Kabale und Liebe/1. Akt
ERSTE SZENE
[3]
MILLER steht eben vom Sessel auf und stellt seine Violoncell auf die Seite. An einem Tisch sitzt FRAU MILLERIN noch im Nachtgewand und trinkt ihren Kaffee.
MILLER (schnell auf- und abgehend): Einmal für alle Mal. Der Handel wird ernsthaft. Meine Tochter kommt mit dem Baron ins Geschrei. Mein Haus wird verrufen. Der Präsident bekommt Wind, und – kurz und gut, ich biete dem Junker aus.
FRAU: Du hast ihn nicht in dein Haus geschwatzt – hast ihm deine Tochter nicht nachgeworfen.
MILLER: Hab ihn nicht in mein Haus geschwatzt – hab ihm’s Mädel nicht nachgeworfen; wer nimmt Notiz davon? – Ich war Herr im Haus. Ich hätt meine Tochter mehr coram nehmen sollen. Ich hätt dem Major besser auftrumpfen sollen – oder hätt gleich alles Seiner Exzellenz dem Herrn Papa stecken sollen. Der junge Baron bringt’s mit einem Wischer hinaus, das muss ich wissen, und alles Wetter kommt über den Geiger.
FRAU (schlürft eine Tasse aus): Possen! Geschwätz! Was kann über dich kommen? Wer kann dir was anhaben? Du gehst deiner Profession nach und raffst Scholaren zusammen, wo sie zu kriegen sind.
MILLER: Aber, sag mir doch, was wird bei dem ganzen Kommerz auch herauskommen? – Nehmen kann er das Mädel nicht – Vom Nehmen ist gar die Rede nicht, und zu einer dass Gott erbarm? – Guten Morgen! – Gelt, wenn so ein Musje von sich da und dort, und dort und hier schon herumbeholfen hat, wenn er, der Henker weiß als was? gelöst hat, schmeckt’s meinem guten Schlucker freilich, einmal auf süß Wasser zu graben. Gib du Acht! gib du Acht! und wenn du aus jedem Astloch ein Auge strecktest und vor jedem Blutstropfen Schildwache ständest, er wird sie, dir auf der Nase, beschwatzen, dem Mädel eins hinsetzen und führt sich ab, und das Mädel ist verschimpfiert auf ihr Leben lang, bleibt sitzen, oder hat’s Handwerk verschmeckt, treibt’s fort. (Die Hand vor der Stirn.) Jesus Christus!
FRAU: Gott behüt' uns in Gnaden!
MILLER: Es hat sich zu behüten. Worauf kann so ein Windfuß wohl sonst sein Absehen richten? – Das Mädel ist schön – [4] schlank – führt seinen netten Fuß. Unterm Dach mag’s aussehen, wie’s will. Darüber guckt man bei euch Weibsleuten weg, wenn’s nur der liebe Gott parterre nicht hat fehlen lassen – Stöbert mein Springinsfeld erst noch dieses Kapital aus - he da! geht ihm ein Licht auf, wie meinem Rodney, wenn er die Witterung eines Franzosen kriegt, und nun müssen alle Segel dran, und drauflos, und – ich verdenk’s ihm gar nicht. Mensch ist Mensch. Das muss ich wissen.
FRAU: Solltest nur die wunderhübsche Billeter auch lesen, die der gnädige Herr an deine Tochter als schreiben tut. Guter Gott! da sieht man’s ja sonnenklar, wie es ihm pur um ihre schöne Seele zu tun ist.
MILLER: Das ist die rechte Höhe! Auf den Sack schlägt man; den Esel meint man. Wer einen Gruß an das liebe Fleisch zu bestellen hat, darf nur das gute Herz Boten gehen lassen. Wie hab ich’s gemacht? Hat man’s nur erst so weit im Reinen, dass die Gemüter topp machen, wutsch! nehmen die Körper ein Exempel; das Gesind macht’s der Herrschaft nach, und der silberne Mond ist am End nur der Kuppler gewesen.
FRAU: Sieh doch nur erst die prächtigen Bücher an, die der Herr Major ins Haus geschafft haben. Deine Tochter betet auch immer draus.
MILLER (pfeift): Hui da! Betet! Du hast den Witz davon. Die rohen Kraftbrühen der Natur sind Ihro Gnaden zartem Makronenmagen noch zu hart. – Er muss sie erst in der höllischen Pestilenzküche der Bellatristen künstlich aufkochen lassen. Ins Feuer mit dem Quark. Da saugt mir das Mädel – weiß Gott, was als für? – überhimmlische Alfanzereien ein, das läuft dann wie spanische Mucken ins Blut und wirft mir die Handvoll Christentum noch gar auseinander, die der Vater mit knapper Not so so noch zusammenhielt. Ins Feuer, sag ich. Das Mädel setzt sich alles Teufelsgezeug in den Kopf; über all dem Herumschwänzen in der Schlaraffenwelt findet's zuletzt seine Heimath nicht mehr, vergisst, schämt sich, daß sein Vater Miller der Geiger ist, und verschlägt mir am End einen wackern ehrbaren Schwiegersohn, der sich so warm in meine Kundschaft hineingesetzt hätte – – Nein! Gott verdamm mich! (Er springt auf, hitzig.) Gleich muss die Pastete auf den Herd, und dem Major – ja ja, dem Major will ich weisen, wo Meister Zimmermann das Loch gemacht hat. (Er will fort.)
FRAU: Sei artig, Miller. Wie manchen schönen Groschen haben uns nur die Präsenter – –
MILLER (kommt zurück und bleibt vor ihr stehen): Das Blutgeld [5] meiner Tochter? – Schier dich zum Satan, infame Kupplerin! – Eh will ich mit meiner Geig auf den Bettel herumziehen und das Konzert um was Warmes geben – eh’ will ich mein Violoncello zerschlagen und Mist im Sonanzboden führen, eh ich mir’s schmecken lass von dem Geld, das mein einziges Kind mit Seel und Seligkeit abverdient. – Stell den vermaledeiten Kaffee ein und das Tobakschnupfen, so brauchst du deiner Tochter Gesicht nicht zu Markt zu treiben. Ich hab mich satt gefressen und immer ein gutes Hemd auf dem Leib gehabt, eh so ein vertrackter Tausendsasa in meine Stube geschmeckt hat.
