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Krieges Anfang

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Textdaten
Autor: Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
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Titel: Krieges Anfang
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aus: Reden aus der Kriegszeit von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, S. 1–16
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 27. August 1914
Erscheinungsdatum: 1915
Verlag: Weidmannsche Buchhandlung
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Rede zu Beginn des Ersten Weltkrieges, gehalten im Verein für Volkswohlfahrt in Berlin, 27. August 1914
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[1]

I.

Krieges Anfang

gehalten im Verein für Volkswohlfahrt,

Berlin, 27. August 1914.

[2] WS: Leer.

[3]

      Meine lieben Mitbürger!

Nun ist es Ernst geworden mit dem Kriege. Die Welt um uns hat sich verändert, hat ein Aussehen bekommen, wie es die meisten von uns sich gar nicht denken konnten. Manchen Sieg haben wir feiern können; aber in manches Haus ist auch die Trauer schon eingekehrt, die Not in viel mehr, und Angst und Sorge in alle. Diese schwarzen Schatten müssen wir bekämpfen. Wir müssen in uns ein Feuer erzeugen, das nicht bloß einmal auflodert, wenn es gilt, Hurra zu rufen über einen Sieg, sondern das eine stille, stetige Glut wird, die uns wärmt, auch wenn böse Kunde kommt und schwere Leiden an uns heranbringen. Ein solches Feuer in Ihren Herzen zu schüren stehe ich hier. Mitteilen möchte ich Ihnen von dem Glauben und dem Vertrauen, das in meinem Herzen ist – doch nein, das ist ja in unser aller Herzen, wenn wir nur auf den Grund gehen. Das wäre kein deutsches Herz, in dem dieses Vertrauen nicht schlummerte; aber wach wollen wir es rufen, und dazu wollen wir gleich einmal mit frischen Tönen einsetzen, mit einem Liede, das unsere Jugend oft im Munde geführt hat, als sie jetzt hinausritt und hinausschritt in den Kampf:

[4]

„Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!
Ins Feld, in die Freiheit gezogen!
Im Felde, da ist der Mann noch was wert,
Da wird das Herz noch gewogen.
Da tritt kein anderer für ihn ein:
Auf sich selber steht er da ganz allein.“

Gewiß, ein schönes Lied. Es geht uns allen zuckend durch alle Muskeln, als wollten wir selbst wieder in einen fröhlichen Kampf ziehen, und doch – – wollen wir es einmal überdenken – –: es ist das Lied einer wilden Soldateska, die sich im Gegensatze zu dem Bürger und Bauer fühlte und deren Vaterland das Lager war, und es ist das Lied zwar eines prophetischen Dichters, der die Zukunft ahnte, aber ein Volksheer wie das unsere nie hat sehen können.

Wohl ist es wahr, daß im Kriege der Mann etwas wert ist und daß das Herz da gewogen wird. Gewiß, und es ist sehr schön und groß, daß wir das erleben; aber auch unsere Herzen hier zu Hause werden gewogen und sollen nicht zu leicht befunden werden. Aber wenn’s da heißt: „Ins Feld, in die Freiheit gezogen!“, wie anders ist das jetzt. „Ins Feld für die Freiheit gezogen“, so müssen wir singen und sollen uns klar sein, daß es in der Tat dieses Mal einen Kampf gilt um die Freiheit von uns allen, die des Vaterlandes und jedes einzelnen, und was die Freiheit wert ist, die wir genießen, die wir verlieren könnten, das wird uns in solcher Zeit erst recht bewußt. Und wenn’s dann weiter heißt: „Da tritt kein anderer für ihn ein“ [5] das mag für den Söldner gelten, den kein innerliches Band mit dem Nebenmann zusammenhält – – wie falsch ist es für uns. Falsch ist’s draußen. Wer wie ich 9 Monate als Grenadier im Feindesland gestanden hat, der weiß, daß in unserem Heere jeder für jeden eintritt, daß der Kamerad, einerlei welchen Grad er bekleidet, für den Kameraden das Leben einsetzt, mit ihm das letzte Stück Brot teilt, und jeder weiß: du kannst dich auf deinen Nächsten verlassen wie auf dich selbst. So soll es auch bei uns zu Hause sein. Auch hier müssen wir diese Einigkeit, diese Kameradschaft bewähren, auch hier darf es keinen Gegensatz geben von Stand und von Konfession, von hoch und niedrig, gebildet und ungebildet, sondern helfen muß ein jeder dem anderen in seiner Not, und unterordnen muß sich ein jeder dem allgemeinen Besten, tun und leiden, was er an seinem Platze zu tun und zu leiden berufen ist.

