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Jugendleben und Wanderbilder:Band 1:Kapitel 39

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Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder
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Neununddreißigstes Kapitel.

[364] Wie ohne Rast die Fluth der leichten Wogen
Sich zitternd regt, im wandelbaren Schaum,
Wie ewig neu der Wolke zarter Flaum
Verschwebend wallt am blauen Himmelsbogen,
So werd’ auch ich unruhig fortgezogen,
Bild folgt auf Bild, und Traum zerrinnt im Traum.

Ernst Schulze.

Der Wind war indessen uns günstig geworden, ein englisches Packetboot lag seegelfertig, wir schifften uns ein. Ich etablirte mich in einem auf dem Verdecke fest gebundenen Lehnstuhle, denn mir grauete vor der schwülen dumpfen Kajüte. Das Wetter war schön, ich freuete mich auf die herrliche Wasserfahrt; aber ach! das Meer behandelte seine Verehrerin nicht freundlich; krank, krank, sterbenskrank, wie ich meinte, war ich bereit, mein Leben für eine Nußschaale hinzugeben, so entmuthigte mich das für den Augenblick trostloseste aller Uebel! Zum Glück währte dieser Zustand nicht lange. Nach wenigen Stunden landeten wir in Dover, und all mein Leid war vergessen.

Wir hatten, um die Kosten und Umständlichkeiten [365] des Einschiffens zu vermeiden, unsern in England ohnehin leicht zu entbehrenden Wagen bis zu unserer Wiederkehr in Herrn Desseins Remise stehen lassen, und traten noch am Tage unserer Ankunft in Dover die Reise nach London in einer Stage coach an. Es war das erste-, und blieb das einzigemal, daß ich in einem solchen, aus meinen englischen Romanen mir wohlbekannten Fuhrwerke mich befand. Sehr gespannt auf alle die interessanten Ereignisse, die mir in demselben begegnen würden, setzte ich recht bequem und erwartungsvoll mich zurecht und erlebte gar nichts, außer daß ich am folgenden Morgen ganz wohlbehalten in London anlangte. Nicht einmal ein Highwayman, von denen es in meinen Romanen doch wimmelte, hatte während dieser prosaischen Nacht sich blicken lassen, und diese jetzt ganz verschollenen irrenden Ritter waren doch damals, sogar noch außerhalb der Zeitungsblätter, in der Nähe von London wirklich vorhanden.

Von Allem, was ich während meines damaligen Aufenthalts in London, und auf unsern kurzen Ausflügen in den Umgebungen der kolossalen Stadt sah und bemerkte, will ich hier nichts erwähnen; was ich von England und Schottland zu sagen weiß, habe ich längst nach einer zweiten weit späteren Reise [366] dem Urtheile der Lesewelt unterworfen, die mit nachsichtigem Wohlwollen es aufgenommen hat.

Ueberdem hatte ich, mir selbst völlig unbewußt, schon von Danzig aus meine Reise in einem Zustande angetreten, in welchem Frauen keine unternehmen sollten, ohne von dringender Nothwendigkeit dazu gezwungen zu werden. Ich befand mich übrigens wohl, aber es wurde mir täglich schwerer, mich mit jener Leichtigkeit von einem Orte zum andern zu bewegen, wie es doch noch ganz vor Kurzem der Fall gewesen war.

Schopenhauer, wie alle angehenden Väter hoffte auf einen Sohn und Erben seines Namens; jeder von ausländischen Eltern in England, ja selbst nur auf einem englischen Schiffe Geborne, wird durch seine Geburt bekanntlich ein Engländer, gewinnt durch sie alle übrigens unerkäuflichen Vorrechte eines solchen, und wird in jeder Hinsicht als ein echter Sohn Albions betrachtet.

Daß mein Mann unserm zu hoffenden Sohne dieses besonders für seine Verhältnisse als Kaufmann sehr bedeutende Vorrecht zu verschaffen wünschte, da die Gelegenheit dazu so vollkommen sich darbot, daß er Alles anwandte, um mich zu bewegen, meine Niederkunft in London abzuwarten, war sehr natürlich; [367] aber auch mir wird wenigstens keine Frau das offene Geständniß verargen, daß es mir diesmal unendlich schwer wurde, mich seinem Wunsche zu fügen.

Erst nach sehr harten Kämpfen mit mir selbst, die ich ganz allein bestand, gelang es mir, mein inneres Widerstreben zu besiegen, die bange Sehnsucht nach der beruhigenden Gegenwart, der wohlthätigen Pflege meiner Mutter in jener mir immer näher rückenden schweren Stunde.

