Kaulbach und sein Carton „das Zeitalter der Reformation“

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Autor: Max Ring
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Titel: Kaulbach und sein Carton „das Zeitalter der Reformation“
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 52–54
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
vgl. Ein kämpfendes Bild, Die Gartenlaube, 1896
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Kaulbach und sein Carton „das Zeitalter der Reformation“.

Mit dem Carton „das Zeitalter der Reformation“ hat der geniale Meister Kaulbach den berühmten Cyklus seiner Wandgemälde in dem Treppenhause des neuen Berliner Museums in würdigster Weise abgeschlossen. Diese Bilder gehören unstreitig nicht nur zu den schönsten Zierden der preußischen Hauptstadt, sondern zu den bedeutendsten Meisterwerken der neueren Kunst. In bewunderungswürdiger Weise hat in ihnen Kaulbach die ihm gestellte große Aufgabe gelöst, eine fortlaufende culturhistorische Entwicklung der europäischen Menschheit darzustellen. Sage und Geschichte hat er dabei in ihren Tiefen erfaßt und die zu Grunde liegenden Ideen vollkommen erschöpft. Es ist der philosophische und historische Geist unseres Jahrhunderts, der aus diesen Wandgemälden zu uns spricht, verkörperte Gedanken und in Farben strahlende Weltanschauung. Die abstracten Ideen des Philosophen erscheinen hier vor uns in gestaltenreicher Fülle, in concreter Lebendigkeit; es sind keine bloße Schatten, keine gewöhnlichen Allegorien, wie sie das Rococo-Zeitalter schuf, sondern ein eigenes Genre von historischen Culturbildern, welche für das Genie und die Originalität ihres Schöpfers ein glänzendes Zeugniß ablegen. So malte Kaulbach den „Babylonischen Thurmbau“, indem er den tieferen Sinn der heiligen Sage, das große Ereigniß der „Völkerscheidung“, zur vollkommenen Anschauung brachte; so erblicken wir in der „Blüthe Griechenlands“ die tiefste Auffasung des hellenischen Geistes und seiner Bedeutung für die Menschheit. Die „Zerstörung Jerusalems“ ist weit mehr als ein bloßes Schlachtengemälde, indem sich in der Gruppe der „ausziehenden Christen“ ein neues weltgeschichtliches Moment offenbart, während in der berühmten „Hunnenschlacht“ und in den „Kreuzfahrern“ die Völkerwanderung und die folgenreiche Berührung zweier Welttheile sich uns unwillkürlich aufdrängen. Jedes dieser großartigen Bilder ist in gewissem Sinne zugleich „exoterisch“ und „esoterisch“, ebenso für das sinnliche wie für das geistige Auge des Beschauers berechnet, historisch und symbolisch, je nach dem Bildungsgrade und der Betrachtungsweise des Beurtheilenden. Die Ereignisse und Gestalten sind Träger der großen Ideen und doch trotz dieser typischen und philosophischen Bedeutung darum nicht weniger concret und plastisch aufgefaßt.

Derselbe tiefere Ideengang charakterisirt den neuesten Carton des genialen Künstlers; ja man könnte ihn gewissermaßen als die höchste Blüthe dieser eigenthümlichen Richtung bezeichnen, als den schönsten Schlußstein der culturhistorischen Weltanschauung auf dem Gebiete der bildenden Kunst. Mit vollem Bewußtsein hat Kaulbach das „Zeitatter der Reformation“ in seiner weitesten Bedeutung aufgefaßt und über die engen Grenzen der kirchlichen Kämpfe herausgerückt. Für ihn ist die Reformation eine weit größere und allgemeinere, indem er das Wiedererwachen der ganzen Menschheit, ihre Befreiung aus den Banden des Mittelalters, die Auferstehung des classischen Alterthums, die Entdeckung Amerikas, die Belebung [53] der naturwissenschaftlichen Studien, die Erfindung der Buchdruckerkunst und ihren Einfluß auf die Bildung des Volkes, all die großen Denker, Dichter und schöpferischen Genien dieses großen Zeitalters in den Kreis seiner gedankenreichen Darstellung zieht. Es ist daher nicht Zufall, sondern weise Absicht des Künstlers, wenn er die eigentliche Reformation der Kirche nicht in den Vordergrund stellt, obgleich Luther und seine Mitkämpfer den wahren Mittelpunkt des Ganzen bilden.

Die Heroen der Naturwissenschaft,
aus Kaulbach’s Wandgemälde: „das Zeitalter der Reformation“.

