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Ländliches Fest (Gemälde der Dresdener Gallerie)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Ländliches Fest
Untertitel: Von Antoine Watteau
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Fête Champêtre.

[202]
Ländliches Fest.
Von Antoine Watteau.

Die italienische Oper war zu Ende und von der Porte de Saint Martin in Paris bewegten sich ganze Züge von Sänften durch die benachbarten Straßen. Aus den dunklen Pforten des kleinen Gebäudes, das mehr einem großen Thespiskarren, als dem eleganten Palaste des jetzigen Theâtre des Italiens ähnlich war, schlüpften die letzten Nachzügler hervor, einzelne Gruppen von meist jungen, eleganten Modeherren, die sich auf dem kleinen Platze vor dem Theater aufstellten und sich über die wichtige Angelegenheit beriethen, wie die Nacht hinzubringen sei. Dann kamen, tief in ihre dunklen Mäntel gehüllt, flüsternde Damen und Herren mit Papierrollen in den Händen. Sie hatten des Lebens wechselvolles und buntes Spiel hinter sich, und ihre Lage bot mehr als eine Aehnlichkeit mit derjenigen der Schatten in der Unterwelt, denen der Tod nach dem letzten Acte den Vorhang zugezogen hatte – es waren die Schauspieler und Schauspielerinnen.

Man erkannte leicht den dicken Allessandro Farini, den liebenswürdigen Herrn, welcher mit seiner weichen Flötenstimme bis an’s hohe „E“ hinaufsäuseln konnte. Farini war in Constantinopel gewesen und hatte nicht allein vor dem Großherrn, sondern auch vor den Sultaninnen und Odalisken des Serails gesungen. Die schönsten Hände des Orients hatten den Sänger mit Kaffee und Scherbet bedient, und kein männliches Geschöpf des Erdballs, außer dem Sultan selbst, konnte sich rühmen wie Farini, daß die Favoritin des Allmächtigen ihm die lange Wasserpfeife angebrannt habe. Farini hatte, als immerwährende Erinnerung an diese constantinopolitanischen Triumphe, ein Costüm beibehalten, welches fast durchaus orientalisch war. Es fehlte höchstens der Turban, den er durch ein damals beliebtes, breites Baret ersetzte.

Unverkennbar war auch die Schönste der italienischen Künstlerinnen, welche ruhig neben Farini ging und seine Schmeicheleien, süß wie Maccaroni und Marzipan, mit eigensinnigem Schweigen anhörte. Es war dies Signora Maria Chiarini. Ihr Fuß war weltberühmt, man nannte ihn „den unsichtbaren“. Ein bekannter Witzbold, der, wo zwei oder drei Bühnenkünstler oder Künstlerinnen versammelt waren, sich regelmäßig mitten unter ihnen befand, der sogenannte Abbé Saint Foix, nannte die kleinen Füße der Chiarini nur „die abwesenden“, und behauptete in Anwesenheit der Signora Maria so maliciös: sie sei wie ein Paradiesvogel ganz fußlos, daß [203] ihm die erbitterte Dame eine Ohrfeige gab. Diese Ohrfeige betrachteten die Schauspieler als eine neue Art von Ritterschlag, und nannten seit dem Augenblicke, als Maria’s Hand „leicht wie der Westwind“, aber kräftig gleich derjenigen des Vulcans, die Wange Saint Foix’ berührte, diesen nur dem Chevalier de Saint Foix. Der eitle Bonmotfabrikant und Spötter schien dem Himmel zu danken, auf eine so angenehme Art in den Adelstand erhoben zu sein, und unterzeichnete sich von da an nur mit Hinzufügung seiner neuen Würde. Signora Chiarini konnte ihn durchaus nicht leiden, obgleich er nie müde ward, in Gedichten, die zuweilen nicht schlecht waren, ihre herrliche Taille, die Grazie ihrer Bewegungen und die ausdrucksvolle Schönheit ihrer edlen Gesichtszüge zu preisen. Auch heute Abend lief Saint Foix neben der Sängerin und bot ihr vielleicht zum hundertsten Male den Arm, den sie durch eine stolze Bewegung des Kopfes ausschlug.

Saint Foix war klein, hager, mit struppigen, emporgesträubten, schwarzen Haaren und einem scharf markirten Gesichte, das sich durch buschige Augenbrauen, funkelnde kleine Augen und eine große Nase auszeichnete. Außerdem war er in den Schultern schief und bildete sich unendlich viel auf seine dünnen Beine und großen Füße ein, worüber er unbarmherzig spottete, wenn ihm sonst nichts Besseres für seine Laune in den Wurf kam.

Saint Foix war verheirathet und besaß eine ausgezeichnet schöne Frau, von der er feierlich behauptete, sie sei rasend in ihn verliebt. Er trieb, wenn sie gegenwärtig war, fortwährend Possen, weil sie, wie er sagte, sich nie besser amüsire, und hatte Madame de Saint Foix ihr Kind bei sich, so machte es der schwarze Kobold so arg mit seinen Sprüngen und Gesichterschneiden, daß nur sehr genaue Bekannte diesen entzückten Bajazzo um sich duldeten. Es war sehr merkwürdig, daß Madame Saint Foix alles Ernstes in diese scurrile Figur verliebt schien. Sie erschien nie anders öffentlich, als mit ihrem Gemahl, und das war sehr selten. Noch seltener sah man sie ohne ihr Kind, ein Mädchen von etwa fünf Jahren, welches von der Mutter die Schönheit, von dem Vater die unausstehlichste Lebhaftigkeit und Ausgelassenheit geerbt hatte. Der Ruf der jungen Frau war so ausgezeichnet, wie man ihn damals selten fand. Es schien, genauer betrachtet, jedoch nichts als incarnirter Stolz, daß Madame de Saint Foix unerbittlich alle Huldigungen zurückwies, die ihr von gewiß liebenswürdigen Männern zu Füßen gelegt wurden, und man prophezeite daher ihren Fall, sobald sich ihr ein Anbeter nahe, ausgezeichnet genug, um diesem Stolze schmeicheln zu können. Saint Foix jedoch hatte mit kaltem Blute seine Frau an den Hof gebracht und sie mit allem Verführerischen umgeben, so sicher war er ihrer.

