Italienisches Volkstheater

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Titel: Italienisches Volkstheater
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 291–292
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[285]

Im italienischen Volkstheater.
Nach dem Gemälde von P. Massani.
Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München

[291] Italienisches Volkstheater. (Zu dem Bilde S. 285.) Pulcinella rückt vor mit weitausgespreizten Beinen, lehnt, in der Haltung eines Imperators, den Kopf zurück, weist mit durchbohrendem Zeigefinger auf den Endpunkt seiner schwarzen, krummen Adlernase und spricht, der Pyramiden seines großen Vorbildes gedenkend, mit napoleonischem Pathos: „Drei Jahrtausende schauen von der Spitze dieser meiner Nase auf Euch nieder!“ Bei Pulcinella kommt es durchaus nicht darauf an, was er sagt, sondern wie er's sagt; gelacht wird, auch wenn er gar nichts sagt, und so folgt ein schallendes Gelächter dem „großen historischen Witz“, den vielleicht kein Dutzend der Zuhörer verstanden hat.

Der Witz aber ist eine Wahrheit: diese Nase und der sie auf seiner schwarzen Halbmaske mit Würde trägt, sind beide tatsächlich drei Jahrtausende alt. Schon bei den „alten“ Oskern in Unteritalien stand sie und der durch sie ausgezeichnete dummköpfige, gefräßig lüsterne, grotesk-komische Maccus derblustigen Atellanischen Posse in hohen Ehren; noch die vornehmen römischen Kaiser haben als Kinder an den drolliggroben Späßen des Maccus und Pappus und Bucco ihre helle Freude gehabt. Später freilich hatten die Reuter mit dem vielen Blute sich den Magen verdorben. sie hörten mit einem Male aus zu lachen. Lange dauerte es, ehe der italienischen Welt die Freude an der Schönheit und die Lust und die Erlaubniß zum Lachen wiederkehrte. Lorenzo de' Medici fing an, unter ihm kamen sie wieder aus ihren Löchern hervor, verstaubt anfangs und schüchtern, jene altatellanischen Figuren. Ihre Namen änderten sie und modernisirten den Schnitt ihrer Gewänder, aber das alte „böse Maul“ , die dialektgewandte Zunge war ihnen geblieben und sie blieben nun auch und wurden in den späteren trüben Zeiten der Gedankenunterdrückung die Träger der Gedanken des Landes und des Volkes, das durch sie sprach, in ihnen sich selbst verspottete und verhöhnte und sich selbst beglückwünschte und auspfiff oder, harmloser, über sich selbst lachte.

Als sie alle noch beisammen waren, da war es eine stattliche Schar, welche die Halbinsel durchzog: lustig klingen ihre meist verschollenen Namen an unser Ohr. Pantaleone, Arlechino, Coviello, Doctor Graziano, Scaramuccio, Tartaglia, Ardighiello, Sandrone, Beltrame, Brighella, Trufaldino u. a. m. Nur vier, die letzten vier von dem lustigen Regiment, [292] sind übrig geblieben: der mailändische Meneghin, der turinesische Gianduja, der florentinische Stentorello und der neapolitanische Pulcinella. –

Fünf Soldi! Eine halbe Lira! Dafür zwei Stunden lang lachen, und dann in lustiger Gesellschaft in dieser oder jener Taberna, Trattoria, Cantina oder Osteria mit einem strohumflochtenen Fiaschetto kosen zu können, das ist wohlfeil genug. Das Haus – wir sind in Florenz, auf der Via de’ Cecchi, im Teatro Nazionale, das auf der klassischen Stätte des Theaterchens der „Quarconia“ in den vierziger Jahren errichtet ward – das Haus ist gefüllt, daß kein Apfel zur Erde kann, meist von Leuten aus dem Arbeiterstand; sie lachen aus schwarzen Augen und lachen italienisch und bezeigen lebhafter ihren Beifall als das Publikum jenseits der Alpen. „Eingekeilt“ sitzen sie, wie man auf den schrecklichen Bildern an manchem Dorfeingange in Italien die armen Seelen im Fegefeuer sitzen sieht, und dort wie hier fehlt es an dem tröstlichen Pfäfflein nicht, das die Leiden seiner Schäfchen ebenso freimüthig theilt wie die Freuden derselben und, wenn die Späße da unten gar zu weltlich werden, immer die Ausflucht einer kräftigen Prise bereit hat. W. K.