So ergab ich mich denn endlich auf leidlich gute Art dem Willen meines Mannes, dem ich, außer dem, was mich selbst allein betraf, eigentlich nichts Vernünftiges entgegenzustellen wußte; anfangs zwar mit schwerem, dann aber mit durch äußere Veranlassung sehr erleichtertem Herzen.

Die Fertigkeit, mich in der Landessprache mitzutheilen, die leichte und willige Art, mit der ich in ihre Sitten und Gebräuche mich schickte, machten mich bei den Familien, in welche ich eingeführt wurde, zu einem gern gesehenen Gaste, während mein Zustand in einem fremden Lande bei so großer, anscheinend noch an Kindheit grenzenden Jugend, mir die wärmste Theilnahme der älteren Frauen erwarb. Lange Zeit habe ich immer für weit jünger gegolten, als ich es eigentlich war, und obgleich ich damals [368] schon vor zwei Monaten mein einundzwanzigstes Jahr vollendet hatte, so bestanden meine englischen Freundinnen doch darauf, daß ich unmöglich älter sein könne als siebzehn, höchstens achtzehn Jahre.

Von allen Seiten kamen sie mit tröstendem, wahrhaft mütterlichem Zuspruch mir entgegen, suchten meine zu ängstliche Bangigkeit zu bekämpfen, überließen so wenig als möglich mich meinen trüben Gedanken, verhießen mir die Stelle meiner Mutter gewissenhaft und liebend zu ersetzen, mich und mein Kind zu pflegen, mich unter keiner Bedingung zu verlassen, und überdem Alles, was ich sonst noch bedürfe, recht pünktlich zu besorgen. Doctor Meyer, ein deutscher, in London hochgehaltener Arzt, den mein Mann mir zuführte, trug durch seine Theilnahme, seine geistreiche Unterhaltung und das in der Fremde so mächtige und anziehende Band landsmannschaftlicher Verwandtschaft viel dazu bei, mich mit meinem Entschluß völlig auszusöhnen, und ich sah, von allen Seiten mit liebenden Freunden umgeben, jetzt ruhig der Zukunft entgegen.

Die schönen Monate September und October vergingen unter mancherlei Freuden und Genüssen, der düstere November kam herbei mit seinen trüben, nebelvollen Tagen, während welchen man in London [369] oft nur wenige Stunden brennende Kerzen und Lampen entbehren kann, und nun verfiel mein Mann plötzlich in die nämliche ängstliche Sorge um mich, von der ich eben mich losgekämpft hatte.

Meine stille Ergebung in seinen Willen hatte einen weit tieferen Eindruck auf sein Gemüth gemacht, als er es anfangs mir zeigen mochte, die große Theilnahme, die ich überall fand, erweckte in ihm Befürchtungen mit meinem in London-Bleiben verknüpfter Gefahr, die ihn endlich zu dem Entschluß bewogen, alle Pläne für unser noch ungeborenes Kind aufzugeben, um mich nur im Schutz und in der Pflege meiner Mutter zu sehen. Wir hatten jetzt wirklich im wörtlichsten Sinne die Rollen gegenseitig vertauscht und kamen endlich nach vielem Hin- und Widerstreiten überein, daß der damals berühmteste Arzt in London, der bekannte Doctor Hunter, über unser Gehen oder Bleiben entscheiden solle.

Der große Mann erhob sich ein ganz klein wenig in seinem Lehnsessel, beugte beinahe unmerklich das Haupt und lud mit einer Bewegung der Hand uns schweigend zum Niedersitzen ein, als wir sein Zimmer betraten.

Mein Mann setzte die Veranlassung unseres Besuches ihm aus einander, ich schob bescheiden ebenfalls [370] ein paar Wörtchen ein; Doctor Hunter sah forschend mich eine Weile an, als wolle er mich durch und durch sehen, hielt ein paar Augenblicke meine Hand, um meinen Puls zu beobachten und versicherte dann, daß für Frauen in meinem Zustande Bewegung sehr heilsam sei, daß noch nie eine an der Seekrankheit gestorben wäre, und daß wir folglich, sobald es uns bequem sei, die Reise nach dem Continent antreten könnten; nur wolle er uns unmaßgeblich den Rath ertheilen, zu lange Tagereisen zu vermeiden.