Ja, der Krieg, in den jene Wallensteiner so gerne hinausziehen, ist etwas Herrliches; etwas Fürchterliches ist er auch, und er ist fürchterlicher jetzt, als er je gewesen ist, grauenvoller durch die Macht, die der Mensch gewonnen hat über die Mächte der Natur, die Mächte der Zerstörung. Wir wollen uns über das Grauen nicht täuschen. Über alle die lauten Klänge, die uns von Ost und West umtönen, haben wohl die wenigsten so, wie sich’s gebührte, acht darauf gegeben, wie schmerzlich schön Papst Pius X. gestorben ist. Ehrfurcht mußte ja jeder empfinden vor der lauteren Reinheit des schlichten selbstlosen Greises, der die fromme Einfalt seines Wesens bewahrte, auch als er die [6] dreifache Krone trug. Nun ist er erloschen wie ein Licht, das diesen Sturmhauch nicht mehr ertragen konnte. Frieden wollte er der Welt bereiten, zum Frieden mahnen als der Seelsorger einer Welt. Aber die Menschen in ihrem Drange, sie alle, Feind und Freund, wie sie auch zueinander stehen, beseelt und bewegt jetzt ein anderes als die Idee an den ihm so heiligen Frieden. Kampf sinnen sie, Tod, Brand, Zerstörung. Und doch braucht es kein sündiges Sinnen zu sein: das hängt daran, wofür sie’s sinnen: heilig ist der Kampf, wenn er für die gerechte Sache geführt wird.

Ja, der Krieg ist auch darum etwas Großes, weil er die Herzen wägt; er bringt ans Licht, was in jedem Herzen ist, indem er alle Hüllen der Konvention abreißt. Das sehen wir schon. Wie hat er unsere Herzen höher gehoben durch alles das, was in unserem Volke bereits enthüllt ist, was da sich offenbart hat: Eintracht, alle für einen, kein Unterschied zwischen dem König und dem letzten jeder Partei. Jeder hat die Hand erhoben zu dem Gelöbnis, fürs Vaterland, für Deutschland einzustehen. So sehen wir denn, wie unsere Krieger im Felde ihren Mut nicht nur, sondern ihre Hingabe und ihre gesunde Zucht bewähren, getreu dem Kameraden, dem Könige, dem Vaterland, getreu bis in den Tod.

Und sehen Sie, was der Krieg enthüllt hat bei den anderen! Was ist herausgekommen aus der belgischen Seele? Wie hat sie sich offenbart als eine Seele der Feigheit und des Meuchelmordes! Warum? Das ist das [7] Land, in dem die Schulbildung am tiefsten steht, in dem der Arbeiter am schlechtesten gehalten ist. Sie haben die sittlichen Kräfte in sich nicht, darum greifen sie zu der Brandfackel, dem Dolche.

Die armen Russen bedauern wir, die zur Schlachtbank geführt werden und wissen nicht, wozu und warum. In ihrer Stumpfheit kann der Krieg nur die alten einfachen, negativen Tugenden der Folgsamkeit, weil er befohlen ist, enthüllen. Wir aber sind ein freies Volk, wir folgen gehorsam, weil wir wissen, was uns geboten wird, wer uns gebietet, wozu es geboten wird.

