Jugendleben und Wanderbilder:Band 1:Kapitel 34

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder
<<<Vorherige Seite
Kapitel 33
Nächste Seite>>>
Kapitel 35
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Vierunddreißigstes Kapitel.

[327] Un homme d’esprit n’en a pas tous les jours!

Gleichzeitig mit der Herzogin von Braunschweig hatte auch der Ritter von Zimmermann sich in Pyrmont eingestellt. Gepudert, frisirt, in vollem Anzuge, fast immer den Hut unterm Arm, mit dem Wladimirorden prangend, mußte ich ihn, noch lange vor dem Morgenliede, sich in der Allee schmiegen, bücken, von einem vornehmen Brunnengast schnell zu einem noch vornehmern übergehen, kurz eine für sein Alter wie für das was er war ganz unpassende Rolle spielen sehen. Doch muß ich auch bekennen, daß er, weit davon entfernt uns Nobody’s darüber zu vernachlässigen, selten einen Morgen vorbeigehen ließ, ohne auch von uns Notiz zu nehmen, und mich in der Allee eine kleine Strecke zu begleiten. Zuweilen suchte er im Laufe des Tages in unsrer Wohnung uns auf, in offnem traulichen Gespräch flogen dann die Stunden an uns vorüber. Er zeigte sich ganz [328] wie ich nach Lesung seines Buchs über die Einsamkeit ihn mir gedacht und in seinem Hause ihn gefunden. Aus Allem ging hervor, daß nicht Wohlgefallen an diesem Treiben, sondern übermäßige Eitelkeit ihn verleitete, sich einer Last zu bequemen, die seinem eigentlichen Wesen durchaus widersprach, was ich ohne inniges Bedauern nicht ansehen konnte.

Mein Wunsch, literarische Notabilitäten kennen zu lernen, fand übrigens in Pyrmont der Befriedigung vollauf, insofern ich mit dem bloßen Anblick ihrer Persönlichkeit mich begnügen wollte. Täglich entdeckte ich neue mir noch unbekannte Brunnengäste, und hörte mit aus Journalen und Büchern mir wohlbekannten berühmten Namen sie nennen. Doch dabei blieb es gewöhnlich, höchstens kam es bis zu einem Gruß beim Begegnen, und einer flüchtigen Frage nach dem gegenseitigen Befinden. Man sah es diesen Männern an, daß das Bedürfniß, nach einem langen arbeitsvollen Winter im Freien sich zu erholen, sie nach Pyrmont geführt, und sie folglich wenig aufgelegt sein konnten, dem hohlen, geräuschvollen, ihnen wenig zusagenden Badeleben sich hinzugeben.

Zwei von diesen, der Buchhändler Nikolai aus Berlin und sein von ihm unzertrennlicher Freund, [329] der Bibliothekar Biester, Herausgeber der Berliner Monatsschrift, hatten sich indessen uns mehr genähert. Nikolai war ein ältlicher, ernster, etwas finster aussehender Mann, was theils von seinem etwas schweren Gehör, theils von den vielen, von beiden Seiten oft mit großer Erbitterung geführten literarischen Fehden herrühren mochte, in welche er in jener Zeit verwickelt war. Doch habe ich im geselligen Umgange nichts weniger als abstoßend oder mürrisch ihn gefunden. Sebaldus Nothanker war die einzige seiner Schriften, die ich gelesen, die besonders durch die kleinen Meisterwerke, mit denen Chodowiecky’s unnachahmliche Laune das Buch ausgestattet hatte, mir interessant geworden war, und bei welchem eigentlich nur der darin vorherrschende Humor mich festhalten konnte, da ich von dem hinter diesem verborgenen tiefen Ernst wenig verstand. Nikolai ließ oft sehr freundlich auf mein unbedeutendes Geschwätz sich ein, doch wohl nur aus höflicher Rücksicht gegen mein Geschlecht; denn daß nicht ich, sondern mein Mann ihn an uns gezogen, ging aus den lebhaften oft die heterogensten Gegenstände erschöpfenden Gesprächen dieser Beiden täglich hervor. Bibliothekar Biester war gewöhnlich der Dritte in ihrem Bunde; doch da in seiner Persönlichkeit [330] wenig Anziehendes für mich lag, so schwebt sein Bild nur in undeutlichen Umrissen meiner Erinnerung vor.

