Ist Radfahren gesund?

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Autor: Friedrich Dornblüth
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Titel: Ist Radfahren gesund?
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aus: Gartenlaube-Kalender für das Jahr 1898, S. 92 ff.
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Entstehungsdatum: 1897
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[1]
Ist Radfahren gesund?
Von Dr. med. Fr. Dornblüth.
(Nachdruck verboten.)

Als gegen Ende des vorigen Jahrzehnts das Radfahren anfing, in Deutschland mehr Anhänger zu finden, sah man von ärztlicher Seite darin vorzugsweise eine neue Art Körperübung, die durch Muskelkräftigung, verstärktes Atmen und ganz besonders durch die Bewegung in freier Luft und Ablenkung von gewohnter und oft übermäßig gesteigerter Kopfarbeit ihren Jüngern mancherlei gesundheitlichen Nutzen gewähren könne.

Durch zweckmäßigere und besonders auch billigere Herstellung der Fahrräder ist das Radfahren inzwischen aus einer Art Sport, der früher nur von wenigen Wohlhabenderen getrieben werden konnte, ein allgemeines Bewegungsmittel für jung und alt, für Mann und Weib geworden, das nicht bloß für Luft und Gesundheit, sondern auch für Geschäfts- und Berufszwecke eine große und immer noch steigende Bedeutung gewonnen hat.

Während in den früheren Jahren sich des Zweirads fast nur junge Männer bedienten, die durch körperliche Kräfte und Gewandtheit dazu vorgebildet waren und deshalb auch besträchtliche Anstrengungen nicht nur ohne Schaden, sondern mit Nutzen für ihren Gesundheit und Leistungsfähigkeit überwinden konnten, radelt jetzt alles – Junge und Alte, Schwache und Rüstige, Männlein und Weiblein, Dicke und Dünne. Es ist daher kein Wunder, daß man auch allmählich Gefahren kennen gelernt hat, die früher nicht zu Tage traten. Bei übertriebenem Sport und wenn das Radfahren von weniger kräftigen und vorgebildeten Personen betrieben wird, kann es der Gesundheit verschiedene, teilweise recht ernste Gefahren bringen. Die medizinische Litteratur und eingehende Verhandlungen ärztlicher Vereine legen davon Zeugnis ab. Anderseits aber hat man gesundheitliche Vorteile gefunden, an die man in den Anfangszeiten des Radfahrens gar nicht gedacht hat. Wenn zum Beispiel noch vor wenig Jahren als Hauptvorzug des Radfahrens hervorgehoben werden konnte, daß allerlei schädliche Folgen des Stubensitzens und mangelnder Körperbewegung, wie übermäßiger Fettansatz und gestörte Unterleibsfunktionen, durch Uebung des Radfahrens auf die leichteste und angenehmste Art ausgeglichen werden könnten, so weiß man heute, wie unter anderen Professor H. Buchner in der Allgemeinen Versammmlung deutscher Naturforscher und Aerzte (Frankfurt a. M. 1896) aussprechen konnte, daß der zweckmäßigen Steigerung der Muskelthätigkeit mit ihrem Einfluß auf Atmung und Blutbewegung auch noch die Stärkung der allgemeinen Widerstandskraft gegen krankmachende Einflüsse verschiedenster Art zukommt.

Die gesteigerte Muskelthätigkeit erheischt mehr Zufuhr von Sauerstoff, der in den Lungen aufgenommen und durch das Blut den Muskeln zugeführt wird, wo seine Verbindung von Kohlenstoff und Sauerstoff zu Kohlensäure und Wasser eben die bewegenden Kräfte erzeugt. Kohlensäure und Wasser werden wiederum, erstere hauptsächlich durch die Lungen, letzteres vorzugeweise durch die Haut, aus dem Körper ausgeschieden. Um den arbeitetenden Muskeln mehr von jenen Brennstoffen zuzuführen und sie gleichzeitig von den mehr erzeugten Verbrennungsstoffen zu befreien, muß das Blut in breiterem und schnellerem Strome durch die sich erweiternden Adern der Muskeln sowohl, als auch der Lungen hindurchströmen, während letztere gleichzeitig mehr und rascher gewechselte Luft darzubieten haben. Beides geschieht unabsichtlich und unbewußt durch stärkere Erregung der beteiligten Nerven in unmittelbarer Folge der stärkeren Muskelthätigkeit, und beiden kann in gewissem Grade durch schnellere Herz- und Atembewegungen geschehen. Doch nur in gewissem Grade, weil die betreffenden Organe dabei sehr stark angestrengt werden und dadurch bald die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht wird, die ohne Schaden nicht überschritten werden darf.