Gegenüber dem französischen Volke als unserem edelsten Gegner können wir am ehesten ein Empfinden der Gleichwertigkeit wohl aufbringen. Wir wollen uns nicht darüber täuschen. Das ist zwar ein Feind, gegen den wir in einem Jahrhundert zum vierten Male nach Paris rücken müssen, aber die Franzosen kämpfen immerhin mit Bewußtsein für ihr Vaterland. Und das breite, gute Volk, die Arbeiter und die Bauern – ich habe sie 1870 kennen gelernt –, sie haben diesen Krieg nicht gewollt. Hineingezwungen sind sie in ihn durch die dort herrschende Klasse, die Volksverführer, die zum großen Teil ihre eigene Herrschaft damit aufrechtzuerhalten suchen.

Und dann England! Das schickt nicht, wie Frankreich, alle seine Söhne, sondern es schickt angeworbene Mannschaft. Dort ist der eigentlich treibende böse Geist, der diesen Krieg emporgerufen hat aus der Hölle, der Geist des Neides und der Geist der Heuchelei. Was gönnen sie [8] uns nicht? Unsere Freiheit, unsere Selbständigkeit wollen sie untergraben, jenen Bau der Ordnung, der Gesittung und der freilich selbstbewußten Freiheit, den wir uns errichtet haben, wollen sie zerstören, die Tüchtigkeit und Ordnung nicht bloß in unserem Heer und in unserem Staatsbau, nein, in dem ganzen Bau unserer Gesellschaft. Wenn der englische Marineoffizier jetzt durch ein feines, schönes Glas hinausschaut, umschaut nach deutschen Kreuzern, so ärgert ihn – – wir verdenken es ihm nicht – –, daß das Glas in Jena geschliffen sein wird, und die Kabel, die durch die Meere ziehen, sind zum größten Teile in Charlottenburg am Nonnendamm verfertigt. Die Güte der deutschen Arbeit wurmt ihn.

Und das ist eine Arbeit, die so gut ist, weil alle so tüchtig sind und Kopf und Hände so einträchtig daran schaffen. Der einzelne Arbeiter, auch der letzte, der daran tätig ist, setzt etwas auch von seinem eigenen, besonderen Können daran, und sie könnte nicht geleistet werden, wenn nicht oben die Ingenieure und weiterhin die Männer der Wissenschaft die Gedanken fänden und dann die geschickten, sorgsamen Hände dazuträten, die das Gedachte ausführen. Wir haben beides: den deutschen Gedanken, den deutschen Gewerbfleiß. Dem deutschen Erfindertum, der deutschen Kraft, dem deutschen Fleiße, denen droht die Vernichtung. Die Tüchtigkeit unseres Kaufmanns, dessen Waren und dessen Schiffe den Briten zu ihrem Ärger auf allen Meeren entgegentreten, soll vernichtet werden. Daran, an all diesem hängt unsere Existenz, hängt unsere Freiheit. [9] Sind etwa die Portugiesen frei? Ob sie nun einen König haben oder eine Republik, ist dafür ganz einerlei. Vasallen von England sind sie, und in diesem Lande ist außer glänzenden Palästen, die hier und da am Ufer oder auf einem Berge stehen, die tiefste Armut und die schrecklichste Unwissenheit, und ein Emporkommen gibt es für Englands Fronknechte nicht. Wollen wir in diesen Zustand verfallen, daß wir auch Vasallen Englands werden? – – Nun wohl, dann heißt es handeln, kämpfen bis aufs Blut.