Signora Chiarini bewahrte nicht minder eigensinnig ihren Ruf als unbezwingliche Schöne, und um so mehr, als man, aller ihrer Strenge gegen ihre Anbeter ungeachtet, behauptete, sie wisse dennoch mehr von Liebe, als in den an sie gerichteten Liebesbriefen zu lesen sei. Diese Tugendheldenschaft machte die Madame de Saint Foix und die Signora Chiarini zu Freundinnen, was jedoch durchaus nicht hinderte, daß Beide aufeinander wegen ihrer Schönheit maßlos eifersüchtig waren. Noch mehr, Jede suchte die Andere auf alle Weise in eine Liebesintrigue zu verwickeln, um den Ruhm der Unbesiegten nicht mehr mit ihr theilen zu müssen. Die Chiarini schickte die besten ihrer Anbeter zu Madame de Saint Foix, um dort ihr Glück zu versuchen, und diese machte es in Bezug auf ihre Nebenbuhlerin genau eben so. Doch ging Madame de Saint Foix bei dieser Gelegenheit aufrichtiger und consequenter zu Werke als die Italienerin; denn während diese sich nicht überwinden konnte, den schönsten der Cavaliere, welche ihr den Hof machten, [204] den Marquis de la Boulaye, der Madame de Saint Foix zu überweisen, opferte diese letztere den ausgezeichnetsten und graziösesten ihrer Adonisse, den täglich berühmter werdenden Maler Antoine Watteau, ohne einen Seufzer auf und beschwor ihn, der Chiarini zu huldigen, indeß sie hinzufügte: sie wolle schwören, daß die Künstlerin in ihn sich auf’s Unbeschreiblichste verliebt habe.

Diese Menschen, welche wir soeben zeichneten, fanden sich vor dem italienischen Theater des Königs zusammen: Saint Foix und Farini, die Chiarini und ihre schöne Nebenbuhlerin, wie gewöhnlich ihr Kind neben sich. Man schien zuerst beabsichtigt zu haben, sich blos etwas umständlich gute Nacht zu wünschen; die Unterhaltung aber dehnte sich bereits über eine halbe Stunde lang aus, und Saint Foix war schon zum zwanzigsten Male aus die „unvergleichliche“ Idee gekommen, noch einige Freunde aufzugreifen, um bei irgend Jemand, welcher seine Zimmer dazu herzugeben gesonnen sei, eine Nacht Attika’s zu feiern, unter der Bedingung jedoch, daß das attische Salz die Gestalt von unverfälschtem Falernerwein annehme. Während dieser Debatten trat eine andere Dame zu der ziemlich bunten Gruppe.

Diese war prätenziöser gekleidet als Signora Chiarini oder Madame Saint Foix. Zwei Fackelträger gingen ihr zur Seite, und die Sänfte, welche sie soeben verließ, blitzte von ungeheurem, vergoldetem Schnitzwerk.

Saint Foix beeilte sich, der Frau „Marquise“ seine Huldigungen darzubringen, indeß Farini sich stolz von ihr abwandte, vermuthlich, weil sie dafür bekannt war, daß ihr nichts gleichgültiger war, als Huldigungen, wie sie der arme Sopransänger in seiner Gewalt hatte.

Es war damals, im Jahre 1708, die Zeit, wo man keine zehn Schritte in Paris machen konnte, ohne über einen Marquis oder Grafen zu stolpern. Der Marquisen und der Gräfinnen waren natürlich nicht wenigere vorhanden, und unter den männlichen wie den weiblichen mit Adelstiteln Geschmückten befand sich nur ein zu großer Theil von Menschen, deren ganze hochadelige Ahnenschaft etwa in einem Federhute und einem Degen, oder in einer ungeheuerlichen Hoffrisur, in Schuhen mit rothen Absätzen und einem Elfenbeinfächer bestand. Sie waren kaum auf eine so anständige Weise zu Adeligen gemacht, als der verwachsene Saint Foix.

In dieser Classe rangirte man die Marquise la Bresson, welche, gleich einer den Wolken entsteigenden Juno, die beiden Tugendheldinnen begrüßte. Es ging eine unverbürgte Sage, zufolge welcher Madame la Bresson an einem schönen Morgen mit einem bescheidenen Bündel unter dem schönen Arme zu Fuß in Paris eingerückt sein sollte. Dieser sagenhafte Bündel hatte ein altes grünes Seidenkleid, zwei alte Atlasschuhe, einen kleinen Spiegel, Pomade und Puder, einen Fächer, eine Schachtel mit Schönpflästerchen und ein Paar lange seidene Handschuhe mit vergoldeten Quasten enthalten. Hiermit bewaffnet, hatte sie dem Markte oder der Foire de la Porte de Saint Martin beigewohnt und glücklich die Bekanntschaft eines alten Herrn von Bresson gemacht, den sie bald so vollständig bezauberte, daß der Bonhomme sie in aller Form Rechtens heirathete, aller Wahrscheinlichkeit nach zu großem Schaden seines irdischen Lebens, das er, gequält und geängstigt, etwa fünf Monate nach seiner letzten glorreichen Dummheit verließ. Madame erbte zwar bedeutende Schulden, konnte aber als freie Marquise auftreten, und nahm ihre Maßregeln so diplomatisch, daß sie durch die Freigebigkeit ihrer Anbeter noch nie um eine Sänfte und um einige Bedienten, noch weniger um elegante Kleidung und Schmuck verlegen [205] gewesen war. Diese Dame hatte Saint Foix die Jahrmarkts-Marquise getauft, und dieser Name war von ihr nicht wieder wegzuwischen.

