeren Blätter sehr unbedeutend zu afficiren. Auf eins der Blätter, auf welches die schwache Lösung nicht eingewirkt hatte, und auf ein anderes, bei welchem nur zwei seiner Tentakeln eingebogen waren, wurden Tropfen der Lösung, die so dick wie Milch war, gethan; und am nächsten Morgen, nach Verlauf von 16 Stunden, fand sich, dasz ihre sämmtlichen Tentakeln stark eingebogen waren.

Alles zusammengenommen experimentirte ich mit den oben genannten stickstoffhaltigen Flüssigkeiten an vier und sechzig Blättern, wobei ich die fünf Blätter, welche ich mit der äuszerst schwachen Auflösung von Hausenblase probirte, nicht mitzähle, ebensowenig wie die zahlreichen später angestellten Versuche, von denen ich keine genauen Berichte bewahrt habe. Von diesen vier und sechzig Blättern waren bei drei und sechzig die Tentakeln und häufig auch die Blattscheiben ordentlich eingebogen. Das eine, welches keine Wirkung erkennen liesz, war wahrscheinlich zu alt und torpid. Um aber ein so groszes Verhältnis erfolgreicher Fälle zu erlangen, musz man Sorgfalt anwenden, junge und lebenskräftige Blätter auszuwählen. Blätter in einem solchen Zustande wurden mit gleicher Sorgfalt für die ein und sechzig Versuche mit nicht-stickstoffhaltigen Flüssigkeiten (ohne Einschlusz des Wassers) ausgewählt; und wir haben gesehen, dasz kein einziges derselben auch nur im geringsten Grade afficirt wurde. Wir dürfen daher ruhig schlieszen, dasz in den vier und sechzig Experimenten mit stickstoffhaltigen Flüssigkeiten die Einbiegung der äuszeren Tentakeln eine Folge der Absorption stickstoffhaltiger Substanz durch die Drüsen der Tentakeln auf der Scheibe war.

Einige von den Blättern, welche von den nicht-stickstoffhaltigen Flüssigkeiten nicht afficirt wurden, wurden, wie oben angegeben worden ist, unmittelbar danach mit Stückchen Fleisch probirt und dadurch als im activen Zustande befindlich nachgewiesen. Auszer diesen Versuchen aber wurden noch drei und zwanzig von den Blättern, auf deren Scheiben noch immer Tropfen von Gummi, Syrup oder Stärke lagen, welche aber im Verlaufe von zwischen 24 und 48 Stunden [73] keine Wirkung hervorgebracht hatten, mit Tropfen Milch, Harn oder Eiweisz geprüft. Von den in dieser Weise behandelten drei und zwanzig Blättern hatten siebzehn die Tentakeln und in einigen Fällen auch die Scheiben ordentlich eingebogen; aber ihre Lebenskräfte waren in etwas beeinträchtigt, denn die Schnelligkeit der Bewegung war entschieden langsamer, als wenn frische Blätter mit diesen selben stickstoffhaltigen Flüssigkeiten behandelt wurden. Diese Beeinträchtigung dürfte ebenso wie die Unempfindlichkeit von sechs jener Blätter einer Beschädigung durch Exosmose zuzuschreiben sein, welche durch die Dichte der auf ihre Scheiben gebrachten Flüssigkeiten verursacht wurde.

Die Resultate einiger weniger anderer Experimente mit stickstoffhaltigen Flüssigkeiten werden zweckmäszig hier noch mitgetheilt werden. Abkochungen einiger Gemüsearten, von denen bekannt ist, dasz sie reich an Stickstoff sind, wurden gemacht; dieselben wirkten wie thierische Flüssigkeiten. So wurden einige wenige grüne Erbsen eine Zeit lang in destillirtem Wasser gekocht; dann liesz man die mäszig dicke, in dieser Weise bereitete Abkochung sich setzen. Tropfen der darüber stehenden Flüssigkeit wurden auf vier Blätter gebracht; und als diese nach 16 Stunden wieder nachgesehen wurden, fand sich, dasz die Tentakeln und Scheiben von allen stark eingebogen waren. Aus einer Bemerkung Gerhardt's[3] schliesze ich, dasz in den Erbsen sich Legumin findet »in Combination mit einem Alkali, eine nicht gerinnbare Lösung bildend« und diese wird sich mit kochendem Wasser vermischen. In Bezug auf die oben verzeichneten und die folgenden Experimente will ich noch erwähnen, dasz nach der Angabe von Schiff[4] gewisse Formen von Eiweisz existiren, welche durch kochendes Wasser nicht coagulirt, sondern in lösliche Peptone verwandelt werden.

Bei drei Gelegenheiten wurden klein geschnittene Kohlblätter[5] in destillirtem Wasser eine Stunde oder fünf viertel Stunden lang gekocht; durch Abgieszen der Abkochung, nachdem man dieselbe sich hatte setzen lassen, wurde eine blasse schmutzig grüne Flüssigkeit erhalten. Tropfen von der gewöhnlichen Grösze wurden auf dreizehn Blätter gebracht. Ihre Tentakeln und Scheiben wurden nach 4 Stunden in einem völlig auszerordentlichen Grade eingebogen. Am nächsten Tage fand sich, dasz das Protoplasma innerhalb der Zellen der Tentakeln in der auf das Schärfste ausgesprochenen Art und Weise zusammengeballt war. Ich berührte auch das klebrige Secret rund um die Drüsen mehrerer Tentakeln mit minutiös [74] kleinen Tröpfchen der Abkochung am Kopfe einer kleinen Stecknadel, und in wenig Minuten waren die Tentakeln eingebogen. Da sich die Flüssigkeit als so kräftig herausstellte, wurde ein Theil mit drei Theilen Wasser verdünnt, und hiervon Tropfen auf die Scheiben von fünf Blättern gebracht; die Wirkung auf dieselben war am nächsten Morgen so stark, dasz ihre Scheiben vollständig übereinander gefaltet waren. Wir sehen hieraus, dasz eine Abkochung von Kohlblättern nahezu oder völlig so wirksam ist, wie ein Aufgusz von rohem Fleisch.

Ungefähr die gleiche Quantität klein geschnittener Kohlblätter und destillirten Wassers wie im letzt erwähnten Experiment wurden 20 Stunden lang in einem sehr warmen Raum gehalten, aber nicht bis nahe an den Siedepunkt erhitzt. Tropfen dieses Aufgusses wurden auf vier Blätter gebracht. Eines derselben war nach 23 Stunden stark eingebogen, ein zweites unbedeutend; bei einem dritten waren nur die dem Rande näher stehenden Tentakeln eingebogen, und das vierte war durchaus gar nicht afficirt. Die Kraft dieses Aufgusses ist daher sehr viel geringer als die der Abkochung, und es ist ganz klar, dasz das Eintauchen der Kohlblätter für eine Stunde in Wasser auf der Temperatur des Siedepunkts viel wirksamer ist, die Substanz, welche Drosera reizt, auszuziehen, als eine viele Stunden lang dauernde Eintauchung in warmes Wasser. Vielleicht wird der Zelleninhalt (wie Schiff in Bezug auf das Legumin bemerkt) dadurch geschützt, dasz die Wände aus Cellulose bestehn und dasz, bis diese durch kochendes Wasser zum Bersten gebracht sind, nur wenig von der eingeschlossenen eiweiszartigen Substanz aufgelöst wird. Aus dem starken Geruch gekochter Kohlblätter erkennen wir, dasz kochendes Wasser eine chemische Veränderung in ihnen hervorbringt und dasz sie dadurch bei weitem verdaulicher und nahrhafter für den Menschen gemacht werden. Es ist daher eine interessante Thatsache, dasz Wasser auf dieser Temperatur eine Substanz aus ihnen auszieht, welche Drosera in einem auszerordentlichen Grade reizt.

Gräser enthalten bei weitem weniger stickstoffhaltige Substanz als Erbsen oder Kohlsorten. Die Blätter und Stengel dreier gemeiner Arten wurden klein geschnitten und eine Zeit lang in destillirtem Wasser gekocht. Nachdem diese Abkochung 24 Stunden stehen gelassen worden war, wurden Tropfen davon auf sechs Blätter gebracht; sie wirkten in einer ziemlich eigenthümlichen Art und Weise, von welcher im siebenten Capitel bei Besprechung der Ammoniaksalze noch weitere Beispiele angeführt werden. Nach 2 Stunden und 30 Minuten waren bei vier von den sechs Blättern die Scheiben bedeutend eingebogen, aber nicht die äuszeren Tentakeln; nach 24 Stunden war dasselbe bei allen sechs Blättern der Fall. Zwei Tage später waren die Blattscheiben ebenso wie die wenigen dem Rande näher stehenden Tentakeln, welche eingebogen worden waren, sämmtlich wieder ausgebreitet; auch war um diese Zeit ein groszer Theil der Flüssigkeit auf ihren Scheiben absorbirt. Augenscheinlich reizt daher die Abkochung die Drüsen auf der Scheibe stark und verursacht eine schnelle und bedeutende Einbiegung der Scheibe; aber verschieden von dem, was gewöhnlich eintritt, verbreitet sich der Reiz gar nicht oder nur in einem schwachen Grade auf die äuszeren Tentakeln.

Ich will hier noch hinzufügen, dasz ein Theil Belladonna-Extract [75] (was ich mir von einem Apotheker verschafft hatte) in 437 Theilen Wasser gelöst und Tropfen hiervon auf sechs Blätter gebracht wurden. Am nächsten Tage waren sie alle sechs etwas eingebogen und nach Verlauf von 48 Stunden vollständig wieder ausgebreitet. Es war nicht das in dem Extract enthaltene Atropin, was diese Wirkung hervorbrachte, denn später ermittelte ich, dasz dies völlig wirkungslos ist. Ich verschaffte mir auch Bilsenkraut-Extract (Hyosciamus) aus drei Läden und machte Aufgüsse in derselben Stärke wie vorher. Von diesen drei Aufgüssen wirkte nur einer auf einige der Blätter, an welchen die Versuche gemacht wurden. Obgleich die Apotheker glauben, dasz alles Eiweisz bei der Darstellung dieser Drogen niedergeschlagen wird, so kann ich doch nicht daran zweifeln, dasz etwas Eiweisz gelegentlich darin erhalten wird; und eine Spur schon würde genügen, die empfindlicheren Blätter der Drosera zu reizen.


  1. Schleim aus den Luftwegen soll nach Marshall, Outlines of Physiology, Vol. 11. 1867, p. 364, etwas Eiweisz enthalten.
  2. Müller. Handbuch der Physiologie, 1844. Bd. 1., p. 422.
  3. Watt's Dictionary of Chemistry, Vol. III. p. 568.
  4. Lecons sur la Physiologie de la Digestion, Tom. I. p. 379; Tom. II. p. 154, 166, über das Legumin.
  5. Die Blätter junger Pflanzen, ehe sich das Herz bildet, so wie sie von mir benutzt wurden, enthalten 2,1 Procent albuminöser Substanz, die äuszeren Blätter reifer Pflanzen 1,6 Procent. Watt's Diction. of Chemistry, Vol. 1. p. 653.