Die ganze Verhandlung war in weniger als einer kleinen halben Stunde abgethan, Doktor Hunter steckte die beiden Guineen, die er erhielt, sehr gleichgültig ein und verabschiedete uns eben so höflich als er uns empfangen.

Zwei Guineen war sein festgesetzter Preis für einen in seinem Hause empfangenen Krankenbesuch; für einen außerhalb desselben verlangte und erhielt er das doppelte Honorar.

Und so war denn durch Doctor Hunters Orakelspruch Alles ohne Widerrede entschieden; wir besorgten die nothwendigen Reiseanstalten und, nach einem recht schmerzlichen Abschiede von meinen Londoner Freunden, war ich an einem der letzten Abende des [371] Monats November, jedoch nicht in einer Stage coach, in Dover glücklich angelangt und hinter einer Schüssel voll der größten Austern placirt, die ich jemals früher oder später gesehen. Eine derselben mit einem Schluck zu bewältigen war unmöglich, sie mußten zerschnitten werden und wurden dadurch eben nicht einladender.

Ganz unerwartet wurden wir schon um drei Uhr geweckt, um uns bei plötzlich günstig gewordenem Winde an Bord zu begeben; gewiß eine harte Zumuthung, aber wir mußten ihr folgen.

Als wir bei dem Packetboote anlangten, wollte mein Mann mich nicht auf die gewöhnliche Art hinaufsteigen lassen; es mußte von einem im Hafen liegenden Schiffe ein zu dem Zweck eingerichteter Lehnstuhl geholt werden, um mich hinauf zu ziehen, und als dieser endlich herbeigeschafft worden war, suchte mein Mann durch reichliche Trinkgelder die Matrosen zu bestimmen, sich zuvor herauf ziehen zu lassen, um sich von der Sicherheit der Anstalt und der Stärke der Stricke zu überzeugen, ehe er mich ihnen anvertraute.

Neptuns lustige Söhne erfüllten einer nach dem andern unter lautem Lachen sein Begehren und schienen darin gar nicht ermüden zu wollen. Am Ufer [372] des Meeres, beim Scheine der Laternen, übrigens in dunkler Nacht, gab dies eine Scene, der Darstellung des in diesem Fache unübertrefflichen Zeichners Cruikshank nicht unwerth, die mich unendlich belustigt haben würde, hätte ich mit einiger Bequemlichkeit und nicht vom kalten Nachtwinde durchweht, ihr beiwohnen können.

Endlich war ich glücklich an Bord und in der Kajüte in einem wohl durchwärmten Bette untergebracht; eine englische Dame, die ich in derselben vorfand, nahm sehr menschenfreundlich sich meiner an und setzte sich neben meinem Lager, um mich zu verpflegen, da sie, wie sie versicherte, der Seekrankheit nicht unterworfen sei, indem sie schon zweimal die Reise nach Ostindien bestanden habe.

Das Alles war sehr tröstlich und vortrefflich, so lange das Schiff ruhig lag, doch kaum waren die Anker gelichtet, als meine Pflegerin von Schwindel ergriffen sich fühlte, wenige Minuten darauf lag sie in einem Bette mir gegenüber, fast nicht minder leidend als ich selbst es war.

Der uns übrigens günstige Wind war in Sturm übergegangen, pfeilschnell flogen wir über die wildempörten Wogen hin, und die träge Novembersonne [373] war kaum aufgegangen, als wir nach kaum vier Stunden in Calais landeten.

Unser Wagen wurde aus Monsieur Desseins gastlicher Remise wohlbehalten hervorgezogen, und ich gewann einige Stunden Zeit zum Ausruhen, während die höchst langweiligen und verdrießlichen Verhandlungen im Zollamte abgethan wurden; dann setzten wir unsern Weg fort, um bald ein leidliches Nachtquartier zu erreichen.

In Lille ließ ich ein paar Tage von unsern Freunden wie ein verzogenes Kind mich pflegen; in Lüttich, wo keine uns bekannte Seele lebte, mußte ich, zum Erstenmal seit wenigstens zehn Jahren, einen ganzen Tag im Bette zubringen, weil das schnelle Reisen meine Kräfte erschöpft hatte. Dann ging es nach dem nahen Aachen. Dort verbrannte ich in einem frisch aus der heißesten Quelle geschöpften Glase Wasser aus kindischer Neugier mir die Finger, und verlor darüber einen nicht kostbaren, aber mir sehr werthen Ring; weiter weiß ich für dasmal von der uralten berühmten Kaiserstadt nichts zu bemerken.