Madame la Bresson fing, gleich einem Rattenfänger, alle Liebhaber weg, welche sich um Signora Chiarini sowohl, als um Madame Saint Foix bemühten, um sie bald darauf mit der naivsten Ungenirtheit gegen die neuen Ankömmlinge zu vertauschen, welche sich in den Schönheitsnetzen der Tugendhaften gefangen hatten. Signora Chiarini hatte Alles angewandt, um den Marquis de la Boulaye vor ihr zu bewahren. Dennoch hatte ihn die Jahrmarkts-Marquise erobert.

Saint Foix behauptete steif und fest, Madame la Bresson habe etwas Hyänenartiges, indeß sie die Todten verzehre, welche die Tugendheldinnen hinopferten. Die Marquise war gewiß, in der Nähe derselben immer Jemand zu erwischen, der seiner Rolle als seufzender Seladon bei der einen oder der andern der marmornes Schönen gründlich überdrüssig geworden war und Bedürfniß verspürte, sich dadurch, daß er Madame la Bresson anbetete, zu gleicher Zeit von seinen Liebesklagen zu erholen und sich an den Kaltsinnigen zu rächen.

Heute Nacht erbot sich Madame la Bresson mit der ihr eigenen Gefälligkeit, ihre Säle zu öffnen, um die Gesellschaft, welche sich immer mehr überzeugte, daß sie sich nun heute nicht trennen könne, aufzunehmen.

– Aber nothwendig müssen Sie, lieber Saint Foix, für Cavaliere sorgen! rief die Marquise. Ich werde noch einige Damen zu finden wissen und dann werden wir, gelingt mein Plan nur einigermaßen, uns morgen Abend um diese Zeit acht Stunden von Paris befinden, um . . . rathen Sie . . . was zu thun?

– Es ist doch dort nicht etwa Jahrmarkt? bemerkte Saint Foix mit großer Ruhe.

Der Castrat lachte sehr boshaft.

– Jahrmarkt? Pfui doch! Niemand denkt daran. Wir werden nach Les sept Fontaines reisen, dem reizendsten Dorfe in ganz Frankreich, parole d’honneur.

– Sept Fontaines? sagte die Chiarini, plötzlich sehr aufmerksam werdend. Das Dorf und das Schloß darin gehört ja dem Marquis la Boulaye, denke ich?

– Sehr richtig! erwiderte die Marquise mit einer Art Triumph. Da Sie dieses aber wissen, wird es Ihnen nicht schwer werden, Mademoiselle, das Uebrige des Geheimnisses zu errathen.

– Wirklich, nein, ich begreife Sie durchaus nicht, Frau Marquise! stammelte die Italienerin.

– Ich desto besser! sprach Madame Saint Foix. Der Marquis la Boulaye beabsichtigt ohne Zweifel seiner Angebeteten seine Güter, sein Schloß zu zeigen . . .

– Welches er gesonnen ist, nicht mit ihr zu theilen! schloß Saint Foix. Ich kenne diesen Theodor; er ist in gewissen Punkten ein höchst unzuverlässiger Taugenichts. Ich warne Sie also, Madame la Marquise.

– Und Sie, bester Herr de Saint Foix, erwiderte die Marquise, sind in gewissen Punkten ein höchst boshafter Mensch, was ich Ihnen ebenfalls zur Warnung sage. Der Marquis wird mich, wie ich Ihnen hierdurch eröffne, morgen mit so vielem Eclat als möglich nach Sept Fontaines entführen . . .

[206] – Was? riefen die Zuhörer wie auf’s Signal.

– Ja, entführen, sage ich, um sich mit mir sobald als möglich, ich hoffe morgen Abend, zu verheirathen . . .

– Unmöglich! rief die Signora Chiarini, indeß die Madame Saint Foix, sich ungeheuer ärgernd, stillschwieg.

– Nein, erlauben Sie! sagte Saint Foix, im höchsten Grade bei der Aussicht auf einen öffentlichen Scandal entzückt; erlauben Sie, auf das Entführen zurückzukommen. Wer wird entführt werden?

– Pardieu! das ist denn doch eine ungewöhnliche Beschränktheit. Ich! Ich!

– Aber, Madame, es fehlen ja die allernothwendigsten Voraussetzungen, damit der Begriff einer Entführung nur halb herauskommt. Wem denn, entschuldigen Sie, will man Sie entführen? Ihren Kammerzofen, oder Ihren Bedienten, oder der Männerwelt von ganz Paris, oder blos einfach Ihrem Zimmer . . .

– Bah! Der Marquis entführt mich, um mich wider den Willen seiner Aeltern in der ländlichen Abgeschiedenheit seines Schlosses zu heirathen . . .

– Immer besser, Madame la Bresson! Sie also entführen den Marquis . . . Ah, ah . . . Ich dachte mir’s, und so allerdings gewinnt das Ding an Wahrscheinlichkeit und bon sens bedeutend. Aber gleichviel, geht die Reise nach Sept Fontaines, wofür ich zum voraus das wohlwollendste Vorurtheil habe, so betrachten Sie mich als den Ihrigen, Madame. Ich bevorworte jedoch ausdrücklich, daß Sie während dieses Feldzuges alle ersinnliche Mühe für Proviant aufwenden werden.

– Oh, keine Sorge! Aber werden wir wirklich heute Nacht vor dem Theâtre des Italiens residiren? Allons, wir werden einen Lohnkutscher aufsuchen und uns nach meinem Hôtel in Saint Germain begeben . . .

– Sehr wohl, Frau Marquise! sagte die Chiarini. In diesem Falle erbitte ich für mich Ihre Sänfte bis zum Quartier latin; denn ich bin gesonnen, heute Nacht in meiner Wohnung zu schlafen.

– Gern, gern, Signora, obwohl mir Ihr Entschluß leid thut. Höchst wahrscheinlich werden wir heute Nacht ausgesuchte Herrengesellschaft haben . . . Der Graf Arnaud . . . der Maler Antoine Watteau . . . Pierre Mabonne vom Theatre français und seine Schwester Therese . . .

– Aber diese letztere bitte ich jedenfalls von der Liste der Cavaliere in Abzug zu bringen! bemerkte Saint Foix.

