Jugendleben und Wanderbilder/Band 2 Brief aus Karlsbad 1821

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von: Johanna Schopenhauer
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Brief aus Karlsbad 1821.


Den 13. Juli 1821.


Da wären wir nun! zwar gewaltig zerrüttelt, zerstoßen, an allen Gliedern wie gelähmt, aber doch, was uns selbst sonst unglaublich dünkt, ohne Hals und Beine gebrochen zu haben, sogar ohne nur ein einziges Mal umgeworfen zu sein.

Wahrlich, von allen bösen wunderlichen Wegen, auf welchen Schicksal und Postillone uns durch diese Welt führen, ist der von Jena über Schleiz und Hof einer der ärgsten! Noch immer überläuft mich ein Schauder, wenn ich der spitzen Steine gedenke, auf welche wir jeden Augenblick hingeworfen zu werden befürchten mußten, oder auch der fast bodenlosen sumpfigen Stellen, wo wir Gefahr liefen, mit Pferden und Wagen stecken zu bleiben; und ging es auch einmal ein Weile rasch vorwärts, Hilf Himmel! was gab es da für ganz unbarmherzige Stöße! Wie bedauerten wir es nicht, lieber den Weg über Leipzig oder Dresden gewählt zu haben, wo eine vortreffliche [310] Chaussee durch die schönsten lachendsten Gegenden von Sachsen und Böhmen, bequem und gefahrlos zum Ziele geführt hätte! Freilich wohl auf einem Umwege von funfzehn bis sechzehn Meilen wenigstens, aber es rollt sich dort so schnell hin, daß man nicht viel mehr Zeit braucht als auf diesem Angstwege, wo oft in mehr als zwei Stunden kaum eine Meile zurückgelegt werden kann. Dabei darf man durchaus nicht wagen spät zu fahren, denn die Nacht ist nirgends weniger des Menschen Freund als auf solchen Wegen.

Anfangs suchte ich zwar mir und meinen Leidensgefährten im Wagen dieses Rütteln und Stoßen als eine zum Gebrauch der böhmischen Bäder heilsame Vorkur darzustellen, welche in der fünf oder sechs Herren Länder, durch welche wir mußten, zu unserm Besten veranstaltet sei, doch mein Bestreben wollte nicht gelingen, wider Willen wurden wir nach und nach sehr ernsthaft, und unser Gespräch drehete sich zuletzt bloß um die Unbilligkeit, gerade diesen Weg so zu vernachlässigen, den alljährlich zu bestimmten Zeiten Hunderte von Brunnengästen befahren, die nicht nur wie wir auch reichlich Chausseegeld, Pflastergeld und Geleit bezahlen müssen, sondern auch sonst noch dem Lande und seinen Bewohnern guten Nutzen [311] bringen. Daß dies der Fall sei, bewiesen uns die vielen großen, wohl eingerichteten Gasthöfe, die wir unterwegs antrafen.

Die gute, über unsre Erwartung gute Bewirthung, welche wir überall fanden, wo wir einkehrten, erhielt uns noch einigermaßen bei Kräften und leidlichem Humor. Die Sonne in Schleiz, der goldene Hirsch in der Vorstadt von Hof, würden auch in größern Städten für ausgezeichnet gute Gasthöfe gelten; in beiden findet man Reinlichkeit und Alles, was dazu gehört, um mit Recht sagen zu können: qu’on est heureux de trouver en voyage un bon repas et surtout un bon lit! und alles dies obendrein zu sehr mäßigem Preise.

Auch in dem, während früherer Unwirthlichkeit so verrufenen Städtchen Asch ist jetzt im Posthause ein großer Gasthof eben im Beginnen, mit dem wir den Umständen nach ganz zufrieden waren, und dessen Besitzer den besten Willen zeigt, es im künftigen Jahre noch weit besser zu machen.

Den elegantesten Gasthof aber, der sich den besten in Deutschland zugesellen darf, trafen wir in Franzensbrunnen in dem neu erbaueten Hotel, am Anfange der Hauptstraße, dem Lustwäldchen gegenüber, und auch hier eine Billigkeit im Preise, wie wir sie [312] in einem Brunnenorte kaum erwartet hätten, besonders wenn wir uns dabei des goldenen Schildes in Karlsbad oder der Töpferschenke in Töplitz erinnerten, wo man um dreimal so viel Geld nicht halb so gut bedient wird.

