Klosterzelle und Gedankenhelle

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Textdaten
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Titel: Klosterzelle und Gedankenhelle
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 740, 741, 744
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[740]

Auf der Schwelle der Reformationszeit: Scholastische Studien.
Nach dem Gemälde von W. Lindenschmit.

[741]

Auf der Schwelle der Reformationszeit: Luther und die Bibel.
Nach dem Gemälde von W. Lindenschmit.

[744] Klosterzelle und Gedankenhelle. Etwas für das Reformationsfest. (Vergl. die Illustrationen auf S. 740 und 741.) Drüben Mönche, die mit kurzsichtigen Gelehrtenaugen in alten Schmökern suchen, hüben die „deutsche Bestie mit den tiefen Augen und den wunderbaren Gedanken im Kopfe“, wie der päpstliche Gesandte einst gesagt: ein begeisterter Luther, die Bibel im Arm – das ist ein Contrast, wie er als Ausgangspunkt für Reformationsfest-Gedanken fruchtbarer nicht gedacht werden kann. Ist doch dieser Gegensatz mittelalterlich mönchischer Gelehrsamkeit und freier, begeisterter, persönlichster Forschung das, was recht eigentlich auf das Wesen der reformatorischen Bewegung führt.

Zwei Irrthümer erben sich in Bezug auf dasselbe durch die Schule wie ewige Krankheiten fort: die Meinung, daß die Reformation nur religiös-kirchliche Bedeutung habe, und die andere, als habe sie in den evangelischen Bekenntnissen für alle Zeit ihr Ziel auf religiösem Gebiete erreicht.

Der Reformationsgeist ist, mit einem Worte erschöpfend charakterisirt, der Geist der Freiheit: der Gewissensfreiheit, der Denkfreiheit, der Freiheit der Forschung, der politischen Freiheit – kurz der Freiheit auf allen Gebieten, gegenüber der Gebundenheit des Mittelalters, von welcher jeder sich soweit frei machte, wie er die Macht dazu besaß. Die Mächtigen übten Willkür; die hohen Kirchenfürsten setzten sich lachend über Glauben und Moral hinweg – wer das nicht konnte, der mußte sein Joch tragen. Und am mächtigsten war die Kirche, am zwängendsten das kirchliche Joch, vor allem für das geistige Leben. Im ganzen Mittelalter galt der Grundsatz: alle Wissenschaft ist falsch, welche nicht zu der kirchlichen Lehre stimmt, ja ist verdammenswerthe, auszurottende Ketzerei.

Es ist kläglich zu beobachten, wie sich die Denker der Scholastik, der Philosophie jener Zeit, winden und drehen, um ihr besseres Wissen in unverfängliche Form zu kleiden oder aber sich in der Kirchenlehre zurecht zu denken, aus Furcht, dem Ketzergericht zu verfallen. Was Wunder, wenn die geistige Arbeit fast nichts als ein todtes Stöbern in alten Büchern, ein Zusammentragen von Citaten, ein Aufsammeln oft stupenden Wissenskrams, ein rabbinisches oder sophistisches Klügeln und Wortklauben war, eine Thätigkeit, deren Siegel den gelehrten Mönchen aus unserm Bilde so charakteristisch aufgeprägt ist.

Erst die Reformationszeit brachte jene leuchtenden tiefen, freien und beseelten Blicke an das Tageslicht, wie sie im Auge Luther’s auf dem zweiten unserer Bilder strahlen. Erst von da ab datirt das Recht des Menschen, nur dem Gotte in der eigenen Brust zu gehorchen, die Wahrheit auch zu denken und auszusprechen, welche im innersten Gefühl lebendig ist, und gerade dieses Recht ist es, welches, ob auch durch zeitweilige Irrthümer hindurch, allein den riesigen Erkenntnißfortschritt ermöglicht hat, auf den unsere Zeit stolz ist. Und wenn nach der Reformationszeit die Reformationskirchen noch einmal eine evangelische Scholastik begründet haben und die Heißsporne unter den jetzigen evangelischen Kirchenmännern die mühsame Compromißarbeit des evangelischen Dogmas als Grenze gesetzt wissen wollen für die Freiheit des Denkens, so ist das gegen den Geist der Reformation, der über sie hinwegschreiten wird, und wir haben ein Recht und werden es allezeit, trotz Verdammung und Verketzerung, gebrauchen, ihnen zuzurufen: Im Namen der Reformation – wir protestiren!