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Kriegsrath Klepper

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Textdaten
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Autor:
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Titel: Kriegsrath Klepper
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 44–45
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Klepper, ein Vorreiter humanen Justizvollzuges in Preußen
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[44] Kriegsrath Klepper. Wer wollte es in Abrede stellen, daß unsere Zucht- und Besserungshäuser selbst der bessern Zucht und der Verbesserung oft mehr bedürfen, als viele der in ihnen eingesperrten Verbrecher; daß namentlich die Benennung „Besserungsanstalten“ eine bittere Ironie ist. Geschieht nun gleichwohl auf diesem Gebiete sehr wenig, diese Anstalten ihrem Zwecke entsprechender zu machen, so verdienen die Anstrengungen einzelner Männer um so mehr die öffentliche Anerkennung, da sie meistens mit eigener Aufopferung verbunden sind, und auf allgemeine Anerkennung, auf prunkenden Lohn kaum rechnen können, indem die Mehrzahl der Menschen von dem Kreise ihres stillen Wirkens die Blicke mit Geringschätzung oder Ekel abwendet. Deshalb haben wir das Streben Appert’s mit lebhaftem Interesse verfolgt, und ihm die vollste Anerkennung gezollt, obgleich die Früchte desselben bis jetzt noch nicht segensreich zu Tage gefördert worden sind. Deshalb stimmen wir aus vollem Herzen in das Lob, welches dem Spanier Montesinos, Director des Gefängnisses in Valencia, in Nr. 47 der Gartenlaube von 1853 gezollt wird. Eben deshalb aber finden wir uns auch veranlaßt, der Vergessenheit das Andenken eines deutschen Landsmannes zu entreißen, der auf dem gleichen Gebiete mit Montesinos in unserer Zeit viel Gutes geleistet hat, und wenn auch nicht in einem kleineren Wirkungskreise gleich dem Spanier so wahrhaft Ausgezeichnetes, dafür in einem weit ausgedehnteren viel Gutes, so daß die Summe seines Verdienstes kaum geringer sein dürfte.

Klepper, Königlich Preußischer Kriegsrath, ein Mann, der noch in späterem Alter das Gemüth eines Kindes bewahrte, der kein größeres Vergnügen kannte, als Werke der Wohlthätigkeit und Menschenliebe zu üben, hatte sich während der Freiheitskriege bei der Verwaltung der Lazarethe rühmlichst ausgezeichnet. Man fand dabei Gelegenheit, seine seltene Aufopferungsfähigkeit und Selbstverläugnung, sowie seine wahre Menschenliebe kennen zu lernen, und dies gab Veranlassung, ihn in den Zwanziger Jahren mit einer Revision sämmtlicher Strafanstalten der preußischen Monarchie zu beauftragen. Er wurde von dem Ministerium mit den ausgedehntesten Vollmachten versehen, und sämmtliche Directoren, Obern und Unteraufseher aller den Civilgerichten unterworfenen Zucht-, Straf-, Corrections-Arbeitshäuser, oder welchen Namen immer dergleichen Anstalten führen mögen, erhielten den Befehl, seinen Anordnungen unbedingte Folge zu leisten, und in besonderen Fällen stand ihm unter seiner persönlichen Verantwortlichkeit sogar das Recht zu, niedere Beamte augenblicklich von ihrem Amte zu suspendiren oder ganz abzusetzen. So kam es denn, daß [45] sein Name durch das ganze Land von den Zuchthausbeamten bald eben so sehr gefürchtet als von den Züchtlingen gesegnet wurde. Denn so weichmüthig er im gewöhnlichen Leben war, so unnachsichtlich strenge zeigte er sich, wo es die Bestrafung unmenschlicher, grausamer oder roher Zuchtmeister galt, und bald hörte man von zahlreichen Absetzungen bei dem Aufsichtspersonale der Gefängnisse. Sein Augenmerk war zunächst auf eine bessere, menschlichere Behandlung der Sträflinge gerichtet, denn eine durchgreifende Reorganisation des ganzen Strafsystems und der innern Einrichtung der Zuchthäuser lag außerhalb seiner Machtvollkommenheit, obgleich er die Instruction hatte, dazu nach den zu sammelnden Erfahrungen Vorschläge zu machen.