Von der vortrefflichen Kunststraße, die jetzt von Köln nach Mainz, längs dem Rhein, durch das Paradies von Deutschland führt, war vor funfzig Jahren noch keine Spur vorhanden; der Weg war [374] theils unfahrbar, theils gefährlich und in keinem Fall uns zu empfehlen. Wir wandten uns also von Aachen geradezu nach Düsseldorf, um von dort aus durch Westphalen den kürzesten Weg nach Berlin einzuschlagen, ohne das, wegen seiner Düsterheit damals verschrieene Köln mit seinen dreihundert Kirchthürmen, welche die Sage der frommen Stadt zuschrieb, zu berühren.

So viel ich von Düsseldorf, das ich seitdem nicht wieder gesehen, mich erinnere, machte die Stadt einen recht freundliche Eindruck auf mich; die berühmte, damals noch nicht nach München abgeführte Bildergallerie war die erste bedeutende, die ich seit Berlin und Potsdam, oder vielmehr überhaupt gesehen, und staunend über den Reichthum, der hier sich mir offenbarte, schlich ich langsam durch die weiten Räume, bis ich vor Rubens’ jüngstem Gerichte stand. Auch dieses weltberühmte Gemälde habe ich seitdem nicht wieder erblickt, aber den gewaltsamen, ich kann sagen fürchterlichen Eindruck, den es auf mich machte, haben die funfzig Jahre, die seitdem verstrichen sind, nicht völlig auslöschen können.

Alle diese wunderseltsam in einander verschlungenen nackten Leiber, verzweifelnder oder zu Paradiesesseligkeit entzückter Menschen, die wilden Teufelsfratzen, [375] die holden Engelsbilder, die alle zusammen rings um das kolossale Gemälde zu einem schauerlichen Kranz sich gleichsam verflechten! ich konnte vor innerem Grauen den Anblick kaum ertragen, und auch nicht mich davon abwenden. Lange hat er wachend und im Traume mich verfolgt. Ich wünsche, das Gemälde jetzt wieder zu sehen, um es in der Wirklichkeit mit dem zu vergleichen, das noch immer meiner Phantasie davon vorschwebt.

Aber wie soll ich es anfangen, um die tragikomischen, oft unüberwindlich, oft unaushaltbar scheinenden Mühseligkeiten unserer ferneren Reise durch Westphalen gebührend zu beschreiben? diese mit großen rohen Feldsteinen überschütteten Straßen, welche die Leute Chausseen nannten, auf welchen wir Tage lang uns fortschleppen lassen mußten, wollten wir nicht zur Abwechselung auf dem daneben hinlaufenden sogenannten Sommerwege bis über die Achse in Koth versinken!

»Ah quel chien de pays!« rief ich an allen Gliedern wie zerschlagen, halb lachend halb weinend mit Voltaire aus, an dessen Bericht von dem Schlosse des Monsieur le baron van Tonderstronkhausen mich hier Alles erinnerte. Hülfreiche Bauern begleiteten uns oft große Strecken weit, um unsern Wagen [376] an recht gefährlichen Stellen vor dem Umfallen zu bewahren, oder mit langen Hebebäumen ihn aus den Löchern zu lüften, in die er versank.


In den jetzt nicht zu umgehenden Nachtquartieren lauschte ich Nächte hindurch dem traulichen Gepiepe gesellig mich umtanzender Mäuse; in den vereinzelt liegenden Posthaltereien, wo wir anhielten, um Pferde zu wechseln und ich aus dem Wagen stieg, um von der langwierigen Session in demselben mich zu erholen, wurde ich jedesmal in die sehr geräumige Küche gleich am Eingange geführt, die zugleich zum Wohnzimmer diente. Mitten in derselben, auf einem sehr wenig erhöheten Herde, brannte ein gewaltiges Torffeuer, über welchem, in an der Decke befestigten eisernen Ketten, ein ziemlich großer offener Kessel hing, in welchem ein schwärzliches Gebräude broddelnd kochte, das die Leute Kaffee nannten. Uebrigens war es unmöglich, hier aufrecht zu gehen oder zu stehen, ohne zu ersticken, denn wegen der unter dem Dache zum Räuchern aufgehängten Schinken und Speckseiten, dem weltberühmten Erzeugniß dieses Landes, war das Gebäude mit keinem Schornsteine versehen, und eine undurchdringlich dicke Rauchsäule senkte bis etwa zwei Ellen über dem Fußboden [377] sich von oben herab, die den ganzen übrigen Raum ausfüllte.