Franzensbrunnen selbst fand ich, nach fünfjähriger Abwesenheit, ungemein vergrößert und verschönert. Der ganze Ort bestand noch vor zwanzig Jahren nur aus zehn bis zwölf hübschen Häusern, die jetzt einen Theil der sehr schönen Hauptstraße bilden. Doch an diese haben sich nun lange Reihen breiter schnurgerader Straßen, mit zum Theil recht schönen Gebäuden angeschlossen, die dem Ort, der sonst wie eine kleine Herrnhuther-Kolonie aussah, das Ansehen einer bedeutenden Stadt geben. Diese Stadt steht freilich in diesem Augenblick noch da, als sei sie nagelneu auf den Kauf verfertigt, und erwarte ihren Käufer. Die wenigen Brunnengäste, welchen man hin und wieder einzeln begegnet, sehen noch sehr gelangweilt aus, sie machen die wunderliche Einsamkeit dieser Masse von Häusern nur noch auffallender, deren größtentheils in Eger ansässigen Eigenthümer sehnsüchtig dem Zeitpunkte ihrer Erndte entgegensehen. Diese wirklich für sie goldene Zeit, in welcher mit Dukaten aufgewogen wird, was man jetzt für wenige [313] Papiergulden haben kann, tritt jedoch eigentlich nur mit dem Ende des Juli- und Anfang des Augustmonates ein. Indessen die Mode, welche sonst fast jeden Karlsbader Brunnengast nach Franzensbrunnen zur Nachkur sandte, ist im Sinken, und da auch die Najade von Marienbad als mächtige Nebenbuhlerin ihrer älteren Schwestern auftritt, so könnte das vor wenigen Jahren noch zu kleine Franzensbrunnen vielleicht bald wieder zu groß werden.

Die Chaussee von Franzensbrunnen fanden wir trotz des Regenwetters endlich, wie sie in einem christlichen, wohl polizirten Lande sich gehört und gebührt. Wie ein Kind freuete ich mich auf die Einfahrt in Karlsbad, die mir noch von sonst her so lieb und gegenwärtig ist, auf die schönen Felsgruppen mit ihren üppig herabhangenden Kränzen von wilden Rosen, auf die kleinen Kapellen, die blinkenden Kreuze, auf das ganze romantische Gemisch von städtischem, vornehmem Leben, ländlicher Einfachheit und klösterlicher Andacht, welches sonst hier gleich beim Eintritt das Bild dessen mir entgegenbrachte, was in Karlsbad selbst mich erwartete.

Auch hier war Vieles anders geworden; wir waren noch nicht weit über die Egerbrücke hinaus, so schien es mir, als sei Karlsbad uns eine ziemliche [314] Strecke weit entgegen gekommen, denn da die Enge des Thals den baulustigen Einwohnern nicht erlaubt sich sonderlich auszubreiten, so haben sie die Stadt fast um die Hälfte verlängert. Manche jener schönen einzelnen Felsgruppen mußte deshalb theilweise gesprengt werden, um Raum zu schaffen, andere sind durch neuentstandene Häuser dem Auge verborgen. Ringsum an den Bergen hinauf, im Thale, an der Eger, entdeckte ich neue, zum Theil stattliche Gebäude, größtentheils zum Ziel von Lustpartien der Brunnengäste bestimmt. In der Stadt selbst ist jeder dazu einigermaßen schickliche Platz bebauet, fast jedes grüne Gartenfleckchen, und zwar mit zwei bis drei Stock hohen Häusern, wodurch man gar viel vom Anblick der prächtigen Felsen verliert, die Karlsbad so herrlich umfrieden, und die, wenn das so fortgeht, bald nur noch mit den Spitzen über die Masse von Häusern hervorragen werden. Die Häuserreihe der neuen Wiese, am linken Ufer der Töpel, erstreckt auf der andern Seite der Stadt sich auch beinahe bis zum Posthofe, der auf diese Weise, nach einigen Jahren in der Stadt selbst liegen wird, von der er sonst fast eine halbe Stunde weit entfernt lag.

Doch während ich das Alles mit nicht ungetrübtem Empfinden betrachtete, erscholl die Trompete des [315] Thürmers, uns zu begrüßen, das war noch wie sonst, und wir freueten uns herzlich darüber.

Jetzt ist es Abend, und wieder wie sonst ziehen die Stadtmusikanten mit ihrem Tisch und ihren Laternen herbei, um uns durch ein Ständchen zu bewillkommnen. Es ist unmöglich, der Lust zu widerstehen, sich von diesem sanften schmelzenden Gedudele einlullen zu lassen. »Mi rivedrai, ti rivedro! Ja wohl! morgen früh, und den Thürmer auch, wenn ihr kommt Eure Discretion abzuholen.« – So nehmlich heißt hier zu Lande ein Trinkgeld.