FRAU: Nur nicht gleich mit der Tür ins Haus. Wie du doch den Augenblick in Feuer und Flammen stehst! Ich sprech ja nur, man müss’ den Herrn Major nicht disguschtüren, weil Sie des Präsidenten Sohn sind.
MILLER: Da liegt der Has im Pfeffer. Darum, just eben darum muss die Sach noch heut auseinander. Der Präsident muss es mir Dank wissen, wenn er ein rechtschaffener Vater ist. Du wirst mir meinen roten plüschenen Rock ausbürsten, und ich werde mich bei Seiner Exzellenz anmelden lassen. Ich werde sprechen zu seiner Exzellenz: Dero Herr Sohn haben ein Aug auf meine Tochter; meine Tochter ist zu schlecht zu Dero Herrn Sohnes Frau, aber zu Dero Herrn Sohnes Hure ist meine Tochter zu kostbar, und damit basta! - Ich heiße Miller.
ZWEITE SZENE
FRAU: Ah guten Morgen, Herr Sekertare! Hat man auch einmal wieder das Vergnügen von Ihnen?
WURM: Meinerseits, meinerseits, Frau Base. Wo eine Kavaliersgnade einspricht, kommt mein bürgerliches Vergnügen in gar keine Rechnung.
FRAU: Was Sie nicht sagen, Herr Sekertare! Des Herrn Majors von Walter hohe Gnaden machen uns wohl je und je das Bläsier, doch verachten wir darum niemand.
MILLER (verdrüsslich): Dem Herrn einen Sessel, Frau. Wollens ablegen, Herr Landsmann?
WURM (legt Hut und Stock weg, setzt sich): Nun! Nun! und wie befindet sich denn meine Zukünftige – oder Gewesene? – Ich will doch nicht hoffen – kriegt man sie nicht zu sehen – Mamsell Luisen? [6]
FRAU: Danken der Nachfrage, Herr Sekertare. Aber meine Tochter ist doch gar nicht hochmütig.
MILLER (ärgerlich, stößt sie mit dem Ellenbogen): Weib!
FRAU: Bedauern’s nur, dass sie die Ehre nicht haben kann vom Herrn Sekertare. Sie ist eben in der Mess, meine Tochter.
WURM: Das freut mich, freut mich. Ich werd einmal eine fromme, christliche Frau an ihr haben.
FRAU (lächelt dumm-vornehm): Ja – aber, Herr Sekertare –
MILLER (in sichtbarer Verlegenheit, kneipt sie in die Ohren): Weib!
FRAU: Wenn Ihnen unser Haus sonst irgendwo dienen kann – Mit allem Vergnügen, Herr Sekertare –
WURM (macht falsche Augen): Sonst irgendwo! Schönen Dank! Schönen Dank! – Hem! hem! hem!
FRAU: Aber – wie der Herr Sekertare selber die Einsicht werden haben –
MILLER (voll Zorn seine Frau vor den Hintern stoßend): Weib!
FRAU: Gut ist gut, und besser ist besser, und einem einzigen Kind mag man doch auch nicht vor seinem Glück sein. (Bäurisch-stolz.) Sie werden mich je doch wohl merken, Herr Sekertare?
WURM (rückt unruhig im Sessel, kratzt hinter den Ohren und zupft an Manschetten und Jabot): Merken? Nicht doch – O ja – Wie meinen Sie denn?
FRAU: Nu – nu – ich dächte nur – ich meine, (hustet) weil eben halt der liebe Gott meine Tochter barrdu zur gnädigen Madam will haben –
WURM (fährt vom Stuhl): Was sagen Sie da? Was?
MILLER: Bleiben sitzen! Bleiben sitzen, Herr Secretarius. Das Weib ist eine alberne Gans. Wo soll eine gnädige Madam herkommen? Was für ein Esel streckt sein Langohr aus diesem Geschwätze?
FRAU: Schmäl du, so lang du willst. Was ich weiß, weiß ich – und was der Herr Major gesagt hat, das hat er gesagt.
MILLER (aufgebracht, springt nach der Geige): Willst du dein Maul halten? Willst du das Violoncello am Hirnkasten wissen? – Was kannst du wissen? Was kann er gesagt haben? – Kehren sich an das Geklatsch nicht, Herr Vetter – Marsch du, in deine Küche – Werden mich doch nicht für des Dummkopfs leiblichen Schwager halten, daß ich obenaus woll mit dem Mädel? Werden doch das nicht von mir denken, Herr Secretarius?
WURM: Auch hab' ich es nicht um Sie verdient, Herr Musikmeister. Sie haben mich jederzeit den Mann von Wort sehen lassen, und meine Ansprüche auf Ihre Tochter waren so gut als unterschrieben. [7] Ich habe ein Amt, das seinen guten Haushälter nähren kann, der Präsident ist mir gewogen, an Empfehlungen kann’s nicht fehlen, wenn ich mich höher poussieren will. Sie sehen, dass meine Absichten auf Mamsell Luisen ernsthaft sind, wenn Sie vielleicht von einem adeligen Windbeutel herumgeholt – –
FRAU: Herr Sekertare Wurm! Mehr Respekt, wenn man bitten darf –
MILLER: Halt du dein Maul, sag ich – Lassen Sie es gut sein, Herr Vetter. Es bleibt beim Alten. Was ich Ihnen verwichenen Herbst zum Bescheid gab, bring ich heut wieder. Ich zwinge meine Tochter nicht. Stehen Sie ihr an – wohl und gut, so mag sie zusehen, wie sie glücklich mit Ihnen wird. Schüttelt sie den Kopf – noch besser – – in Gottes Namen wollt’ ich sagen – – so stecken Sie den Korb ein und trinken eine Bouteille mit dem Vater – Das Mädel muss mit Ihnen leben – ich nicht – warum soll ich ihr einen Mann, den sie nicht schmecken kann, aus purem klarem Eigensinn an den Hals werfen? – Dass mich der böse Feind in meinen eisgrauen Tagen noch wie sein Wildbret herumhetze – dass ich’s in jedem Glas Wein zu saufen – in jeder Suppe zu fressen kriege: Du bist der Spitzbube, der sein Kind ruiniert hat!