Eine Gesellschaft des Rauches wegen ganz gebückt sitzender Bauern bildete, den Tabakspfeifenstummel im Munde, rings um das Feuer einen Kreis, und hatte auch wohl die Gefälligkeit zusammen zu rücken, um mir in ihrer Mitte ein Plätzchen, wo ich mich erwärmen könne, einzuräumen, wenn die Wirthin sie darum ersuchte.

Und wieder seufzte ich innerlich, ah quel chien de pays! hütete mich aber etwas dem Aehnliches zu äußern, denn die Kaffeegesellschaft sah gar nicht darnach aus, als ob sie geneigt wäre, dergleichen gelassen hinzunehmen.

Dieser Zustand wiederholte sich während mehrerer Tage, denn bei dem jetzt eingetretenen unaufhörlichen Regen und den entsetzlichen Wegen kamen wir nur sehr langsam vorwärts. Mancher andere wirklich tragikomische Unfall, der uns betraf, diente uns mitunter zur erheiternden Abwechselung; so kauften wir zum Beispiel einmal unterwegs einen Hasen, freueten uns der Aussicht auf ein seltenes gutes Souper, und als wir in unserem Nachtquartier anlangten, war im ganzen Orte Niemand aufzutreiben, der dem ehrlichen Lampe das Fell abzuziehen verstand.

[378] Eine in einem guten Bette von Mäusen unbeunruhigt durchschlafene Nacht hatte in Osnabrück mir neue Kräfte verliehen; bei dem Postmeister der nächsten nur drei Meilen entfernten Station, den wir, im Begriff nach Hause zu reisen, in unserm Gasthofe antrafen, bestellten wir Nachtquartier, und ruhten nun getrosten Muthes bis gegen Mittag in Osnabrück aus, in der festen Ueberzeugung, für den Abend auf das vortrefflichste gesorgt zu haben.

Wir reis’ten ab; anfangs ging Alles herrlich bis ungefähr eine Viertelstunde vor der Stadt, dann aber empfing uns die gräßlichste aller westphälischen Chausseen, die unsere Geduld und unsern Wagen bis jetzt auf die Probe gestellt hatten; eine Sammlung der größten ganz unbehauenen sorglos über einander hingeworfener Feldsteine bildete diesen Weg; so mag vor der Schöpfung die Welt ausgesehen haben! Schritt vor Schritt krochen die Pferde vorwärts, bis endlich unser Wagen es müde wurde. Ein heftiger Stoß, ein lauter Krach, und da lagen wir mit einer zerbrochenen Achse, bei einbrechender Nacht und heftig strömendem Regen, mitten im Wege.

Guter Rath war hier theuer, weit und breit kein Gasthof, kein schützendes nicht mit Rauch angefülltes [379] Obdach. Schon machte ich Anstalt, etwas zu verzweifeln; da erschien als rettender Engel der Verwalter eines nahe liegenden adeligen Gutes, den unser gescheuter Postillion ganz in der Stille herbeigeholt hatte, und mit diesem noch ein halb Dutzend rüstiger Knechte. Jetzt war nur noch die Frage, wie ich fortzubringen sei, denn für unsern Wagen war nun gesorgt.

Auch hier wußte der Verwalter Rath; ein wegen seiner außerordentlichen Stärke weit und breit berühmter Mann wurde aus dem Dörfchen herbeigeschafft, um mich ins Schloß zu tragen, wo zwar die Herrschaft nicht mehr anwesend war, der Verwalter aber für diese Nacht uns dennoch unterzubringen versprach. Der Riese kam, groß und breit wie Sankt Christopherus; leicht, als wäre ich eine Feder, trug er bei Laternenschein mich Zitternde auf seinen Armen durch dick und dünn, von herabströmenden Regengüssen umsäuselt. Stark war er, das ist gewiß, und ging unter seiner Last sichern Trittes vorwärts, doch leider war er engbrüstig, wie er mir unterwegs klagte, und mußte deshalb alle acht Schritte ohne sonderliche Auswahl des Platzes mich auf die Füße stellen, um zu verschnaufen. In welchem Zustande ich daher nach allem diesen im Schlosse anlangte, [380] ist leicht zu errathen, das übrigens gar nicht an Tonderstronkhausen erinnerte, sondern alle Bequemlichkeiten uns darbot, die wir vernünftiger Weise wünschen konnten.

