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Karneval am Rhein

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Textdaten
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Autor: Ernst Lenbach
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Titel: Karneval am Rhein
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aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 93–97
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[93]

Karnevalstreiben in Düsseldorf.
Nach einer Originalzeichnung von E. Massau.

[94]

Karneval am Rhein.

Von Ernst Lenbach.
Mit den Bildern S. 93 und S. 96 und 97

Karneval am Rhein! Welche Fülle von heiteren, farbensatten Bildern rufen die drei Worte in

der Erinnerung eines jeden wach, dem es auch nur einmal im Leben vergönnt war, in diesen Jungbrunnen der Freude einzutauchen!

Irgend eine Art Karneval hat es freilich zu allen Zeiten und bei jedem Volke gegeben. Es gehört zu den unveräußerlichen Menschenrechten, wenigstens einmal im Jahre auf eine Weile alle Weisheit und Würde von sich zu streifen und mit Vorsatz und Bedacht den Narren zu spielen – sonderlich am Vorabend ernster Jahresabschnitte. „Carne vale - Fleisch, ade!“ von dieser wehmütigen Losung der Fastenzeit soll ja das Fest seinen italienischen Namen haben. Mögen Sprachforscher zu solcher Ableitung zweifelnd die Köpfe schütteln – den Anlaß des Brauches kennzeichnet sie jedenfalls. Es ist bezeichnend, daß karnevalistisches Treiben von alters her seine stärkste Macht gerade an den Hauptsitzen kirchlicher Herrschaft entwickelt hat. In den „heiligen“ Städten des strenggläubigen Rußland braucht das Volk acht Tage – die sogenannte Butterwoche, um sich im ausgelassensten Lebensgenuß auf die großen Fasten gründlich vorzubereiten; und aus Goethes Schilderung wissen wir ja, wie unerbittlich damals in dem Rom der Päpste Prinz Karneval die Alleinherrschaft ausübte, sobald die Glocke des Kapitols das Zeichen gegeben, „es sei erlaubt, unter freiem Himmel thöricht zu sein“.

Auf deutschem Boden ist der Karneval zu seiner höchsten Blüte als allgemeines Maskenfest nur im Westen und Süden emporgediehen. Das ganze Wesen des Norddeutschen scheint sich gegen die Forderung zu sträuben, einige Tage lang die eigene Person nur als eine Rolle zu betrachten, die man wegwirft, um mit Behagen eine neue freigewählte Rolle zu spielen. Man hat versucht, rheinische Karnevalsbräuche in große Städte des Ostens und Nordens zu verpflanzen. Es ist aber damit ergangen wie mit den Versuchen, aus rheingauer Rebstöcken auf fremdem Boden rheingauer Wein zu erzielen. Eine Maske darf man nicht bloß tragen, man muß sie auch spielen und sich in ihr wohl fühlen.

Am Rhein ist das so. Es giebt von Mainz abwärts bis an die holländische Grenze wohl kaum ein Dorf, wo nicht zur Karnevalszeit „etwas gemacht wird“. Am glänzendsten aber entfaltet sich das Reich des Prinzen Karneval in den großen alten Städten des Landes, wo noch immer ein fester Kern ureingesessener Bürgerschaft mit den großen geschichtlichen Erinnerungen der Vaterstadt und der heimischen Mundart auch das Stammeserbteil heiteren, harmlosen Witzes wahrt. Bei der uralten gegenseitigen Eifersucht dieser Städte, vorab der drei stolzesten unter ihnen: Mainz, Köln und Düsseldorf, wäre es gefährlich, auch in karnevalistischen Dingen, einer unter ihnen den Preis zuzusprechen. Halten wir uns lieber an das, was allen gemeinsam ist: heiterer, nie verletzender Witz, der in der Wahl und Durchführung der Masken oft überraschende Beweise von der dem ganzen rheinfränkischen Stamme eigenen schauspielerischen Fähigkeit liefert und bei aller treffenden Verspottung fremder wie eigener Sonderbarkeiten niemals den alten Wahlspruch des rheinischen Karnevals verleugnet: „Geck, loß Geck elans!“ – „Ein Narr soll den andern vorbeilassen“ – eine Devise, die auch anderswo und zu anderen Zeiten als in den drei „tollen Tagen“ manchen betrübenden Streit verhindern würde.

Selbstverständlich regt der karnevalistische Geist nicht erst an den drei Fastnachtstagen seine Schwingen. Den zahlreichen großen, kleineren und kleinsten Karnevalsgesellschaften fällt die Aufgabe zu, in ihren allwöchentlichen Maskensitzungen, mit oder ohne Damen, den gährenden Most bis zum perlenden Weine reinster Heiterkeit zu zeitigen. Altem Brauche gemäß beginnt diese Vorbereitungszeit schon im Vorjahre, mit dem Elften des elften Monats – die Elf ist ja die heilige Zahl des Karnevals. Wer in der genannten Zeit zu Besuch in einer der großen Rheinstädte weilt, versäumt es gewiß nicht gern, einer jener Maskensitzungen beizuwohnen. In dieser Beziehung übt Mainz auf seine großen Nachbarstädte eine ganz besondere Anziehungskraft aus. Die preußischen Prinzen pflegten während ihrer Bonner Studentenjahre sich zu einer solchen Sitzung der großen Kölner Gesellschaft einzuladen. Es wird da in Reden und Liedern oft eine ebenso witzige wie nützliche Kritik an öffentlichen Zuständen, an allzuweisen Verordnungen hoher Behörden geübt. Auch Fragen der Litteratur und Kunst unterwirft Prinz Karneval seiner eigenartigen Beleuchtung, wie zum Beispiel im letzten Jahr „Fräulein Cäcilia Wolkenburg“, die geheimnisvolle Personifikation des berühmten Kölner Männergesangvereins, auf ihrer Bühne eine karnevalistische Umdichtung des Goetheschen „Faust“ vorführte, in welcher „M. E. Fisto“ als „ein armer Teufel“ auftritt und Gretchen als richtige Kölnerin natürlich den Familiennamen Schmitz führt. Goethe, der mit 76 Jahren noch dem Kölner Karneval in einem reizenden Gedichte seinen Segen gab, würde vermutlich herzlich zu dieser Verspottung seiner Aus- und Unterleger gelacht haben – selbst zu der überraschenden Lösung, daß „M. E. Fisto“ Gretchen heimführt, während Faust zur Strafe seiner Sünden Frau Marthe heiraten muß.

Besondere Glanzpunkte der Vorbereitungszeit sind der Dreikönigstag (6. Januar) mit seinen unzähligen Bohnenbällen und das gleichfalls dem Tanze geweihte Mariä Lichtmeß-Fest (2. Februar). Ehedem hatte noch der Donnerstag vor Karneval seine eigene Bedeutung als „Weiberfastnacht“, insofern die Frauen an diesem Tage in völliger Umkehrung der sonst angeblich gültigen Ordnung das Regiment im Haus und auf der Gasse führten und allerhand Maskenscherz trieben. Letzteres hat sich so ziemlich verloren, aber noch ist es hier und da Brauch, daß an diesem Tage Maskensitzungen unter weiblichem Präsidium stattfinden.

Den Glanz- und Mittelpunkt des eigentlichen Karnevals bildet in den großen Städten der Festzug am zweiten Fastnachtstage, dem sogenannten Rosenmontag (von rôsen = rasen, toll sein). In diesem Punkte steht Köln wohl unbestritten obenan; die dortigen Rosenmontagszüge (der vorjährige stellte die „Volksfeste aller Nationen und Zeiten“ dar) sind mit ihren zahlreichen turmhohen Prachtwagen und den Hunderten von glänzend und witzig kostümierten [95] Masken zu Fuß und zu Roß eine einzigartige Sehenswürdigkeit, zu der Scharen schaulustiger Fremden nach der alten Metropole herbeiströmen.

Seinen Ausgang nimmt der Kölner Rosenmontagszug jedesmal vom Neumarkt, dem größten Platz der Stadt, aus. Schon lange ehe sich der Zug zeigt, sind in den von ihm zu passierenden Straßen Trottoirs und Fenster bis auf den letzten Platz von Schaulustigen besetzt, und welcher Jubel bricht los, wenn sich von fern die prächtig gekleideten Vorreiter, die berittenen Zugordner und Musikkorps zeigen – wenn es heißt: „Der Zug kommt!“ Vor dem „eigentlichen“ Zug her aber schiebt sich jauchzend, singend, musizierend, unzählige Scherze untereinander und mit den gleichgestimmten Zuschauern austauschend, eine Schar von „freiwilligen“ Teilnehmern, die oft mit wundersamem Schauspielergeschick die verschiedenen Rollen durchführen, in deren Maske sie sich gekleidet haben. Wie ernst und würdig blickt z. B. auf unserem Bilde S. 96 und 97 rechts zwischen dem galanten Harlekin und der feschen „Fee“ das Gesicht „Emin Paschas“ durch; mit welch elektrisierender, urwüchsiger Jubellust schwingt vorn der „kölnische Bauer“ den Taktstock vor seiner mit Harmonika, dicker Trommel etc. ausgestatteten „Musikbande!“ – Unser von dem kölnischen Maler Christian Heyden herrührendes Bild ist übrigens nebenbei eine ganze geschichtliche Bildergalerie, denn es sind die namhaftesten Leiter, Dichter und Redner des Kölner Karnevals aus den letzten Jahrzehnten, die hier, vom Künstler getreulich porträtiert, „den Zug führen“, wie sie in Wirklichkeit das einzigartige Volksfest ihrer Vaterstadt führten und es zum Teil noch thun. Ist dieses Bild doch auch auf Bestellung der „Großen Karnevalsgesellschaft“ gemalt und nebst anderen zur Ausschmückung ihres Sitzungssaales bestimmt worden, als vorm Jahre es galt, der Feier ihres fünfzigjährigen Bestehens einen bleibenden Ausdruck zu verleihen.

Ein hervorragender und ständiger Anteil der Kunst ist es, welcher dem auf unserem anderen Bilde (S. 93) vornehmlich dargestellten karnevalistischen Treiben Düsseldorfs sein Gepräge giebt. Hier, in der reichen, lebenslustigen rheinischen Malerstadt, macht die Anwesenheit so vieler Künstler auch bei dieser Gelegenheit ihren anregenden Einfluß geltend. Am Karnevals-Samstag veranstaltet der Düsseldorfer Künstlerverein, der „Malkasten“, in den riesigen Räumen der „Tonhalle“ seine große Redoute mit Festspiel. Tausende von Masken vereinigen sich da, viele von ihnen sind aus entfernten Städten herbeigeeilt. Für alle, auch für die Zuschauer, ist bezüglich ihres Kostüms die „Idee“ maßgebend, welche dem Festspiel zu Grunde liegt. Vergangenes Jahr war es „ein Empfang Kaiser Maximilians in Nürnberg“, der diese weiten Räume in ein wundervoll getreues Abbild der mittelalterlichen Reichsstadt verwandelte, belebt von unzähligen Scharen in den „stilvollsten“, zum guten Teil historisch echten Kostümen. Es ist unbeschreiblich, was sich da an Humor und Geist, an künstlerischer Pracht – und vor allem an weiblicher Anmut zusammenfindet. Spät – sehr spät in der Nacht geht es dann in jauchzendem Zuge nach dem „Malkasten“, wo sich die Lustbarkeit fortsetzt, – buchstäblich Tag und Nacht hindurch; es giebt manchen unter dem unverwüstlichen Völkchen, der überhaupt vor Aschermittwoch nicht ins Bett kommt. Aber auch in dem allgemeinen Karnevalstreiben außerhalb der Künstlerkreise macht sich in Düsseldorf überall der Einfluß und die Mitwirkung der „Möler“ bemerkbar. Betreten wir die Räume eines der vornehmen Restaurants, etwa des „Roten Hauses“, dessen prunkvolles Renaissance-Treppenhaus wir auf unserem Bilde oben rechts sehen: welch ein Gewimmel künstlerisch durchgeführter Charaktermasken! Da schreitet ein römischer Krieger ernst, „mit Blicken eines Niebesiegten“, neben seiner Kaiserin her, unbekümmert um die Scherze, die aus der Gruppe vor ihm an sein Ohr klingen, unbekümmert auch um die düster männliche Kraft seines Kameraden von der persischen Leibwache. Nicht jeder begnügt sich, in einer Maske, die ihm gut zu Gesicht steht und bequem sitzt, für sein eigenes Behagen in fideler Gesellschaft zu sorgen. Gar mancher zwängt zum allgemeinen Ergötzen seine Gestalt in eine Tracht, die nur unter Beschwernis zu tragen ist. Links unten auf unserem Bild sehen wir gar einen, der sich als Eisbär durch das Menschengewühl hintrollt, geführt und gemeistert von seinem ebenso tadellos echten Bärenführer ... bis sie dann wahrscheinlich über kurz an irgend einem Büffett Halt machen, um sich zu „stärken“, – denn Durst hat der Rheinländer, auch wenn er ein Eisbär geworden ist.

Und wie in den Wirtssälen, so auf der Straße. Das lärmt und singt, das tollt und springt daher, einzeln oder in langer „bunter Reihe“ Arm in Arm, daß einem armen Hunde, der sich an solchem Narrentage auf die Straße wagt, freilich angst und bange werden kann. Warum trägt er auch kein Maskenzeichen? Sind doch auch wirkliche kostümierte Vierfüßler in diesen Tagen nichts Seltenes auf den Straßen von Düsseldorf und Köln und Mainz.

Aber alle Lust hat ein Ende. Grau und trübe bricht der Aschermittwoch heran, gehüllt in eine Atmosphäre von Katzenjammer. Noch wird hier und da an diesem Tage das Begräbnis des Prinzen Karneval gefeiert - vordem ein allgemeiner Brauch, an welchem sich 1812 in Köln die gesamte damals in der Stadt einquartierte Gardekavallerie Napoleons beteiligte, mit Trauerflor und Grabmusik - ein schauerlich wahres Vorzeichen dessen, was ihrer in Rußland harrte ...

Seufzend blickt so mancher wieder weise gewordene „Narr“ am Aschermittwoch in seinen gähnend leeren Geldbeutel. Mag es ihm ein Trost sein, daß ein Teil des entschwundenen Mammons auch ärmeren Mitbrüdern zugefallen ist. Denn ganz besonders viel und reichlich wird bei all den tollen Veranstaltungen der Armen gedacht. Und das ist gewiß nicht die schlechteste Seite an diesem so wunderlich schönen rheinischen Volksfeste, dem der große Goethe selber ein so hübsches und wahres Motto gestiftet hat:

„Löblich wird ein tolles Streben,
Wenn es kurz ist und mit Sinn!“


[96/97]

Der Karneval in Köln: „Der Zug kommt!“
Nach dem Gemälde von Chr. Heyden.