– Sie doch mit Ihren ewigen Bemerkungen! Kein Wort kann man reden, ohne daß Sie nicht Veranlassung nehmen, boshafte Correcturen anzubringen . . . Und dann mein Bräutigam Theodor Boulaye . . . Doch, entschuldigen Sie, Madamoiselle; ich vergaß, daß Sie gewiß am wenigsten dadurch bewogen werden, uns zu begleiten, wenn sie die Aussicht haben, von einem Kreise glänzender Schmetterlinge sich umschwärmen lassen zu können.

– Männlicher Schmetterlinge! berichtigte Saint Foix abermals.

Die Chiarini besann sich nur einige Secunden. La Boulaye würde in den Sälen der Marquise erscheinen, und sie konnte es nicht über sich gewinnen, den Ungetreuen noch ein Mal vor [207] dem ungeheuren Salto mortale in den Armen der Marquise de la Foix zu sehen und zu sprechen.

Sie verbeugte sich daher, als die La Bresson ihr den Arm bot und häkelte sich an ihre Nebenbuhlerin selbstverleugnend an. Die übrige Gesellschaft folgte: Saint Foix, schon im voraus gastronomische Wonnen empfindend, Farini für sich menschenfeindlich oder vielmehr weiberfeindlich murmelnd, aber dennoch allmälig bei dem Gedanken an den zukünftigen Falerner guter Laune werdend.

Der Platz vor dem italienischen Theater war leer geworden. Jetzt erst trat ein schlanker und junger Mann aus dem Schatten eines Mauervorsprungs, seufzte tief auf und schaute den Verschwundenen sehnsüchtig nach. Zuerst folgte er ihnen mit raschem Tritte, dann stand er unschlüssig still, lief eben so eilig rückwärts, um abermals mit verdoppelter Schnelligkeit seinen ersten Weg zu machen, doch nur um sich bald zum zweiten Male umzuwenden und in ein, von heftigen Gesten begleitetes, halblautes Selbstgespräch sich zu vertiefen.

Lautes Gelächter unterbrach ihn in seiner poetischen Beschäftigung, und langsam trat ein anderer in einen Mantel gehüllter Mann an ihn heran.

– Ist Maître Antoine Watteau wirklich gesonnen, hier unter freiem Himmel den „Arlequin Misanthrope“ nachträglich aufzuführen, damit die Nachtwächter eine Idee von theatralischer Kunst bekommen? fragte der Angekommene.

– Ah, Du bist’s, Boulaye! sagte Watteau zerstreut. Ich versichere Dich indeß, daß ich heute Nacht zu nichts weniger aufgelegt bin, als dazu, Deine ewigen Schraubereien anzuhören.

– Vortrefflich, Antoine! Ganz wie ein Misanthrop geantwortet. Ich bin jedoch, mit Deiner menschenfeindlichen Erlaubniß, der Meinung, daß Schraubereien, wie Du es nennst, im höchsten Grade Dein Geschmack sind . . . Würde ich sonst wohl versuchen, meinen Busenfreund damit zu unterhalten? Denke doch gefälligst an diesen schiefen Saint Foix! Ich habe mit wahrer Verwunderung gesehen, wie Du Dich von diesem boshaften, naschhaften, gefräßigen Pavian ganze Stunden lang auf die groteskeste Manier, die es geben kann, schrauben nicht nur, sondern aufziehen ließest . . . Wie? – Aber Du wirst mir einwenden: dann war auch Madame Saint Foix gegenwärtig, welche die Güte hatte, mich wie mit einem undurchdringlichen Schilde gegen die Stöße und Hiebe des Chevaliers de Saint Foix zu verpanzern. Auch gut! Ich werde, da ich es unmöglich unterlassen kann, mich über einen Misanthropen lustig zu machen, Madame de Saint Foix holen, damit Du an meinen Witzen über Dich nicht etwa Gelegenheit nimmst, auch gegen mich, den letzten Deiner Freunde, der trotz Deiner Unausstehlichkeit bei Dir ausharrte, im Ernste wüthend zu werden.

Sobald Theodor de Boulaye den Namen der Madame de Saint Foix genannt hatte, ging mit dem Maler eine rasche Veränderung vor. Er hatte bisher die Arme gekreuzt, den Kopf tief herabgesenkt und stand, von Theodor abgewandt, in der vollkommensten Attitude eines Tirannen oder Bösewichts der Bühnenwelt unbeweglich da. Jetzt warf er den Mantel zurück, schob den Federhut aus der Stirn, ergriff den Marquis sanft am Arm, zog ihn dicht an sich und flüsterte mit zärtlichem Tone:

– Ich sah sie heute Abend! Hier stand sie, hier!

– Und wo standest denn Du? fragte Theodor.

[208] – Dort, hinter jenem Pfeiler . . .

– Ich dachte mir’s. Weiter nur . . .

– Ich hörte jedes ihrer Worte, ja ich glaube jeden ihrer Athemzüge, und dennoch, während ich von Leidenschaft verzehrt wurde, fand ich nicht so viel Muth, um hervorzutreten und mich ihrer Gesellschaft anzuschließen.

– Glaub’s gern! Antoine! Warum gehst Du ohne mich, wenn Du der Dame Deines Herzens Deine Aufwartung machen willst?

– Ich habe gebetet – lache nicht – gebetet, daß ein gütiger Engel Dich des Weges führen möge. Vergebens! Da bist Du zwar, aber nur um meinen Schmerz durch Deine Sarkasmen um so bitterer zu machen.

– Alberne Redensarten! brummte de Boulaye. Wohin denn hat Saint Foix Deine Göttin entführt . . .

– Zu der La Bresson. Sie müssen Dir begegnet sein.

– Ich dächte nicht, Watteau.

– Dieser buckelige Affe hatte sich so fest an sie angeklammert, daß es fast unmöglich schien, mit ihr zu sprechen.

– Was? Er hielt ihr vielleicht die Ohren zu?

– Ach! seufzte Watteau über seinen unverbesserlichen Freund.

