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Land und Leute/Nr. 9. Das bairische Hochland

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: R. G.
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Titel: Land und Leute. Nr. 9. Das bairische Hochland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 133–134
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reisebericht aus der Artikelserie Land und Leute, Nr. 9
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[133]
Land und Leute.
Nr. 9. Das bairische Hochland. (Avis für Sommerreisende.)

Steht man auf der Theresienwiese bei München, am Fuße des Bavaria-Kolosses, übersättigt von allen Herrlichkeiten dieser wahrhaft königlichen Stadt und sieht, gewaltiger, als alle die Monumente, die ein kunstbegeisterter Monarch durch seine großen Künstler hervorrief, die ewigen unwandelbaren Denkmale einer unsichtbaren Hand, die riesigen Alpen in ihrer ganzen Ausdehnung, von der Mädelegabel im Allgau bis zum Watzmann bei Berchtesgaden und den Salzburger Bergen, gekleidet in ruhiges Blau, dazwischen eine schimmernde Felswand, dahinter ein weißer Gletscher, oder in seltenen Momenten, an herrlichen Sommerabenden, getaucht in glühendes Roth: dann füllt sich die Brust mit unwiderstehlichem Sehnen nach ihren schwindelnden Höhen, zerklüfteten Felsen, stürzenden Bergwässern und grünen Seeen.

Wirthsstube im bairischen Hochlande.

Zwar ist das bairische Hochland keine Schweiz. Die Gebirgsstöcke sind dort höher, ausgebreiteter, gewaltiger, die Gletscher häufiger, die Seeen größer, die Fälle stürzen tiefer; doch erreichen hier die höchsten Punkte die gewiß respectable Höhe von 8–10,000 Fuß, wie die Zugspitze, der Watzmann, Mädele, Karwendel und andere, man trifft alle Typen der Alpennatur, und der wahre Naturfreund, der sich nicht von Namen und dem allgemeinen Fremdenzug bestimmen läßt, findet sich gewiß hier eben so befriedigt wie dort. Auch ist es für den einzelnen Reisenden, der dem Geräusch großer Städte für einige Zeit zu entsagen kommt, wohlthuend, hier nirgends den Zügen reisender Engländer zu begegnen, die in der Schweiz allenthalben jene großartigen und theuren Gasthöfe da hervorgerufen haben, wo man Ländlichkeit und Einfachheit suchen möchte, und nur ausländischen Comfort und Luxus für theures Geld findet.

Wer das bairische Alpenland durchreisen will, muß sich begnügen, in einem einfachen Wirthshause beherbergt zu werden, wo er sich jedoch bei mäßigen Ansprüchen befriedigt und vor Allem allenthalben Reinlichkeit finden wird, ohne daß es ihn übrigens belästigen dürfte, wenn vielleicht am andern Tische Knechte und Mägde des Wirthes aus einer gemeinschaftlichen großen Schüssel ihr einfaches Mahl einnehmen, während sich neben ihn einer jener schmucken, stattlichen Söhne der Alpen setzt, wie sie von solcher Größe und Muskelkraft weder Schweizer, noch Tyroler, ihre Nachbarn, aufzuweisen haben. Er darf sich nicht gekränkt fühlen, wenn ihn dieser in seiner treuherzigen schlichten Weise mit „Du“ begrüßt, darf jedoch durchaus nicht glauben, dadurch mit Zudringlichkeiten belästigt zu werden. Hat der Mann einige „Hoalbi“ Bier getrunken, so wird er lebendig, und beginnt seine „Schnattahüpf’ln“ vorzutragen, kleine vierzeilige Lieder, die meist improvisirt werden, und ihr Wirthshaus-, Schützen- und Liebesleben besingen; nun rücken mehrere zusammen, und Einer sucht es dem Andern zuvorzuthun. Dabei wird in die Hände geklatscht, mit den Füßen gestampft und gejodelt. Es findet sich dann gewöhnlich eine Cither vor, das Instrument, welches ausschließlich den Alpen gehört, und hier fast von jedem ihrer Söhne gespielt wird. Bald ist nun auch ein „Deandl“ (Mädchen) bei der Hand, und nun wird „Landler“ getanzt, dieser gemüthliche und zugleich graziöse Nationaltanz, der auf unseren Bällen noch keine Gnade finden konnte, während man Polka, Mazurka u. a. von fremden Nationen entlehnt. Leider folgen dann auch manchmal ernstliche Händel, wie dies bei Naturkindern, die sich von ihren Leidenschaften blind beherrschen lassen, leicht möglich ist. Es werden die stählernen Schlagringe gedreht, die sie am Finger tragen, und selten legt sich der Kampf, bis er sein Opfer gefordert. Doch haben sich durch die strenge Wachsamkeit der Behörden diese Scenen in neuester Zeit sehr vermindert, und haben auch die Leute Takt genug, in Gegenwart Fremder sich zu beherrschen.