FRAU: Und kurz und gut – ich geb meinen Konsens absolut nicht; meine Tochter ist zu was Hohem gemünzt, und ich lauf in die Gerichte, wenn mein Mann sich beschwatzen lässt.
MILLER: Willst du Arm und Bein entzwei haben, Wettermaul?
WURM (zu Millern): Ein väterlicher Rat vermag bei der Tochter viel, und hoffentlich werden Sie mich kennen, Herr Miller?
MILLER: Dass dich alle Hagel! ’s Mädel muss Sie kennen. Was ich alter Knasterbart an Ihnen abgucke, ist just kein Fressen fürs junge naschhafte Mädel. Ich will Ihnen aufs Haar hin sagen, ob Sie ein Mann fürs Orchester sind – aber eine Weiberseel ist auch für einen Kapellmeister zu spitzig. – Und dann von der Brust weg, Herr Vetter - ich bin halt ein plumper gerader deutscher Kerl – für meinen Rat würden Sie sich zuletzt wenig bedanken. Ich rate meiner Tochter zu keinem – aber Sie missrat ich meiner Tochter, Herr Secretarius. Lassen mich ausreden. Einem Liebhaber, der den Vater zu Hilfe ruft, trau ich – erlauben Sie – keine hohle Haselnuss zu. Ist er was, so wird er sich schämen, seine Talente durch diesen altmodischen Kanal vor seine Liebste zu bringen – Hat er’s Courage nicht, so ist er ein Hasenfuß, und für den sind keine Luisen gewachsen – – Da! hinter dem Rücken des Vaters muss er sein Gewerb an die Tochter bestellen. Machen muss er, dass das Mädel lieber Vater und Mutter zum Teufel [8] wünscht, als ihn fahren lässt, – oder selber kommt, dem Vater zu Füßen sich wirft und sich um Gotteswillen den schwarzen gelben Tod oder den Herzeinigen ausbittet. – Das nenn ich einen Kerl! das heißt lieben! – und wer’s bei dem Weibsvolk nicht so weit bringt, der soll – – auf seinem Gänsekiel reiten.
WURM (greift nach Hut und Stock und zum Zimmer hinaus): Obligation, Herr Miller.
MILLER (geht ihm langsam nach): Für was? Für was? Haben Sie ja doch nichts genossen, Herr Secretarius. (Zurückkommend.) Nichts hört er und hin zieht er – – Ist mir’s doch wie Gift und Operment, wenn ich den Federfuchser zu Gesichte krieg. Ein konfiszierter widriger Kerl, als hätt ihn irgend ein Schleichhändler in die Welt meines Herrgotts hineingeschachert – Die kleinen tückischen Mausaugen – die Haare brandrot – das Kinn herausgequollen, gerade als wenn die Natur für purem Gift über das verhunzte Stück Arbeit meinen Schlingel da angefasst und in irgend eine Ecke geworfen hätte – Nein! eh ich meine Tochter an so einen Schuft wegwerfe, lieber soll sie mir – Gott verzeih mir’s –
FRAU (spuckt aus, giftig): Der Hund! – aber man wird dir’s Maul sauber halten.
MILLER: Du aber auch mit deinem pestilenzialischen Junker – Hast mich vorhin auch so in Harnisch gebracht - Bist doch nie dummer, als wenn du um Gotteswillen gescheit sein solltest. Was hat das Geträtsch von einer gnädigen Madam und deiner Tochter da vorstellen sollen? Das ist mir der Alte. Dem muss man so was an die Nase heften, wenn’s morgen am Marktbrunnen ausgeschellt sein soll. Das ist just so ein Musje, wie sie in der Leute Häusern herumriechen, über Keller und Koch räsonnieren, und springt einem ein nasenweises Wort übers Maul – Bumbs! haben’s Fürst und Matress und Präsident, und du hast das siedende Donnerwetter am Halse.
DRITTE SZENE
LUISE (legt das Buch nieder, geht zu Millern und drückt ihm die Hand): Guten Morgen, lieber Vater.
MILLER (warm): Brav, meine Luise – Freut mich, dass du so fleißig an deinen Schöpfer denkst. Bleib immer so, und sein Arm wird dich halten. [9]
LUISE: O ich bin eine schwere Sünderin, Vater – War er da, Mutter?
FRAU: Wer, mein Kind?
LUISE: Ah! ich vergaß, dass es noch außer ihm Menschen gibt – Mein Kopf ist so wüste – Er war nicht da? Walter?
MILLER (traurig und ernsthaft): Ich dachte, meine Luise hätte den Namen in der Kirche gelassen?
LUISE (nachdem sie ihn eine Zeitlang starr angesehen): Ich versteh ihn, Vater – fühle das Messer, das Er in mein Gewissen stößt; aber es kommt zu spät. – Ich hab keine Andacht mehr, Vater – der Himmel und Ferdinand reißen an meiner blutenden Seele, und ich fürchte – ich fürchte – (Nach einer Pause.) Doch nein, guter Vater. Wenn wir ihn über dem Gemälde vernachlässigen, findet sich ja der Künstler am feinsten gelobt. – Wenn meine Freude über sein Meisterstück mich ihn selbst übersehen macht, Vater, muss das Gott nicht ergötzen?
MILLER (wirft sich unmutig in den Stuhl): Da haben wir’s! Das ist die Frucht von dem gottlosen Lesen.
LUISE (tritt unruhig an ein Fenster): Wo er wohl jetzt ist? – Die vornehmen Fräulein, die ihn sehen – ihn hören – – ich bin ein schlechtes vergessenes Mädchen. (Erschrickt an dem Wort und stürzt ihrem Vater zu.) Doch nein, nein! verzeih Er mir. Ich beweine mein Schicksal nicht. Ich will ja nur wenig – – an ihn denken – das kostet ja nichts. Dies bisschen Leben – dürft ich es hinhauchen in ein leises schmeichelndes Lüftchen, sein Gesicht abzukühlen! – Dies Blümchen Jugend – wär es ein Veilchen, und er träte drauf, und es dürfte bescheiden unter ihm sterben! – Damit genügte mir, Vater. Wenn die Mücke in ihren Strahlen sich sonnt – kann sie das strafen, die stolze majestätische Sonne?
MILLER (beugt sich gerührt an die Lehne des Stuhls und bedeckt das Gesicht): Höre, Luise – das bissel Bodensatz meiner Jahre, ich gäb es hin, hättest du den Major nie gesehen.
LUISE (erschrocken): Was sagt Er da? Was? – Nein! er meint es anders, der gute Vater. Er wird nicht wissen, dass Ferdinand mein ist, mir geschaffen, mir zur Freude vom Vater der Liebenden. (Sie steht nachdenkend.) Als ich ihn das erste Mal sah – (rascher) und mir das Blut in die Wangen stieg, froher jagten alle Pulse, jede Wallung sprach, jeder Atem lispelte: er ist’s! - und mein Herz den Immermangelnden erkannte, bekräftigte, Er ist’s, - und wie das widerklang durch die ganze mitfreuende Welt. Damals - o damals ging in meiner Seele der erste Morgen auf. Tausend junge Gefühle schossen aus meinem Herzen, wie die Blumen aus dem Erdreich, wenn’s Frühling wird. Ich sah [10] keine Welt mehr, und doch besinn’ ich mich, dass sie niemals so schön war. Ich wusste von keinem Gott mehr, und doch hatt’ ich ihn nie so geliebt.
MILLER (eilt auf sie zu, drückt sie wider seine Brust): Luise – teures – herrliches Kind – Nimm meinen alten mürben Kopf – nimm alles – alles! – den Major – Gott ist mein Zeuge – ich kann dir ihn nimmer geben. (Er geht ab.)
LUISE: Auch will ich ihn ja jetzt nicht, mein Vater. Dieser karge Tautropfe Zeit – schon ein Traum von Ferdinand trinkt ihn wollüstig auf. Ich entsag ihm für dieses Leben. Dann, Mutter – dann, wenn die Schranken des Unterschieds einstürzen – wenn von uns abspringen all die verhassten Hülsen des Standes – Menschen nur Menschen sind – Ich bringe nichts mit mir als meine Unschuld, aber der Vater hat ja so oft gesagt, dass der Schmuck und die prächtigen Titel wohlfeil werden, wenn Gott kommt, und die Herzen im Preise steigen. Ich werde dann reich sein. Dort rechnet man Tränen für Triumphe und schöne Gedanken für Ahnen an. Ich werde dann vornehm sein, Mutter – Was hätte er dann noch für seinem Mädchen voraus?
FRAU (fährt in die Höhe): Luise! der Major! Er springt über die Planke. Wo verberg ich mich doch?
LUISE (fängt an zu zittern): Bleib Sie doch, Mutter.
FRAU: Mein Gott! Wie seh ich aus! ich muss mich ja schämen. Ich darf mich nicht vor Seiner Gnaden so sehen lassen. (Ab.)
VIERTE SZENE
Er fliegt auf sie zu – sie sinkt entfärbt und matt auf einen Sessel – er bleibt vor ihr stehn – sie sehen sich eine Zeit lang stillschweigend an. Pause.
FERDINAND: Du bist blass, Luise?
LUISE (steht auf und fällt ihm um den Hals): Es ist nichts. nichts. Du bist ja da. Es ist vorüber.
FERDINAND (ihre Hand nehmend und zum Munde führend): Und liebt mich meine Luise noch? Mein Herz ist das gestrige, ist’s auch das deine noch? Ich fliege nur her, will sehn, ob du heiter bist, und gehn und es auch sein – Du bist’s nicht.
LUISE: Doch, doch, mein Geliebter.
FERDINAND: Rede mir Wahrheit. Du bist’s nicht. Ich schaue [11] durch deine Seele wie durch das klare Wasser dieses Brillanten. (Er zeigt auf seinen Ring.) Hier wirft sich kein Bläschen auf, das ich nicht merkte – kein Gedanke tritt in dies Angesicht, der mir entwischte. Was hast du? Geschwind! Weiß ich nur diesen Spiegel helle, so läuft keine Wolke über die Welt. Was bekümmert dich?
LUISE (sieht ihn eine Weile stumm und bedeutend an, dann mit Wehmut): Ferdinand! Ferdinand! Dass du doch wüsstest, wie schön in dieser Sprache das bürgerliche Mädchen sich ausnimmt –
FERDINAND: Was ist das? (Befremdet.) Mädchen! Höre! wie kommst du auf das? – Du bist meine Luise! Wer sagt dir, dass du noch etwas sein solltest? Siehst du, Falsche, auf welchem Kaltsinn ich dir begegnen muss. Wärest du ganz nur Liebe für mich, wann hättest du Zeit gehabt, eine Vergleichung zu machen? Wenn ich bei dir bin, zerschmilzt meine Vernunft in einen Blick – in einen Traum von dir, wenn ich weg bin, und du hast noch eine Klugheit neben deiner Liebe? - Schäme dich! Jeder Augenblick, den du an diesen Kummer verlorst, war deinem Jüngling gestohlen.
LUISE (fasst seine Hand, indem sie den Kopf schüttelt): Du willst mich einschläfern, Ferdinand – willst meine Augen von diesem Abgrund hinweglocken, in den ich ganz gewiss stürzen muss. Ich seh in die Zukunft – die Stimme des Ruhms – deine Entwürfe – dein Vater – mein Nichts. (Erschrickt und lässt plötzlich seine Hand fahren.) Ferdinand! ein Dolch über dir und mir! – Man trennt uns!
FERDINAND: Trennt uns! (Er springt auf.) Woher bringst du diese Ahndung, Luise? Trennt uns? – Wer kann den Bund zwoer Herzen lösen oder die Töne eines Akkords auseinander reißen? – Ich bin ein Edelmann – Lass doch sehen, ob mein Adelbrief älter ist als der Riss zum unendlichen Weltall? oder mein Wappen gültiger als die Handschrift des Himmels in Luisens Augen: Dieses Weib ist für diesen Mann? – Ich bin des Präsidenten Sohn. Eben darum. Wer als die Liebe kann mir die Flüche versüßen, die mir der Landeswucher meines Vaters vermachen wird?
LUISE: O wie sehr fürcht ich ihn – diesen Vater!
FERDINAND: Ich fürchte nichts – nichts – als die Grenzen deiner Liebe. Lass auch Hindernisse wie Gebürge zwischen uns treten, ich will sie für Treppen nehmen und drüber hin in Luisens Arme fliegen. Die Stürme des widrigen Schicksals sollen meine Empfindung emporblasen, Gefahren werden meine Luise nur reizender machen. – Also nichts mehr von Furcht, meine Liebe. Ich [12] selbst – ich will über dir wachen wie der Zauberdrach über unterirdischem Golde – Mir vertraue dich. Du brauchst keinen Engel mehr – Ich will mich zwischen dich und das Schicksal werfen – empfangen für dich jede Wunde – auffassen für dich jeden Tropfen aus dem Becher der Freude - dir ihn bringen in die Schale der Liebe. (Sie zärtlich umfassend.) An diesem Arm soll meine Luise durchs Leben hüpfen, schöner als er dich von sich ließ, soll der Himmel dich wiederhaben und mit Verwunderung eingestehn, dass nur die Liebe die letzte Hand an die Seelen legte –
LUISE (drückt ihn von sich, in großer Bewegung): Nichts mehr! Ich bitte dich, schweig! – Wüsstest du – Lass mich – du weißt nicht, dass deine Hoffnungen mein Herz wie Furien anfallen. (Will fort.)
FERDINAND (hält sie auf): Luise? Wie! Was! Welche Anwandlung?
LUISE: Ich hatte diese Träume vergessen und war glücklich – Jetzt! Jetzt! von heut an – der Friede meines Lebens ist aus – Wilde Wünsche – ich weiß es – werden in meinem Busen rasen. – Geh – Gott vergebe dir’s – Du hast den Feuerbrand in mein junges friedsames Herz geworfen, und er wird nimmer, nimmer gelöscht werden. (Sie stürzt hinaus. Er folgt ihr sprachlos nach.)
FÜNFTE SZENE
Der Präsident, ein Ordenskreuz um den Hals, einen Stern an der Seite, und Sekretär Wurm treten auf.
PRÄSIDENT: Ein ernsthaftes Attachement! Mein Sohn? – Nein, Wurm, das macht Er mich nimmermehr glauben.
WURM: Ihro Exzellenz haben die Gnade, mir den Beweis zu befehlen.
PRÄSIDENT: Dass er der Bürgercanaille den Hof macht – Flatterien sagt – auch meinetwegen Empfindungen vorplaudert – Das sind lauter Sachen, die ich möglich finde – verzeihlich finde – aber – und noch gar die Tochter eines Musikus, sagt Er?
WURM: Musikmeister Millers Tochter.
PRÄSIDENT: Hübsch? – Zwar das versteht sich.
WURM (lebhaft): Das schönste Exemplar einer Blondine, die, nicht zu viel gesagt, neben den ersten Schönheiten des Hofes noch Figur machen würde. [13]
PRÄSIDENT (lacht): Er sagt mir, Wurm – Er habe ein Aug auf das Ding – das find ich. Aber sieht Er, mein lieber Wurm – dass mein Sohn Gefühl für das Frauenzimmer hat, macht mir Hoffnung, dass ihn die Damen nicht hassen werden. Er kann bei Hof etwas durchsetzen. Das Mädchen ist schön, sagt Er; das gefällt mir an meinem Sohn, daß er Geschmack hat. Spiegelt er der Närrin solide Absichten vor? Noch besser – so seh ich, dass er Witz genug hat, in seinen Beutel zu lügen. Er kann Präsident werden. Setzt er es noch dazu durch? Herrlich! das zeigt mir an, daß er Glück hat. – Schließt sich die Farce mit einem gesunden Enkel – Unvergleichlich! so trink ich auf die guten Aspekten meines Stammbaums eine Bouteille Malaga mehr und bezahle die Skortationsstrafe für seine Dirne.
WURM: Alles, was ich wünsche, Ihr’ Exzellenz, ist, daß Sie nicht nötig haben möchten, diese Bouteille zu Ihrer Zerstreuung zu trinken.
'PRÄSIDENT (ernsthaft): Wurm, besinn Er sich, dass ich, wenn ich einmal glaube, hartnäckig glaube, rase, wenn ich zürne – Ich will einen Spaß daraus machen, dass Er mich aufhetzen wollte. Dass Er sich seinen Nebenbuhler gern vom Hals geschafft hätte, glaub ich Ihm herzlich gern. Da Er meinen Sohn bei dem Mädchen auszustechen Mühe haben möchte, soll Ihm der Vater zur Fliegenklatsche dienen, das find ich wieder begreiflich – und dass er einen so herrlichen Ansatz zum Schelmen hat, entzückt mich sogar – Nur, mein lieber Wurm, muss Er mich nicht mitprellen wollen. – Nur, versteht Er mich, muss Er den Pfiff nicht bis zum Einbruch in meine Grundsätze treiben.
WURM: Ihro Exzellenz verzeihen. Wenn auch wirklich – wie Sie argwohnen – die Eifersucht hier im Spiel sein sollte, so wäre sie es wenigstens nur mit den Augen und nicht mit der Zunge.
PRÄSIDENT: Und ich dächte, sie bliebe ganz weg. Dummer Teufel, was verschlägt es denn Ihm, ob Er die Karolin frisch aus der Münze oder vom Bankier bekommt. Tröst Er sich mit dem hiesigen Adel; – Wissentlich oder nicht – bei uns wird selten eine Mariage geschlossen, wo nicht wenigstens ein halb Dutzend der Gäste – oder der Aufwärter – das Paradies des Bräutigams geometrisch ermessen kann.
WURM (verbeugt sich): Ich mache hier gern den Bürgersmann, gnädiger Herr.
PRÄSIDENT: Überdies kann Er mit nächstem die Freude haben, seinem Nebenbuhler den Spott auf die schönste Art heimzugeben. Eben jetzt liegt der Anschlag im Kabinett, dass, auf die Ankunft der neuen Herzogin, Lady Milford zum Schein den [14] Abschied erhalten und, den Betrug vollkommen zu machen, eine Verbindung eingehen soll. Er weiß, Wurm, wie sehr sich mein Ansehen auf den Einfluss der Lady stützt – wie überhaupt meine mächtigsten Springfedern in die Wallungen des Fürsten hineinspielen. Der Herzog sucht eine Partie für die Milford. Ein anderer kann sich melden – den Kauf schließen, mit der Dame das Vertrauen des Fürsten anreißen, sich ihm unentbehrlich machen. – Damit nun der Fürst im Netz meiner Familie bleibe, soll mein Ferdinand die Milford heuraten – Ist Ihm das helle?
WURM: Dass mich die Augen beißen – – Wenigstens bewies der Präsident hier, dass der Vater nur ein Anfänger gegen ihn ist. Wenn der Major Ihnen ebenso den gehorsamen Sohn zeigt, als Sie ihm den zärtlichen Vater, so dörfte Ihre Anforderung mit Protest zurückkommen.
PRÄSIDENT: Zum Glück war mir noch nie für die Ausführung eines Entwurfes bang, wo ich mich mit einem: Es soll so sein! einstellen konnte. – Aber seh Er nun, Wurm, das hat uns wieder auf den vorigen Punkt geleitet. Ich kündige meinem Sohn noch diesen Vormittag seine Vermählung an. Das Gesicht, das er mir zeigen wird, soll Seinen Argwohn entweder rechtfertigen oder ganz widerlegen.
WURM: Gnädiger Herr, ich bitte sehr um Vergebung. Das finstre Gesicht, das er Ihnen ganz zuverlässig zeigt, lässt sich ebenso gut auf die Rechnung der Braut schreiben, die Sie ihm zuführen, als derjenigen, die Sie ihm nehmen. Ich ersuche Sie um eine schärfere Probe. Wählen Sie ihm die untadeligste Partie im Land, und sagt er ja, so lassen Sie den Sekretär Wurm drei Jahre Kugeln schleifen.
PRÄSIDENT (beißt die Lippen): Teufel!
WURM: Es ist nicht anders. Die Mutter – die Dummheit selbst – hat mir in der Einfalt zu viel geplaudert.
PRÄSIDENT (geht auf und nieder, presst seinen Zorn zurück): Gut! Diesen Morgen noch.
WURM: Nur vergessen Euer Exzellenz nicht, dass der Major – der Sohn meines Herrn ist.
PRÄSIDENT: Er soll geschont werden, Wurm.
WURM: Und dass der Dienst, Ihnen von einer unwillkommenen Schwiegertochter zu helfen –
PRÄSIDENT: Den Gegendienst wert ist, Ihm zu einer Frau zu helfen? – Auch das, Wurm.
WURM (bückt sich vergnügt): Ewig der Ihrige, gnädiger Herr. (Er will gehen.)
PRÄSIDENT: Was ich Ihm vorhin vertraut habe, Wurm! (Drohend.) Wenn Er plaudert – [15]
WURM (lacht): So zeigen Ihr’ Exzellenz meine falschen Handschriften auf. (Er geht ab.)
PRÄSIDENT: Zwar bist du mir gewiss. Ich halte dich an deiner eigenen Schurkerei, wie den Schröter am Faden!
EIN KAMMERDIENER (tritt herein): Hofmarschall von Kalb –
PRÄSIDENT: Kommt wie gerufen. – Er soll mir angenehm sein. (Kammerdiener geht.)
SECHSTE SZENE
HOFMARSCHALL (ihn umarmend): Ah guten Morgen, mein Bester! Wie geruht? Wie geschlafen? – Sie verzeihen doch, dass ich so spät das Vergnügen habe – dringende Geschäfte – der Küchenzettel – Visitenbillets – das Arrangement der Partien auf die heutige Schlittenfahrt – Ah – und dann musst’ ich ja auch bei dem Lever zugegen sein und Seiner Durchleucht das Wetter verkündigen.
PRÄSIDENT: Ja, Marschall. Da haben Sie freilich nicht abkommen können.
HOFMARSCHALL: Obendrein hat mich ein Schelm von Schneider noch sitzen lassen.
PRÄSIDENT: Und doch fix und fertig?
HOFMARSCHALL: Das ist noch nicht alles. – Ein Malheur jagt heut das andere. Hören Sie nur.
PRÄSIDENT (zerstreut): Ist das möglich?
HOFMARSCHALL: Hören Sie nur. Ich steige kaum aus dem Wagen, so werden die Hengste scheu, stampfen und schlagen aus, dass mir – ich bitte Sie! – der Gassenkot über und über an die Beinkleider sprützt. Was anzufangen? Setzen Sie sich um Gotteswillen in meine Lage, Baron. Da stand ich. Spät war es. Eine Tagreise ist es – und in dem Aufzug vor Seine Durchleucht! Gott der Gerechte! – Was fällt mir bei? Ich fingiere eine Ohnmacht. Man bringt mich über Hals und Kopf in die Kutsche. Ich in voller Karriere nach Haus – wechsle die Kleider – fahre zurück – Was sagen Sie? – und bin noch der erste in der Antichamber – Was denken Sie? [16]
PRÄSIDENT: Ein herrliches Impromptu des menschlichen Witzes – Doch das beiseite, Kalb – Sie sprachen also schon mit dem Herzog?
HOFMARSCHALL (wichtig): Zwanzig Minuten und eine halbe.
PRÄSIDENT: Das gesteh ich! – und wissen mir also ohne Zweifel eine wichtige Neuigkeit?
HOFMARSCHALL (ernsthaft, nach einigem Stillschweigen): Seine Durchleucht haben heute einen Merde d’Oye Biber an.
PRÄSIDENT: Man denke! – Nein, Marschall, so hab ich doch eine bessere Zeitung für Sie – dass Lady Milford Majorin von Walter wird, ist Ihnen gewiss etwas Neues?
HOFMARSCHALL: Denken Sie! – Und das ist schon richtig gemacht?
PRÄSIDENT: Unterschrieben, Marschall – und Sie verbinden mich, wenn Sie ohne Aufschub dahin gehen, die Lady auf seinen Besuch präparieren und den Entschluss meines Ferdinands in der ganzen Residenz bekannt machen.
HOFMARSCHALL (entzückt): O mit tausend Freuden, mein Bester – Was kann mir erwünschter kommen? – Ich fliege sogleich – (Umarmt ihn.) Leben Sie wohl – in drei Viertelstunden weiß es die ganze Stadt. (Hüpft hinaus.)
PRÄSIDENT (lacht dem Marschall nach): Man sage noch, dass diese Geschöpfe in der Welt zu nichts taugen – – Nun muss ja mein Ferdinand wollen, oder die ganze Stadt hat gelogen. (Klingelt – Wurm kommt.) Mein Sohn soll hereinkommen. (Wurm geht ab. Der Präsident auf und nieder, gedankenvoll.)
SIEBENTE SZENE
FERDINAND: Sie haben befohlen, gnädiger Herr Vater –
PRÄSIDENT: Leider muss ich das, wenn ich meines Sohns einmal froh werden will – Lass Er uns allein, Wurm. – Ferdinand, ich beobachte dich schon eine Zeit lang und finde die offene rasche Jugend nicht mehr, die mich sonst so entzückt hat. Ein seltsamer Gram brütet auf deinem Gesicht – Du fliehst mich – du fliehst deine Zirkel – Pfui! – Deinen Jahren verzeiht man zehn Ausschweifungen vor einer einzigen Grille. Überlass diese mir, lieber Sohn. Mich lass an deinem Glück arbeiten, und denke auf nichts, als in meine Entwürfe zu spielen. – Komm! umarme mich, Ferdinand! [17]
FERDINAND: Sie sind heute sehr gnädig, mein Vater.
PRÄSIDENT: Heute, du Schalk – und dieses Heute noch mit der herben Grimasse? (Ernsthaft.) Ferdinand! – Wem zu lieb hab ich die gefährliche Bahn zum Herzen des Fürsten betreten? Wem zu lieb bin ich auf ewig mit meinem Gewissen und dem Himmel zerfallen? – Höre, Ferdinand – (Ich spreche mit meinem Sohn) – Wem hab ich durch die Hinwegräumung meines Vorgängers Platz gemacht – eine Geschichte, die desto blutiger in mein Inwendiges schneidet, je sorgfältiger ich das Messer der Welt verberge. Höre. Sage mir, Ferdinand: Wem tat ich dies alles?
FERDINAND (tritt mit Schrecken zurück): Doch mir nicht, mein Vater? Doch auf mich soll der blutige Widerschein dieses Frevels nicht fallen? Beim allmächtigen Gott! es ist besser, gar nicht geboren zu sein, als dieser Missetat zur Ausrede dienen.
PRÄSIDENT: Was war das? Was? Doch! ich will es dem Romanenkopfe zu gut halten – Ferdinand – ich will mich nicht erhitzen, vorlauter Knabe – Lohnst du mir also für meine schlaflosen Nächte? Also für meine rastlose Sorge? Also für den ewigen Skorpion meines Gewissens? – Auf mich fällt die Last der Verantwortung – auf mich der Fluch, der Donner des Richters – Du empfängst dein Glück von der zweiten Hand – das Verbrechen klebt nicht am Erbe.
FERDINAND (streckt die rechte Hand gen Himmel): Feierlich entsag ich hier einem Erbe, das mich nur an einen abscheulichen Vater erinnert.
PRÄSIDENT: Höre, junger Mensch, bringe mich nicht auf. – Wenn es nach deinem Kopf ginge, du kröchest dein Leben lang im Staube.
FERDINAND: Oh, immer noch besser, Vater, als ich kröch um den Thron herum.
PRÄSIDENT (verbeißt seinen Zorn): Hum! – Zwingen muss man dich, dein Glück zu erkennen. Wo zehn andre mit aller Anstrengung nicht hinaufklimmen, wirst du spielend, im Schlafe gehoben. Du bist im zwölften Jahre Fähndrich. Im zwanzigsten Major. Ich hab es durchgesetzt beim Fürsten. Du wirst die Uniform ausziehen und in das Ministerium eintreten. Der Fürst sprach vom Geheimenrat – Gesandtschaften – außerordentlichen Gnaden. Eine herrliche Aussicht dehnt sich vor dir. – Die ebene Straße zunächst nach dem Throne – zum Throne selbst, wenn anders die Gewalt so viel wert ist als ihr Zeichen – das begeistert dich nicht?
FERDINAND: Weil meine Begriffe von Größe und Glück nicht ganz die Ihrigen sind – Ihre Glückseligkeit macht sich nur selten [18] anders als durch Verderben bekannt. Neid, Furcht, Verwünschung sind die traurigen Spiegel, worin sich die Hoheit eines Herrschers belächelt. – Tränen, Flüche, Verzweiflung die entsetzliche Mahlzeit, woran diese gepriesenen Glücklichen schwelgen, von der sie betrunken aufstehen und so in die Ewigkeit vor den Thron Gottes taumeln – Mein Ideal von Glück zieht sich genügsamer in mich selbst zurück. In meinem Herzen liegen alle meine Wünsche begraben. –
PRÄSIDENT: Meisterhaft! Unverbesserlich! Herrlich! Nach dreißig Jahren die erste Vorlesung wieder! – Schade nur, dass mein fünfzigjähriger Kopf zu zäh für das Lernen ist! – Doch – dies seltne Talent nicht einrosten zu lassen, will ich dir jemand an die Seite geben, bei dem du dich in dieser buntscheckigen Tollheit nach Wunsch exerzieren kannst. – Du wirst dich entschließen – noch heute entschließen – eine Frau zu nehmen.
FERDINAND (tritt bestürzt zurück): Mein Vater?
PRÄSIDENT: Ohne Komplimente – Ich habe der Lady Milford in deinem Namen eine Karte geschickt. Du wirst dich ohne Aufschub bequemen, dahin zu gehen und ihr zu sagen, dass du ihr Bräutigam bist.
FERDINAND: Der Milford, mein Vater?