– Aber was wollen diese Saint Foix’s bei der Bresson? fragte de la Boulaye. Du hast doch gehört, was sie sprachen. War Niemand weiter in der Gesellschaft?

– Doch ja! Der fette Farini und die Signora Chiarini. Die Bresson sprach davon, daß der Comte d’Arnaud und weißt Du, Pierre Mabonne und Du und ich selbst heute Nacht in ihren Sälen erscheinen würden.

– Höre, Antoine! rief Theodor, wäre ich nicht überzeugt, daß Du keineswegs die Absicht hast, mich durch Deine fortwährenden Schwachsinnigkeiten aufzubringen, so würde ich Dich hier auf der Stelle erwürgen . . . . Signora Chiarini . . . . . Fort doch, fort, damit wir sobald wie möglich bei dieser Marquise vom Jahrmarkt ankommen. Das Erste zuletzt und das Letzte zuerst! so heißt’s bei Dir. Ich begreife nicht, wie Du nur im Stande sein kannst, ein einziges, nur halb vernünftiges Bild zu malen, Du Nebenbuhler „des Raphael“. Aber jetzt sehe ich’s, Du bist keineswegs zu bedauern, wenn Du im Puncte der Liebe die unbarmherzigste Lection empfängst, die noch je einem so hasenherzigen Liebhaber, wie Du es bist, zu Theil wurde . . . . . Ich frage Dich, gehst Du mit mir oder nicht . . . . . Eigentlich verdienst Du, daß ich Dich hier stehen lasse, um nach Belieben heute Nacht Deine früheren interessanten Monologe fortzusetzen . . .

Watteau fing an sich zu entschuldigen, indeß er den Freund in der Furcht, er möge ihm entwischen, sehr fest am Arme hielt. Beide machten sich jetzt auf den Weg und suchten mit aller Geschwindigkeit, welche sie auftreiben konnten, das Hôtel der Jahrmarkts-Marquise zu erreichen[WS 1]. Unterwegs versuchte es der Maler, den Marquis zu bewegen, daß er ihm über die zukünftige Entführung der La Bresson einigen Aufschluß geben möge.

– Du wirst es sehen, welches Stück eigentlich gespielt wird! erwiderte Theodor. Auch Du wirst mit nach Sept Fontaines fahren.

– Ja! Vorausgesetzt aber, daß Madame de Saint Foix ebenfalls von der Partie ist.

[209] – Saint Foix schlägt meine Einladung nicht aus, sagte Theodor, und daß daher auch Deine tugendhafte Göttin nicht fehlen wird, brauche ich nicht erst besonders zu versichern.

Watteau drückte seinem Freunde die Hand und Beide gingen nicht, sondern trabten dem Faubourg de Saint Germain zu.

In den Sälen der La Bresson war eine glänzende Gesellschaft versammelt. Hatten hier auch viele Herren und Damen, deren Ruf nicht der beste war, Zutritt, so war doch so viel gewiß, daß hier Niemand anwesend war, der sich nicht durch Geist, Talent oder Schönheit und gesellige Vorzüge ausgezeichnet hätte. Meist gehörten die Gäste den „freien Schichten“ der Gesellschaft an: es waren Schauspieler und Schauspielerinnen, Dichter, Gelehrte, Maler, Bildhauer und vornehme Abenteurer beider Geschlechter, doch aber auch hörte man hier Namen vom reinsten Klange und vom höchsten Adel Frankreichs.

Als die beiden neuen Gäste eintraten, erhob sich die Herrin des Hauses und flog auf Theodor de la Boulaye zu, welcher sich mit seinem süßesten Lächeln verbeugte und die etwas zu fleischige Hand derjenigen küßte, welche ihn Paris und allen seinen geheimen Anbeterinnen zu entführen im Begriffe stand. Eine dieser Anbeterinnen schien sich bis jetzt noch nicht in den Sieg der Marquise de la Foire gefunden zu haben. Das war Signora Maria Chiarini. Und gleich als hätten die Blicke derselben eine magische Anziehungskraft, so wandte sich das Auge Theodors de la Boulaye selbst dann noch nach ihrem blühenden edlen Antlitze, als seine Lippen sich auf die ausgepolsterte Rückenfläche der Hand der La Bresson hefteten. Watteau lächelte. Der Sittenmaler hatte einen seiner charakteristischen Züge der Natur abgelauscht, welche er mit so großer Virtuosität und Feinheit in seinen Gemälden wiederzugeben verstand.

Er selbst, Watteau, wagte es dagegen nicht, seine Geliebte, die Madame de Saint Foix, nur anzublicken, und unbeschreiblich war seine Verwirrung, als sein boshafter Freund, der Pavian, wie ihn die Freunde früher nannten, als Saint Foix selbst herbeieilte, den Maler eilig und dienstfertig an beide Arme faßte und ihn so gleich einem unglücklichen Kriegsgefangenen zu seiner reizenden Frau schleppte.

Die Madame de Saint Foix empfing den jungen Maler liebevoller als sie es je gethan hatte. Watteau verdiente gewiß die Aufmerksamkeit selbst der schönsten Frau im hohen Grade. Er war jung, schön gewachsen, mit glänzend schwarzem, kurzgeschornen Haare und geistreichen Mienen. Sein Blick, schüchtern und verschämt, gleich demjenigen eines jungen Mädchens, war fast unwiderstehlich, wenn er ihn bittend erhob. Und dieser junge Mensch war ein Berühmter, dem selbst die ausgezeichnetsten, eigensinnigsten Kunstkenner die glänzendste Laufbahn und einen Ruhm prophezeihten, wie ihn bisher in Frankreich kaum ein Lebrun genossen hatte. Es war geradezu unmöglich, daß eine Dame diesen so genialen, bescheidenen, schönen und – um den Reiz voll zu machen – schwermüthigen Maler mit kalter Grausamkeit behandelte. Madame de Saint Foix hatte dies bisher allerdings gethan, und nichts hatte vielleicht der Glorie ihrer Tugend mehr geschadet, als eben dieser Umstand; denn an ihm ließ sich fast unwiderleglich beweisen, daß die reizende Frau sich mit Gewalt zwinge, ihre Empfindungen zu unterdrücken aus der bizarren Ursache, weil sie den Ruf ihrer Unempfindlichkeit nicht einbüßen wollte.