Wie bei anderen Körperanstrengungen, namentlich beim Laufen, kann und soll auch beim Radfahren das Luftbedürfnis leichter und ausdauernder auf andere Art befriedigt werden, nämlich durch tiefere und längere Atemzüge. Diese schaffen mehr Luft in die Lungen und bewirken mit verhältnismäßig geringerer Anstrengung einen weit größeren Luftwechsel; zugleich erleichtern sie neben der stärkeren Entfaltung der ganzen Lunge das Durchströmen des Blutes, so daß auch das Herz durch ausgiebigere Bewegungen und ebenfalls verhältnismäßig geringeren Anstrengungen größere Blutmengen bewegen und dadurch den Blutstrom erweitern und beschleunigen kann.

Kurzatmigkeit und Herzklopfen zeigen bei körperlichen Anstrengungen in jedem Falle an, daß die Grenzen der Leistungsfähigkeit erreicht oder sogar überschritten sind, und stellen sich [2] natürlich um so früher, je kleiner die Atmungsfläche und Ausdehnsamkeit der Lunge, je schwächer das Herz und je ärmer das Blut an den zur Aufnahme und zum Transporte des Sauerstoffs dienenden roten Blutkörperchen ist.

Brust- und Herzschwache, Blutarme und Bleichsüchtige dürfen deshalb das Radfahren, wie andere anstrengende Bewegungen überhaupt, nicht oder wenigstens nur unter Vermeidung jeder erheblichen Kraftaufwendung unternehmen, müssen es aber stets einstellen, sobald eine erhebliche Beschleunigung der Atemzüge und Herzschläge eintritt.

Gesteigertes Luftbedürfnis veranlaßt zunächst, daß der Mund geöffnet wird, um der Atmungsluft weitere Eingangswege zu bieten. Dadurch kommt jedoch die Luft weniger erwärmt, weniger feucht und weniger staubfrei in die tieferen Luftwege, als wenn sie durch die engen, mit blutreichen und feuchten Schleimhäuten ausgekleideten Nasengänge gezogen ist. Austrocknung des Mundes, Schädigungen der Rachenwege, des Kehlkopfs und der Lungen selbst, besonders durch kalte, trockene und staubreiche Luft, namentlich Anschwellung und Entzündung der Mandeln und der Nasenschleimhaut, akute und chronische Rachenkatarrhe sind die Folgen davon.

Zweckmäßige Atemübungen und energischer Wille sind erforderlich, um dies gesundheitswidrige Atmen auszuschließen, hilfreich für bessere Gewöhnung pflegt sich ein Stroh- oder Grashalm oder ein Blatt zwischen den Lippen zu bewähren, das durch Verhütung der Austrocknung der Schleimhäute auch dem quälenden Durstgefühl vorbeugt.

Tief- und Vollatmen ist nur bei aufrechter Körperhaltung möglich, denn nur dann kann beim Einatmen der Brustkorb sich ausgiebig heben und das Zwerchfell sich gehörig senken. Letzteres ist unmöglich, wenn durch vorgebeugte Haltung der Unterleib zusammengedrückt wird. Die starke Hebung des Brustkorbes in Verbindung mit der Zusammendrückung der luftgefüllten Gedärme und der Spannung der Bauchmuskeln bei richtigem Tiefatmen hat sodann auch ausgiebige Ausatmung durch die Elasticität der gespannten Teile zur Folge. Dies bewirkt nicht bloß, wie schon gesagt, durch Entfaltung der Lungen, sondern auch durch begünstigten Blutzufluß aus den Venen, besonders aus denjenigen des Unterleibs und der unteren Körperteile, eine Erleichterung der Herzarbeit, während beides durch die bei starker Vorbeugung des Oberkörpers eintretende Abknickung der unteren Venen im Zwerchfell geradezu erschwert wird.

Die erschwerte Herzthätigkeit ist es aber gerade, die bei dem durch mangelhafte Uebung, Berganfahren, bei starkem Gegenwind oder beim Wettrennen sehr anstrengende Radfahren eine Erweiterung der Herzhöhlen mit Schwäche ihrer Wände oder bleibender Verdickung derselben wie derjenigen der großen Schlagadern, ferner Abreißung der Herzklappen oder gar plötzliche Ohnmacht und selbst den Tod durch Herzlähmung erzeugen kann und thatsächlich oft erzeugt.