Das Beste hebt jede gute Hausfrau gern bis zuletzt auf, und so will denn auch ich, indem ich im Begriff stehe, von Pyrmont zu scheiden, erst zum Schlusse den Mann nennen, dessen mir höchst liebe und wohlthätige Erscheinung die zerstörende Gewalt der Jahre in meinem Gemüthe nie verlöschen konnte, Justus Möser[1].

Seine patriotischen Phantasien waren zufällig unter die kleine Anzahl von Büchern gerathen, die ich in Oliva vorfand; sie sind für Westphalen geschrieben, ein fernes Land, dessen Einrichtungen und Gebräuche ich nicht kannte; vieles darin mußte mir deshalb unverständlich bleiben, dennoch zog das Buch mich mächtig an, und so lange ich auf dem Lande blieb, ließ ich selten mehrere Tage vergehen, ohne mich in einzelnen Stunden daran zu ergötzen. Wer es kennt, wird dies begreifen, wer es nicht kennt, wird es jetzt schwerlich kennen lernen; es ist zu neu, um durch Alterthümlichkeit anzuziehen, zu alt, um in dieser ganz veränderten Zeit Anklang zu finden.

Der durch das innigste Wohlwollen und den Erguß des heitersten Humors gemilderte Ernst; mit welchem der Verfasser in jenem Buche gegen die [331] Mißbräuche seiner Zeit ankämpft, seine treuherzige, ich möchte sagen väterliche Art, seinen Landsleuten guten, ja den besten Rath in wichtigen Angelegenheiten des Lebens zu ertheilen, die strenge Wahrheitsliebe, welche aus jedem seiner Worte hervorgeht, mußten die allgemeinste Liebe und Achtung derer ihm erwerben, die aus seinem schriftstellerischen Wirken ihn kannten; doch wie sehr wurden diese durch seine persönliche Erscheinung erhöht!

Die Natur hatte mit ihren edelsten Gaben verschwenderisch ihn beglückt, und Kränkung, Kummer, Sorge waren seinem für Anderer Wohl unermüdlich thätigen Leben immer fern geblieben. Er stand, als ich ihn kennen lernte, schon in seinem siebenundsechzigsten Jahr, und hatte noch nie erfahren, was Schmerz und Krankheit sei. Das vollkommenste Ebenmaß seiner ungewöhnlich hohen, vom Alter ungebeugten Gestalt, seine sichere kräftige Art, sich zu bewegen, der zugleich heitere und würdige Ausdruck seines edlen Gesichts, zog alle Herzen zu inniger Verehrung gegen ihn hin, und zeichnete unter Hunderten ihn aus. So war er im Aeußern, das mit seinem Geiste, wie mit seinem Gemüth, in vollkommenster Harmonie stand, wie unsre Welt sie selten aufzuweisen vermag.

[332] Was sein besonderes Wohlwollen auf mich gerichtet, weiß ich nicht, es war wohl nur die Gunst des Augenblicks, aber er gab gern und viel und täglich sich mit mir ab. Wie stolz war ich, wenn die Leute uns Beiden nachsahen, indem wir mit einander die Allee auf- und abspazierten. Seine sehr hohe und meine sehr kleine Gestalt mögen sonderbar genug mit einander kontrastirt haben, auch führte er mich gewöhnlich wie ein kleines Kind an der Hand, weil es mir zu unbequem war, meinen Arm bis zu dem seinigen zu erheben.

God bless the tall gentleman! Gott segne den langen Herrn! Hatten die Londoner Blumen- und Gemüseverkäuferinnen immer ihm nachgerufen, wenn er in London über Covent-garden-market ging.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Justus Möser (* 14. Dezember 1720; † 8. Januar 1794)