Es sind dieselben geistigen und sittlichen Kräfte, die im Frieden unsere Überlegenheit bewirken und die sich jetzt in dem Siegeszuge unseres Heeres bewähren. Einmal die willige Unterordnung des einzelnen unter das Ganze, und dann das Wissen und Können, das durch die hingebende Arbeit langer Jahre zu Hause erworben ist. Auf allen Gebieten des Lebens bringt der Erntetag nur dann den erhofften Segen, wenn ihn Wochen und Monate treuester Arbeit vorbereitet haben. Hier sehe ich manches knabenhafte Gesicht. Mancher, der hier ist, mag jetzt denken: Ach, was soll ich hier jetzt auf der Schulbank mich drücken, wehe, daß ich nicht hinaus kann. Das verdenken wir ihm nicht. Ich wäre auch am liebsten draußen. Aber wenn er dann hier sitzt, so sage er sich, wenn er jetzt fürs Vaterland etwas tun will, so lerne er, was er zu lernen hat: das ist seine Pflicht, nicht Lieder singen, Hurra schreien. Alles, was er lernt, lernt er für Deutschland, tüchtig sich zu machen an Leib und Seele. Denn einst wird seine Zeit kommen, wo er dieses, was er kann, einsetzt fürs Vaterland,[10] sei es im Krieg, sei es im Frieden, immer im Fortschritt, immer im Streit. Euch Jungen möchte ich erinnern an ein Spartanerlied, das mir mein Beruf nahelegt, wie sie da in drei Chören am Festtage einst auftraten und der erste Chor sang, wie wir Alten jetzt singen: „Einst waren wir stramme Jungen“, und dann kamen die Männer, die jetzt hier nicht mitsingen können, denn die stehen an oder in den französischen Grenzen, die sangen: „Und wir sind es jetzt; willst du’s probieren, so komm“. Und schließlich sangen die Knaben, wie Ihr singen mögt: „Und wir werden noch viel strammer sein“.

Ja, all das, was mit der Waffe kämpft, das hat es glücklich, das hat es schön. Und was sich rüstet zum Kampfe auch mit der Waffe des Geistes, das mag jetzt in der Stille sich vorbereiten für künftige Kämpfe des Geistes und der Faust. Aber schwerer haben’s die, die zu Haus sorgen um andere und die nicht mittun können. Schwerer als die Männer haben’s in der Kriegszeit die Frauen. Und doch müssen auch sie wirken für das Vaterland. Auch sie müssen die Gedanken ebenso wenden auf das eine, was uns allen gemeinsam ist, und auch hier, wo sie helfend und fürsorgend eingreifen, die Not lindern und Balsam in die Wunden träufeln, auch hier gilt’s, die Ordnung und die Disziplin und die Selbstverleugnung unseres Heeres draußen nachzuahmen, sich willig einzuordnen und nicht zu meinen, daß man auf seine eigene Hand es nun einmal ganz besonders schlau mache. Vielleicht ist die einzelne wirklich klüger, aber nur, indem man sich in der festgeschlossenen Ordnung hält, [11] kann man in Wahrheit dem Ganzen nützen. Hier heißt es zusammenstehen ohne Eitelkeit, ohne Vordrängen der einzelnen Person, und den vielen, die darauf angewiesen sind, in dieser Not sich helfen zu lassen, mag man wohl auch sagen, daß sie eingedenk sein sollen, sich unterzuordnen, wie ihre Männer, Brüder und Söhne das willig draußen tun.

Ja Ordnung, Disziplin, Ruhe, alles ist gut und schön, aber es kommt auch die Prüfung, wo der Tod Einkehr sucht in manches Haus und wo die Forderung gestellt wird, sich abzufinden mit dem, was man immer als nötig wußte, als möglich ahnte und doch immer beiseite schob, und auch dann heißt es, den Blick hinwenden auf das Ganze. Wir alle müssen zusammen tragen, zusammen opfern und zusammen Leid und Freud hinnehmen, willig uns bescheidend, wenn’s dem Ganzen frommt. Wir finden es natürlich und notwendig, daß unsere Kaiserin alle ihre Söhne im Feuer hat. Ganz selbstverständlich! Von preußischen Prinzen ist das nicht anders denkbar. Wir wissen, daß in einem deutschen edlen Fürstenhause eine Witwe nicht nur um den Gatten, sondern um den Bruder bereits trauern muß, die beide auf dem Felde der Ehre gefallen sind. So geht’s im Volksheere. Da hält der Tod Eintritt in jedes Haus, oder muß doch jedes auf das Kommen des schwarzen Gastes gefaßt sein. Keiner Mutter, Gattin, Schwester verdenken wir, wenn sie ein Gebet gen Himmel sendet für den Lieben, den sie draußen hat, und wohl mag und soll die Mutter, die die Kinder an [12] ihrer Seite hat und die Kleinen davor bewahrt sehen möchte, zu Waisen zu werden, auch für sie selbst eine Erhebung und eine eigene Beruhigung finden, wenn sie der Kleinen Händchen abends faltet und sie beten läßt: Lieber Gott, nimm in Deine Hut meinen Vater oder Bruder! So verflicht sich das Geschick jedes einzelnen von uns mit dem Ganzen, und jeder mit seiner Hoffnung und mit seiner Furcht ordnet sich doch dem Ganzen ein, dem Ganzen unter.