Saint Foix war die Unverschämtheit selbst, kam aber heut Nacht sehr außer Fassung, als seine Gemahlin den Maler mit einem schwärmerischen Blicke ihrer blauen Augen empfing, ihm [210] die Hand reichte und ihm zuflüsterte: er möge ein Tabouret nehmen und sich zu ihren Füßen niedersetzen.

– Es ist endlich Zeit, Antoine, sagte die Saint Foix, daß ich Ihnen ein Geheimniß offenbare, was ich Ihnen aus Eigennutz nur zu lange verbarg.

Watteau verstummte; seine Aufregung machte ihm eine Antwort unmöglich. Saint Foix aber krähte:

– Du, Elise, Geheimnisse, von denen ich nichts weiß? Großer Gott! jetzt sehe ich’s ein, welches mein Schicksal sein wird – ich werde eben so gut in einen Rehbock, wo nicht gar in einen Hirsch verwandelt werden, als diese Andern, die wahnsinnig genug waren, in Paris sich zu verheirathen.

Madame de Saint Foix blickte den Buckeligen mit großer Misachtung an.

– Dein Bewußtsein sagt Dir, was Du verdienst! erwiderte sie. Das ist traurig genug.

– Ich habe gar kein Bewußtsein mehr, entgegnete Saint Foix, seit ich weiß, daß Du anfängst, zu intriguiren. Ich will wissen, was Ihr hier abzureden im Begriffe steht.

– Sehr gut, Monsieur! erwiderte die Frau. Dann wandte sie sich an Antoine Watteau und fuhr kaltblütig fort: Sprechen wir englisch, mein verehrter Freund, und überlassen wir es meinem Gemahle, hier in dieser Gesellschaft für sich einen Dolmetscher aufzusuchen.

Saint Foix wüthete, hatte aber so viele Contenance erlangt, daß er sich entfernen konnte, genau so, wie es die andern Ehemänner zu machen pflegten, die er immer so sehr bespöttelt hatte.

– Antoine! flüsterte die Dame dem Maler zu. Ich will Sie mit einem Male für lange Monate des Schmerzes und der Trauer entschädigen, und Sie für die Standhaftigkeit belohnen, womit Sie mir so lange im Stillen treu blieben.

– Ach, Madame, ich errathe es; jetzt erst wollen Sie mir den letzten Trost rauben und mein Herz brechen . . . stammelte Watteau, dem die tiefe, melancholische Bewegung der schönen Frau nicht entgangen war.

– Hören Sie mich an! sprach diese Letztere. Ich bin für Sie verloren; denn ich werde sammt meinem Kinde in ein Kloster gehen, um mich von einem ekelhaften, qualvollen Verhältnisse mit einem Schlage zu befreien. Ich hatte mein Gelübde dem Himmel bereits geschworen, bevor ich Sie zuerst erblickte. Empfangen Sie das Geständniß, daß Sie und nur Sie es waren, wodurch ich verhindert wurde, dies Gelübde zu erfüllen. Aber meine Verblendung, als könnte ich in der Welt Ruhe und Glück finden, nachdem ich einmal an diesen abscheulichen Possenreißer durch die Noth gekettet wurde, ist vorüber. Ich will keine Seligkeit durch ein Verbrechen erkaufen . . . Wir werden uns bald nicht mehr sehen und diese Trennung wird eine ewige sein . . . . Vorher aber empfangen Sie von mir den Wink, auf welchem Wege Sie sich über meinen Verlust trösten und Ihr Glück erbauen sollen . . . Maria Chiarini liebt Sie, Antoine . . . Ich hab’s heute Abend aus ihrem eigenen Munde gehört. Die La Bresson moquirte sich darüber, daß Theodor de la Boulaye der Chiarini entrissen sei, da bekannte das edle Mädchen offen, daß Sie ihr Alles wären, daß ihr Herz aber für la Boulaye nie geschlagen habe.

[211] – Ah, Madame, wenn das auch Wahrheit wäre, seufzte der Maler, indeß er ihre kleinen Hände preßte, was hülfe es mir, da ich für Niemanden als für Sie Liebe hege und hegen werde?

– Scherzen Sie nicht, Antoine! Ich bin eine alte Frau mit einem Kinde von fünf Jahren . . .

– Madame, die Venus ist auch Mutter . . .

– Ah, Watteau, Sie werden empfindsam und dann sind Sie unausstehlich! sagte Madame de Saint Foix übellaunig.

Sie besaß nämlich die den Damen aller Zeiten anklebende Schwäche, sich durch das Anzetteln von Liebesintriguen zwischen Andern dafür zu entschädigen, daß sie selbst als Hauptperson an dergleichen Unterhaltungen keinen Antheil nehmen durfte.

– Sehen Sie, da kommt die Italienerin! fuhr die Frau besänftigter fort. Ist sie nicht reizend, göttlich? Und dies Mädchen liebt Sie . . . . Sehen Sie, wie kalt Theodor de la Boulaye von ihr empfangen und zu der Bresson zurückgewiesen wird, die gleich einem Haifische ihre Beute in Empfang nimmt? Bemerken Sie diesen verwirrten Blick, welchen Signora Maria auf Sie richtet . . . Da ist sie . . . Sie wissen genug . . .

Der Maler erhob sich und machte eine sehr steife Verbeugung. Madame de Saint Foix flüsterte der Sängerin einige Worte in’s Ohr . . . Die Chiarini stutzte; dann aber ward sie sehr aufgeräumt.

Bon! lispelte sie, Watteau die Hand reichend. Ich nehme mein Wort nicht wieder zurück . . . Herr Watteau, ich bringe Ihnen meine Huldigung dar . . . Bemerken Sie aber wohl, daß ich nicht besiegt wurde, sondern freiwillig als Siegerin vor Ihnen stehe.