Beachtenswerth sind die Symbole, die die Decken der Gastlocale zieren, wie sie unser Bild zeigt. Liegt das Dorf an einem der Seeen, und sind daselbst Kähne zum Gebrauch für Reisende, so hängt von der Decke herab das Modell eines Kahnes mit einer Puppe als Fährmann; außerdem Fleischer- und Bäckerabzeichen, und in gläsernem Behälter ein Frachtwagen in Duodez, wenn hier Einkehr der Fuhrleute stattfindet. Es deutet das, sowie die mit geschnitzten Figürchen besteckten Maibäume, die zahlreichen bunten Heiligenbilder u. a. m., gewiß auf ein schon südlicheres, dem Italienischen verwandteres Element des Volkes hin, das, genährt durch das Bilderreiche des katholischen Cultus, sinnliche, farbige und plastische Anschauungen als Brücke zur Vermittelung seines Ideenganges mit den aufzunehmenden Begriffen bedarf.

[134] Denselben Grund mögen die dramatischen Spiele dieser Gebirgsleute haben, die, eben so originell als alt, nur Scenen aus der christlichen Legende oder Jesusgeschichte darstellen, und uns so einen Begriff von der Bühne des Mittelalters geben. Hat irgendwo eine Gemeinde ein derartiges Schauspiel beschlossen, dann wird es durch Anschlagzettel in allen benachbarten Dörfern bekannt gemacht. Die Aufführung geht in einer Scheune vor sich, und hat ein zahlreiches und aufmerksames Auditorium. Eine andere eigenthümliche Volkssitte ist die des „Haberfeldtreibens“. Hat ein Individuum durch Wucher, Geiz, Unsittlichkeit oder sonst ein Laster, das von den Gerichten nicht direct bestraft werden kann, den öffentlichen Unwillen erregt, so versammelt sich vor seinem Hause des Nachts ein vermummter Haufe bei Fackelbeleuchtung, mit Waldteufeln, Pfeifen, metallnen Becken, alten Töpfen, mit denen sie, unterstützt von Geschrei und Gejohle, einen Höllenlärm so lange vollführen, bis der zitternde Missethäter in dem Haufen erscheint. Hier werden ihm von einem Sprecher seine Vergehen vorgehalten, und mit dem Versprechen der Besserung beruhigt, gehen die Leute auseinander.

Bergsteigen und Wildern ist ihnen, wie allen Bergbewohnern, angeborene Leidenschaft, dabei lockt auch die nahe österreichische Grenze zur Schmuggelei, und Alles ist ihnen lockend, was Gefahren bringt, die hier weit größer sind, als irgendwo, wozu sich aber auch hier weit mehr Schlupfwinkel bieten. In vielen Familien erbt sich dieses Geschäft vom Großvater auf den Urenkel fort, und manche hat schon im Kampfe mit den Grenzwächtern ihr Oberhaupt eingebüßt. Aber in stetem Kampfe mit den Elementen und dem Gesetz, geht der bairische Aelpler gestählt und ausdauernd daraus hervor, mit scharfem Blick und feinem Gehör jede Gefahr erkennend und sie mit athletischer Kraft bekämpfend, und ist einer jener Söhne der Natur mit allen ihren schlimmen, aber auch vortrefflichen Eigenschaften, die in unsern Tagen nur noch schirmende Berge oder dürre Steppen vor dem unaufhaltsamen Strom der Cultur, die alle Welt beleckt, bewahren.

Wir hoffen in einer späteren Schilderung Land und Leute des bairischen Hochlandes noch näher kennen zu lernen.

R. G.