Vertrauen ist das, was uns aufrechthalten muß, was uns aufrechthält. Wir vertrauen auf unser Heer, auf unsere Feldherren, auf unseren Kaiser. Das ist uns alles selbstverständlich. Kein Wort darüber. Wir sollen aber auch vertrauen aufeinander, vertrauen der Gemeinschaft, in der wir stehen, und wir sollen diese Gemeinschaft suchen, wo sie nahe um uns ist. Wo wir hier jenseits des Flures, jenseits der Straße, jenseits des nächsten Platzes Not oder Leid oder auch Freude finden, da sollen wir uns zusammenfinden aus dieser Öde, in der wir sonst in der Riesenstadt gehalten werden. Hier gerade in der Masse sollen wir wieder erkennen, daß wir zusammen gehören; hier sind wir achtlos solange nebeneinander hergegangen, jetzt werden wir uns kennen und lieben lernen. Und vertrauen sollen wir auf unser Recht, vertrauen sollen wir auf unsere gute Sache. Wir haben den Krieg nicht gewollt, niemand, kein König, kein Staatsmann, kein Feldherr. Wir waren in unseren Grenzen zufrieden. Wir wollten wahrhaftig keinen Fußbreit von den Ländern an [13] unseren Grenzen haben. Wohl lärmten und zankten die anderen immer lauter und anmaßender; aber wir haben gewartet und immer gute Worte gegeben, viel zu viele gute Worte vielleicht. Jetzt sind wir gezwungen, wir wissen es alle, und weil wir gezwungen sind, weil jeder weiß, daß es nicht unser Wille war, darum sind wir einig, darum stehen wir alle für einen ein und vertrauen auf unser Recht, unsere gute Sache, unsere Ehrlichkeit.

Aber wie ist das? Ist das denn in der wilden Zeit, wo Macht vor Recht geht, ein genügender Grund? Darf man trauen auf Recht, auf gute Sache? Kommt’s denn nicht bloß auf die Menschenmassen an, auf die künstlichen Waffen, und werden die nicht entscheiden und auch die beste Sache niederwerfen können? Ja, meine lieben Mitbürger, das ist die große Frage, an der am Ende alles hängt. Es hängt auch hier an dem Vertrauen, an dem Glauben hängt es, daß Recht und Wahrheit Mächte sind, daß hinter ihnen oder in ihnen eine Gewalt steht, die stärker ist als alles Irdische, daß die gute Sache siegen muß, weil das Gute die Welt regiert und am letzten Ende doch zum Triumph gelangt. Erst dies Vertrauen, der Glaube an die ewige Macht des Guten, des Rechtes, daran, daß auch in einem solchen Kriege mit all seiner Furchtbarkeit und Gräßlichkeit eine Offenbarung der ewigen Gerechtigkeit sich vollzieht, erst dies ist das wahre Vertrauen und darin liegt die wahre Hoffnung auf unseren Sieg. Ob der einzelne ihn erlebt, ist einerlei; aber kommen wird und kommen muß er, wenn unsere Sache gerecht ist.