– Ach, meine Dame! murmelte Watteau, der sich in diese neue Situation durchaus nicht finden zu können schien.

– Sie scheinen sehr unglücklich! sprach die Chiarini mit einem ziemlich verachtenden Seitenblicke auf den Fassungslosen.

– Ach ja! stammelte dieser, kaum wissend, was er sagte.

– Tropf! flüsterte die Italienerin, die schönen Lippen aufwerfend. Geben Sie mir Ihren Arm, mein Herr, und gehen Sie mit mir durch die Säle und vergessen Sie nicht, mich Ihren Freunden und namentlich dieser Jahrmarkts-Marquise als Ihre Verlobte vorzustellen.

– Ja, ja!

Watteau gehorchte und machte in der Gesellschaft die Runde. Die Chiarini triumphirte und der Maler sah bei diesem unerwarteten Ereignisse aus wie ein Leichendiener. Die La Bresson schien sich aufrichtig über diese Neuigkeit zu freuen; Theodor de la Boulaye aber, der neben ihrem Stuhle stand, ward bleich wie ein Gespenst.

– Andere Menschen können sich auch verloben, wenn Sie erlauben! murmelte die Chiarini.

– Dem Teufel habe ich erlaubt, sich zu verloben, aber nicht Ihnen, Madmoiselle! sagte der sehr leidenschaftliche Marquis. Signora Maria, wollen Sie jetzt noch in diesem Augenblicke ein einziges Wort hören?

– Ich weiß nicht, was Sie wollen können, erwiderte die Sängerin. Vermuthlich aber [212] wollten Sie die schöne Braut an Ihrer Seite und nicht mich anreden . . . . . . Kommen Sie, Antoine; es ist längst zwei Uhr Morgens . . . Besorgen Sie mir eine Sänfte . . .

Der Maler schied mit der neuen Geliebten, die ihn unterwegs mit Vorwürfen über sein kindisches Benehmen überhäufte und ihn endlich an ihrer Thüre stehen ließ, ohne ihm nur gute Nacht zu wünschen. Antoine schlug sich vor die Stirn. Er war wüthend, außer sich; er begriff diese Italienerin nicht . . . Und dennoch! Er hatte nie im Leben eine Geliebte besessen. Ein ganz eigenthümliches Gefühl bemächtigte sich seiner. Dies von ganz Paris bezaubernd genanntes Mädchen war die Seinige. Ihre Hand hatte in der seinigen geruht, sie hatte ihm Liebe geschworen, und seine Bitte um einen Kuß war vielleicht doppelt und dreifach erhört. Maria hatte wirklich im Sturme sein Herz erobert, und noch waren keine drei Stunden vergangen, da war Monsieur Watteau so verliebt in seine neue Braut, daß er auf die Zeit, während welcher er die Saint Foix, das Eigenthum eines Andern, anbetete, als auf eine glücklich vorübergegangene Periode bemerkenswerthen Schwachsinns zurückblickte. Allem Anscheine nach war seine jetzige Herzensdame so wild und unbändig, daß dem sanftmüthigen Watteau das Herz ängstlich pochte, wenn er daran dachte, daß diese Tirannin bestimmt sei, seine Ehegenossin zu werden.

Früh am andern Morgen kam der Läufer des Marquis Boulaye und überbrachte dem Maler die Einladung nach dem Sept Fontaines. Sie war zugleich auf die Signora Chiarini gerichtet und ein besonderes Billet schärfte es dem Maler ein, keineswegs seine schöne Braut in Paris zurückzulassen. Watteau eilte so schnell als möglich zu seiner Tirannin.

Sie empfing ihn höchst übellaunig. Watteau konnte kaum an ihr reizendes Negligee, an ihre kleinen Pantoffeln denken. Nur mit Mühe vermochte er die Sängerin zu bewegen, ihm zu folgen. Er trieb im Quartier latin mit nicht geringer Mühe eine Sänfte auf, packte die eigensinnige Schöne hinein und lief zu Fuß nebenher, weil Signora Chiarini behauptete, dem Manne gebühre erst nach der Hochzeit eine Porte Chaise.

Als sie in der Straße anlangten, wo der Marquis de la Boulaye wohnte, konnten sie kaum vorwärts dringen. In langer Reihe waren vorsündfluthliche große Karossen aufgefahren, in denen die niedlichsten und kühnsten Gesichter sich bemerklich machten. Signora Maria stieg aus und hüllte sich fest in ihren Shawl. Ein finstereres Gesicht hatte sie noch nie gezeigt, als heute, zumal als sie gewahrte, daß Damen vom Theater français sie mit spöttischen Blicken betrachteten und höchst wahrscheinlich bonmots in Bezug auf die Bemühungen zum Besten gaben, die der Marquis la Boulaye so hartnäckig aufgewandt hatte, um die Chiarini zu gewinnen. Heute war Madame la Bresson die Königin des Festes, und zwar eines Festes, das zum glänzenden Finale eine Hochzeit aufweisen konnte. Die zahlreichen Diener kamen heran und legten die Kammern in Beschlag. Auch für sie war eine Kutsche vorhanden, und Theodor de la Boulaye flog herbei, um seinen Freund zu umarmen und der Chiarini eine Verbeugung zu machen, die sie fast mit Thränen in den Augen erwiderte.

– Antoine! sagte Boulaye; Du fährst unmittelbar hinter mir, denn mein einziger, obwohl menschenfeindlicher Freund wird mir heute zur Seite stehen . . .

Ernster war Theodor nie gewesen, als heute; so ernst und so trübsinnig, daß Watteau fragen mußte:

– Aber Theodor! Ist das die Miene eines glücklichen Bräutigams? Bist Du etwa [213] durch Deine Familienverhältnisse genöthigt, Paris diese Demonstration zu machen: so kannst Du mir wenigstens den schlimmen Humor dieses Tages anvertrauen.

– Komm und siehe! erwiderte Theodor einfach.