Diese so überaus schädliche und oft gefährliche Ueberanstrengung des Herzens wird also durch ruhiges Fahren, gute Körperhaltung und Tiefatmen bei geschlossenem Munde wesentlich vermindert; sehr beschleunigtes Atmen, Kurzatmigkeit und Herzklopfen sind jedenfalls ernste Mahnungen zur Vorsicht und zum Einstellen der Anstrengung!

Zur aufrechten Körperhaltung ist richtige Konstruktion des Fahrrades unumgänglich; namentlich die Lenkstange muß so hoch sein, daß sie in aufrechter Stellung bequem gehandhabt werden kann, und der Sitz muß so beschaffen sein, daß er nicht nur den für die Tretbewegungen günstigsten, also auch nach der Länge der Beine zu bemessenden Abstand von den Trittbrettern hat, sondern auch das Sitzen so gestattet, daß weder Druck noch Reibung stattfinden kann.

Die Kleidung des Radfahrers darf selbstverständlich weder das Atmen und die Blutbewegung, noch die Bewegungen der Gliedmaßen irgendwie erschweren. Enge Gürtel, Korsetts und dergleichen mehr sind demnach ebenso auszuschließen wie enge Kragen und Halstücher, ringförmige Strumpfbänder u. s. w., mögen sie auch durch Elasticität den Schein der Nachgiebigkeit und Unschädlichkeit erwecken.

Auch soll die Kleidung so durchlässig für die Luft sein, daß sie der Wärmeabgabe und Verdunstung von der Haut, die durch die Muskelthätigkeit wesentlich gesteigert werden, keine Hindernisse bereitet. Für Ruhepausen, wo Wärmeabgabe und Wasserverdunstung infolge der vorausgegangenen Muskelarbeit noch fortdauernd gesteigert sind, während der Wärmeerzeugung schnell zurückgeht, sind wärmere Umhüllungen, sowie Vorsicht gegen erkältende Winde und niedrige Temperaturen notwendig. Abhärtung der Haut gegen Kälteeinflüsse durch kalte Waschungen, Bäder etc. ist aber daneben höchst wünschenswert.

[3] Die starke Wasserverdunstung beim Radfahren macht Ersatz nötig und reizt – unterstützt durch Austrocknung der Mund- und Halsschleimhaut – das Verlangen nach kaltem Getränk. Ein Glas kaltes Wasser, wenn es nicht zu hastig hinuntergestürzt wird, bringt dem Durstenden nach vieltausendfältigen Erfahrungen bei fortgesetzter Bewegung keinen Schaden, sondern schützt vor Ueberhitzung und deren Folgen, namentlich vor dem Hitzschlag oder Sonnenstich. Ein Uebermaß von kaltem Getränk schadet durch rasche Abkühlung und ladet nach Aufnahme der beträchtlichen Flüssigkeit in das Blut dem Herzen größere Arbeit auf, als es ohnehin bei gesteigerter Körperarbeit zu leisten hat. Der im Bier enthaltene Alkohol aber ist ebensowenig wie der im Wein, Cognak und in anderen geistigen Getränken vorhandene ein Stärkungsmittel, sondern lediglich ein Anregungsmittel von rasch vorübergehender Wirkung auf die Nerven, dem sicher in kürzester Frist um so größere Ermüdung und Erschlaffung nachfolgen. Radfahrer wie Fußwanderer und Bergsteiger haben alle Ursache, vor diesen gefährlichen falschen Freunden sich zu hüten.

Als Heilmittel gegen krankhafte Zustände wird das Fahrrad natürlich von zahlreichen Enthusiasten angepriesen. Daß es stark auf den Körper und seinen Haushalt einwirkt und deshalb Vorteile bringen kann, wenn es richtig angewendet wird, ist unzweifelhaft; ebenso unzweifelhaft ist es aber auch, daß es aus denselben Grunde auch außerordentlich schaden kann. Dies für jeden Einzelfall zu beurteilen und demnach das Fahrrad zuzulassen und die Art der Benutzung vorzuschreiben, ist Sache des kundigen Arztes. Wer sich selbst und seine Angehörigen vor Schaden bewahren will, hüte sich vor unberufenen Ratgebern. Das Radfahren ist nur gesund, wenn es richtig betrieben wird!