[14] Ja, in einer Zeit, die alles Konventionelle abreißt, da werden die Menschen gezwungen, auf den Urgrund der Natur zurückzusteigen, sich zurückzuempfinden in die ersten und echtesten Stimmungen einfacher Größe. Da tritt alles zurück, was die Konfessionen scheidet, und es ist gleichgültig, ob einer gegrübelt hat über die Rätsel des Werdens, über die Rätsel der Welt und über den Ursprung des Bösen, oder ob er in schlichter Einfalt gelebt hat nach dem, was er als gut und gerecht nach der Offenbarung seines eigenen Herzens in sich trug; aber in dem Gefühle, das dann bleibt, wenn alles Besondere abgestreift ist, und alles Äußerliche schwindet, wenn in diesem Weltenganzen, in der Natur und in der Geisteswelt nicht das Gute regiert, wenn nicht die lebendige Kraft, die alles bewegt, zugleich eine alles beherrschende sittliche Kraft ist – in diesem Gefühle haben wir die wahre Hoffnung, haben wir das Leben.

In meinem Gedächtnis lebt der 19. September 1870, als wir zusammentraten, das ganze Gardekorps oder doch die erste Division, auf einem hohen weiten Felde. Drunten lag Paris im Sonnenglanz, und wir glaubten, wir sollten es stürmen. Da traten wir zusammen zum Gebet. Es war kein Unterschied, ob der Nebenmann katholisch oder Jude oder Protestant oder sonst etwas war. Wir alle wußten: das wird ein Gang auf Leben und Tod, den Ihr zusammen tun sollt, Euer aller Leben steht in den Händen desselben Gottes, und wie Ihr ihn auch rufen möget, derselbe Gott ist es, und dieses Gefühl, das Euch beseelt, das [15] Euch in dieser Stunde zu Gott zieht, ist dasselbe in Euch allen.

Nun, und wenn wir auf die Natur schauen. Wie kurz ist es her, daß wir den Frieden hatten! Wie ist der Friede so süß, wie ist er so schön und so still! Wie offenbart die Natur ihre Herrlichkeit in der stillen Sommernacht. Die Sterne funkeln, im Laube des Busches kaum ein leiser Hauch. Hinauf schaut man, empor zu dem endlosen Raume, wo Welten neben Welten ihre Bahnen ziehen in ewiger Ordnung, Stetigkeit und Ruhe. Und dann kommt der Kampf auch über die Natur. Da bietet sie uns ein anderes Bild, ein Bild des Grauens, wo die Wolken sich ballen, die Donner grollen, die Blitze zucken, niederzufahren, wer weiß wohin. Bald schlägt der Hagel, bald zündet der Donnerkeil. Und es ist doch immer die eine Natur. Der schöne Friedensabend und das wilde Gewitter, beide sind nötig zum Leben des Ganzen. Wenn der Gewittersturm nicht käme, wie würde der Acker befruchtet und getränkt, auf daß das Korn der Menschenarbeit die gehoffte Frucht bringe. In beiden offenbart sich die große, gleiche, ewige Heiligkeit des Lebens und des lebenschaffenden Guten.

Jetzt zucken um uns die Blitze, jetzt rollen die Donner. Wo sie einschlagen – – wer weiß es. Aber überwinden werden wir’s, einmal wird der Tag kommen, wo Friede emporsteigt, so hell, so klar, so still wie der Sternenglanz in der Sommernacht.

Und so wollen wir denn hingehen in unser Leben des Tages und tragen und leiden, was Gott uns beschert, [16] tragen und leiden, männlich überwinden, aber menschlich auch.

Herr Gott, du bist die Wahrheit, du bist die Gerechtigkeit. Wir bitten nicht für unsere Lieben draußen im Felde, wenn’s nötig ist, so sei ihr Leben dahingegeben, aber für unser Deutschland bitten wir, für seine Rettung, für seine Freiheit, für seinen Sieg. Und du wirst ihn geben, denn du bist die Wahrheit und die Gerechtigkeit, und dein ist die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit!