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Krähen als Wächter

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Krähen als Wächter
Untertitel:
aus: Das Buch für Alle, Illustrierte Familienzeitung, Jahrgang 1912, Heft 24, S. 539
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Quelle: Commons
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[539] Krähen als Wächter. – Daß Krähen die erbittertsten Feinde aller jener Raubvögel sind, die es in erster Linie auf Tauben abgesehen haben, ist eine bekannte Tatsache. Habicht, Sperber und Falke gehen Krähen stets vorsichtig aus dem Wege. Der Korpsgeist, wenn man so sagen will, ist beim Krähengeschlecht so stark ausgebildet wie bei keiner anderen Vogelart, und auf das Hilfegeschrei eines dieser von einem geflügelten Räuber verfolgten Tiere tauchen mit oft geradezu verblüffender Schnelligkeit hilfsbereite Artgenossen auf, die den Feind gewöhnlich nach kurzem Kampfe mit stark zerzaustem Zustande in die Flucht schlagen oder aber ihn nach einem längeren erbitterten Luftgefecht für alle Zeiten unschädlich machen.

Wer einmal im Felde einen Schwarm Krähen unter lautem Gekrächz scheinbar planlos hin und her fliegen sieht, oft zu einem dichten Klumpen zusammengeballt, oft wieder nach allen Seiten auseinanderstiebend, der kann regelmäßig, wenn er nur über einigermaßen gute Augen verfügt, inmitten der schwarzgrauen, kräftigen Gesellen einen anderen, heller gefärbten Vogel erblicken, auf den sich die unermüdlichen Angriffe der Krähen richten. Dieser heller gefärbte Vogel wird zumeist ein Habicht sein, der alte Erbfeind des Krähengeschlechts, seltener schon ein Sperber oder Falke, da diese beiden letzteren Raubvögel infolge ihrer außerordentlich großen Fluggeschwindigkeit sich allen Attacken leichter zu entziehen vermögen als der schwerfälligere Habicht.

Diese Feindschaft zwischen Raubvogel und Krähe haben sich in letzter Zeit die großen belgischen Brieftaubenzüchtereien, deren Taubenbestände durch geflügelte Räuber oft eine erschreckende Einbuße erleiden, zunutze gemacht und Krähen als Wächter für ihre Schwärme großgezogen. Dies geschieht in der Weise, daß im Taubenschlag brütende Tauben Kräheneier untergeschoben werden und die junge Krähenbrut dann weiter mit den Tauben zusammengelassen wird, wodurch die Krähen sich ebenso wie ihre zahmen Nestgenossen an ihren Heimatstall vollständig gewöhnen, mit den Tauben zusammen ausfliegen und auch wieder in den Schlag zurückkehren.

Die ersten dieser Versuche fielen so günstig aus, daß man bald allgemein den bisher so viel angefeindeten Krähen dieses Wächteramt übertragen wird. Taubenschwärme, die von vielleicht einem Dutzend Krähen ständig begleitet waren, blieben von Raubvögeln vollständig verschont. So schreibt ein belgischer Züchter in dem Fachblatt für Brieftaubenfreunde: „Mein jährlicher Verlust durch geflügeltes Raubzeug betrug bei einem Durchschnittsbestand von 500 Tauben bis zu 80 Stück. Seitdem ich nach dem Vorbilde des Herren S. in meinen Schlägen Krähen mit ausbrüten und aufwachsen ließ, habe ich nur etwa 15 Tauben durch Raubvögel verloren. Als ich meinen Zuchtschwarm zum erstenmal in Begleitung von acht Krähen aufsteigen ließ, beobachtete ich innerhalb von drei Stunden nicht weniger als fünf Habichte, die von den Krähen bei Angriffen auf den Schwarm in vollstem Sinne des Wortes „gestellt“ und dann vertrieben wurden. Welch vorzügliche Augen Krähen besitzen müssen, ging bei diesen Kämpfen deutlich hervor. So bemerkte ich einmal plötzlich, daß die Krähen sich aus dem in etwa 300 Meter Höhe kreisenden Taubenschwarm absonderten und zurückblieben. Durch mein Fernglas sah ich gleich darauf einen Habicht, der in weiter Ferne in der nunmehrigen Flugrichtung der Krähen fast bewegungslos im Äther schwebte. Als die Krähen ihm näher auf den Leib rückten, verschwand er schleunigst. Ähnliche Vorfälle habe ich häufig beobachtet. Stets waren es die Krähen, die den Räuber zuerst bemerkten und ihm sofort mit drohendem Geschrei entgegenflogen.“

An anderer Stelle sagt derselbe Züchter: „Daß Krähen, die man in einem Schlage zusammen mit Tauben großgezogen hat, später wieder Freiheitsgelüste bekommen und auf und davon gehen, passiert äußerst selten. Auch in dieser Beziehung eignet sich die Krähe hervorragend für dieses Wächteramt. Nur muß man darauf achten, Krähen nie in den Brutställen zu belassen, da sie unverbesserliche Eierdiebe sind.“

Auch in Deutschland hat man in jüngster Zeit ähnliche Versuche mit Krähen angestellt und gleichfalls recht gute Erfolge erzielt. Fraglos gehört diese Erziehung eines wildlebenden Vogels zum Wächter für eine zahme Vogelart zu den interessantesten Problemen aus dem Gebiete der Tierkunde.

W. K.