Um die Abenteuer dieses abenteuerlichen Tages würdig zu beschließen, mußte auch der einzige Schmied des Dorfes ein paar Stunden vor unserer Ankunft mit Tode abgegangen sein. Ein anderer wurde aus einem ziemlich weit entlegenen Orte herbeigerufen. Er kam am folgenden Morgen, schweißte die zerbrochene eiserne Achse zusammen und verlangte vier Louisd’or für eine Arbeit, die mit halb so viel Thalern überreichlich bezahlt gewesen sein würde.

So en Mylord anglois mitten in Deutschland behandelt zu werden, war uns doch zu viel; mein Mann stritt hin, der Schmied stritt her, endlich trat der Verwalter vermittelnd dazwischen und bestimmte beide Parteien im nächsten Dorfe, wo heute eben Gerichtstag gehalten werde und durch welches ohnehin unser Weg ging, die Sache durch den dortigen Gerichtshalter entscheiden zu lassen.

Bei dicht verschlossenen Fensterladen hielt ich eine Stunde darauf in unserm Wagen vor dem Gerichtshofe, während mein Mann hineinging, umtobt von der muntern Dorfjugend, von unter sich zankenden [381] Weibern laut umschrien, drückte ich ganz still mich in eine Ecke. Endlich kam sogar unter Fluchen der Widersacher mit einem Beile in der Hand, um die eben von ihm reparirte Achse wieder zu zerschlagen, wovon die Umstehenden nur mit großer Mühe ihn zurückhielten; bald darauf wurde der Wagenschlag heftig aufgerissen, Schopenhauer sprang sehr erhitzt herein und wir fuhren ab.

Ah quel chien de pays! rief nun auch er, und diesmal gewiß nicht mit Unrecht. Der Herr Gerichtshalter hatte erklärt, die zusammengeschweißte Achse sei eine Kunstarbeit, die er nicht zu beurtheilen verstehe, wir möchten daher gefälligst im Orte verweilen, bis die gehörige Anzahl Schmiedemeister aus der Umgegend versammelt werden könne, um sie zu taxiren, oder die vier Louisd’or bei ihm einstweilen deponiren, von denen das etwa übrig bleibende uns gewissenhaft nachgeschickt werden solle. Welchen von diesen beiden Vorschlägen mein Mann befolgte, ist wohl keine Frage.

Nach vielen noch erlittenen Püffen und Stößen sahen wir endlich das ersehnte Städtchen Bohmte vor uns; der Postmeister, der schon am vorigen Abende uns erwartet hatte, begegnete uns, erkundigte sich nach der Ursache unsers Ausbleibens und schlug [382] dann einen näheren Fußsteig nach seinem Hause ein, um unsern Empfang vorzubereiten, während wir auf der Landstraße weiter fuhren.

Und wieder gab es einen gewaltigen Stoß, einen Krach, und wieder, wie am gestrigen Abende, nur bei hellem Tage und heiterem Himmel, lagen wir. Die Unglücksachse war ebenfalls an der nämlichen Stelle gebrochen. Diesesmal aber vertrauete ich lieber meinen eignen Füßen und dem stützenden Arm meines Mannes, um die wenigen Schritte bis zum Posthause zurückzulegen.

Das Unangenehmste dabei war, daß wir an diesem Tage nicht weiter fahren konnten, aber wir waren gut aufgehoben, bei guten, freundlichen Leuten. Ach nur zu freundlichen! Der Herr Postmeister kam gleich nach Tische, meinem Manne Gesellschaft zu leisten, die Frau Postmeisterin zu mir, sobald ihre Geschäfte dies erlaubten und brachte noch ein halb Dutzend kleiner niedlicher Postmeisterlein beiderlei Geschlechts mir zur Erheiterung mit. Was konnte ich unter solchen Umständen besseres thun, als unter dem Vorwande recht großer Ermüdung recht frühe zu Bette zu gehen?

Mit diesem Tage waren auch alle Tribulationen beendet, die wir bisher standhaft ertragen; auf leidlichen [383] Wegen erreichten wir bald die westphälische Grenze, kamen durch bekannte, befreundete Städte, und endlich wohlbehalten in Berlin an.

So erging es uns, genau so, ohne alle Uebertreibung, in Westphalen; aber vor funfzig Jahren und in der Reisenden ungünstigsten Jahreszeit, das ist dabei wohl zu erwägen. Die immer höher steigende, überall sich verbreitende Kultur der neueren Zeit, hat gewiß jetzt auch dort Vieles, wenn gleich vielleicht nicht Alles, verändert und verbessert.