PRÄSIDENT: Wenn sie dir bekannt ist –
FERDINAND (außer Fassung): Welcher Schandsäule im Herzogtum ist sie das nicht! – Aber ich bin wohl lächerlich, lieber Vater, dass ich Ihre Laune für Ernst aufnehme? Würden Sie Vater zu dem Schurken Sohn sein wollen, der eine privilegierte Buhlerin heuratete?
PRÄSIDENT: Noch mehr. Ich würde selbst um sie werben, wenn sie einen Fünfziger möchte – Würdest du zu dem Schurken Vater nicht Sohn sein wollen?
FERDINAND: Nein! So wahr Gott lebt!
PRÄSIDENT: Eine Frechheit, bei meiner Ehre! die ich ihrer Seltenheit wegen vergebe –
FERDINAND: Ich bitte Sie, Vater! lassen Sie mich nicht länger in einer Vermutung, wo es mir unerträglich wird, mich Ihren Sohn zu nennen.
PRÄSIDENT: Junge, bist du toll? Welcher Mensch von Vernunft würde nicht nach der Distinktion geizen, mit seinem Landesherrn an einem dritten Orte zu wechseln?
FERDINAND: Sie werden mir zum Rätsel, mein Vater. Distinktion nennen Sie es – Distinktion, da mit dem Fürsten zu teilen, wo er auch unter den Menschen hinunterkriecht?
PRÄSIDENT (schlägt ein Gelächter auf). [19]
FERDINAND: Sie können lachen – und ich will über das hinweggehen, Vater. Mit welchem Gesicht soll ich unter den schlechtesten Handwerker treten, der mit seiner Frau wenigstens doch einen ganzen Körper zum Mitgift bekommt? Mit welchem Gesicht vor die Welt? Vor den Fürsten? Mit welchem vor die Buhlerin selbst, die den Brandflecken ihrer Ehre in meiner Schande auswaschen würde?
PRÄSIDENT: Wo in aller Welt bringst du das Maul her, Junge?
FERDINAND: Ich beschwöre Sie bei Himmel und Erde! Vater, Sie können durch diese Hinwerfung Ihres einzigen Sohnes so glücklich nicht werden, als Sie ihn unglücklich machen. Ich gebe Ihnen mein Leben, wenn das Sie steigen machen kann. Mein Leben hab ich von Ihnen; ich werde keinen Augenblick anstehen, es ganz Ihrer Größe zu opfern. – Meine Ehre, Vater – wenn Sie mir diese nehmen, so war es ein leichtfertiges Schelmenstück, mir das Leben zu geben, und ich muss den Vater wie den Kuppler verfluchen.
PRÄSIDENT (freundlich, indem er ihn auf die Achsel klopft): Brav, lieber Sohn. Jetzt seh ich, dass du ein ganzer Kerl bist und der besten Frau im Herzogtum würdig. – Sie soll dir werden – noch diesen Mittag wirst du dich mit der Gräfin von Ostheim verloben.
FERDINAND (aufs Neue betreten): Ist diese Stunde bestimmt, mich ganz zu zerschmettern?
PRÄSIDENT (einen lauernden Blick auf ihn werfend): Wo doch hoffentlich deine Ehre nichts einwenden wird?
FERDINAND: Nein, mein Vater. Friederike von Ostheim könnte jeden andern zum Glücklichsten machen. (Vor sich in höchster Verwirrung.) Was seine Bosheit an seinem Herzen noch ganz ließ, zerreißt seine Güte.
PRÄSIDENT (noch immer kein Aug von ihm wendend): Ich warte auf deine Dankbarkeit, Ferdinand –
FERDINAND (stürzt auf ihn zu und küsst ihm feurig die Hand): Vater! Ihre Gnade entflammt meine ganze Empfindung – Vater! meinen heißesten Dank für Ihre herzliche Meinung – Ihre Wahl ist untadelhaft – aber – ich kann – ich darf – Bedauern Sie mich – Ich kann die Gräfin nicht lieben.
PRÄSIDENT (tritt einen Schritt zurück): Holla! Jetzt hab ich den jungen Herrn. Also in diese Falle ging er, der listige Heuchler – Also es war nicht die Ehre, die dir die Lady verbot? – Es war nicht die Person, sondern die Heurat, die du verabscheutest? –
FERDINAND (steht zuerst wie versteinert, dann fährt er auf und will fortrennen). [20]
PRÄSIDENT: Wohin? Halt! Ist das der Respekt, den du mir schuldig bist? (Der Major kehrt zurück.) Du bist bei der Lady gemeldet. Der Fürst hat mein Wort. Stadt und Hof wissen es richtig. – Wenn du mich zum Lügner machst, Junge – vor dem Fürsten – der Lady – der Stadt – dem Hof mich zum Lügner machst – Höre, Junge – oder wenn ich hinter gewisse Historien komme! – Halt! Holla! Was bläst so auf einmal das Feuer in deinen Wangen aus?
FERDINAND (schneeblass und zitternd): Wie? Was? Es ist gewiss nichts, mein Vater!
PRÄSIDENT (einen fürchterlichen Blick auf ihn heftend): Und wenn es was ist – und wenn ich die Spur finden sollte, woher diese Widersetzlichkeit stammt – – Ha, Junge! der bloße Verdacht schon bringt mich zum Rasen. Geh den Augenblick. Die Wachtparade fängt an. Du wirst bei der Lady sein, sobald die Parole gegeben ist – Wenn ich auftrete, zittert ein Herzogtum. Lass doch sehen, ob mich ein Starrkopf von Sohn meistert. (Er geht und kommt noch einmal wieder.) Junge, ich sage dir, du wirst dort sein, oder fliehe meinen Zorn. (Er geht ab.)
FERDINAND (erwacht aus einer dumpfen Betäubung): Ist er weg? War das eines Vaters Stimme? – Ja! ich will zu ihr – will hin – will ihr Dinge sagen, will ihr einen Spiegel vorhalten – Nichtswürdige! und wenn du auch noch dann meine Hand verlangst – Im Angesicht des versammelten Adels, des Militärs und des Volks – Umgürte dich mit dem ganzen Stolz deines Englands – Ich verwerfe dich – ein teutscher Jüngling! (Er eilt hinaus.)
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