Der verwachsene Saint Foix kam an Watteau’s Wagen heran, aufgeräumt wie ein boshafter Affe heute, bestand er, obwohl vergebens, darauf, daß Madame de Saint Foix mit in Watteau’s Wagen Platz nehmen solle. Hatte der Bucklige im Sinne, dem armen Maler eine neue Tortur zu bereiten?

Endlich war Alles zur Abreise bereit. Sechzehn Wagen setzten sich in Bewegung, und nach den verschiedensten Abenteuern ward endlich Abends das Dorf erreicht, welches Les Sept Fontaines hieß.

Hier angekommen, lagerte sich die Gesellschaft im Garten des Schlosses. Watteau war heute verliebter als je, die Chiarini spröder, als er früher nur geahnt hatte. Der dicke Farini in seinem orientalischen Costüme gab das Zeichen, daß die Gesellschaft sich niederließ. Der grüne Rasen ward zum Sopha. Madame de Saint Foix mit ihrem Kinde lagerte sich neben Farini und Saint Foix selbst bemühte sich, seiner Frau auf die groteskeste Weise den Hof zu machen. Er umarmte sie und kollerte sich mit ihr, der Weinenden, auf dem Rasen umher, indeß Watteau, im höchsten Grade unglücklich, neben der Chiarini zu Füßen einer steinernen Venus saß und seine ganze Unterhaltungsgabe aufwandte, um seiner Göttin nur ein einziges Lächeln abzugewinnen.

Theodor de la Boulaye ging am Arme der La Bresson vorüber. Ihr nicht eben sehr edles Gesicht drückte höhnische Verachtung aus; als sie neben dem Maler Watteau und der Italienerin vorüberging. Die ganze Gesellschaft war auf den Act der Trauung gespannt, welcher bald folgen sollte. Es ward zu Tische geblasen. Geblasen sagen wir, denn ein herrliches Musikcorps war mitgekommen, damit die Lust der Geladenen nicht etwa einschläfere.

Theodor kam zu Watteau und führte ihn in die Tiefen eines ausgezeichneten Kellers.

– Du, Freund, bist vollkommen nüchtern trotz Deiner Braut! Suche hier den Wein für den Tisch und für unsere spätere attische Nacht aus! bat de la Boulaye.

Und Watteau fing mit zwei Küfern an, den Wein zu kosten.

Als er wieder zur Oberwelt gelangte, war seine erste Frage nach der Signora Chiarini. Sie war verschwunden. Bald aber vernahm er, daß die Marquise de la Bresson nicht minder eifrig ihren Bräutigam suchte, als er die Italienerin aufzufinden strebte. Die ganze Hochzeitsgesellschaft kam in Bewegung. Der Bräutigam Theodor La Boulaye war eben so wenig aufzufinden, als die schöne italienische Sängerin. Das Pfeifen und Musiciren der Hochzeitsgäste schien sich in Wehklagen verwandeln zu wollen.

Da rollte ein Wagen um elf Uhr auf den Schloßhof. Heraus trat der Marquis im Bräutigamsstaate und die einfach angekleidete Maria Chiarini. Sie trug einen Kranz von Mirthe und sah unbeschreiblich glücklich aus. In einem Augenblicke waren sie von den Neugierigen umringt.

– Es hat eine Hochzeit stattgefunden! sagte Theodor mit hallender Stimme. Es thut mir leid, daß die Erwartungen von vielen der hier Anwesenden einigermaßen getäuscht wurden. Mit Gewalt habe ich meine Braut zum Altar geführt: denn ich wußte, ihr Stolz war zu groß, [214] als daß sie je dem flehenden Worte der Liebe Gehör gegeben hätte. Sie aber, Paris und Frankreich werden Zeugen sein, ob ich der Mann bin, Signora Maria Chiarini glücklich zu machen, dieselbe, welche ich Ihnen hiermit als Marquise de la Boulaye feierlich vorstelle.

Die unter Thränen lächelnde Italienerin verbeugte sich leicht und schmiegte sich dann an den Arm ihres Gatten. Madame de Saint Foix schien ganz einfältig geworden; Watteau mochte erst in diesem Augenblicke begreifen, daß er nur von der Chiarini als Liebhaber aufgegriffen war, damit sie ihre Eifersucht gegen die La Bresson, ihren gekränkten Stolz desto besser verbergen könne. Theodor hatte die Chiarini mit Gewalt geraubt. Ob es ihm schwer geworden sein mag, diejenige zum Altar zu führen, welche schon längst ihn heimlich liebte? Kaum glauben wir’s. Die La Bresson trug ihr herbes Schicksal mit Geduld.

– Ich bin’s gewesen, verkündigte sie, welche diese Partie anstellte, und zwar nur zu dem Zwecke, um dem Marquis Boulaye Gelegenheit zu geben, sich der spröden Italienerin zu bemächtigen.

Diese Contenance war so großartig, daß es selbst Saint Foix für unverantwortlich gefunden hätte, die Jahrmarktsmarquise zu versichern, daß er von ihrer Auskunft kein einziges Wort glaube.

Der Unglücklichste der Unglücklichen war übrigens Antoine Watteau. Von diesem Augenblicke an beginnt sein Weiberhaß, und er hat es nachher nie unterlassen, den Weibern in seinen Gemälden eine solche Darstellung zu geben, daß ihre „Unwürdigkeit“ so ziemlich nahe auf der Hand liegt. Er zog sich nach Nogent zurück und starb hier schon im Jahre 1721, nicht älter als siebenunddreißig Jahre.

Mit ihm starb zugleich eine Kunst, welche für seine galante Zeit einer der genialsten historischen Zeugen ist. Nie wieder erstand die graziöse Koketterie seiner Gestalten, die neben der ungemeinen Zierlichkeit der Ausführung einen hohen Platz in der Culturhistorie Frankreichs behaupten. Der Maler ward wirklich ein Misanthrop und verzehrte sich in einem Winkel der Erde, während seine Freunde in Paris Alles erschöpften, was Glück und Lebensgenuß genannt werden kann.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: errreichen