Kriech- und Kletterpflanzen

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Titel: Kriech- und Kletterpflanzen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 605–606
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[605]

Blätter und Blüthen.


Kriech- und Kletterpflanzen. Je künstlicher unser Leben wird, je mehr es sich von der Natur entfernt, desto eifriger sollten wir zu ihr zurückkehren und unter Anderem keine Straße, kein Haus, keine Mauer ohne Naturschmuck lassen[1]. Nichts sieht in meinen Augen barbarischer aus, als wenn gemiethete Leute das Gras, welches sich mühsam in einsamen Gegenden des städtischen Steinpflasters kärglichen Grund und Boden erobert hat, [606] sorgfältig ausstechen, damit nicht der armseligste Halm das trostlose Leben auf Steinen und zwischen Steinen erquicke. Ich würde, wo Gras in den Straßen wächst, noch Bäume und Sträuche hinzufügen und die Mauern mit Epheu oder sonst einer der tausenderlei Arten von Kriech- und Kletterpflanzen schmücken. In dieser Beziehung zeichnen sich England und Amerika ganz vortheilhaft und wesentlich vor der alten Welt aus. In Deutschland kann man Stunden lang auf Steinen zwischen Mauern umherirren, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. In England erhebt sich jede anständige Heimath hinter kleinen Gärten und dick epheuumrangten Mauern. Grüne, immer saftig grüne Epheuwände umkleiden oft Häuser und Kirchen bis in die höchsten Giebel und Spitzen hinaus. Hier und da umschleiern feinblätterige, blühende Schlinggewächse ganze Häuserfacaden. Zwischen den Straßen kommt man in allen Richtungen auf grüne Oasen von immergrünen Parks, den Lungen großer Städte. Amerika ist darin noch geschmackvoller und sorgsamer für Gesundheit und Freude gewesen. Die meisten Straßen seiner Städte sind weit und breit und mit Bäumen bepflanzt, welche für Consumtion des kohlensauren Gases und immer frische Production der Lebensluft sorgen. Die Wälder, Felder, Zäune und Hecken Amerika’s sind immer geschmückt, wie in Deutschland künstliche Breterbuden und Thore nur bei feierlichen Empfangsfeierlichkeiten. Tausende der herrlichsten Schlingpflanzen bekleiden und überblühen Wege und Stege und Gäßchen, klettern über Mauern, Wände und Zäune und winken freundlich mit zarten, grünen blühenden Armen dem Vorübergehenden. Büsche und Sträuche blühen und grünen noch in ihrer Umarmung, wenn sie selbst schon abgestorben sind. In graziösen, üppigen Guirlanden wiegen sie sich von Baum zu Baum und bilden so für Jeden immerwährende Ehrenpforten und Lauben.

Nichts giebt einem Garten mehr Reiz, Saftigkeit und erquickende Fülle, als der Reichthum von Kriech- und Kletterpflanzen. Hier umlächeln sie mit ewiger Jugend den mürrischen Stamm eines alten Baumes, dort wölben sie sich als grünes Dach über das zarte Netzwerk einer Gartenlaube, flechten sie Kränze und winden sie Guirlanden in der Luft, bekleiden sie die kahle Mauer und den öden Giebel des Nachbarhauses, umhüllen sie mit Grazie einen öden Winkel und schaffen sie Fülle, Frische und Duft an jeder Stelle, die sonst müßig und öde den Reiz des Gartens stören würde. Und wie schnell, wie unermüdlich sind sie in Wachsthum, Blüthe und Duft! Die Prairie-Rosen, die wistaria, die gemeine clematis (Geißblatt), die Virginia-Kletterer, celastrus und unzählige andere gedeihen in unserem Klima ganz vortrefflich. Und Epheu, gewöhnliche Winde, Weinreben, wilder Wein u. s. w. sind ja überall fast ohne Mühe und Kosten zugänglich. Alle diese Kriecher und Kletterer sind dankbar und lohnen mit Fülle und Duft die kleinste Beachtung. Wer diese zarten, gleichsam schnellfüßigen, graziösen Pflanzen in reichster Fülle und Mannigfaltigkeit beisammen und in den verschiedensten Arten ihres Verschönerungstalentes bewundern will, findet nirgends eine herrlichere Gelegenheit dazu, als im Krystall-Palaste bei London, wo sie zehn bis zwanzig Ellen lang aus schwebenden Ampeln herunterwinken oder kühn an den schlanken Säulen bis in verschwimmende Höhe hinaufklettern.


  1. Wir wollen damit nicht die wirklich schönen Formen der Baukunst verpfuscht wissen. Diese bedürfen allerdings keines „Feigenblattes“, womit schlechte Architekten ihre Blößen decken, aber die Zahl der Bauten, die sich in ihrer Schönheit Selbstzweck sind, ist ziemlich gering.