Wie in der bekannten „Schule von Athen“, dem berühmten Werke Rafael’s, das Kaulbach bei seinem Carton vorgeschwebt, lassen sich auch hier die verschiedenen Richtungen des Zeitalters in den verschiedenen Gruppen des Gesammtbildes deutlich erkennen [54] und unterscheiden. In der Mitte eines mächtigen Doms erblicken wir die würdigen Gestalten der großen Reformatoren, wie sie eben das Abendmahl in beiden Gestalten austheilen und sich zu dem Augsburgischen Religionsbekenntnisse vereinigen. Wir sehen den jugendlichen, begeisterten Luther, der eben erst die Schranken der katholischen Kirche gebrochen; an seiner Seite den würdigen Justus Jonas und Bugenhagen, welche das heilige Sacrament Friedrich dem Weisen, Johann dem Beständigen, Albrecht von Brandenburg und einigen Patriciern der Hansestädte reichen. Mehr nach rechts steht in kriegerischer Rüstung Gustav Adolph, der auf ein Blatt blickt, welches Guttenberg, der Erfinder der Buchdruckerkunst, so eben aus seiner Presse hervorgezogen hat. Auf der entgegengesetzten Seite sehen wir die Schweizer Reformatoren Calvin und Zwingli, denen sich der kühne Moritz von Sachsen, der tapfere Admiral Coligny, das Haupt der französischen Hugenotten, anschließen. Eine besondere Gruppe bildet die Königin Elisabeth von England mit ihren Räthen, dem höfischen Essex, dem staatsmännischen Burleigh, dem kühnen Drake, dem Bischof Cranmer und dem schottischen Eiferer Knox, während der niederländische Protestantismus durch den schweigsamen Wilhelm von Oranien und durch Oldenbarneveldt würdig repräsentirt wird. Hinter diesen Häuptern und Stützen der neuen Glaubenslehre sitzen auf dem erhöhten Chore die Vorläufer und Märtyrer der Reformation, der edle Huß, der schwärmerische Savonarola, Arnold von Brescia, Petrus Waldus, Wiklef und auch Tauler, der deutsche Mystiker, so wie in der Nähe der Orgel mehrere Componisten des neueren Kirchenliedes. Ihren eigentlichen Abschluß erhalten diese einzelnen Gruppen der Reformatoren und ihrer Freunde durch drei Männer im Vordergrunde des Bildes, Melanchthon, Zasius und Eberhard von der Tann, welche sich gegenseitig die Acte des Augsburger Religionsfriedens, die magna charta der Reformation, mit freudestrahlenden Gesichtern und verklärten Blicken überreichen.

Wie hier die religiöse Wiedergeburt des Jahrhunderts, so stellt der Künstler in einer zweiten großen Gruppe das Erwachen des klassischen Alterthums durch die Humanisten und die damit verbundene Wiederbelebung der Künste und Wissenschaften dar. An der Erde liegt eine antike Statue, eine Muse von wunderbarer Schönheit, eben erst ausgegraben, gleich wie jener alte Sarkophag, aus dem der lorbeergekrönte Petrarca die Schriften und Rollen des griechischen und römischen Alterthums hervorzieht und gleichsam von Neuem entdeckt. An seiner Seite erblicken wir die großen Humanisten und Verbreiter der classischen Bildung, den gelehrten Reuchlin und den spöttisch drein schauenden Erasmus. In ihrer Nähe steht der mit dem Degen und der Feder gleich vertraute Ulrich von Hutten, der den Männern der Reformation die Hand und seine tapfere Klinge anzubieten scheint; sein trotziges und doch so ehrliches Gesicht spricht laut: „Ich hab’s gewagt.“ – Jener herrliche Mann mit der hohen göttlichen Stirn und dem sinnenden Auge, der mit untergeschlagenen Armen und gekreuzten Beinen so sicher und ruhig drein schaut, als wäre die ganze Welt sein Eigenthum, ist und kann kein Anderer sein als Shakespeare; sein würdiger Nachbar, halb Krieger, halb Gelehrter, ist Cervantes, der den unübertroffenen Don Quixote geschrieben und dem die berühmten Gelehrten Nicolaus von Cusa und Celtes sich anreihen. Noch zwei charakteristische Gestalten fesseln unwillkürlich das Auge des Beschauers, der ehrliche Schuster und Dichter Hans Sachs, der ganz im Vordergrunde sitzt und an den Fingern die Sylben seiner Verse mißt, und Jacobus Balde, ein Deutscher, der damals die besten lateinischen Gedichte schrieb, was Kaulbach in sinniger Weise dadurch andeutet, daß er ihn zu der eben ausgegrabenen Muse sich niederbeugen läßt, deren Leyer er mit feinen Fingern gleichsam tastend berührt. Ueber diesen Vertretern der Poesie und Wissenschaft wölbt sich das Seitenschiff des großen gemeinsamen Geisterdoms, das von den Künstlern des Jahrhunderts eingenommen und noch geschmückt wird. Auf hohem Gerüst malt hier Albrecht Dürer an seinen Evangelisten, der Farbenreiber unter ihm aber trägt die bekannten Züge Kaulbach’s, der sich selbst diesen bescheidenen Platz angewiesen hat. Zur Seite des Gerüstes erblicken wir den tüchtigen Erzgießer Peter Vischer, Guttenberg als Erfinder der Buchdruckerkunst und die großen Maler des Jahrhunderts Michel Angelo, Leonardo da Vinci und Rafael.