Klepper wußte wohl, wie wenig offizielle Revisionen dahin führen, die Wahrheit zu ergründen; deshalb nahm er die seinigen häufig incognito, unter irgend einer unscheinbaren Maske vor, in der Tasche die gefürchtete Vollmacht, die ihn in den Stand setzte, im Fall der Noth augenblicklich mit Energie einzuschreiten. Ein mehrfach von ihm angewendetes Mittel, auf praktische Weise zu der Kenntniß der Behandlungsart zu gelangen, der die Gefangenen hier und dort unterworfen wurden, war, daß er sich arretiren ließ, um so an sich selbst die gewünschten Erfahrungen zu machen. Er besuchte zu diesem Zwecke bäufig solche Orte, von denen es bekannt war, daß dort Prügeleien zu Verhaftungen en masse führten, bei denen es dann natürlich hieß: Mit gefangen, mit gehangen, und wo der Unschuldige mit dem Schuldigen leiden mußte. Diese Absicht erreichte er auch eines Abends in einer Tabagie Berlins, und er wurde mit einem ganzen Schwarm Arretirter, unter denen sich auch mehrere Frauen und Mädchen befanden, nach dem sogenannten Ochsenkopf transportirt. Hier angekommen, wurde der ganze Schub in ein Gemach gesperrt, ohne daß man es nöthig fand, zuvor die Geschlechter zu sondern. Klepper murrte darüber laut, allein durch einige derbe Worte des Schließers zur Ruhe verwiesen, schwieg er, um den weitern Verlauf der Dinge abzuwarten. Das Gemach, in dem er sich mit allen Uebrigen befand, und in welchem eine undurchdringliche Dunkelheit herrschte, war so eng, daß unmöglich Alle darin Platz zum Liegen hätten finden können, und so suchte sich Jeder, so gut es gehen wollte, einzurichten, um den Rest der Nacht zuzubringen, denn vor dem vollen Tage ließ sich auf keine Erlösung rechnen.

Klepper hatte einen Platz in der Nähe der Thür eingenommen und lauschte hier, oft mit Schauder, auf die Unterhaltung seiner rohen Umgebung. Da wurde das halblaute Geflüster durch gellendes Schmerzengeschrei unterbrochen. Eine Frau war plötzlich auf eine Weise erkrankt, welche augenblickliche Hülfe verlangte. Klepper klopfte daher mit gewaltigen Schlägen an den Schieber in der Thür, und bald fragte eine Schildwache, was es gäbe. Klepper sagte es und bat, den Schließer zu benachrichtigen, damit er ärztlichen Beistand herbeischaffe. Brummend entfernte sich die Schildwache mit der Aeußerung, das würde wohl keine so große Eile haben. Und in der That vergingen zehn Minuten, es verging eine Viertel-, endlich eine halbe Stunde, ohne daß der Schließer kam. Während dessen aber war das Geschrei der armen Frau immer kläglicher, immer herzzerreißender geworden, und Klepper donnerte nun ununterbrochen und aus allen Kräften mit Händen und Füßen gegen die Thür und forderte die Zunächststehenden auf, ihn in seinen Bemühungen zu unterstützen. Diese aber verweigerten jede Hülfsleistung der Art, indem sie lachend sagten: „Na, warte nur, Dir wird der Schließer den Dank für Deine Menschenliebe auf den Rücken schreiben.“

Und es schien, als sollte ihre Prophezeiung sich verwirklichen, denn schon nach wenigen Minuten kamen eilige Schritte herbei, und an dem Rasseln des schweren Schlüsselbundes erkannte man den Schließer. „Na, warte nur, Kerl. Du sollst daran denken!“ brummte er, während er die Thür aufschloß und alle Gefangenen scheu aus der Nähe den Ruhestörers zurückwichen, um ja nicht mit diesem verwechselt oder als dessen Mitschuldige betrachtet zu werden. Kaum hatte der Schließer die Thür geöffnet und die Laterne neben sich auf den Fußboden gesetzt, als er mit dem Ausrufe: „Verfluchter Kerl, was soll das heißen!“ auf Klepper eindrang und dazu hoch die Peitsche schwang. – „Zurück!“ donnerte ihm Klepper entgegen. „Er wird hier Niemand mehr unmenschlich behandeln, denn ich entsetze Ihn seinen Postens! – Ich bin der Kriegsrath Klepper!“ – Zugleich hielt er ihm mit drohenden Blicken seine Vollmacht entgegen.

„Gnade, Herr Kriegsrath!“ stammelte erschrocken der Schließer, und sank auf die Knie vor dem Zürnenden, dessen unerbittliche Strenge er kannte und der ihn bei einer frühern Gelegenheit bereits ernst verwarnt hatte.

Ohne eine weitere Antwort zu geben, gebot Klepper: „Jetzt rasch Hülfe geschafft für diese arme Frau. Das Uebrige wird sich finden! – Und für hinlängliche Beleuchtung gesorgt!“

Mit zauberhafter Schnelligkeit wurden die Befehle befolgt, doch bei der Absetzung des Schließers blieb es!

Leider wurde der Kriegsrath Klepper bald darauf seinem segensreichen Wirken durch schwere körperliche Leiden entzogen, welche eine Folge seiner Thätigkeit in den Lazarethen waren. So blieb sein schön begonnenes Werk unvollendet, obgleich man mancherlei Verbesserungen anerkennen muß, die seit jener Zeit in dem Zuchthauswesen Preußens eingetreten sind. Ist aber der Name Dessen, dem man wenigstens zum großen Theile, den ersten Impuls dazu verdankt, hinlänglich gekannt und geehrt? – Längst ruht er in kühler Erde, doch segensreich hat sein Streben ihn überlebt. – Möchte er bald einen edeln Nachfolger finden, der kräftig und würdig in seine Fußtapfen tritt.