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Insectenfressende Pflanzen/Zwölftes Capitel

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aus: Insectenfressende Pflanzen
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von: Charles Darwin
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Zwölftes Capitel.
Über den Bau und die Bewegungen einiger anderen Arten von Drosera.

Drosera anglica. – Drosera intermedia. – Drosera capensis. – Drosera spathulata. – Drosera filiformis. – Drosera binata. – Schluszbemerkungen.

Ich untersuchte sechs andere Species von Drosera, einige von ihnen Bewohner ferner Länder, hauptsächlich zum Zwecke, um zu ermitteln, ob sie Insecten fiengen. Dies schien um so nothwendiger zu sein, als die Blätter von einigen der Arten in einem auszerordentlichen Grade der Form nach von den abgerundeten der Drosera rotundifolia abweichen. In ihrer functionellen Fähigkeit weichen sie indesz sehr wenig von einander ab.

Drosera anglica Hudson[1]. – Die Blätter dieser Species, welche mir von Irland zugeschickt wurde, sind sehr verlängert und verbreitern sich allmählich vom Stiele aus bis zu dem stumpf zugespitzten Spitzenende. Sie stehen beinahe aufrecht und ihre Scheiben sind zuweilen über 1 Zoll lang, während ihre Breite nur 1/3 Zoll beträgt. Die Drüsen aller Tentakeln haben denselben Bau, so dasz die äuszersten randständigen nicht von den andern abweichen, wie es bei Drosera rotundifolia der Fall ist. Wenn sie durch eine derbe Berührung oder durch den Druck äuszerst kleiner anorganischer Körperchen oder durch die Berührung mit animaler Substanz oder durch die Absorption von kohlensaurem Ammoniak gereizt werden, werden die Tentakeln eingebogen; der basale Theil ist der hauptsächliche Sitz der Bewegung. Schneiden oder Stechen der Blattscheibe regte keine Bewegung an. Sie fangen häufig Insecten und die Drüsen der eingebogenen Tentakeln ergieszen viel saure Absonderung. Stückchen gerösteten Fleisches wurden auf einige Drüsen gelegt, und in 1 Minute oder 1 Minute 30 Secunden fiengen die Tentakeln an, sich zu bewegen und erreichten in 1 Stunde 10 Minuten die Mitte des Blattes. Zwei [253] Stückchen gekochten Korks, eines von gekochtem Garn und zwei Stückchen aus dem Feuer genommener Kohlenasche wurden mit Hülfe eines Instruments, welches in kochendes Wasser eingetaucht worden war, auf fünf Drüsen gelegt; diese überflüssigen Vorsichtsmaszregeln waren in Folge der Angaben Ziegler's genommen worden. Eines der Kohlenstückchen verursachte in 8 Stunden 45 Minuten etwas Einbiegung, das andere Kohlenstückchen, das Stückchen Faden und beide Korkstückchen thaten es nach 23 Stunden. Drei Drüsen wurden ein halbes Dutzend mal mit einer Nadel berührt; einer der Tentakeln wurde in 17 Minuten gut einbogen und streckte sich nach 24 Minuten wieder aus; die beiden andern bewegten sich niemals. Die homogene Flüssigkeit innerhalb der Zellen der Tentakeln erleidet Zusammenballung, nachdem dieselben eingebogen worden sind, besonders wenn ihnen eine Lösung von kohlensaurem Ammoniak gegeben wurde; ich beobachtete die gewöhnlichen Bewegungen in den Protoplasma-Massen. In einem Falle folgte Zusammenballung in 1 Stunde 10 Minuten, nachdem ein Tentakel ein Stückchen Fleisch nach der Blattscheibe geschafft hatte. Nach diesen Thatsachen ist es klar, dasz sich die Tentakeln der Drosera anglica so wie die der Drosera rotundifolia verhalten.

Wenn ein Insect auf die centralen Drüsen gebracht wird oder in naturgemäszer Weise dort gefangen worden ist, so rollt sich die Spitze des Blattes einwärts. Es wurden beispielsweise todte Fliegen auf drei Blätter in die Nähe ihrer Basen gelegt, und nach 24 Stunden waren die vorher geraden Spitzen so vollständig eingerollt, dasz sie die Fliegen umfaszten und verbargen; sie hatten sich daher durch einen Winkel von 180° bewegt. Nach drei Tagen fieng die Spitze eines Blattes, zusammen mit den Tentakeln, sich wieder auszustrecken an. So weit ich es aber gesehen habe, – und ich habe viele Versuche gemacht, – sind die Seiten des Blattes niemals eingebogen, und dies ist der eine functionelle Unterschied zwischen dieser Species und Drosera rotundifolia.

Drosera intermedia Hayne. – Diese Species ist in einigen Theilen von England völlig so gemein wie Drosera rotundifolia. Sie weicht, so weit die Blätter in Betracht kommen, von Drosera anglica nur in deren geringerer Grösze und darin ab, dasz ihre Spitzen allgemein ein wenig zurückgebogen sind. Sie fangen eine grosze Anzahl von Insecten. Die Tentakeln werden durch alle oben einzeln aufgeführten Ursachen zur Bewegung angeregt, und Zusammenballung tritt mit der Bewegung der protoplasmatischen Massen ein. Ich habe durch eine Lupe gesehen, wie sich ein Tentakel in weniger als einer Minute zu biegen begann, nachdem ein Stückchen rohen Fleisches auf die Drüse gebracht worden war. Die Spitze des Blattes rollt sich über einen reizenden Gegenstand in derselben Weise ein wie bei Drosera anglica. Saures Secret wird reichlich über gefangene Insecten ergossen. Ein Blatt, welches eine Fliege mit allen seinen Tentakeln umfaszt hatte, breitete sich nach nahezu drei Tagen wieder aus.

Drosera capensis. – Diese Art, am Vorgebirge der Guten Hoffnung eingeboren, wurde mir von Dr. Hooker geschickt. Die Blätter sind verlängert, entlang der Mitte unbedeutend concav und verschmälern sich nach der Spitze zu, welche stumpf zugespitzt und zurückgebogen ist. Sie [254] erheben sich von einer beinahe holzigen Achse, und ihre gröszte Eigenthümlichkeit besteht in ihren blättrigen grünen Stielen, welche beinahe so breit und selbst noch länger sind als die drüsentragende Scheibe. Diese Species zieht daher wahrscheinlich mehr Nahrung aus der Luft und weniger aus gefangenen Insecten als die anderen Arten der Gattung. Nichtsdestoweniger sind doch die Tentakeln auf der Scheibe zusammengedrängt und sind äuszerst zahlreich, die an den Rändern sind viel länger als die mittleren. Alle Drüsen haben eine und dieselbe Form; ihr Secret ist äuszerst klebrig und sauer.

Das Exemplar, welches ich untersuchte, hatte sich soeben erst von einem schwachen Gesundheitszustande erholt. Dies dürfte es erklären, dasz die Tentakeln sich sehr langsam bewegten, wenn Stückchen Fleisch auf die Drüsen gelegt wurden, und vielleicht auch die Thatsache, dasz es mir niemals gelang, irgend eine Bewegung durch wiederholte Berührung derselben mit einer Nadel zu verursachen. Aber bei allen Arten der Gattung ist dies letztere Reizmittel das wenigst wirksamste von allen. Stückchen von Glas, Kork, Kohlenasche wurden auf die Drüsen von sechs Tentakeln gebracht; und einer allein bewegte sich nach Verlauf von 2 Stunden 30 Minuten. Trotzdem aber waren zwei Drüsen äuszerst empfindlich gegen sehr kleine Dosen von salpetersaurem Ammoniak, nämlich gegen ungefähr 1/20 Minim einer Lösung (ein Theil auf 5250 Theile Wasser), welches nur 1/115200 Gran (0,000562 Milligr.) des Salzes enthielt. Fragmente von Fliegen wurden auf zwei Blätter in die Nähe ihrer Spitzen gelegt; in wenig Stunden umfaszten sie die Tentakeln auf jeder Seite, und in 8 Stunden war das ganze Blatt direct unterhalb der Fliege ein wenig quer gebogen. Am nächsten Morgen, nach 23 Stunden, war das Blatt so vollständig eingerollt, dasz die Spitze auf dem oberen Ende des Stieles lag. In keinem Falle wurden die Seiten des Blattes eingebogen. Eine zerquetschte Fliege wurde auf den blattartigen Stiel gelegt, brachte aber keine Wirkung hervor.

Drosera spathulata (von Dr. Hooker mir geschickt). – Ich habe nur einige wenige Beobachtungen über diese australische Art gemacht, welche lange, schmale, sich allmählich nach der Spitze zu verbreiternde Blätter hat. Die Drüsen der äuszersten randständigen Tentakeln sind verlängert und weichen von den übrigen ab, wie es bei Drosera rotundifolia der Fall ist. Eine Fliege wurde auf ein Blatt gelegt, und in 18 Stunden war sie von den angrenzenden Tentakeln umfaszt. Gummiwasser auf mehrere Blätter getropft, brachte keine Wirkung hervor. Ein Bruchstück eines Blattes wurde in einige Tropfen einer Lösung von einem Theil kohlensauren Ammoniaks auf 146 Theile Wasser eingetaucht; alle Drüsen waren augenblicklich geschwärzt; man konnte sehen, wie der Procesz der Zusammenballung sehr schnell die Zellen der Tentakeln hinabgieng; die Protoplasma-Körnchen vereinigten sich bald zu Kugeln und verschieden geformten Massen, welche die gewöhnlichen Bewegungen darboten. Ein halbes Minim einer Lösung von einem Theil salpetersauren Ammoniaks auf 146 Theile Wasser wurde dann auf die Mitte eines Blattes gebracht; nach 6 Stunden waren einige randständige Tentakeln auf beiden Seiten eingebogen, und nach 9 Stunden trafen sie sich in der Mitte. Auch die seitlichen Ränder des Blattes wurden einwärts gekrümmt, [255] so dasz es einen Halbcylinder bildete; aber in keinem meiner wenigen Versuche wurde die Spitze des Blattes eingebogen. Die obige Dose des salpetersauren Salzes (nämlich 1/320 Gran, oder 0,202 Milligr.) war zu stark, denn im Verlaufe von 23 Stunden starb das Blatt ab.

Drosera filiformis. – Diese nordamericanische Species wächst in Theilen von Neu-Jersey in solchen Massen, dasz sie beinahe den Boden bedeckt. Sie fängt, der Angabe der Mrs. Treat zufolge[2], eine auszerordentliche Anzahl kleiner und groszer Insecten, – selbst grosze Fliegen aus der Gattung Asilus, Nacht- und Tagschmetterlinge. Das mir von Dr. Hooker geschickte Exemplar, welches ich untersuchte, hatte fadenähnliche Blätter, von 6 bis 12 Zoll Länge, mit der oberen Fläche convex und der unteren flach und unbedeutend canellirt. Die ganze convexe Oberfläche bis hinab zu den Wurzeln, – denn es ist kein deutlicher Stiel vorhanden, – ist mit kurzen drüsentragenden Tentakeln bedeckt, wobei die an den Rändern die längsten und zurückgebogen sind. Stückchen Fleisch auf die Drüsen einiger Tentakeln gelegt, bewirkten in 20 Minuten eine unbedeutende Einbiegung derselben; die Pflanze war aber in keinem recht lebenskräftigen Zustande. Nach 6 Stunden bewegten sie sich durch einen Winkel von 90° und erreichten in 24 Stunden die Mitte. In dieser Zeit fiengen die umgebenden Tentakeln an, sich einwärts zu krümmen. Endlich wurde ein groszer Tropfen äuszerst klebriger, leicht saurer Absonderung aus den vereinigten Drüsen über das Fleisch ergossen. Mehrere andere Drüsen wurden mit ein wenig Speichel berührt und die Tentakeln wurden in weniger als 1 Stunde einwärts gebogen und streckten sich nach 18 Stunden wieder aus. Stückchen von Glas, Kork, Kohlen, Garn und Goldblättchen wurden an zwei Blättern auf zahlreiche Drüsen gelegt; in ungefähr 1 Stunde wurden vier Tentakeln gekrümmt und vier andere nach Verlauf von weiteren 2 Stunden 30 Minuten. Es gelang mir nicht ein einziges mal, irgend eine Bewegung durch wiederholtes Berühren der Drüsen mit einer Nadel zu veranlassen, und Mrs. Treat machte um meinetwillen ähnliche Versuche ohne Erfolg. Kleine Fliegen wurden auf mehrere Blätter in die Nähe ihrer Spitzen gelegt, aber die fadenähnliche Scheibe wurde nur bei einer Gelegenheit sehr unbedeutend direct unterhalb des Insects gebogen. Vielleicht deutet dies an, dasz die Scheiben lebenskräftiger Pflanzen sich über gefangene Insecten einbiegen, und Dr. Canby theilt mir mit, dasz dies der Fall ist; die Bewegung kann aber nicht stark ausgesprochen sein, da sie von Mrs. Treat nicht beobachtet wurde.

Drosera binata (oder dichotoma). – Ich bin der Lady Dorothy Nevill für eine schöne Pflanze dieser beinahe gigantischen Species aus Australien sehr verbunden, welche in einigen interessanten Punkten von den bis jetzt beschriebenen abweicht. An diesem Exemplar waren die binsenartigen Stiele der Blätter 20 Zoll lang. Die Blattscheibe theilt sich gabelförmig an ihrer Verbindung mit dem Stiel, und später noch zwei oder dreimal, sich dabei in einer unregelmäszigen Art und Weise umherwindend. Sie ist schmal, nur 3/20 Zoll in der Breite messend. Die eine Scheibe war 7 1/2 Zoll lang, so dasz das ganze Blatt mit Einschlusz [256] des Stengels über 27 Zoll an Länge masz. Beide Flächen sind unbedeutend ausgehöhlt. Die obere Fläche ist mit, in abwechselnden Reihen angeordneten Tentakeln bedeckt; diejenigen in der Mitte sind kurz und dicht zusammengedrängt, diejenigen nach den Rändern zu sind länger, selbst zwei- oder dreimal so lang wie die Scheibe breit ist. Die Drüsen der äuszeren Tentakeln sind von einem viel dunkleren Roth als die der centralen. Die Stiele von allen sind grün. Die Spitze der Blattscheibe ist verschmälert und trägt sehr lange Tentakeln. Dr. Copland theilt mir mit, dasz die Blätter einer Pflanze, welche er einige Jahre lang hielt, allgemein mit gefangenen Insecten bedeckt waren, ehe sie verwelkten.

Die Blätter weichen in keinen wesentlichen Punkten der Structur oder der Function von denen der früher beschriebenen Species ab. Stückchen Fleisch oder ein wenig Speichel auf die Drüsen der äuszeren Tentakeln gebracht, verursachten gut ausgesprochene Bewegung in 3 Minuten, und Stückchen Glas wirkten in 4 Minuten. Die Tentakeln mit den letztern Körperchen streckten sich nach 22 Stunden wieder aus. An einem Stücke eines Blattes, welches in einige wenige Tropfen einer Lösung von einem Theil kohlensauren Ammoniaks in 437 Theilen Wasser eingetaucht war, waren in 5 Minuten alle Drüsen geschwärzt und alle Tentakeln eingebogen. Ein Stückchen rohen Fleisches auf mehrere Drüsen in der mittleren Furche gelegt, war in 2 Stunden 10 Minuten von den randständigen Tentakeln auf beiden Seiten ordentlich eingeschlossen. Stückchen gerösteten Fleisches und kleine Fliegen wirkten nicht ganz so schnell, und Eiweisz und Faserstoff noch weniger schnell. Eines der Stückchen Fleisch erregte so starke Absonderung (welche immer sauer ist), dasz das Secret eine Strecke weit die mittlere Furche hinabflosz und die Einbiegung der Tentakeln auf beiden Seiten verursachte, so weit es sich erstreckte. Stückchen Glas auf die Drüsen in der mittleren Furche gelegt, reizten dieselben nicht stark genug, dasz irgend ein motorischer Impuls zu den äuszeren Tentakeln gesandt worden wäre. In keinem Falle war die Scheibe des Blattes, selbst nicht die verschmälerte Spitze, irgendwie eingebogen.

Auf beiden Flächen der Blattscheibe, der oberen und unteren, finden sich zahlreiche minutiöse, beinahe sitzende Drüsen, welche aus vier, acht oder zwölf Zellen bestehen. Auf der unteren Fläche sind sie blasz purpurn, auf der oberen grünlich. Nahezu ähnliche Organe kommen auf den Blattstielen vor, sie sind da aber kleiner und häufig in einem verschrumpften Zustand. Die minutiösen Drüsen auf der Scheibe können rapid aufsaugen: so wurde ein Stück eines Blattes in eine Lösung von einem Theile kohlensauren Ammoniaks in 218 Theilen Wasser (1 Gran auf 1/2 Unze) eingetaucht, und in 5 Minuten waren sie alle so bedeutend gedunkelt, dasz sie beinahe schwarz waren, auch war ihr Zelleninhalt zusammengeballt. So weit ich es zu beobachten im Stande war, sondern sie nicht aus freien Stücken ab; aber in einer Zeit von zwischen 2 und 3 Stunden, nachdem ein Blatt mit einem Stückchen, mit Speichel angefeuchteten rohen Fleisches gerieben worden war, schienen sie reichlich abzusondern; und diese Schluszfolgerung wurde später noch durch andere Erscheinungen unterstützt. Sie sind daher mit den später zu beschreibenden sitzenden Drüsen an den Blättern von Dionaea und Drosophyllum homolog. In der letzt genannten Gattung sind sie, wie in dem vorliegenden [257] Falle mit Drüsen vergesellschaftet, welche spontan absondern, d. h. ohne dasz sie gereizt werden.

Drosera binata bietet eine andere und noch merkwürdigere Eigenthümlichkeit dar, nämlich die Anwesenheit einiger weniger Tentakeln auf dem Rücken der Blätter in der Nähe ihrer Ränder. Sie sind ihrem Baue nach vollkommen; Spiralgefäsze laufen die Stiele hinauf; ihre Drüsen sind von Tropfen klebrigen Secrets umgeben und sie haben die Fähigkeit der Aufsaugung. Diese letztere Thatsache zeigte sich dadurch, dasz die Drüsen sofort schwarz und das Protoplasma zusammengeballt wurde, als ein Blatt in ein wenig Lösung von einem Theile kohlensauren Ammoniaks auf 437 Theile Wasser gelegt wurde. Diese rückenständigen Tentakeln sind kurz, sie erreichen auch nicht nahezu die Länge der randständigen auf der oberen Fläche; einige von ihnen sind so kurz, dasz sie beinahe in die minutiösen sessilen Drüsen übergehen. Ihre Anwesenheit, Zahl und Grösze variirt an verschiedenen Blättern; sie sind ziemlich unregelmäszig angeordnet. Auf dem Rücken eines Blattes zählte ich einundzwanzig der einen Seite entlang.

Diese rückenständigen Tentakeln weichen in einer wichtigen Beziehung von denen der obern Fläche ab, nämlich darin, dasz sie durchaus keine Fähigkeit sich zu bewegen besitzen, in welcher Weise sie auch gereizt werden mögen. So wurden Stücke von vier Blättern zu verschiedenen Zeiten in Lösungen von kohlensaurem Ammoniak gebracht (ein Theil auf 437 oder 218 Theile Wasser) und alle Tentakeln auf der oberen Fläche wurden bald dicht eingebogen; aber die rückenständigen bewegten sich nicht, obschon die Blätter viele Stunden lang in den Lösungen gelassen wurden und obgleich ihre Drüsen, ihrer schwarzen Färbung nach zu urtheilen, offenbar etwas von dem Salz absorbirt hatten. Für derartige Versuche sollten ziemlich junge Blätter ausgewählt werden; denn wenn die rückenständigen Tentakeln alt werden und zu verwelken beginnen, neigen sie sich häufig spontan nach der Mitte des Blattes zu. Hätten diese Blätter die Fähigkeit der Bewegung besessen, so würden sie dadurch der Pflanze nicht nutzbarer geworden sein; denn sie sind nicht lang genug, um sich um den Rand des Blattes herum zu biegen, so dasz sie ein auf der oberen Seite gefangenes Insect erreichen könnten. Auch würde es von keinem Nutzen gewesen sein, wenn sich diese Tentakeln nach der Mitte der unteren Fläche zu hätten bewegen können; denn dort finden sich keine klebrigen Drüsen, mit welchen Insecten gefangen werden könnten. Obgleich sie nicht die Fähigkeit der Bewegung haben, so sind sie wahrscheinlich dadurch von etwas Nutzen, dasz sie aus irgend einem minutiösen Insect, welches etwa von ihnen gefangen wäre, animale Substanz aufsaugen, und dasz sie Ammoniak aus dem Regenwasser absorbiren. Aber ihre schwankende Anwesenheit und Grösze und ihre unregelmäszige Stellung weisen darauf hin, dasz sie nicht von bedeutendem Nutzen sind und dasz sie sich dem Verkümmern zuneigen. In einem spätern Capitel werden wir sehen, dasz Drosophyllum mit seinen verlängerten Blättern wahrscheinlich den Zustand eines frühen Urerzeugers der Gattung Drosera repräsentirt; und keine Tentakeln von Drosophyllum, weder die auf der obern, noch diejenigen an der unteren Fläche der Blätter sind nach Reizung einer Bewegung fähig, obschon sie zahlreiche Insecten fangen, welche [258] zur Nahrung dienen. Es scheint demnach, dasz Drosera binata Überreste gewisser vorelterlicher Charactere behalten hat, – nämlich einige wenige bewegungslose Tentakeln auf der Rückseite der Blätter und ziemlich gut entwickelte sitzende Drüsen –, welche von den meisten oder allen übrigen Arten der Gattung verloren worden sind.

Schluszbemerkungen. – Nach dem, was wir nun gesehen haben, kann kein Zweifel darüber bestehen, dasz die meisten oder wahrscheinlich alle Species von Drosera so eingerichtet sind, dasz sie Insecten mit nahezu denselben Mitteln fangen. Auszer den beiden oben beschriebenen australischen Arten wird angegeben[3], dasz zwei andere Arten dieses Landes, nämlich Drosera pallida und Drosera sulphurea, "ihre Blätter mit groszer Rapidität über Insecten schlieszen: dieselbe Erscheinung wird von einer indischen Species, Dr. lunata, und von mehreren der Arten vom Vorgebirge der Guten Hoffnung, besonders von Dr. trinervis dargeboten." Eine andere australische Art, Drosera heterophylla (welche Lindley zu einer besonderen Gattung, Sondera, macht), ist merkwürdig wegen der eigenthümlich geformten Blätter; ich weisz aber nichts von ihrer Fähigkeit, Insecten zu fangen, denn ich habe nur getrocknete Exemplare gesehen. Die Blätter bilden äuszerst kleine abgeplattete Becher, die Stiele sind nicht an dem einen Rande, sondern am Boden derselben befestigt. Die innere Fläche und die Ränder der Becher sind dicht mit Tentakeln besetzt, welche Gefäszfaserbündel einschlieszen, ziemlich verschieden von denen, die ich in irgend welchen andern Arten gesehen habe; denn einige von den Gefäszen sind gestreift und punktirt, anstatt spiral zu sein. Die Drüsen sondern reichlich ab, nach der Menge ihnen anhängenden eingetrockneten Secrets zu urtheilen.


  1. Mrs. Treat hat in "The American Naturalist", December, 1873, p. 705, eine ausgezeichnete Schilderung der Drosera longifolia (was zum Theil ein Synonnym von Drosera anglica ist), Drosera rotundifolia und Drosera filiformis gegeben.
  2. The American Naturalist, December 1873, p. 705.
  3. Gardener's Chronicle, 1874, p. 209.