Auf der entgegengesetzten Seite bilden die Heroen der Naturwissenschafst eine besonders interessante Gruppe, deren Abbildung die Gartenlaube in ihrem wohlgelungenen Holzschnitt bringt. In der Mitte steht die ehrwürdige Gestalt des greisen Columbus, der die gefesselte Hand auf die von ihm um einen Welttheil bereicherte Erdkugel legt. Aus seinen ehrwürdigen Zügen spricht der Schmerz des Märtyrers und die fromme Zuversicht des unsterblichen Genius. Wunderbare exotische Pflanzen, fremde Vögel, Waffen und mexicanischer Kopfschmuck zu seinen Füßen deuten auf den Entdecker Amerika’s. Der Deutsche, Martin Behaim aus Nürnberg, der 1492 den ersten Globus angefertigt hat, steht seinem großen Freunde zur Seite, dem er, wie ältere spanische Geschichtschreiber behaupten, den ersten Gedanken von dem Dasein eines neuen Welttheils gegeben haben soll. Er machte von Lissabon aus, wo er mit Auszeichnung aufgenommen wurde, weite Reisen und untersuchte besonders die Inseln an der Küste von Afrika bis zu dem Flusse Zaïre; auch die Entdeckung der Azoren wird ihm zugeschrieben, so daß er seine Stelle neben Columbus, die ihm der Künstler angewiesen, mit gutem Recht verdient. Hinter dem würdigen Freundespaare steht ein anderer Entdecker, der Engländer Harvey, welcher den kunstvollen Bau des menschlichen Körpers erforscht, den wichtigen Blutumlauf, die wunderbare Thätigkeit des Herzens und den Unterschied der Arterien und Venen zuerst erkannt und somit eine vollständige Revolution auf dem Gebiete der Physiologie hervorgerufen hat, so daß er als Vater dieser Wissenschaft angesehen werden darf. Als Vertreter der Anatomie erscheint neben ihm der Franzose Vesale, der ihm würdig zur Seite steht. Vor Columbus kniet der fleißige Kosmograph Sebastian Münster, der mit dem Cirkel in der Hand die Größe des Erdballs mißt, während der große Francis Bacon von Verulam sein „Novum organum“, dieses Evangelium der Erfahrungswissenschaft, in seinen Händen hält, als wollte er den reichen Schatz huldigend Columbus zu Füßen legen. Drei Männer sind es noch, welche unsere Aufmerksamkeit auf sich lenken. Das Barett mit einem grünen Reis geschmückt, erblicken wir den kundigen Botaniker Leonhard Fuchs, an seiner Seite den ebenso berühmten als berüchtigten Arzt Theophrastus Bombastus Paracelsus, der bald als frecher Charlatan verschrieen, bald als der Luther der Medicin gepriesen wird, jedenfalls aber ein genialer Mann war, wie seine trotz mancher Irrthümer bewundernswürdigen und von Geistesblitzen erleuchteten Schriften zeigen, in denen er die alte Schule des Galen bekämpft und auf die Natur und Erfahrung hinweist. Sein Nachbar in dem langen Schlafrock und mit der hohen Mütze ist ebenfalls ein deutscher Gelehrter, Sebastian Frank, einer der vorzüglichsten Prosaisten, welcher eine Universalgeschichte in deutscher Sprache schrieb und durch sein populäres Talent einen großen Einfluß auf die Bildung des Volkes ausübte.

Entsprechend der Seite, auf der die Humanisten und Künstler dargestellt sind, steigt auch über die Männer der Naturwissenschaft noch ein Seitenschiff empor, auf welchem die Astronomen, welche gleich den Künstlern dem Himmel näher stehen, ihren Platz gefunden haben. Den Rücken uns zugewendet zeichnet Copernicus das Sonnensystem an die Wand, Galilei und Giordano Bruno, die edlen und großen Märtyrer der Wissenschaft, steigen zu ihm empor, während Cardanus nachgrübelnd das Haupt zu Boden senkt und Tycho de Brahe mit dem jungen Keppler der Harmonie der Sphären zu lauschen scheinen.

Diese flüchtige Andeutungen und die mitgetheilte Probe, die der Holzschnitt von einer Gruppe des Cartons giebt, sollen nur dazu dienen, auf die Wichtigkeit und Bedeutung der neuesten Schöpfung aufmerksam zu machen, da sich der Eindruck des Gesammtbildes, die Fülle der Erscheinungen, die charakteristische Auffassung jeder einzelnen Figur und vor Allen die dem Ganzen zu Grunde liegende tiefere Idee nicht bei dem uns zugemessenen Raume wiedergeben lassen. Es wird die Aufgabe der eigentlichen Kunstkritiker und Aesthetiker sein, den Werth des Werkes festzustellen und ihm, so wie der darin vertretenen Richtung, die gebührende Stelle in der Kunstgeschichte anzuweisen. Aber selbst dem Auge des gebildeten Laien kann es nicht entgehen, daß wir hier vor einem bedeutenden und Epoche machenden Bilde stehen, welches mächtig anregend zu unserem Geiste spricht und seine hohe und schwere Aufgabe, „das Zeitalter der Reformation“, erschöpfend und vollendet gelöst hat, wobei der Künstler nicht vergessen hat, dem deutschen Genius die ihm gebührende Stelle in der großen culturhistorischen Entwicklung des sechszehnten Jahrhunderts anzuweisen.

Max Ring.